OGH 8Ob11/92

OGH8Ob11/9225.6.1992

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Griehsler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Huber, Dr.Graf, Dr.Jelinek und Dr.Schinko als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei O***** B*****, vertreten durch Dr.Wolfgang Puttinger, Rechtsanwalt in Ried im Innkreis, wider die beklagte Partei Irmgard D*****, vertreten durch Dr.Thomas Brückl, Rechtsanwalt in Ried im Innkreis, wegen S 1 Mio s.A. infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 13.November 1991, GZ 2 R 141/91-26, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Kreisgerichtes Ried im Innkreis vom 10.Jänner 1991, GZ 1 Cg 212/90-19, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben.

In Abänderung des berufungsgerichtlichen Urteiles wird das erstgerichtliche Urteil wiederhergestellt.

Die Zweitbeklagte ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 84.134,40 bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens (einschließlich S 10.022,40 Umsatzsteuer und S 24.000,- Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Auf Grund des von der klagenden Bank als Ausstellerin vorgelegten vom Erstbeklagten als Akzeptanten und von der Zweitbeklagten - dessen Ehefrau - als Bürgin für ihn unterfertigten, auf einen Betrag von S 5,270.641,48 lautenden Wechsels erließ das Erstgericht gegen die beiden Beklagten einen Wechselzahlungsauftrag über einen Betrag von S 1 Mio., hielt diesen Zahlungsauftrag nach Durchführung des Beweisverfahrens über die von der Zweitbeklagten erhobenen, auf Irreführung und Drohung gegründeten Einwendungen aufrecht und verurteilte sie zur ungeteilten Hand mit dem Erstbeklagten, den vorgenannten Betrag zu bezahlen. Es stellte folgenden Sachverhalt fest:

Die beiden Beklagten sind seit dem Jahre 1981 die einzigen Gesellschafter der F***** KG, einem Viehhandelsbetrieb, in dem die Zweitbeklagte fallweise Büro- und Buchhaltungsarbeiten verrichtete und über dessen laufende Geschäfte sie im großen und ganzen informiert war. Sie errichteten auf einer erworbenen, mit geringfügigen Hypotheken belasteten Liegenschaft ein Einfamilienhaus und kauften im Jahre 1988 noch zwei weitere Liegenschaften. Mitte des Jahres 1988 ließ sich der Erstbeklagte von einem Hamburger Spekulationsunternehmen überreden, einen Betrag von S 100.000,- für Spekulationszwecke einzusetzen; diesbezügliche Bedenken des Zweitbeklagten schob er beiseite. Um höhere Beträge einsetzen zu können, wandte er sich an den Kreditsachbearbeiter der klagenden Bank namens K***** und erhielt aufgrund seiner Behauptung, er brauche Geld, um einen Liegenschaftsverkäufer besser ködern zu können, am 27.9.1988 einen Kreditbetrag von S 2,6 Mio. ausbezahlt. Den Namen des Verkäufers verschwieg er mit der Begründung, er habe schon einmal zufolge mangelnder Verschwiegenheit einer Bank eine günstige Kaufgelegenheit versäumt. Da die wirtschaftliche Lage der F***** KG bzw. des Erstbeklagten durchaus geordnet erschien, hielt K***** diese Kreditgewährung für durchaus vertretbar; er wollte zudem auch großzügig sein, um ein Abwandern der Kundschaft zu einer anderen Bank zu verhindern. Der Erstbeklagte hatte die Besicherung des Kredites auf der Liegenschaft nach deren Erwerb zugesagt. Bald danach begehrte er mit dem gleichen Vorbringen einen weiteren Kreditbetrag von S 5 Mio und bot wiederum die Verpfändung der zu erstehenden Liegenschaft sowie die Zession offener Forderungen und die Abtretung von Bauspar- und Lebensversicherungsguthaben an, außerdem übergab er K***** zwei Sparbücher über insgesamt S 1 Mio. Am 17.10.1988 wurde ihm auch dieser Kreditbetrag ausbezahlt. In den folgenden Tagen beunruhigte K***** der im wesentlichen kaum besicherte Außenstand von S 7,2 Mio., zumal er über den Ablauf des Liegenschaftskaufes vom Erstbeklagten nur ausweichende Antworten erhielt. Am 26.10. und 27.10.1988 ersuchte er die Zweitbeklagte, dem Erstbeklagten auszurichten, er möge umgehend mit der klagenden Bank Kontakt aufnehmen. Die Zweitbeklagte erhielt vom Erstbeklagten auf ihre Frage nach dem Grund der Anrufe keine Auskunft. Am 28.10.1988 morgens forderte K***** telefonisch von der Zweitbeklagten dringend das Erscheinen des Erstbeklagten; dieser kam der Aufforderung nach, gestand K***** den wahren Sachverhalt und ersuchte ihn "um weiteres Geld" um die Spekulation erfolgreich abschließen zu können. K***** wurde die Bedenklichkeit der Lage sofort bewußt und fuhr deshalb mit einer Sekretärin und dem Erstbeklagten in das Büro der F***** KG, um dort die Buchhaltung und die Bilanzen durchzusehen und die Außenstände zu sichern. K***** war über das Verhalten des Beklagten heftigst erregt und warf ihm im Zuge des Aufenthaltes vor, ein Verbrecher und Betrüger zu sein, den man sofort verhaften sollte. Die Zweitbeklagte, die sich nicht aktiv an den Vorgängen beteiligte, hörte diese Äußerungen und wollte wissen, was los sei. Der Erstbeklagte gab ihr nur eine allgemeine, beruhigende Auskunft und K***** sagte ihr, man müsse nur die Außenstände feststellen und benötige Sicherheiten. Die Zweitbeklagte hatte damals von den Spekulationsgeschäften des Erstbeklagten nichts gewußt, "bekam aber mit, daß ihr Mann in größeren wirtschaftlichen Schwierigkeiten stecken müsse". K***** forderte dann die beiden Beklagten auf, am Nachmittag zu ihm zu kommen, um weitere Sicherheiten zu schaffen, insbesondere auch um die Pfandbelastung des Einfamilienhauses durchzuführen. Die Beklagten wurden dann sofort in die Kanzlei Dris.Sch***** gebracht, wo Dr.P***** die Unterschriften auf der Pfandbestellungsurkunde über rund S 3 Mio. und dem dazugehörigen Rangordnungsbescheid beglaubigte. Sodann fuhr man wieder in das Büro K*****s, wo die Zweitbeklagte die Erklärung als Bürge und Zahler bis zu einem Betrg von S 7,6 Mio. zu haften, sowie einen Blankowechsel als Bürgin für den Akzeptanten Ferdinand F*****, Viehhandel und Viehexport, L*****,und die Erklärung der sicherungsweisen Abtretung eines Sparkassenbuches und einer Reihe von Anleihen unterfertigte und den Kreditvertrag zwischen der klagenden Partei und der Firma F***** über S 7,6 Mio. mit den darin vereinbarten Sicherungen gemeinsam mit dem Erstbeklagten unterschrieb. Alle diese Urkunden wurden auf den 17.10.1988 rückdatiert. K***** brachte bei dieser Gelegenheit wiederum seinen Unmut über das Verhalten des Erstbeklagten zum Ausdruck, allerdings nicht mehr in dieser Deutlichkeit wie am Vormittag. Die Zweitbeklagte wußte im Zeitpunkt der Unterschrift der Unterlagen und des Wechsels, daß erhebliche Forderungen im Raume standen und schätzte diese mit S 2 bis 3 Mio., sie glaubte den Versicherungen des Erstbeklagten, daß es gelingen werde, die wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu überbrücken. Das Wesen eines Wechsels war ihr durchaus bekannt, bei der Unterschrift der Unterlagen, insbesondere des Wechsels, verlangte sie keinerlei Aufklärung durch die klagende Bank. Die Unterlagen las sie nicht durch, überrumpelt war sie anläßlich dieser ungefähr eine halbe Stunde dauernden Vorgänge nicht. Am Abend des 28.10.1988 kam dann eine Angestellte der klagenden Bank nach L*****, um einige fehlende Unterlagen abzuholen. Da der Erstbeklagte nicht anwesend war unterhielt sich diese Angestellte mit der Zweitbeklagten über die Vorgänge und klärte sie über das wahre Ausmaß und die wahren Hintergründe der Schwierigkeiten des Erstbeklagten auf. Dieser bestätigte schließlich im großen und ganzen die Schilderungen, meinte aber wiederum beruhigend, daß alles wieder ins Lot kommen werde. Einige Tage nach dem 28.10.1988 erschien die Zweitbeklagte dann bei Dr.P***** und meinte, sie hätte die Pfandbestellungsurkunde nicht unterschreiben wollen bzw. sollen, worauf Dr.P***** nur anwortete, daß er nach Leistung der Unterschriften nichts mehr machen könne und daß sie zu spät käme. In der weiteren Folge versuchte die klagende Bank gemeinsam mit dem Erstbeklagten, die wirtschaftliche Lage der F***** KG bzw. der beiden Beklagten "zu beruhigen", wobei man insbesondere andrängende Bauern, die um ihr Entgelt fürchteten, "ruhigstellte". In der Folge fuhr der Leiter der Rechtsabteilung der klagenden Bank mit dem Erstbeklagten nach Hamburg und es gelang ihnen, aus den verunglückten Spekulationsgeschäften noch etwa S 3 Mio. vom Hamburger Anlageberatungsunternehmen hereinzubekommen. In der weiteren Folge stellte sich allerdings heraus, daß die Außenstände und Guthaben der F***** KG sowie die Forderungen nicht annähernd in der vom Erstbeklagten behaupteten Höhe bestanden; die angeblich hohen Mehrwertsteuerrückvergütungen bauten auf seinen falschen Angaben gegenüber der Finanzbehörde auf. Auch kam hervor, daß der Erstbeklagte für seine Spekulationsgeschäfte zusätzlich bei einer anderen Bank S 2 Mio. an Kredit aufgenommen und mit demselben Sparbuch besichert hatte wie die Kredite bei der klagenden Bank. Nach diesen Erkenntnissen zerschlugen sich auch die Pläne der klagenden Bank, die wirtschaftliche Gesundung der F***** KG bzw. der beiden Beklagten weiterzubetreiben.

In seiner rechtlichen Beurteilung erklärte das Erstgericht, die an sich zulässigen Einwendungen der Zweitbeklagten, durch Drohung zur Unterfertigung des Wechsels gezwungen sowie irregeführt und überrumpelt worden zu sein, seien auf Grund der gegenteiligen Beweisergebnisse nicht gerechtfertigt, abgesehen davon liege in der Drohung mit einer strafgerichtlichen Anzeige auch kein widerrechtlicher Zwang, nach den Umständen erschienen die diesbezüglichen Unmutsäußerungen des Sachbearbeiters K***** vielmehr durchaus verständlich. Auch eine Irreführung durch mangelnde Aufklärung liege nicht vor, weil die Informationspflicht einer Bank gegenüber ihrem Bürgen nicht überspannt werden dürfe. Im vorliegenden Falle sei der Zweitbeklagten die Notlage ihres Ehemannes völlig klar gewesen, sie habe nach ihren eigenen Angaben gewußt, daß "einige Millionen auf dem Spiele stünden". K***** habe überdies davon ausgehen können, daß die beiden Beklagten als Ehegatten am 28.10.1988 in der Mittagspause die finanzielle Lage erörterten, sodaß am Nachmittag nach der Unterzeichnung der Pfandbestellungsurkunde und des Rangordnungsbescheides bei einem Notar eine Aufklärungs- und Informationspflicht im Rahmen der folgenden Besprechung mit der Bank nicht mehr zu fordern sei.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Zweitbeklagten Folge, hob den gegen sie erlassenen Wechselzahlungsauftrag auf und wies das gegen sie gerichtete Klagebegehren ab. Es erklärte die Revision nicht für zulässig und führte ohne Behandlung der Tatsachen- und Beweisrüge zur Rechtsrüge folgendes aus:

Nach Rechtsprechung und Lehre stelle das Geschäftsverhältnis zwischen Kreditunternehmung und Kunden ein Vertrauensverhältnis dar, das auch Grundlage für eine Aufklärungspflicht der Kreditunternehmung sein könne. Im Rahmen der Geschäftsverbindung könne sich daher auch die Verpflichtung ergeben, bei drohendem wirtschaftlichem Zusammenhang eines Dritten in banküblicher Weise, d.h. vorsichtig und alle Interessen schonend, Bedenken zu äußern oder auf sonstige Bedenken aufmerksam zu machen. Diese Anforderungen dürften allerdings nicht überspannt werden, weil es sich dabei um Geschäfte des Kunden, die über die Bank abgewickelt würden, handle, sodaß primär dieser selbst seine Interessen zu wahren habe. Die Bank sei daher grundsätzlich nicht verpflichtet, einen Bürgen vor dem Abschluß des Bürgschaftsvertrages über die Vermögensverhältnisse des Schuldners aufzuklären. Eine Warnpflicht der Bank werde ausnahmsweise dann angenommen, wenn die Bank schon Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit oder dem unmittelbar bevorstehenden wirtschaftlichen Zusammenbruch eines Kreditnehmers habe, diesem wegen der von einem Dritten geleisteten Sicherheit aber trotzdem noch einen Kredit gewähre. Selbst wenn man nicht ohne weiteres davon ausgehen könne, der Hauptschuldner sei mit einer Offenbarung seiner (ungünstigen) Vermögensverhältnisse gegenüber dem Bürgen einverstanden, habe jedoch in besonderen Ausnahmefällen die Verschwiegenheitspflicht der Bank gegenüber dem Hauptschuldner hinter die Warn- und Aufklärungspflichten zurückzutreten, etwa wenn die Bank vor Abschluß des Bürgschaftsvertrages Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit oder dem unmittelbar bevorstehenden wirtschaftlichen Zusammenbruch des Schuldners habe. Ein derartiger Ausnahmefall werde auch dann anzunehmen sein, wenn die Bank auf Grund ihrer Kenntnis der wirtschaftlichen Situation des Hauptschuldners von vornherein wisse, daß mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit der Hauptschuldner zur seinerzeitigen Kreditrückzahlung nicht in der Lage sein werde und sie daher den Bürgen allein - abweichend von der banküblichen Funktion einer Bürgschaft - werde in Anspruch nehmen müssen. Die Verletzung einer Aufklärungspflicht könne auch durch Schweigen erfolgen. Durch arglistige Unterlassung einer nach der Verkehrsanschauung erforderlichen Aufklärung könne auch der als Folge dieser Handlungsweise geschlossene Vertrag nach § 870 ABGB wegen Nichtigkeit angefochten werden; ebenso sei eine Anfechtung wegen eines vom anderen veranlaßten Irrtums möglich. Ein solcher Irrtum sei als Geschäftsirrtum zu qualifizieren. Wer aber in Verletzung seiner Aufklärungspflicht in contrahendo den Gegner irreführe, müsse beweisen, daß der Irrtum nicht wesentlich oder nicht einmal kausal gewesen sei. Im vorliegenden Falle seien jedoch von der klagenden Partei ohne Wissen der Zweitbeklagten deren Gatten im Zeitraum von wenigen Monaten (Mitte 1988 bis 17.10.1988) Kreditmittel von insgesamt mehr als S 7,6 Mio. ohne entsprechende Sicherung zugezählt worden. Als beim zuständigen Sachbearbeiter der klagenden Bank Bedenken wegen dieses kaum besicherten Außenstandes entstanden seien habe er nachträglich versucht, vor allem über Verpflichtungserklärungen der Zweitbeklagten eine entsprechende Besicherung dieses Außenstandes zu erwirken. Bevor der Sachbearbeiter der klagenden Bank diesbezüglich mit der Zweitbeklagten überhaupt Kontakt aufgenommen habe, sei ihm der wahre Sachverhalt bereits bekannt gewesen und der Erstbeklagte habe weitere Kreditmittel von ihm begehrt, ein Ansinnen, das er abgewiesen habe; daraus gehe hervor, daß er mit einer Erfüllung der Kreditverbindlichkeit nicht gerechnet habe. Dies zeige auch seine Äußerung, der Erstbeklagte sei ein Verbrecher und Betrüger, den man sofort verhaften sollte. Anstatt die Zweibeklagte als von ihm in Aussicht genommene Bürgin über das wahre Ausmaß der finanziellen Schwierigkeiten des Erstbeklagten zu informieren, habe er sie auf ihre Fragen durch die Erklärung beschwichtigt, man müsse die Außenstände feststellen und benötige Sicherheiten. Die Zweitbeklagte habe vom Erstbeklagten auch nur eine allgemeine beruhigende Auskunft ohne nähere Information über das wahre Ausmaß seiner finanziellen Schwierigkeiten erhalten. Der Sachbearbeiter K***** hätte daher nicht davon ausgehen dürfen, sie sei hinreichend informiert gewesen. Am Nachmittag des 28.10.1988 habe die Zweitbeklagte die Urkunden, unter anderem eine Bürgschaftserklärung über S 7,6 Mio., sowie den Blankowechsel, ungelesen unterfertigt. Zu diesem Zeitpunkt habe sie zwar gewußt, daß erhebliche Forderungen "im Raume standen", deren Höhe habe sie mit S 2 bis 3 Mio. angenommen, vom wahren Ausmaß habe sie erst am Abend erfahren. Aus all dem ergebe sich eindeutig, daß die klagende Bank ihre Aufklärungspflicht verletzt habe. Der bereits vorher aufgenommene Kredit sei bei Abgabe der Verpflichtungserklärungen der Zweitbeklagten bereits notleidend gewesen. Die Verschwiegenheitspflicht der Bank trete hier gegenüber der Zweitbeklagten zurück, weil es sich bei ihr um die Ehegattin des Hauptschuldners handle und der Sachbearbeiter K***** unter den gegebenen Umständen nicht einfach davon ausgehen dürfen, daß die beiden Ehegatten in der Mittagszeit des 28.10.1988 die finanzielle Lage ausreichend erörtert hatten.

Rechtliche Beurteilung

Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichtes wendet sich die außerordentliche Revision der klagenden Bank mit dem Antrag auf Zulassung des Rechtsmittels und Abänderung der Entscheidung durch Wiederherstellung des erstgerichtlichen Urteiles.

Die Revisionswerberin bringt vor, daß angefochtene Urteil stehe in Widerspruch zur Entscheidung 8 Ob 554/86 = WBl.1987, 211 und zur ständigen Rechtsprechung über die Irrtumsanfechtung, inbesondere bei Unterfertigung einer ungelesen gebliebenen Urkunde, sodaß die Revision zulässig und gerechtfertigt sei. Das Berufungsgericht sei unzulässigerweise von den im einzelnen genannten erstgerichtlichen Feststellungen abgewichen, insbesondere habe es unrichtig zugrundegelegt, daß die klagende Bank bei Abgabe der Bürgschaftserklärung durch die Zweitbeklagte mit einer Erfüllung der Kreditverbindlichkeiten durch den Erstbeklagten nicht habe rechnen können und daß der Kredit notleidend geworden sei. Die klagende Bank habe keinesfalls Kenntnis von einer vom Erstgericht auch gar nicht zugrundegelegten Zahlungsunfähigkeit des Erstbeklagten gehabt, es seien neben der Bürgschaft noch zahlreiche weitere Sicherungsmittel beigestellt und schließlich S 3 Mio. aus Deutschland zurückgeholt worden, der Viehhandelsbetrieb habe floriert und eine gesunde Basis gehabt und die klagende Bank habe gemeinsam mit den Beklagten in der Folge noch längere Zeit hindurch eine Konsolidierung versucht; die Zweitbeklagte habe auch noch eine weitere Bürgschaft über S 2 Mio. bei einer anderen Bank übernommen und damit gezeigt, daß sie dem Erstbeklagten als Ehefrau jedenfalls aus der schwierigen Lage heraushelfen wollte. Von einem Irrtum der Zweitbeklagten könne keine Rede sein; hätte sie die Urkunden durchgelesen, so hätte sie die genaue Höhe der Bürgschaftsverpflichtung von S 7,6 Mio. gekannt. Die Annahme einer Kenntnis der klagenden Bank von einer Zahlungsunfähigkeit des Erstbeklagten erscheine aktenwidrig; eine Verletzung der Warn- und Aufklärungspflicht durch die klagende Bank liege keinesfalls vor. Die diesbezügliche berufungsgerichtliche Beurteilung stelle insbesondere im Hinblick auf die hier gegebene Nahebeziehung zwischen Bürgin und Hauptschuldner eine Überspannung der Sorgfaltspflicht einer Bank dar.

Die Revision ist zulässig und gerechtfertigt.

Das Berufungsgericht hat zunächst zutreffend darauf verwiesen, daß Banken grundsätzlich nicht verpflichtet sind, Bürgen vor dem Abschluß des Bürgschaftsvertrages über die Vermögensverhältnisse des Schuldners aufzuklären (Schinnerer-Avancini Bankverträge3 II 159; EvBl.1983/128; SZ 56/81; SZ 57/70 7 Ob 625/85, 3 Ob 506/88 ua). Es ist diesem vielmehr selbst überlassen, sich entsprechend zu informieren und sein finanzielles Risiko einzuschätzen. Demgemäß muß es grundsätzlich auch genügen, daß die Bank dem vom Schuldner gestellten Bürgen vollen Einblick in die der Bürgschaft zugrundeliegenden Urkunden gewährt, aus denen der Umfang der einzugehenden Bürgschaftsverpflichtung eindeutig ersichtlich ist. All dies gilt im Sinne auch der von der Revisionswerberin zitierten Entscheidung RdW 1987, 211, selbstverständlich erst recht, wenn der Bürge in einer besonderen Nahebeziehung zum Schuldner steht, von dessen finanziellen Schwierigkeiten bereits weiß und von diesem selbst alle näheren Auskünfte fordern und erlangen kann. In einem solchen Falle darf die Bank die Annahme zugrundelegen, daß der Bürge gerade im Hinblick auf seine Nahebeziehung z.B. als Ehegatte, zum Einstehen für den Schuldner bereit ist, um von diesem allenfalls schwerwiegende Nachteile, insbesondere auch dessen wirtschaftlichen Zusammenbruch abzuwenden. Lediglich dann, wenn für die Bank erkennbar ist, daß der wirtschaftliche Ruin des Hauptschuldners unmittelbar bevorsteht oder er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zur Kreditrückzahlung nicht in der Lage sein wird (vgl. SZ 56/81; SZ 57/70; RdW 1990, 77 jeweils mwN), und die Bank damit rechnen muß, daß dem nahen Angehörigen diese Umstände nicht ebenfalls bewußt sind, trifft sie im Rahmen der vorvertraglichen Beziehung eine entsprechende Aufklärungs- und Warnpflicht.

Ein solcher Fall liegt hier indessen entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes in keiner Weise vor. Die Zweitbeklagte wußte zwar nichts von den innerhalb von drei Wochen (27.9. bis 17.10.1988) eingegangenen hohen Kreditverpflichtungen ihres Ehemannes und der hiedurch eingetretenen schweren Gefährdung seiner wirtschaftlichen Lage, aber die mehrfachen dringenden Anrufe und die Vorladungen des Erstbeklagten zur klagenden Bank, die am 28.10.1988 in ihrer Gegenwart erfolgten außerordentlich drastischen Vorhaltungen K*****s, ihr Ehemann sei ein Verbrecher und Betrüger, den man sofort verhaften sollte, und der Umstand, daß K***** noch am selben Tage die Außenstände des gemeinsamen Unternehmens der Beklagten feststellte, die Bilanzen durchsah und Sicherheiten forderte, ließen für die Zweitbeklagte keinerlei Zweifel darüber zu, daß der klagenden Bank die Erfüllung der vom Erstbeklagten eingegangenen Verbindlichkeiten äußerst gefährdet erschien und sie gerade deswegen weitere Sicherheiten forderte. In dieser durch große Besorgnis der Bank gekennzeichneten Situation lag es aber an der Zweitbeklagten selbst, vom Schuldner und Mitgesellschafter genaue Auskünfte zu fordern und einzuholen, um das erkennbar erhebliche Risiko einer Bürgschaftsübernahme abzuwägen; dagegen traf die klagende Bank als Gläubigerin ihrerseits keinerlei Verpflichtung mehr, die Zweitbeklagte über das hier konkrete gegebene Risiko einer Bürgschaftsübernahme zu belehren, zumal auch das Ausmaß der Bürgschaftsschuld von S 7,6 Mio. aus den ihr zur Unterfertigung vorgelegten Urkunden eindeutig hervorging. Wenn die Zweitbeklagte diese Urkunden nicht durchlas und die "im Raum stehende Forderung mit nur S 2 bis S 3 Mio. schätzte", so hat sie diese Sorglosigkeit selbst zu vertreten. Auch ihre Frage, "was denn passiert sei", war gegenüber der Bürgin nicht von der klagenden Bank als Gläubigerin zu beantworten; der Bank oblag es nur, sie über den Inhalt der von ihr zu übernehmenden Bürgschaft wahrheitsgemäß zu informieren; sie hatte aber keinesfalls zu überprüfen, ob die beiden Beklagten die finanzielle Lage während der Mittagsstunden, die zwischen der Forderung der Begründung weiterer Sicherheiten für die klagende Bank lagen, ausreichend erörtert hatten. Eine Irreführung oder Drohung gegenüber der Zweitbeklagten ist in diesem Zusammenhang nicht erfolgt, und die nicht isoliert zu betrachtende Erklärung K*****s, daß er nur die Außenstände feststelle und Sicherheiten benötige, konnte nicht den falschen Schein erwecken, die Bürgschaft sei ohne Risiko.

Es kann dem Berufungsgericht im übrigen auch darin nicht gefolgt werden, es hätte die klagende Bank vom unmittelbar bevorstehenden wirtschaftlichen Zusammenbruch des Erstbeklagten wissen oder doch erkennen müssen, daß diese mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zur Kreditrückzahlung nicht in der Lage sein werde. Das Argument, aus der Ablehnung der Gewährung noch weitere Kredite und der Äußerung K*****s, der Erstbeklagte sei ein Verbrecher und Betrüger, dem man sogleich verhaften sollte, gehe hervor, daß die klagende Bank mit der Erfüllung der Kreditverbindlichkeiten nicht mehr gerechnet habe, ist logisch nicht haltbar; im Hinblick auf die Verpfändung eines Sparkassenbuches über S 1 Mio. und einer Liegenschaft samt Einfamilienhaus sowie die Abtretung von Forderungen, Anleihen usw. und insbesondere auch das Vorhandensein eines florierenden Betriebes war auch die Kreditrückzahlung durch den Schuldner keineswegs von vornherein auszuschließen, zumal auch noch die Möglichkeit der - schließlich in der Höhe von S 3 Mio. auch tatsächlich gelungenen - Rückholung von Kreditgeldern aus den Spekulationsgeschäften bestand. Die klagende Partei versuchte demgemäß gemeinsam mit den beiden Beklagten auch durch längere Zeit, deren wirtschaftliche Konsolidierung herbeizuführen, doch scheiterte dieses Unterfangen als sich die Angaben des Erstbeklagten über seinen Gesamtschuldenstand usw schließlich als wahrheitswidrig herausstellten.

Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes kann somit bei dem von ihm zugrundegelegten Sachverhalt von einer Verletzung der Warn- und Aufklärungspflichten der klagenden Bank gegenüber der Zweitbeklagten als Bürgin und von einer ungerechten Drohung ihr gegenüber nicht die Rede sein.

Die Einwendungen der Zweitbeklagten sind daher, wie das Erstgericht richtig erkannte, nicht berechtigt. In ihrer Berufung hat die Zweitbeklagte zwar auch einige erstgerichtliche Tatsachenfeststellungen bekämpft, die das Berufungsgericht aber im Hinblick auf seine abweichende Rechtsansicht als unerheblich ansah; da dies auch für die vom Obersten Gerichtshof vorgenommene rechtliche Beurteilung der Sache zutrifft, bedarf es keiner Rückverweisung der Rechtssache an das Berufungsgericht zur Behandlung der unerledigt gebliebenen Rüge. In Stattgebung der Revision der klagenden Bank war daher das erstgerichtliche Urteil wiederherzustellen .

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

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