Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben und die Entscheidung des Rekursgerichtes dahin abgeändert, daß der Beschluß des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 23.215,45 (darin S 3.869,24 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung
Unbestritten ist, daß die Klägerin Eigentümer der Häuser M***** 3 und 4, in der die beklagte Partei die vom Räumungsbegehren umfaßten Objekte in Bestand genommen hat, ist. Die beklagte Partei genießt den Status einer internationalen Organisation und hat mit der Republik Österreich ein Abkommen über den Sitz der Dienststelle Wien des Europäischen Patentamtes (BGBl. 672/1990) getroffen. Nach Art.4 Abs.1 dieses Abkommens steht der beklagten Partei im Rahmen ihrer amtlichen Tätigkeit Immunität von der Gerichtsbarkeit und Vollstreckung mit Ausnahme der Fälle, in der sie selbst im Einzelfall ausdrücklich hierauf verzichtet, im Falle von Zivilverfahren wegen Kraftfahrzeughaftpflichtunfällen und im Falle von Lohnpfändungen gegen ihre Mitarbeiter, zu.
Die klagende Partei stützt ihr Zahlungsbegehren von S 62.246,-
sowie ihr Räumungsbegehren auf einen qualifizierten Mietzinsrückstand in Höhe des Zahlungsbegehrens. Damit wurde ein Begehren auf pfandweise Beschreibung der in den zu räumenden Objekten befindlichen Einrichtungsgegenstände der beklagten Partei verbunden.
Auf die Zustellung der Klage hin (näheres dazu siehe im Beschluß vom 30. 1. 1992) teilte der Rechtsanwalt Dr. Alexander Grohmann unter ausdrücklichem Hinweis, vom einzig hiezu autorisierten Leiter des Europäischen Patentamtes in München nicht bevollmächtigt zu sein, mit, daß die Anmietung der gegenständlichen Räume für amtliche Zwecke der Organisation erfolgt sei und sich die beklagte Partei auf ihre Immunität berufe.
Das Erstgericht hob hierauf das gesamte Verfahren einschließlich der Klagszustellung als nichtig auf und wies die Klage zurück. Es ging rechtlich davon aus, daß die Anmietung der gegenständlichen Objekte im Rahmen der amtlichen Tätigkeit der beklagten Partei erfolgt sei und daher keine inländische Gerichtsbarkeit für das vorliegende Mietzins- und Räumungsbegehren vorliege.
Das Rekursgericht gab mit dem angefochtenen Beschluß unter anderem (die Frage der Parteibezeichnung der beklagten Partei ist nicht mehr streitgegenständlich) dem Rekurs der klagenden Partei Folge, behob den erstgerichtlichen Beschluß und trug diesem die Einleitung des gesetzlichen Verfahrens unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund auf. Es wies die von Rechtsanwalt Dr. Alexander Grohmann erstattete Rekursbeantwortung zurück und ließ den Revisionsrekurs zu. Laut Art.1 lit.f des zitierten Abkommens falle unter die amtliche Tätigkeit der beklagten Partei nur die für die Erteilung europäischer Patente vorgesehenen unbedingt erforderlichen Verwaltungs- und technischen Arbeiten, alle anderen privatrechtlichen Handlungen der beklagten Partei seien der österreichischen Gerichtsbarkeit unterworfen. Ob eine Rechtshandlung als hoheitlich oder privatrechtlich gesetzt zu werten sei, hätten die österreichischen Gerichte zu entscheiden. Das Kriterium hiefür liege in der Natur der Rechtshandlung; könne diese ebenso von einer Privatperson gesetzt werden, so handle es sich um einen Privatrechtsakt, dies treffe für den Abschluß eines Mietvertrages zu. Für Klagen aus einem solchen Bestandverhältnis sei daher der Rechtsweg zulässig, wiewohl eine allfällige die beklagte Partei verurteilende Entscheidung nicht vollstreckbar wäre.
Rechtliche Beurteilung
Der gegen die Behebung des erstgerichtlichen Beschlusses erhobene Revisionsrekurs der beklagten Partei ist zulässig und berechtigt.
Zur Rechtsmittellegitimation der beklagten Partei ist auf die Vorentscheidung vom 30. 1. 1992 zu verweisen (§ 510 Abs.3 ZPO).
Gemäß § 42 Abs.1 JN ist der Mangel der inländischen Gerichtsbarkeit, wozu auch die Einrede der Immunität gehört, in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen (MGA JN14 § 42/20, zuletzt 9 Ob A 244/89 mwN sowie Fasching LB2 Rz 79). Maßgeblich für die Beurteilung, ob für den vorliegenden Zahlungs- und Räumungsanspruch der klagenden Partei die österreichische Gerichtsbarkeit gegeben ist, sind die zwischen der Republik Österreich und der EUROPÄISCHEN PATENTORGANISATION über die Übernahme des internationalen Patentdokumentationszentrums in das Europäische Patentamt sowie das zwischen der Republik Österreich und der EUROPÄISCHEN PATENTORGANISATION über den Sitz der Dienststelle Wien des Europäischen Patentamtes geschlossenen Abkommen (BGBl. 671 und 672/1990). Gerichtsbekannt ist, daß die beklagte Partei den Sitz der Dienststelle Wien des Europäischen Patentamtes dem Bundesministerium für Äußere Angelegenheiten mit Wien 4., Möllwaldplatz 4, mitgeteilt hat (vgl. AV vom 21. 1. 1992). Daß der Sitz der Dienststelle Wien dort bereits aufgelassen worden wäre, ist noch nicht gerichtsbekannt.
Der Oberste Gerichtshof hat bereits in seiner Entscheidung 9 Ob A 244/90 ausgesprochen, daß internationale Organisationen im Gegensatz zu ausländischen Staaten, diesen nur für hoheitsrechtliches Handeln, nicht jedoch im Rahmen ihrer Eigenschaft als Privatrechtsträger geschlossenen Rechtsgeschäfte Immunität zukommt (vgl. SZ 62/111 mwN), weitergehende Vorrechte genießen (vgl. Neuhold-Humer-Schreiner, Österreichisches Handbuch des Völkerrechtes I, 162). Beizupflichten wäre auch der Lehrmeinung Seidl-Hohenveldern's, daß die Immunität internationaler Organisationen, anders als jene von Staaten im Rahmen ihrer funktionellen Beschränkung, die mit dem eigentlichen hoheitlichen Zweck der Organisation übereinstimmen, grundsätzlich als absolut anzusehen ist (vgl. Seidl-Hohenveldern, Lehrbuch des Völkerrechtes6 Rz 1498 f).
Geht man davon aus, daß die beklagte Partei ihren "Sitz" im Sinne des Art.2 des Sitzabkommens laut BGBl. 672/1990 unter der Adresse Möllwaldplatz 4 hat, so ist im Sinne einer grammatikalisch-teleologischen Auslegung der Worte "amtliche Tätigkeit" der Schluß zu ziehen, daß die Beklagte unter dieser Adresse ihre Funktion laut Abkommen ausübt, daß für die dabei entwickelte Verwaltungs- und technische Tätigkeit entsprechende Räume erforderlich sind daß daher deren Anmietung in dem Bereich der amtlichen Tätigkeit fällt. Daß die in Art.2 des Abkommens vorgesehene genauere Umschreibung des Sitzes der beklagten Partei bisher noch nicht stattgefunden hat, ändert daran nichts. Vielmehr muß bis zum Beweis des Gegenteils davon ausgegangen werden, daß alle von der beklagten Partei unter dieser Adresse bzw. in einem unmittelbaren örtlichen Naheverhältnis dazu angemieteten Räume, der Ausübung ihrer amtlichen Tätigkeit dienen. Mangels Vorliegens der inländischen Gerichtsbarkeit war daher der erstgerichtliche Beschluß wiederherzustellen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 51 ZPO.
Da der klagenden Partei bekannt gewesen sein mußte, daß die beklagte Partei in den gegenständlichen Objekten ihren Sitz hat, ist ihr die dadurch verursachte Nichtigkeit des Verfahrens als Verschulden anzulasten und waren der beklagten Partei daher Kosten für den Revisionsrekurs zuzuerkennen. Keine Kosten stehen ihr allerdings für die Rekursbeantwortung zu, weil der diese ausführende Rechtsanwalt Dr. Grohmann noch ausdrücklich behauptet hat, nicht von dem einzig allein hiezu autorisierten Leiter des Patentamtes in München bevollmächtigt zu sein und erst nach der Erhebung der Rekursbeantwortung sich auf eine derartige Bevollmächtigung berief.
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