Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird aufgehoben. Die Rechtssache wird an das Berufungsgericht zur neuerlichen, nach Ergänzung des Verfahrens zu fällenden Entscheidung zurückverwiesen.
Text
Begründung
Das Erstgericht erkannte die beklagte Partei im zweiten Rechtsgang schuldig, dem Kläger ab 1.11.1989 die Invaliditätspension in der gesetzlichen Höhe zu gewähren. Es stellte im wesentlichen folgendes fest:
Der am 12.11.1950 geborene Kläger kann nur mehr leichte Arbeiten tagfüllend durchführen. Wegen der beginnenden Arthrose an der linken Hüfte müssen die Tätigkeiten vorwiegend im Sitzen verrichtet werden. Zwischendurch sind ihm aber stehende und gehende Arbeitsanteile zumutbar. Die wesentliche Einschränkung liegt in der Funktionsbeeinträchtigung beider Ellbogen. Es ist vor allem die Rotationsfähigkeit beider Unterarme gestört. Das Heben und Tragen von Lasten über 5 kg und Arbeiten, die eine häufige Drehbewegung in den Unterarmen erfordern, wie Arbeiten an Maschinen oder Fließbändern, müssen vermieden werden. Wegen der Ulcuskrankheit benötigt der Kläger neben dem Frühstück, dem Mittagessen und dem Abendessen am Vormittag und am Nachmittag je eine Zwischenmahlzeit, deren Einnahme etwa zehn Minuten dauert.
Rechtlich beurteilte das Erstgericht den festgestellten Sachverhalt dahin, daß für den Kläger zwar an sich noch die Tätigkeit eines Museumswärters in Betracht käme, daß aber die Gewährung der Pausen, die zusätzlich zu den gesetzlichen notwendig sind, ein besonderes soziales Entgegenkommen des Arbeitgebers voraussetze, das im Regelfall nicht zu erwarten sei. Der Kläger sei daher invalid im Sinn des für ihn maßgebenden § 255 Abs 3 ASVG.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei nicht Folge. Es traf nach Beweiswiederholung ergänzend folgende Feststellungen:
Der Kläger kann seine Unterarme von der Position, in der die Handflächen nach unten schauen, so weit drehen, daß sie nach der Seite gerichtet sind. In diesen Positionen sind ihm Greifbewegungen möglich. Er kann die Unterarme aber nicht so weit drehen, daß die Handflächen nach oben weisen. Außerdem hindert ihn der Amputationsstumpf am linken Zeigefinger am Ergreifen und Verpacken kleinerer Gegenstände. Es ist ihm daher das Schnüren eines Paketes nicht mehr möglich.
Der Kläger benötigt am Vormittag und am Nachmittag je eine zusätzliche Essenspause von zehn Minuten, wobei diese Pausen auch in je zwei Pausen zu je fünf Minuten geteilt werden können. Die Essenspausen müssen arbeitsfrei sein. Es ist dem Kläger nicht zuzumuten, die Zwischenmahlzeiten neben einer Tätigkeit als Portier oder Museumswärter einzunehmen. Die Streßsituation, die hervorgerufen wird, wenn er diese Tätigkeiten neben dem Essen ausübt, bewirkt gerade das Ulcusleiden des Klägers. Dafür genügt es schon, wenn ihm während des Essens eine berufliche Frage gestellt wird, weil er dann die im Mund befindlichen Bissen schnell schlucken würde, um antworten zu können. Er kann die Zwischenmahlzeiten auch nicht während der Ausführung von Verpackungsarbeiten einnehmen.
Der Kläger kann nicht mehr für Verpackungs- oder Montagearbeiten oder als Bürodiener eingesetzt werden, weil bei allen diesen Tätigkeiten Halte- und Greifarbeiten erforderlich werden, mit denen die ihm nicht mehr möglichen Drehbewegungen verbunden sind. Er kann auch Tätigkeiten, bei denen er ständig mit Publikum in Kontakt treten muß, nicht mehr verrichten, wenn nicht gewährleistet ist, daß er die zusätzlich notwendigen Essenspausen völlig arbeitsfrei einhalten kann. Solche Essenspausen werden bei den für ihn in Betracht kommenden Berufstätigkeiten, wie etwa bei der des Portiers, von den Dienstgebern regelmäßig nicht toleriert.
Rechtlich war das Berufungsgericht der Meinung, daß der Kläger auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ohne besonderes soziales Entgegenkommen des Dienstgebers nicht mehr eingesetzt werden könne. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes (SSV-NF 2/145) erfordere zwar die Einnahme kleinerer Zwischenmahlzeiten, wie etwa zweimal einer Wurstsemmel pro Arbeitstag, vor allem bei Bürotätigkeiten, die nicht mit Kundenverkehr verbunden sind, grundsätzlich noch nicht ein besonderes Entgegenkommen des Dienstgebers. Für den Kläger kämen aber nach seiner Ausbildung und nach seinem körperlichen Leistungskalkül gerade Tätigkeiten mit Kundenverkehr in Betracht. Es genüge auch nicht, zwischendurch zwei Wurstsemmeln pro Arbeitstag zu essen, sondern er müsse für zweimal je zehn Minuten oder viermal je fünf Minuten völlig von einer Behelligung durch die Arbeit freigestellt sein. Bei dieser Sachlage sei das Gutachten des berufskundigen Sachverständigen unbedenklich, weil solche Sonderkonditionen von Dienstgebern für einen auch sonst weitgehend in seiner Arbeitsfähigkeit eingeschränkten Arbeitnehmer nur bei besonderem sozialen Entgegenkommen akzeptiert würden. Der Kläger sei daher vom allgemeinen Arbeitsmarkt ausgeschlossen und deshalb invalid im Sinn des § 255 Abs 3 ASVG.
Gegen dieses Urteil des Berufungsgerichtes richtete sich die Revision der beklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache mit dem Antrag, es im Sinn der Abweisung des Klagebegehrens abzuändern oder es allenfalls aufzuheben und die Rechtssache an eine der Vorinstanzen zurückzuverweisen.
Der Kläger erstattete keine Revisionsbeantwortung.
Die Revision ist berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Die beklagte Partei weist in der Revision zutreffend darauf hin, daß ein Versicherter, bei dem sich die Frage der Invalidität nach § 255 Abs 3 ASVG richtet, auch auf einfache Angestelltentätigkeiten verwiesen werden darf (SSV-NF 5/45). Die bisher getroffenen Feststellungen reichen aber nicht aus, um beurteilen zu können, ob dem Kläger auch solche Tätigkeiten nicht mehr zugemutet werden können und ob es auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auch für solche Tätigkeiten keine ausreichende Anzahl von Arbeitsplätzen gibt, bei denen gewährleistet ist, daß die für ihn erforderlichen zusätzlichen Arbeitspausen gewährt werden. Dabei fällt ins Gewicht, daß der Sachverständige für Berufskunde, auf dessen Gutachten das Berufungsgericht die Entscheidung stützte, im Zusammenhang mit seiner Aussage, von Dienstgebern würde die Einhaltung der für den Kläger erforderlichen zusätzlichen Arbeitspausen im allgemeinen nicht toleriert, darauf hinwies, daß die Tätigkeit eines Portiers oder Museumswärters mit Kundenverkehr verbunden sei; gerade dies trifft aber auf zahlreiche der einfachen Angestelltentätigkeiten nicht zu.
Wie schon in der Revision ausgeführt wurde, werden etwa im Rahmenkollektivvertrag für Angestellte der Industrie in der Verwendungsgruppe I die Hilfskräfte im Büro, in der Werkstätte, in der Registratur, im Magazin, im Lager oder im Versand erwähnt. Im fortzusetzenden Verfahren wird zu klären sein, ob dem Kläger infolge seines eingeschränkten Leistungskalküls keine dieser Tätigkeiten und auch keine andere einfache Tätigkeit eines Angestellten mehr zugemutet werden kann und ob andernfalls die Einhaltung der für ihn erforderlichen zusätzlichen Arbeitspausen auf einer ausreichenden Anzahl von Arbeitsplätzen gewährleistet ist.
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