OGH 9ObA70/92

OGH9ObA70/9227.5.1992

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr. Gamerith und Dr. Maier sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Robert Göstl und Franz Murmann als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei K***** S*****, Angestellte, ***** vertreten durch ***** Rechtsanwalt *****, wider die beklagte Partei A***** Versicherungs-AG, ***** vertreten durch ***** Rechtsanwalt *****, wegen Feststellung (Streitwert S 51.000,--), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 30. Oktober 1991, GZ 33 Ra 93/91-12, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 7.Dezember 1990, GZ 4 Cga 515/90-7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß sie zu lauten haben:

Es wird festgestellt, daß die Klägerin am 23.Jänner 1990 für die Zeit von 7.36 Uhr bis 8.12 Uhr Anspruch auf bezahlte Dienstfreistellung hatte und daher nicht verpflichtet ist, die entfallene Dienstzeit einzuarbeiten.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 240,-- (Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz und die mit S 4.348,80 (darin S 724,80 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen. Die Kosten der Berufungsbeantwortung hat die beklagte Partei selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin ist bei der Beklagten seit 1.September 1968 als Angestellte beschäftigt. Ihre wöchentliche Normalarbeitszeit betrug im Jänner 1990 38,5 Stunden und begann jeweils um

7.36 Uhr. Es war zwar im Sinne des § 10 Abs 1 des Kollektivvertrags für Angestellte der Versicherungsunternehmungen, Innendienst, eine Gleitzeit (Kernzeit ab 9 Uhr) vereinbart, doch zählen bei der Beklagten Abwesenheiten aus Gründen des § 8 Abs 3 AngG auch während der Gleitzeit, soweit diese in die Normalarbeitszeit fällt, als Arbeitszeit. Am Morgen des 23.Jänner 1990 (einem Dienstag) wurde in der Wohnung der Klägerin eine Telefonstörung behoben. Aus diesem Grunde trat die Klägerin ihren Dienst erst um 8.12 Uhr an.

Mit der vorliegenden Klage begehrt die Klägerin die Feststellung, daß sie an diesem Tag für die Zeit von 7.36 Uhr bis 8.12 Uhr Anspruch auf bezahlte Dienstfreistellung gemäß § 8 Abs 3 AngG habe und daher nicht zur Einarbeitung der entfallenen Arbeitszeit verpflichtet sei. Ihre Anwesenheit in der Wohnung während der Telefonreparatur sei zwingend erforderlich gewesen. Von der Beklagten sei zwar kein Einwand gegen ihre Abwesenheit erhoben worden, doch weigere sich die Beklagte, die kurzfristige und unverschuldete Dienstverhinderung als Arbeitszeit anzuerkennen.

Die Beklagte beantragte, das Klagebegehren abzuweisen. Die Abwesenheit der Klägerin sei durch keinen wichtigen, die Person der Klägerin betreffenden Grund bestimmt gewesen. Die Klägerin hätte sich die für die Telefonreparatur erforderliche Zeit anders einteilen oder im Rahmen der Gleitzeit ohnehin beliebig nachholen können. Zufolge ihrer vielen anderen Fehlzeiten könne die kurzfristige Abwesenheit vom Dienst nicht hingenommen werden.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es traf im wesentlichen noch folgende Feststellungen:

Am 19.Jänner 1990 trat am Telefonanschluß der Klägerin aus von ihr nicht zu vertretenden externen Gründen eine Störung auf. Die Klägerin vereinbarte daraufhin mit dem Werkmeister der Post- und Telegrafenstelle, daß ihr Telefonanschluß am 23.Jänner 1990 um

7.15 Uhr repariert werde. Ein Reparaturtermin außerhalb der Normalarbeitszeit der Klägerin war zufolge der vorgegebenen Reparaturzeiten nicht möglich. Andererseits hatte die Klägerin niemanden, der an ihrer Stelle während der Reparatur in ihrer Wohnung anwesend sein konnte. Der Bautrupp führte die Reparatur am 23.Jänner 1990 vereinbarungsgemäß durch, worauf die Klägerin um 8.12 Uhr ihren Dienst antrat.

Das Erstgericht vertrat die Rechtsauffassung, daß die Klägerin zwar ohne ihr Verschulden während einer verhältnismäßig kurzen Zeit (36 Minuten) an ihrer Dienstleistung verhindert gewesen sei, daß der Verhinderung aber keine wichtigen, ihre Person betreffenden Gründe iS des § 8 Abs 3 AngG gegenüberstünden. Die bisher entschiedenen Fälle hätten etwa Verhinderungen durch familiäre oder öffentliche Pflichten oder Unglücksfälle, Elementarereignisse, Arztbesuche udgl betroffen, Gründe sohin, die dem Arbeitnehmer keine Wahl ließen, sich für die Verrichtung der Arbeit oder die Erfüllung der außerdienstlichen Pflicht zu entscheiden. Derartige Gründe seien aber hinsichtlich der Dienstverhinderung der Klägerin nicht vorgelegen.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes zwar den Betrag von S 50.000 nicht übersteige, die Revision aber zulässig sei. Es billigte die Rechtsansicht des Erstgerichtes und führte ergänzend aus, daß die Klägerin nicht behauptet habe, sie benötige den Telefonanschluß im Zusammenhang mit ihrem Dienstverhältnis. Die Reparatur habe daher ausschließlich die private Sphäre der Klägerin betroffen.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Revision der Klägerin mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne des Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Revision ist berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Ist es dem Arbeitnehmer erlaubt, die Lage seiner täglichen Arbeitszeit zu variieren (gleitende Arbeitszeit), hat er die Möglichkeit, den Beginn und das Ende seiner täglichen Arbeitszeit innerhalb festgelegter Grenzen selbst zu bestimmen (vgl Grillberger AZG § 4 Erl 9.1). Die Abwesenheit der Klägerin vom Dienst innerhalb eines Zeitraums von 7.36 Uhr bis 8.12 Uhr, hätte sohin, da noch nicht in die Kernzeit fallend, keine weiteren Folgen nach sich gezogen; sie hätte die Fehlzeit einarbeiten können. Da die Beklagte aber ihren Arbeitnehmern durch einen Vordruck auf der Zeitkarte (einzelvertraglich) zusichert, daß Abwesenheiten aus Gründen des § 8 Abs 3 AngG auch während der Gleitzeit, soweit diese in die Normalarbeitszeit fällt, als Arbeitszeit zählen, und es sich im vorliegenden Fall unbestritten um eine solche Gleitzeit handelt, ist zu prüfen, ob die Voraussetzungen des § 8 Abs 3 AngG vorliegen.

Andere wichtige, die Person des Dienstnehmers betreffende Gründe im Sinne des § 8 Abs 3 AngG sind nicht nur Gründe, die in der Person des Dienstnehmers entstanden sind, also darin ihre Ursache haben, sondern auch solche, die den Dienstnehmer angehen und ihn entweder durch unmittelbare Einwirkung an der Dienstleistung hindern oder nach Recht, Sitte oder Herkommen wichtig genug erscheinen, ihn von der Dienstleistung abzuhalten (vgl Martinek-M. Schwarz-W. Schwarz, AngG7 § 8 Erl 10 mwH; Krejci in Rummel2 ABGB § 1154 b Rz 10 ff mwH; Arb 10.702 ua). Entgegen der Ansicht der Vorinstanzen hatte die Klägerin im vorliegenden Fall keine Wahl, die unverschuldet aufgetretene Telefonstörung mangels eines möglichen Repraturtermins außerhalb der Normalarbeitszeit und mangels einer Vertretung in ihrer Wohnung unbehoben oder ohne Abwesenheit vom Dienst beheben zu lassen. Nach den §§ 38 Abs 1, 40 Abs 3 und 5 der Fernsprechordnung, BGBl 1966/276 (BGBl 1972/267), hat ein Fernsprechteilnehmer Störungen der Teilnehmereinrichtungen unverzüglich der Post- und Telegrafenverwaltung anzuzeigen. Er hat dafür zu sorgen, daß Arbeiten an diesen Einrichtungen bei Tag jederzeit ausgeführt werden können und demzufolge den Organen der Post- und Telegrafenverwaltung den Zutritt zu seinen Teilnehmereinrichtungen zu verschaffen. Es ist daher unerheblich, ob die Klägerin eine im Hinblick auf ihre Dienstzeit ohnehin zeitlich günstig gelagerte Vereinbarung eines Reparaturtermins getroffen hat, da die Behebung der Telefonstörung jedenfalls auch dann hätte erfolgen müssen, wenn sich die Klägerin um keinen Reparaturtermin bemüht hätte. Der Klägerin muß aber andererseits auch das berechtigte, unabweisliche Interesse zugebilligt werden, während der Behebung der Störung in ihrer Wohnung anwesend zu sein (vgl Arb 8147 - Kraftfahrzeugüberprüfung). Sie hat daher, da die übrigen Voraussetzungen der Bestimmung des § 8 Abs 3 AngG vorliegen, unbeschadet der kurzfristigen Dienstverhinderung einen Entgeltanspruch. Darauf, ob die Klägerin bereits andere, nicht verfahrensgegenständliche Fehlzeiten hatte, kommt es nicht an.

Die Kostenentscheidung ist in den §§ 41 und 50 ZPO begründet.

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