OGH 9ObA147/92

OGH9ObA147/922.9.1992

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr.Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr.Gamerith und Dr.Maier sowie durch die fachkundigen Laienrichter Mag.Erich Deutsch und Mag.Michael Zawodsky in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Zentralbetriebsrat der Ö***** AG, vertreten durch den Zentralbetriebsratsobmann F***** K*****, dieser vertreten durch ***** Rechtsanwalt *****, wider die beklagte Partei Ö***** AG, *****, vertreten durch ***** Rechtsanwalt*****, wegen Feststellung (Streitwert S 100.000), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 13. März 1992, GZ 32 Ra 8/92-15, womit das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 9. Juli 1991, GZ 18 Cga 12/91-10, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Beklagte ist schuldig, dem Kläger die mit 5.094 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (davon 849 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Im Punkt XIV. des Kollektivvertrages für Arbeiter der Elektrizitätsversorgungsunternehmen (im folgenden: KV-Arb), Z 1, wird der Entgeltbegriff wie folgt definiert:

"1. Entgelt sind alle Leistungen, die dem Arbeitnehmer vom Arbeitgeber auf Grund seines Arbeitsverhältnisses zustehen. Zum Entgelt gehören insbesondere: Überstundengrundvergütungen und -zuschläge, Schmutz-, Erschwernis- und Gefahrenzulagen sowie Zulagen für gesundheitsgefährdende Arbeiten, Vorarbeiter-, Schicht- und Nachtarbeitszuschläge, Vergütungen für Anwesenheit, Ruferreichbarkeit und allgemeine Erreichbarkeit.

Nicht zum Entgelt gehören Aufwandsentschädigungen sowie jene Sachbezüge, die wegen ihres unmittelbaren Zusammenhanges mit der Dienstverrichtung nicht in Anspruch genommen werden können.........(es folgt eine beispielsweise Aufzählung)."

Denselben Entgeltbegriff enthält (unter beispielsweise Anführung weiterer Zulagen) § 4a Abs 1 des Kollektivvertrages für Angestellte der Elektrizitätsversorgungsunternehmen Österreichs (im folgenden: KV-Ang).

Gemäß Punkt XIV. Z 2 KV-Arb und § 4a Abs 2 KV-Ang findet der Begriff des Entgelts bei Unterbleiben der Arbeitsleistung in folgenden Fällen Anwendung:

a) Urlaub,

b) Arbeitsverhinderung aus gesetzlich, kollektivvertraglich oder innerbetrieblich anerkannten Gründen,

c) Feiertage.

Unberücksichtigt bleiben jene Entgeltbestandteile, die durch diese Arbeitsverhinderung nicht geschmälert werden.

Der Ermittlung jener Entgeltbestandteile, die nicht pauschaliert entlohnt werden, ist gemäß Punkt XIV. Z 3 KV-Arb (§ 4a Abs 3 KV-Ang) der Durchschnitt der letzten zwölf abgerechneten Monate zugrundezulegen. Durch Betriebsvereinbarung kann jedoch das letzte volle Kalenderjahr oder ein davon abweichendes Geschäftsjahr als Durchrechnungszeitraum vereinbart werden.

Im Sinne dieser kollektivvertraglichen Ermächtigung wurde mit Betriebsvereinbarung zwischen der Beklagten und dem klagenden Zentralbetriebsrat dieses Unternehmens als Durchrechnungszeitraum für die Berechnung des Entgelts das letzte volle Kalenderjahr vereinbart.

Mit Direktionsverfügung Nr 506 vom 9.2.1990 hat der Vorstand der Beklagten angeordnet, daß ab 1.1.1990 bei stundenweisem Unterbleiben der Arbeitsleistung bei bezahlter privater Abwesenheit in Gleichschaltung mit den Konzerngesellschaften der Entgeltbegriff des Art XIV KV-Arb und des § 4 KV-Ang keine Anwendung mehr finde. Für ganztägig bezahlte private Abwesenheit finde jedoch der Entgeltbegriff unverändert Anwendung.

Mit Schreiben vom 26.3.1990 teilte die Gewerkschaft Metall-, Bergbau-Energie der Beklagten mit, daß die Direktionsverfügung Nr.506 Kollektivvertragsbestimmungen einseitig einschränke und daher ihrer Ansicht nach unwirksam sei. Mit Direktionsverfügung Nr.507 vom 12.4.1990 ordnete die Beklagte an, daß bei stundenweisem Unterbleiben der Arbeitsleistung bei bezahlter privater Abwesenheit jene Zulagen gezahlt werden, die der jeweilige Arbeitnehmer bei erfolgter Arbeitsleistung erhalten würde. Über das Zustehen dieser Entgeltbestandteile entscheide der jeweilige Vorgesetzte.

Der klagende Zentralbetriebsrat behauptet, daß auch diese Direktionsverfügung eine einseitige nachteilige Abänderung der Arbeitsverträge der Bediensteten enthalte, weil zum Entgelt auf Grund der beiden zur Anwendung gelangenden Kollektiverträge auch (aliquote) Überstundenvergütungen und -zuschläge gehörten. Diese seien den Arbeitnehmern bisher auch bei stundenweisem Unterbleiben der Arbeitsleistung gezahlt worden. Ein einseitiges Abgehen von der Vergütung des Durchschnittsentgelts des Vorjahres, die sich ergeben könnte, wenn der jeweilige Vorgesetzte zu entscheiden habe, welche konkreten Zulagen angefallen wären, sei unzulässig. Die Beklagte habe das Durchschnittsentgelt auch bei stundenweisem Unterbleiben der Arbeitsleistung seit 1975 jedem Arbeitnehmer gezahlt.

Der Kläger begehrt in seiner Klage (§ 54 Abs 1 ASGG) die Feststellung, daß die Beklagte verpflichtet sei, den bei ihr beschäftigten Arbeitnehmern bei stundenweisem Unterbleiben der Arbeitsleistung, sofern hiefür von der Beklagten ein Entgelt zu entrichten ist, auch Überstundengrundvergütungen und -zuschläge zu zahlen. Bei der Berechnung jener Entgeltbestandteile, die nicht pauschaliert entlohnt werden, sei auch bei stundenweisem - zu entgeltenden - Unterbleiben der Arbeitsleistung der Durchschnitt des letzten vollen Kalenderjahres zugrunde zu legen.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Die Direktionsverfügung Nr.507 bewirke keine nachträgliche Schmälerung des Entgelts der Arbeitnehmer der Beklagten, da sie mit Punkt XIV KV-Arb und § 4a KV-Ang bei richtiger Auslegung dieser Bestimmungen in Einklang stehe. Aus der Formulierung in Punkt XIV Z 2 KV-Arb und § 4a Abs 2 KV-Ang "unberücksichtigt bleiben jene Entgeltbestandteile, die durch diese Arbeitsverhinderung nicht geschmälert werden" gehe hervor, daß der Arbeitnehmer nur das erhalten solle, was er im Falle durchgehender Arbeitsleistung erhalte. Die Auslegung des Kollektivvertrages durch den Kläger habe zur Folge, daß Arbeitnehmer bei stundenweisem Unterbleiben der Arbeitsleistung im Ergebnis mehr erhielten, als wenn sie durchgearbeitet hätten, da ihnen auch die aliquoten Teile der Überstunden des Vorjahres angerechnet werden müßten.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt.

Es vertrat die Rechtsauffassung, daß die Direktionsverfügungen Nr.506 und 507 zwingenden Bestimmungen der beiden Kollektivverträge widersprächen und von diesen zum Nachteil der Arbeitnehmer abwichen. Im Falle einer Arbeitsverhinderung aus gesetzlich, kollektivvertraglich oder innerbetrieblich anerkannten Gründen könne die Berechnung des für diese Zeit gebührenden Entgelts nur unter Heranziehen des Entgeltbegriffes der beiden Kollektivverträge erfolgen. Da nach diesen Begriffen auch Überstundenvergütungen zum Entgelt gehörten, seien diese Entgeltbestandteile auch bei der Vergütung stundenweiser Abwesenheiten zu berücksichtigen. Der Kollektivvertrag lasse bei der Berechnung des Entgelts nur für die Vergangenheit einen Ermessensspielraum. Er erlaube, daß anstelle des Entgeltdurchschnitts der letzten zwölf Monate jener des letzten vollen Kalenderjahres als Durchrechnungszeitraum vereinbart werden könne. Eine "aktuelle" Berechnungsmethode (unter Bedachtnahme auf das, was der Arbeitnehmer bei tatsächlicher Arbeitsleistung erhalten hätte) widerspreche aber dem klaren Wortlaut der Kollektivverträge. Eine Differenzierung der Berechnung bei tageweiser oder stundenweiser Arbeitsverhinderung ermögliche der Kollektivvertrag nicht.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge und billigte die rechtliche Beurteilung durch das Erstgericht (§ 500a ZPO).

Der Beklagte bekämpft das Urteil des Berufungsgerichtes mit Revision wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung und beantragt, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß das Klagebegehren abgewiesen werde.

Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, der Revision der Beklagten nicht Folge zu geben.

Die Revision ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Aus den beiden - im wesentlichen gleichlautenden - Bestimmungen des KV-Arb und des KV-Ang über den Entgeltbegriff geht klar hervor, daß der Ermittlung jener Entgeltbestandteile, die nicht pauschaliert entlohnt werden, der Durchschnitt der letzten zwölf abgerechneten Monate bzw im Falle einer davon abweichenden (vom Kollektivvertrag zugelassenen) Betriebsvereinbarung der Durchschnitt des letzten vollen Kalenderjahres zugrunde zu legen ist. Dieser Entgeltbegriff ist auch auf das bei Arbeitsverhinderungen (vgl § 1154 Abs 1 letzter Satz ABGB; § 8 Abs 3 AngG) aus gesetzlichen, kollektivertraglichen oder innerbetrieblich anerkannten Gründen gebührende Entgelt anzuwenden. Der Kollektivvertrag differenziert zwischen stundenweisen und tageweisen Arbeitsverhinderungen ("Unterbleiben der Arbeitsleistung") nicht, so daß bei stundenweiser Arbeitsverhinderung kein anderer, vom Kollektivvertrag zum Nachteil der Arbeitnehmer abweichender Berechnungsmaßstab zugrundegelegt werden darf. Aus dem letzten Satz des Art XIV Z 2 KV-Arb und § 4a Abs 2 KV-Ang ist für den Standpunkt der Beklagten nichts zu gewinnen. Diese Bestimmungen enthalten in Übereinstimmung mit Art XIV Z 3 KV-Arb und § 4a Abs 3 KV-Ang nur die Regel, daß jene Entgeltbestandteile, die durch die Arbeitsverhinderung nicht geschmälert werden, unberücksichtigt bleiben. Das sind ganz offensichtlich jene (im vorliegenden Fall konkret nicht bekannten) Entgeltbestandteile, die pauschaliert entlohnt werden und sich als Fixbeträge durch eine Arbeitsverhinderung in ihrem Ausmaß nicht ändern und auch bei der zwölfmonatigen Durchschnittsberechnung nicht zugrunde zu legen sind. Welche Argumente sich aus dieser Regel für die Meinung der Beklagten, daß bei stundenweiser Abwesenheit jene Zulagen zu zahlen seien, die der Arbeitnehmer bei tatsächlicher Arbeitsleistung erhalten hätte, ergeben sollen, ist nicht zu erkennen. Der Auslegungsversuch der Beklagten, daß "Überstunden des Vorjahres.....durch die Arbeitsverhinderung nicht geschmälert werden können", ist verfehlt, weil dies selbstverständlich ist und auch auf alle anderen im Vorjahr verdienten Entgeltbestandteile zutrifft.

Daß der Arbeitnehmer als Vergütung für eine Stunde Dienstverhinderung unter Umständen mehr erhält als für eine geleistete Arbeitsstunde ist durch das Abstellen des Kollektivvertrages auf den Durchschnittsverdienst des vorausgehenden Kalenderjahres systembedingt; dasselbe Ergebnis tritt auch bei einer ganztägigen Arbeitsverhinderung ein, wenn feststeht, daß der Arbeitnehmer an diesem Tag mit Sicherheit keine Überstunden geleistet hätte.

Da es aber bei der Beurteilung, was der Arbeitnehmer während der Dienstverhinderung verdient hätte, um einen hypothetischen, nicht immer mit Sicherheit nachzuvollziehenden Kausalverlauf geht, kann in vielen Fällen nicht ausgeschlossen werden, daß es nicht bei Anwesenheit des Arbeitnehmers doch zu einer (vorher nicht geplanten) Überstundenleistung gekommen wäre. Prinzipiell ist dies auch bei stundenweiser Abwesenheit nicht unmöglich, etwa wenn der Arbeitnehmer die letzte Arbeitsstunde vor der Mittagspause oder vor Arbeitsschluß an der Arbeitsleistung verhindert ist.

Auf die Frage der Betriebsübung ist daher nicht mehr einzugehen.

Der Revision ist daher nicht Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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