OGH 8Ob555/92

OGH8Ob555/9228.4.1992

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes HonProf. Dr. Griehsler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber, Dr. Graf, Dr. Jelinek und Dr. Schinko als weitere Richter in der Pflegschaftssache des am 13.Oktober 1975 geborenen mj. M*****, Konditorlehrling, ***** infolge Revisionsrekurses des Unterhaltssachwalters Magistrat der Landeshauptstadt St. Pölten gegen den Beschluß des Landesgerichtes St. Pölten als Rekursgericht vom 22.Jänner 1992, GZ R 842/91-91, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes St. Pölten vom 21.November 1991, GZ 1 P 70/84-86, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen (ON 86 und 91) werden ersatzlos aufgehoben.

Text

Begründung

Mit Beschluß des Erstgerichtes vom 18.12.1984 wurde dem Vater des mj. M***** eine monatliche Unterhaltsverpflichtung von S 2.280 auferlegt. Mit Beschluß vom 5.11.1991 wurden dem Minderjährigen monatliche Unterhaltsvorschüsse in dieser Höhe ab 1.12.1990 (weiter-)gewährt.

Am 24.10.1991 teilte der Unterhaltssachwalter dem Pflegschaftsgericht mit, daß der Minderjährige seit 16.9.1991 als Konditorlehrling eine monatliche Lehrlingsentschädigung von S 3.031,-- beziehe. Aus der vom Pflegschaftsgericht beigeschafften Lohnauskunft ergibt sich, daß die Lehrlingsentschädigung einschließlich aliquoter Sonderzahlungsteile monatlich 3.173,-- S beträgt.

Mit Beschluß vom 21.11.1991 setzte das Erstgericht die Unterhaltsvorschüsse ab 1.10.1991 auf monatlich 1.860 S herab. Der Minderjährige sei seit 16.9.1991 als Konditorlehrling beschäftigt, die von ihm bezogene Lehrlingsentschädigung sei auf seinen Unterhaltsanspruch mit 2.150 S (2/3) anzurechnen. Eine Gegenüberstellung mit dem Richtsatz für pensionsberechtigte Halbwaisen nach § 293 Abs.1 lit. c bb ASVG ergäbe ein Geldunterhaltsdefizit von rund 1.860 S.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Unterhaltssachwalters nicht Folge; der ordentliche Revisionsrekurs wurde für zulässig erklärt.

Das Rekursgericht vertrat die Ansicht, nach § 6 Abs.1 UVG dürften Vorschüsse monatlich den Richtsatz für pensionsberechtigte Halbwaisen nach § 293 Abs.1 lit. c/bb erster Fall ASVG, vervielfacht mit dem jeweiligen Anpassungsfaktor (§ 108 a ASVG), nicht übersteigen. Ein Einstellungsgrund nach § 20 Abs.1 Z 4 lit. a UVG sei in dem Ausmaß anzunehmen, in dem der Richtsatzbetrag durch eigene Einkünfte des Kindes gedeckt sei; der Zweck des UVG sei nicht auf eine völlige Substitution von Unterhaltsleistungen, sondern darauf gerichtet, im wesentlichen im Rahmen bereits festgesetzter Unterhaltsansprüche den Unterhalt von Kindern aus Mitteln der Allgemeinheit und daher auch nur bis zur Höhe des Richtsatzes zu sichern. Auch ein Kind ohne eigene Einkünfte müsse sich mit einem Vorschuß in Richtsatzhöhe begnügen.

Auch die Lehrlingsentschädigung falle unter jene Einkünfte, die nach § 140 Abs.3 ABGB zu berücksichtigen seien. Sie sei, soferne sie nicht als Ausgleich für berufsbedingten Mehraufwand außer Betracht bleibe, Eigeneinkommen des Kindes. Im vorliegenden Fall liege für die Frage, ob die Lehrlingsentschädigung Ausgleich für berufsbedingten Mehraufwand darstelle, kein Tatsachensubstrat vor.

Selbsterhaltungsfähig sei ein Kind dann, wenn es die zur Deckung seines Unterhaltes erforderlichen Mittel selbst erwerbe oder aufgrund zumutbarer Beschäftigung zu erwerben imstande sei. Die Mindestpensionshöhe nach § 293 Abs.1 lit. a/bb und lit. b ASVG (derzeit S 7.000 monatlich) sei eine Orientierungshilfe. Da im Ausgleichszulagenrecht keine Rücksicht darauf genommen werde, ob dem Pensionisten ein berufsbedingter Mehraufwand anzurechnen sei, stelle diese Mindestpensionshöhe eine Orientierungshilfe dar, die sämtlichen Aufwand des Minderjährigen berücksichtige. Die früher vom Rekursgericht vertretene Ansicht, ein berufsbedingter Mehraufwand von monatlich 1.000 S für Fahrten zur Berufsschule oder für Bekleidung sei ohne weiteres anzurechnen, soferne nicht ein konkreter Mehraufwand nachgewiesen werde, könne nicht mehr aufrecht erhalten werden.

Die vom Minderjährigen bezogene Lehrlingsentschädigung könne nicht einseitig nur dem nicht betreuenden Elternteil zugutekommen. Eine Minderung des Unterhaltsanspruches gemäß § 140 Abs.3 ABGB erfasse also nicht nur den Geldunterhaltsanspruch, sondern auch den in Form der Betreuung nach § 140 Abs.2 ABGB erbrachten Unterhaltsanspruch gegen den obsorgenden Elternteil. Die Anrechnung habe im Verhältnis von 2 : 1 zugunsten des Geldunterhaltspflichtigen zu erfolgen, weil der geschuldete Betreuungsaufwand für einen Lehrling zweifellos mit erheblich geringerem Geldwert zu veranschlagen sei, als der zur Deckung der anderen Bedürfnisse erforderliche Geldbetrag. Nach der Gesamtschau des UVG werde der gesetzliche Unterhalt nur insoweit bevorschußt, als er in Form einer Geldrente zu bezahlen sei.

Daraus folge, daß dem im § 6 Abs.1 UVG festgesetzten Richtsatz von S 3.980 ein anrechenbares Einkommen des Minderjährigen von S 2.115 (S 3.173 : 3 x 2) gegenüberzustellen sei. Es verbleibe somit ein Geldunterhaltsdefizit von rund S 1.860.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs des Unterhaltssachwalters ist zulässig und berechtigt.

Der erkennende Senat hat sich mit der Frage der Anrechenbarkeit der Lehrlingsentschädigung bereits in der Entscheidung vom 16.1.1992, 8 Ob 649/91, auseinandergesetzt. Nach Darlegung der bisherigen Judikatur des Obersten Gerichtshofes wurde ausgeführt, daß nach ständiger Rechtsprechung (JBl.1991, 41; 3 Ob 547/90; 6 Ob 570/90; 8 Ob 504/91 uva) und Lehre (Pichler in Rummel2, Rz 11 a zu § 140), auch die Lehrlingsentschädigung unter jene Einkünfte falle, die nach § 140 Abs.3 ABGB zu berücksichtigen sei. Sie sei, soferne sie nicht als Ausgleich für berufsbedingten Mehraufwand außer Betracht bleibe, Eigeneinkommen des Kindes.

Eigene Einkünfte des Unterhaltsberechtigten dürften nicht zu einer einseitigen Entlastung nur des Geldunterhaltspflichtigen (und nicht auch des anderen Elternteiles führen, sie seien vielmehr auf die von beiden Elternteilen gemeinsam geschuldeten Unterhaltsleistungen anzurechnen (6 Ob 624/90; 3 Ob 547/90; 5 Ob 513/91). Im Falle bloß teilweiser Selbsterhaltungsfähigkeit komme es darauf an, die Quote des nicht gedeckten Gesamtunterhaltsbedarfes zu ermitteln; sodann sei der nicht durch Naturalleistungen gedeckte Unterhaltsbedarf festzustellen und mit der vorgenannten Quote zu multiplizieren. Daraus errechne sich der Anspruch auf Geldunterhalt, soweit er in der Leistungsfähigkeit des Geldunterhaltspflichtigen Deckung finde.

Die zur Unterhaltsbefreiung des nicht betreuenden Elternteiles führende Selbsterhaltungsfähigkeit eines Kindes sei bei einfachen Lebensverhältnissen unter Berücksichtigung des Umstandes, daß außer dem Geldunterhalt auch noch die Betreuung benötigt werde, erst bei einem Eigeneinkommen anzunehmen, das dem Richtsatz für die Gewährung von Ausgleichszahlungen nach § 293 Abs.1 lit. a/bb und lit. b ASVG (ab 1.1.1991 6.000 S 14mal jährlich, daher im Monatsdurchschnitt S 7.000) entspreche (1 Ob 594/90; 2 Ob 534/91; 3 Ob 558/91; 4 Ob 511/91; 5 Ob 513/91; 6 Ob 570/90; 8 Ob 504/91).

Im vorliegenden Fall stehen dem Minderjährigen - ein konkreter berufsbedingter Mehraufwand wurde nicht festgestellt - S 3.173 pro Monat zur Deckung der Unterhaltsbedürfnisse zur Verfügung; geht man von Unterhaltsbedürfnissen im Gegenwert von S 7.000 aus, so verbleibt ein nicht durch Eigeneinkommen gedeckter Unterhaltsbedarf von S 3.872 (rund 55 % des Gesamtbedarfes), der durch Geldunterhalt und Betreuungsleistungen abzudecken ist. Der geschuldete Betreuungsaufwand für einen 16jährigen Minderjährigen ist mit erheblich geringerem Geldwert zu veranschlagen als der zur Deckung der anderen Bedürfnisse erforderliche Geldbetrag. Ohne Verletzung der Rechte des Geldunterhaltspflichtigen kann von einem Verhältnis von 2 : 1 zu seinen Lasten ausgegangen werden. Unter diesen Prämissen errechnet sich unter Anwendung der in den Entscheidungen 6 Ob 624/90 und 8 Ob 649/91 dargelegten Grundsätze ein Geldunterhalt von S 2.566 ((S 7.000 x 2 x 55):(3 x 100)).

Es war daher dem Revisionsrekurs Folge zu geben; die angefochtenen Beschlüsse waren ersatzlos aufzuheben.

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