OGH 2Ob21/92

OGH2Ob21/929.9.1992

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kralik als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Melber, Dr.Kropfitsch, Dr.Zehetner und Dr.Schinko als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Rosemarie F*****, vertreten durch Dr.Klaus Dieter Strobach und Dr.Wolfgang Schmidauer, Rechtsanwälte in Grieskirchen, wider die beklagte Partei Konrad S*****, vertreten durch Dr.Maximilian Ganzert und Dr.Friedrich Wilhelm Ganzert, Rechtsanwälte in Wels, wegen S 63.933,99 sA infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 26.Februar 1992, GZ 2 R 259/91-44, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Kreisgerichtes Wels vom 20.Juni 1991, GZ 2 Cg 97/90-38, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 3.623,04 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (einschließlich S 603,84 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 21.8.1989 ereignete sich im Bereich der Kreuzung L*****-Straße, C*****-Straße, P*****platz im Ortsgebiet von W***** ein Verkehrsunfall, an dem die Klägerin mit ihrem "Fiskal-LKW", Marke VW Golf Diesel VAN, polizeiliches Kennzeichen ***** und der Beklagte als Lenker seines Fahrrades beteiligt waren. Bei dem Unfall wurde der Beklagte schwer verletzt; das Fahrzeug der Klägerin und das Fahrrad des Beklagten wurden erheblich beschädigt. Die Höhe der der Klägerin durch diesen Unfall entstandenen Schäden ist mit S 62.433,99 ebenso unstrittig wie die Höhe der Schäden des Beklagten von S 85.000,-

(Schmerzengeld S 80.000,-, Sachschäden S 5.000,-).

Die Klägerin begehrte vom Beklagten den Ersatz von S 63.933,99. Sie brachte vor, der Beklagte habe den Unfall allein verschuldet, weil er sein Fahrzeug ohne Anzeige der beabsichtigten Fahrtrichtungsänderung und ohne sich zu überzeugen, ob dies ohne Gefährdung der übrigen Verkehrsteilnehmer möglich sei, nach links in die L*****-Straße lenkte.

Der Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Er wendete ein, die Klägerin habe den Unfall durch Einhaltung einer überhöhten Fahrgeschwindigkeit allein verschuldet. Seine Schadenersatzansprüche von S 87.370,- mache er aufrechnungsweise gegen die Klageforderung geltend.

Das Erstgericht stellte - ausgehend von einer Schadensteilung im Verhältnis von 3 : 2 zugunsten der Klägerin - die Klageforderung mit S 37.460,39 und die eingewendete Gegenforderung mit S 34.000,- als zu Recht bestehend fest und verurteilte den Beklagten zur Bezahlung von S 3.460,- sA. Das Mehrbegehren von S 60.473,99 sowie ein Zinsenmehrbegehren wurden abgewiesen. Das Erstgericht ging im wesentlichen von folgendem Sachverhalt aus:

Die Klägerin fuhr aus der V*****unterführung kommend in Richtung L*****-Straße. Sie hatte die Absicht, die Kreuzung mit der C*****-Straße/P*****platz in gerader Richtung zu überqueren, hielt eine Fahrgeschwindigkeit von 60-63 km/h ein und hatte dabei einen Seitenabstand von ca. 1 m zu der den Radweg von der Fahrbahn abgrenzenden Bordsteinkante.

Zur gleichen Zeit fuhr der Beklagte mit seinem Fahrrad auf dem Radweg in die gleiche Richtung.

Im Bereich des Endes des Radweges bis höchstens einige Meter nach dessen Ende bog er, ohne vorher ein Handzeichen zum Linksabbiegen gegeben zu haben, mit einer Geschwindigkeit von 15-20 km/h aus der durch Ordnungslinien markierten Verlängerung des Radweges über den östlichen Ast der C*****-Straße nach links in Richtung P*****platz ab. Bei Beginn des Abbiegemanövers befand sich das Fahrzeug der Klägerin nur rund 17 m hinter dem Fahrrad des Beklagten. Es war also eindeutig in dessen Sichtbereich und für ihn als mit deutlich höherer Geschwindigkeit herankommendes Fahrzeug erkennbar. Für die Klägerin war die Linksabbiegeabsicht des Beklagten nur über einen Zeitraum von rund einer Sekunde zu erkennen. Als die Klägerin die Linksabbiegeabsicht des Beklagten erkannte, verriß sie ihr Fahrzeug nach links und leitete eine Vollbremsung ein. Noch vor dem Wirksamwerden der Bremsung kam es bei einer Geschwindigkeit des Fahrzeuges der Klägerin von 60-63 km/h zur Kollision mit dem Fahrzeug des Beklagten, das zu diesem Zeitpunkt eine Geschwindigkeit von ca 15-20 km/h einhielt. Das Fahrzeug der Klägerin stieß dabei mit seinem rechten vorderen Eck gegen das Vorderrad des Fahrrades. Der Beklagte wurde auf das Fahrzeug aufgeschaufelt und es kam zu einer weiteren Berührung im Bereich der Frontscheibe und des Daches.

Hätte die Klägerin zum Zeitpunkt der Reaktionseinleitung mit ihrem Fahrzeug lediglich eine Geschwindigkeit von 50 km/h eingehalten, hätte die Kollisionsgeschwindigkeit ihres Fahrzeuges nur 43-46 km/h betragen. Das Fahrzeug der Klägerin wäre in diesem Fall 0,2 Sekunden später an der Unfallsstelle angelangt. In dieser Zeit hätte der Beklagte mit seinem Fahrrad eine zusätzliche Wegstrecke von 1 m zurückgelegt, sodaß es dennoch zu einer Kollision, und zwar zwischen der rechten vorderen Ecke des Fahzeuges der Klägerin und dem Bereich des Tretlagers des Fahrrades gekommen wäre. Die Bewegungsenergie ihres Fahrzeuges wäre jedoch nur halb so groß gewesen. Auch in diesem Fall wäre am Fahrrad des Beklagten ein Totalschaden eingetreten und es wären auch für das Fahrzeug der Klägerin gleich hohe Reparaturkosten aufgelaufen. Nicht festgestellt werden kann allerdings, daß der Beklagte in diesem Fall auch gleich schwere Verletzungen erlitten hätte. Die Klägerin hätte den Unfall nur verhindern können, wenn sie lediglich eine Annäherungsgeschwindigkeit von höchstens 35 km/h eingehalten hätte.

Rechtlich war das Erstgericht der Ansicht, daß der Beklagte den Vorrang der im Fließverkehr befindlichen Klägerin verletzt habe. Die Klägerin treffe ein Mitverschulden, weil sie eine für das Ortsgebiet überhöhte Fahrgeschwindigkeit von 60-63 km/h eingehalten habe. Bei entsprechender Gewichtung des gegenseitigen Fehlverhaltens und unter Berücksichtigung der vom Fahrzeug der Klägerin ausgehenden Betriebsgefahr sei eine Verschuldens- und Schadensteilung im Verhältnis von 3 : 2 zugunsten der Klägerin gerechtfertigt.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin teilweise Folge und änderte die erstgerichtliche Entscheidung dahin ab, daß es die Klageforderung mit S 62.433,99 zu Recht und mit S 1.500,- als nicht zu Recht bestehend erkannte, die Gegenforderung mit dem Betrag von S 32.000,- als zu Recht und darüber hinaus bis zur Höhe der Klageforderung als nicht zu Recht bestehend feststellte und der Klägerin den Betrag von S 30.433,99 sA zusprach. Das Mehrbegehren von S 33.500,- wies es ab.

Rechtlich vertrat das Gericht zweiter Instanz die Auffassung, daß zwischen den Sachschäden und jenen, die der Beklagte an seinem Körper erlitten habe, zu unterscheiden sei. Bei den Sachschäden habe die Klägerin nachweisen können, daß diese auch eingetreten wären, wenn sie die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h nicht überschritten hätte. Eine Schadensteilung sei daher nur beim Körperschaden des Beklagten vorzunehmen. Da der Oberste Gerichtshof in seiner Entscheidung 2 Ob 32/89 (ZVR 1989/202 = JBl 1989, 451 = RZ 1989/78 S 217) das Rechtsproblem der Schadensteilung im Zusammenhang mit der Beachtlichkeit des rechtmäßigen Alternativverhaltens letztlich unbeantwortet gelassen habe, werde die Revision zugelassen.

In dieser stellt sich die beklagte Partei auf den Standpunkt des Erstgerichtes, wonach eine einheitliche Beurteilung des Unfalles zu erfolgen habe und beantragt die Abänderung der Entscheidung des Berufungsgerichtes durch Wiederherstellung des Ersturteiles.

Die Klägerin beantragt in der Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Der Oberste Gerichtshof hat sich bereits einmal und zwar in ZVR 1989/202 = JBl 1980, 451 = RZ 1989/78 S 217 mit dem Problem auseinandergesetzt, was im Falle einer Schadensteilung zwischen Schädiger und Geschädigtem im Sinn des § 1304 ABGB (§ 11 Abs 1 letzter Satz EKHG) dann rechtens ist, wenn ein Mitverschulden eines Teiles nur für einen bestimmten Teil des entstandenen Schadens ursächlich war. In dieser Entscheidung wurde darauf hingewiesen, daß in der Praxis nur höchst selten mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden kann, welcher ziffernmäßig bestimmte Teil eines eingetretenen Schadens auf ein bestimmtes Fehlverhalten eines Beteiligten zurückzuführen ist. Eine weitere Befassung mit der dargestellten Frage unterblieb wegen verfahrensrechtlicher Irrelevanz.

Im vorliegenden Fall konnte die Klägerin aber einwandfrei nachweisen, daß die Sachschäden auch eingetreten wären, wenn sie nur eine Geschwindigkeit von 50 km/h eingehalten hätte. Damit ist ihr der Beweis gelungen, daß die Sachschäden auch bei einem rechtmäßigen Alternativverhalten nicht hätten vermieden werden können und daß diese daher in letzter Konsequenz allein auf den grob verkehrswidrigen Vorrangverstoß des Beklagten zurückzuführen sind. Da die Kausalität des in Frage stehenden rechts- bzw sorgfaltswidrigen Verhaltens für Verantwortung und Mitverantwortung unabdingbare Voraussetzung ist (Jabornegg, Probleme des Mitverschuldens bei Verkehrsunfällen ZVR 1983, 194), hat das Berufungsgericht somit mit Recht eine Mithaftung der Klägerin für die eingetretenen Sachschäden ausgeschlossen (vgl auch Reischauer in Rummel, ABGB, Rz 2 zu § 1304).

Anders verhält es sich beim Körperschaden des Beklagten. Diesfalls hat die infolge zu schnellen Fahrens ein Schutzgesetz übertretende Klägerin nicht nachweisen können, daß der Beklagte auch im Falle eines rechtmäßigen Alternativverhaltens ihrerseits gleich schwere Verletzungen erlitten hätte (vgl ZVR 1956/132; SZ 60/224; ZVR 1988/85 uza). Für den Körperschaden des Beklagten ist daher "die Kausalität ihrer Pflichtwidrigkeit" (Peter Bydlinski, Schadenersatzrechtliche Überlegungen anläßlich eines Verkehrsunfalles, ZVR 1984, 194; Welser,

Der OGH und der Rechtswidrigkeitszusammenhang, ÖJZ 1975, 44) als gegeben zu erachten.

Den dargelegten Grundsätzen hat das Berufungsgericht unter eingehender Darstellung der zu diesem Ergebnis führenden Erwägungen voll entsprochen. Seine rechnerischen Operationen werden nicht in Frage gestellt. Die gegenteiligen Ausführungen der beklagten Partei zur Verschuldensteilung sind nicht stichhältig.

Der Revision war daher der Erfolg zu versagen und wie im Spruch zu erkennen.

Der Kostenausspruch beruht auf §§ 41, 50 ZPO.

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