Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben.
Die Sache wird an das Gericht erster Instanz zu neuer Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.
Text
Begründung
Die Ehe der Eltern wurde am 23.November 1984 geschieden. Nach der später pflegschaftsgerichtlich genehmigten Vereinbarung der Eltern kommt die Obsorge für die beiden ehelichen Kinder dem Vater zu, der seit 1985 mit der Schwester seiner geschiedenen Ehegattin verheiratet ist und mit dieser ein weiteres eheliches Kind hat.
Nach der Abweisung eines früheren Antrages auf Übertragung der Obsorge beantragte die Mutter am 9.Jänner 1991 erneut, ihr die Obsorge für das jüngere Mädchen, das jetzt 14 Jahre alt ist, zu übertragen. Der Vater lehnte eine Übertragung der Obsorge ab.
Das Erstgericht wies den Antrag der Mutter ab. Es ging im wesentlichen davon aus, daß der persönliche Verkehr der beiden Mädchen mit der Mutter eher spärlich blieb, obwohl der Vater, in dessen Haushalt sie betreut werden, Begegnungen mit der Mutter nichts in den Weg legte. Die beiden Mädchen verbrachten mit der Mutter nie einen längeren Zeitraum wie etwa Ferien. Erst im Jahre 1989 wandte sich das jüngere Mädchen mehr der Mutter zu, während sich das ältere Mädchen mehr vom persönlichen Verkehr mit der Mutter zurückzog. Obwohl das jüngere Mädchen Eva zur Mutter strebte, übernachte es nur einmal im Zeitraum von mehr als einem Jahr bei der Mutter. Erst nach der erneuten Antragstellung verbrachten Eva und ihre Mutter eine gemeinsame Urlaubswoche. Das Kind besucht die Mutter derzeit nahezu täglich an ihrer Arbeitsstelle in einem McDonalds-Restaurant. Der Wunsch des Mädchens, zur Mutter zu ziehen, ist stärker geworden, weil sie in der Mutter die Hauptansprechperson erblickt und vom Vater nicht voll genommen zu werden glaubt. Die Stiefmutter ergreife bei Auseinandersetzungen mit der älteren Schwester deren Partei und bevorzuge sie. Eva steht mit dem Vater in Konfrontation, sie fühlt sich abgekanzelt und macht die Sache der Mutter zur eigenen. Durch die Übersiedlung zur Mutter würde sich am Tagesablauf des Kindes nichts ändern, weil sie am Vormittag die Schule besuche und am Nachmittag zu einer Bekannten gehen würde, um dort zu lernen. Sie könnte nur den Abend mit der Mutter verbringen statt im Familienverband des abends seinem Beruf nachgehenden Vaters zu bleiben, soferne die Mutter beim Dienstgeber eine Änderung ihrer derzeitigen Arbeitszeiten durchsetzen kann. Die Mutter hat aber bisher keine Arbeitszeitänderung erreicht und auch ihre Wohnverhältnisse nicht geändert, wodurch erst eine Aufnahme des Kindes in ihren Haushalt ermöglicht würde.
Auf der Grundlage dieser Feststellungen lehnte das Erstgericht die beantragte Übertragung der Obsorge ab, weil eine wesentliche Verbesserung der Entwicklungs- und Entfaltungsmöglichkeiten des Kindes nicht zu erwarten sei, die Stetigkeit der Betreuung für den Verbleib beim Vater spreche, Geschwister nicht getrennt werden sollten und die Meinung des Kindes nicht ausschlaggend sei. Die erhöhte emotionelle Bindung zur Mutter reiche für den Wechsel der Obsorge nicht aus, selbst wenn die Mutter durch Wohnungswechsel und Arbeitszeitänderung erreichen würde, am Abend und an Wochenenden für ihre Tochter Zeit zu haben. Das Versagen des Wunsches der Tochter beeinträchtige ihr Wohnbefinden nicht, weil sie sich auf Grund des gespannten Verhältnisses zum Vater lediglich den Wunsch der Mutter zu ihrem eigenen mache und die Mutter selbst bei bestem Bemühen dem Kind nicht die Lebens- und Erziehungsverhältnisse schaffen könne, die beim Vater gewährleistet seien.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Mutter nicht Folge und sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.
Es sei festgestellt, daß der Wunsch des Kindes, zur Mutter zu wechseln, nicht bedeute, daß die seelische Entwicklung des Mädchens durch die Ablehnung ihres Strebens zur Mutter beeinträchtigt würde. An der ungünstigen Arbeitszeit der Mutter (bis 20.00 Uhr) und ihren für die Aufnahme der Tochter ungeeigneten Wohnverhältnissen habe sich nichts geändert. Dem Anliegen des Kindes könne durch Ausdehnung der Besuchskontakte Rechnung getragen werden.
Der von der Mutter ergriffene außerordentliche Revisionsrekurs ist zulässig und berechtigt, weil eine abschließende Entscheidung über den Antrag auf Übertragung der Obsorge für das Kind vom Vater auf die Mutter noch weitere Erhebungen erfordert.
Rechtliche Beurteilung
Obwohl das Erstgericht sich eingehend bemüht hat, die Entscheidungsgrundlagen zu schaffen, fehlen ausreichende Feststellungen über die gegenwärtigen Wohn- und Lebensverhältnisse bei der Mutter. Es kann zwar von ihr nicht erwartet werden, daß sie im voraus Änderungen herbeiführt, solange noch unsicher ist, ob die Tochter zu ihr kommt. Wenn aber zur Zeit eine Unterbringung des Kindes in der Wohnung der Mutter gar nicht möglich sein sollte, käme der Wechsel der Obsorge schon deshalb nicht in Betracht. Bei den bekannten Verhältnissen auf dem Wohnungsmarkt müßte zumindest feststehen, daß in kurzer Zeit eine ausreichende Wohnmöglichkeit beschafft werden kann, weil bei einer Stattgebung des Antrages ein weiterer Verbleib beim Vater wohl nicht in Betracht käme. Es fehlt daher an Erhebungen, welche Wohnung die Mutter zur Verfügung hat, zumal nicht klar ersichtlich ist, weshalb die derzeitige Unterkunft nicht einmal für eine Nächtigung des Mädchens bei der Mutter ausreicht. Auch der Frage der Arbeitszeitänderung und der zu erwartenden Haltung des Dienstgebers kommt Bedeutung zu.
Auch das Erstgericht ist davon ausgegangen, daß der Wunsch des Mädchens, vom Vater zur Mutter zu kommen und mit dieser zu leben, verstärkt ist und ein wirkliches Anliegen des Kindes darstellt, das vor allem mit dessen zunehmenden Alter an Bedeutung gewinnt. Auch wenn die Meinung des Kindes allein nicht ausschlaggebend sein muß, soll doch an einem ernstlich geäußerten Streben nach dem Obsorgewechsel nicht vorbeigegangen werden (vgl EFSlg 62.864 f; EFSlg
62.880 ua).
Da ersichtlich ein behaarlich verfolgter Wunsch des Kindes vorliegt, ist naheliegend, daß dadurch die im Familienverband des Vaters aufgetretenen Spannungen vermehrt und das Kind gleichsam als "abtrünnig" betrachtet und in seiner psychischen Entwicklung gestört wird. Damit kann das Kind doch Schaden nehmen, wenn es gegen seinen Willen beim Vater bleiben muß, obwohl bei der Mutter ebenso gute Lebensverhältnisse gesichert wären und der Obsorgewechsel nicht daran scheitert, daß die Mutter das Kind gar nicht bei sich aufnehmen und ausreichend betreuen kann.
Unter diesen Umständen bedarf es nicht nur der Feststellung der gegebenen oder kurzfristig zu schaffenden Wohn- und Lebensverhältnisse bei der Mutter sondern auch einer psychologischen Beleuchtung der emotionellen Beziehungen zwischen dem Kind, der Mutter, dem Vater, der Stiefmutter und der Schwester, um endgültig absehen zu können, daß das Wohl des Kindes durch die Ablehnung des Obsorgewechsels nicht beeinträchtigt wird. Es wird sich daher die Beiziehung eines Sachverständigen aus dem Fachgebiete der Psychologie nicht vermeiden lassen.
Dabei wird auch schon auf die weitere Entwicklung, besonders den Schulwechsel Bedacht genommen werden können, der kurz bevorsteht.
Dem Erstgericht ist daher eine erneute Entscheidung über den Antrag aufzutragen.
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