OGH 5Ob119/91

OGH5Ob119/9126.5.1992

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Jensik als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Zehetner, Dr. Klinger, Dr. Schwarz und Dr. Floßmann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei ***** Wohnungsgenossenschaft ***** reg.Gen.mbH, *****, vertreten durch Dr.Hans Wagner, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Ludwig S*****, Pensionist, ***** vertreten durch Dr. Josef Wolfgang Deitzer, Rechtsanwalt in Schwechat, wegen Räumung infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgerichtes vom 5.Juni 1991, GZ 41 R 235/91-33, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Schwechat vom 12.Dezember 1989, GZ 3 C 998/88w-15, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, dem Beklagten die mit S 2.899,20 (einschließlich S 483,20 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die klagende Partei begehrt vom Beklagten die Räumung der Wohnung im Hause S*****, mit der Begründung, der Beklagte mache an dieser Wohnung unzutreffender Weise ein Mietrecht geltend. Tatsächlich sei er weder Mieter noch Nutzungsberechtigter. Er habe auch als Erbe und Sohn der am 28.Jänner 1988 verstorbenen Maria S*****, die als Genossenschaftsmitglied auf Grund eines Nutzungsvertrages diese Wohnung benützt habe, kein Eintrittsrecht.

Der Beklagte beantragte Abweisung der Klage mit der Begründung, er sei nach dem Inhalt des Nutzungsvertrages als Erbe zur Fortsetzung der Nutzung berechtigt. Überdies könne nach § 20 Abs. 2 WGG eine Auflösung des Nutzungsvertrages nur erfolgen, wenn ein wichtiger Grund im Sinne des § 30 MRG gegeben sei. Da er mit seiner Mutter drei Jahre vor ihrem Tod im gemeinsamen Haushalt gewohnt habe, sei er in den Nutzungsvertrag seiner Mutter eintrittsberechtigt. Überdies sei durch Annahme des Mietzinses zwischen den Streitteilen ein Mietverhältnis zustandegekommen.

Das Erstgericht gab der Räumungsklage statt. Es verneinte auf Grund der getroffenen Feststellungen ein Eintrittsrecht des Beklagten in den von der klagenden Partei mit seiner Mutter abgeschlossenen Nutzungsvertrag, weil die Voraussetzungen des § 14 MRG iVm § 20 Abs. 3 WGG nicht erfüllt seien; die anderen vom Beklagten behaupteten Umstände, aus denen er die Begründung eines Mietverhältnisses mit ihm ableite, seien nicht erwiesen.

Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil in klageabweisendem Sinn ab und sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei.

Das Berufungsgericht begründete seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt:

Der durch das 1. WÄG, BGBl 1987/340, aufgehobene § 20 Abs. 2 WGG in der bis zur Aufhebung in Geltung gestandenen Fassung habe vorgesehen, daß die Aufhebung der Mitgliedschaft zur Genossenschaft durch diese die Aufhebung des Nutzungsvertrages nur dann bewirke, wenn der Grund zur Aufhebung einem wichtigen Grund im Sinne des § 30 MRG gleichzuhalten sei. Im Falle der Aufhebung des Nutzungsvertrages hätte die Genossenschaft den Anspruch auf Räumung mittels Räumungsklage wie in den Fällen des § 1118 ABGB geltend zu machen gehabt. Dem Nutzungsberechtigten seien die Rechtsbehelfe der Bestreitung der Räumungsklage oder einer Feststellungsklage offengestanden. Die Bestimmung des § 20 Abs. 2 WGG sei von der Rechtsprechung - ungeachtet der Gleichstellung der genossenschaftlichen Nutzungsverträge mit den Mietverträgen in § 1 Abs. 1 MRG - als eine einen dem § 1118 ABGB gleichgelagerten Aufhebungsgrund regelnde Spezialbestimmung verstanden worden (MietSlg 36.690).

Die Mutter des Beklagten, deren Nachlaß diesem inzwischen eingeantwortet worden sei, sei am 28.Jänner 1988 verstorben. Es komme daher das WGG in seiner durch das 1. WÄG - in Kraft getreten am 25.Juli 1987 - geänderten Fassung zur Anwendung. Mit dem Inkrafttreten des 1. WÄG sei § 20 Abs. 2 WGG ersatzlos aufgehoben worden. Es bestehe daher für die Aufhebung eines Nutzungsvertrages mittels Räumungsklage aus anderen als im § 1118 ABGB genannten Gründen kein Raum mehr. Bei Vorliegen eines Kündigungsgrundes, der nicht zugleich einen Auflösungsgrund nach § 1118 ABGB darstelle, habe die Genossenschaft daher mit Aufkündigung des Nutzungsvertrages, nicht jedoch mit Räumungsklage vorzugehen.

Auch im vorliegenden Fall könne die Räumungsklage nicht zum Erfolg führen, weil das Nutzungsverhältnis gemäß § 14 Abs. 1 MRG, der auch auf genossenschaftliche Nutzungsverträge anzuwenden sei, durch den Tod der Mutter des Beklagten nicht aufgehoben worden sei. Der Eintritt des Erben in den Bestandvertrag vollziehe sich von Gesetzes wegen mit der rechtskräftigen Einantwortung. Daraus folge, daß gegen den Erben oder den Mitbewohner des verstorbenen Bestandnehmers nicht mit einer Räumungsklage wegen titelloser Benützung vorgegangen werden könne, sondern daß nur eine Kündigung nach § 30 Abs. 2 Z 5 MRG gegen die Verlassenschaft bzw nach Einantwortung gegen den eingeantworteten Erben (hier: gegen den Beklagten) zielführend sei.

Die verfehlte Räumungsklage sei daher abzuweisen gewesen.

Die ordentliche Revision sei zulässig, weil eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur Frage, ob nach dem Inkrafttreten des

1. WÄG die Genossenschaft den Erben der verstorbenen Nutzungsberechtigten mittels Räumungsklage zur Wohnungsübergabe verhalten kann, nicht vorliege.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der klagenden Partei mit dem Antrag, das Urteil des Erstgerichtes wiederherzustellen; hilfsweise stellte die klagende Partei einen Aufhebungsantrag.

Der Beklagte begehrt, der Revision nicht Folge zu geben.

Die Revision ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

§ 20 Abs. 2 WGG in der Fassung vor dem 1. WÄG, mit dessen Inkrafttreten am 25.Juli 1987 diese Bestimmung ersatzlos aufgehoben wurde (§ 20 Abs. 2 WGG in der Fassung des 1. WÄG regelt eine andere Materie), sah vor, daß die Aufhebung der Mitgliedschaft zur Genossenschaft durch diese die Auflösung des Nutzungsvertrages nur dann bewirke, wenn der Grund zur Aufhebung einem wichtigen Grund im Sinne des § 30 des Mietrechtsgesetzes gleichzuhalten sei.

Der Oberste Gerichtshof beschäftigte sich in der bisher nicht veröffentlichten Entscheidung 5 Ob 44/91 mit der Frage des Einflusses der Aufhebung des § 20 Abs. 2 WGG in der Fassung vor dem

1. WÄG auf das Verhältnis des Mitgliedschaftsrechtes bei einer (dort) Siedlungsgenossenschaft zur Beendigung des Nutzungsvertrages im Falle des Todes des Nutzungsberechtigten, insbesondere mit der Frage, ob der Anspruch der Genossenschaft auf Rückstellung des in Nutzung gegebenen Objektes in einem solchen Fall mittels Räumungsklage (nach Beendigung des Mitgliedschaftsrechtes bei der Genossenschaft) oder auch durch Aufkündigung nach § 30 Abs. 2 Z 5 MRG (trotz Aufrechterhaltung der Mitgliedschaft durch den Erben) möglich sei, und legte dabei folgende Rechtsansicht dar:

Im Geltungsbereich des WGG 1940 war die Auffassung herrschend, daß das im Nutzungsvertrag eingeräumte Recht, eine Wohnung zu nutzen, ein Ausfluß des Mitgliedschaftsrechtes des Genossenschafters sei. Durch § 20 Abs. 2 WGG 1979 wurde dieser Zusammenhang insofern zerrissen, als die Ausschließung eines Mitgliedes die Auflösung des Nutzungsvertrages nur dann bewirkte, wenn der Ausschließungsgrund einem wichtigen Kündigungsgrund im Sinne des MG gleichzuhalten war. Das MRG ging noch weiter und ordnete an, daß unter Mietvertrag auch der genossenschaftliche Nutzungsvertrag, unter Mietzins auch das auf Grund eines genossenschaftlichen Nutzungsvertrages zu bezahlende Nutzungsentgelt zu verstehen ist (§ 1 Abs. 1 MRG). Im Hinblick auf die Weitergeltung des § 20 Abs. 2 WGG zog die Judikatur daraus den Schluß, daß einerseits zwar die Mitgliedschaft zur Genossenschaft aufgehoben werde, dennoch aber der Nutzungsvertrag mangels Vorliegens eines wichtigen Grundes im Sinne des MRG weiterbestehe, andererseits aber die Genossenschaft an Stelle einer Aufhebung der Mitgliedschaft und Einbringung einer Räumungsklage auch mit der Aufkündigung des Nutzungsvertrages vorgehen könne, sofern dies nicht durch die Satzung oder den Vertrag ausgeschlossen war. Es stand nämlich immer noch die Überlegung im Vordergrund, den Nutzungsvertrag des Genossenschafters - auch bei Vorliegen von Kündigungsgründen - über eine Aufhebung seiner Mitgliedschaft beenden zu müssen. Demgemäß wurde der Genossenschaft bei Ableben des Nutzungsberechtigten eine Kündigung aus dem Grund des § 30 Abs. 2 Z 5 MRG versagt, solange die Mitgliedschaft des ruhenden Nachlasses oder des eingeantworteten Erben auf Grund der Satzung noch andauerte (MietSlg 35.697; vgl auch MietSlg 39/54 = WoBl 1988, 71). Diesem Festhalten an einem eigenständigen Nutzungsrecht des Genossenschafters, das regelmäßig mit seinem Mitgliedschaftsrecht verknüpft ist und nur ausnahmsweise ein eigenes Schicksal haben kann, ist durch die ersatzlose, im Zuge eines fortschreitenden Angleichungsprozesses zwischen Miet- und Nutzungsverträgen erfolgte Aufhebung des § 20 Abs. 2 alt WGG der Boden entzogen (vgl Würth-Zingher, Miet- und Wohnrecht19 § 20 WGG Rz 1). § 20 Abs. 1 WGG idF des 1. WÄG ordnet - unter anderem - schlicht die Anwendung der §§ 29 und 30 MRG auf genossenschaftliche Nutzungsverträge an, beseitigt also insoweit alle Unterschiede zum Mietvertrag, auch den, daß im Regelfall erst die Aufhebung der Mitgliedschaft den Nutzungsvertrag beendet.

Aus dem zuletzt zitierten Satz der genannten Entscheidung folgt auch die Lösung des hier gegebenen Rechtsproblems, nämlich inwieweit die Genossenschaft nach Beseitigung des § 20 Abs. 2 alt WGG auf die Kündigung des Nutzungsvertrages zwingend verwiesen (und nicht nur dazu berechtigt) ist und ihr demgemäß in solchen Fällen die Räumungsklage nicht zusteht:

Da der Tod der Nutzungsberechtigten, der Mutter des Beklagten, erst nach Inkrafttreten des 1. WÄG eintrat, hat die Beantwortung dieser Rechtsfrage bereits auf Grund einer Gesetzeslage zu erfolgen, in der § 20 Abs. 2 alt WGG dem Rechtsbestand nicht mehr angehört.

Gemäß § 1 Abs. 1 MRG ist unter Mietvertrag auch der genossenschaftliche Nutzungsvertrag zu verstehen. Nach § 1 Abs. 3 MRG und § 20 Abs. 1 WGG idF des 1. WÄG sind auf Nutzungsverträge mit gemeinnützigen Bauvereinigungen unter anderem insbesondere auch die §§ 14, 29 und 30 MRG anzuwenden. Das bedeutet, daß der Nutzungsvertrag - von den hier nicht in Betracht kommenden Fällen des § 29 Abs. 1 Z 2-4 und Abs. 2 und 3 MRG abgesehen - nur durch Aufkündigung (§ 29 Abs. 1 Z 1 MRG) oder durch Aufhebung des Vertrages nach § 1118 ABGB bei Verwirklichung der in § 29 Abs. 1 Z 5 MRG genannten Tatbestände aufgelöst werden kann; nur im letzteren Fall steht zur Durchsetzung die Räumungsklage offen.

Nach § 14 Abs. 1 MRG wird der Nutzungsvertrag durch den Tod des Nutzungsberechtigten nicht aufgehoben. Sind eintrittsberechtigte Personen im Sinne des § 14 Abs. 3 MRG vorhanden, so treten diese nach § 14 Abs. 2 MRG unter Ausschluß anderer zur Erbfolge berufenen Personen in das Nutzungsverhältnis ein. Sind solche Personen nicht vorhanden, so treten an Stelle des verstorbenen Nutzungsberechtigten die nach allgemeiner Erbfolge berufenen Erben mit Rechtskraft der Einantwortung ein (Würth-Zingher, Miet- und Wohnrecht19 § 14 MRG Rz 2). Das Nutzungsverhältnis mit diesen kann aber die gemeinnützige Bauvereinigung mittels Kündigung nach § 30 Abs. 2 Z 5 MRG auflösen.

Das Urteil des Berufungsgerichtes war daher zu bestätigen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

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