Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Text
Begründung
Vorweg ist folgendes festzustellen:
Das Rekursgericht gab mit Punkt 1. seines Beschlusses dem Rekurs der Kindesmutter gegen einen Sachverständigengebührenbestimmungsbeschluß (ON 46) nicht Folge und sprach diesbezüglich aus, daß der Revisionsrekurs jedenfalls unzulässig ist.
Mit Punkt 2. seiner Entscheidung gab es dem Rekurs der Kindesmutter gegen den erstgerichtlichen Beschluß ON 47 betreffend pflegschaftsbehördliche Maßnahmen nicht Folge und bestätigte diesen gleichfalls aus zwei Punkten bestehenden Beschluß mit teilweise anderer Formulierung. Diesbezüglich sprach es die Zulässigkeit des Revisionsrekurses aus.
Der Revisionsrekurs der Kindesmutter, bezeichnet als außerordentlicher Revisionsrekurs gegen den "P 1 des Beschlusses" und als Revisionsrekurs gegen "P 2 des Beschlusses" richtet sich - wie aus seinem Inhalt und dem Rekursantrag eindeutig hervorgeht - nur gegen die pflegschaftsbehördliche Maßnahmen zum Gegenstand habenden Punkte 1. und 2. des Punktes 2. des rekursgerichtlichen Beschlusses. Nur diese - und nicht auch der mit Revisionsrekurs nicht mehr anfechtbare Sachverständigengebührenbestimmungsbeschluß - sind daher Gegenstand des Verfahrens beim Obersten Gerichtshof.
Die mj. Jacqueline S*****, geboren am 27. Oktober 1986, ist ebenso wie der mj. Markus Gerhard S*****, geboren am 11. Dezember 1982, ein uneheliches Kind (im folgenden "Kind" bzw. "Kinder" genannt) der Manuela H***** (im folgenden "Mutter" genannt). Amtsvormund dieser Kinder war bis 30. Juni 1989 (Inkrafttreten des KindRÄG am 1. Juli 1989) das Stadtjugendamt Salzburg. Beide Kinder wurden auf Grund einer Erklärung der Mutter im Rahmen der freiwilligen Erziehungshilfe auf dem im Kopf dieser Entscheidung genannten Pflegeplatz untergebracht. Am 11. Juni 1987 widerrief die Mutter ihre Zustimmung zur freiwilligen Erziehungshilfe, worauf der Magistrat Salzburg/Stadtjugendamt als gesetzlicher Vertreter beantragte, gemäß § 26 Abs. 3 JWG die gerichtliche Erziehungshilfe anzuordnen und den Weiterverbleib der beiden Kinder bei den Pflegeeltern pflegschaftsgerichtlich zu genehmigen.
Mit Beschluß vom 19. November 1987 hat das Erstgericht diesem Antrag stattgegeben und hinsichtlich beider Kinder die gerichtliche Erziehungshilfe gemäß § 26 Abs. 3 JWG angeordnet und den Antrag der Mutter, ihren Sohn in ihre Pflege und Erziehung zu übergeben, abgewiesen.
Über Rekurs der Mutter hat das Landesgericht Salzburg als Rekursgericht mit Entscheidung vom 9. Mai 1988 (ON 24) diesen Beschluß dahin abgeändert, daß der Antrag auf Anordnung der gerichtlichen Erziehungshilfe gemäß § 26 Abs. 1 und 3 JWG abgewiesen werde. Weiters hat es dem Antrag der Mutter dahin stattgegeben, daß angeordnet wurde, daß sie mit sofortiger Wirkung berechtigt sei, ihren Sohn in ihre Pflege und Erziehung zu übernehmen. Dieser Beschluß ist in Rechtskraft erwachsen, da der Oberste Gerichtshof einem dagegen erhobenen Rekurs des Jugendamtes keine Folge gegeben hat.
Während der Sohn offensichtlich daraufhin zu seiner Mutter nach Salzburg kam, ist die mj. Jacqueline S***** weiterhin bei den Pflegeeltern verblieben, wo sie sich auch heute noch befindet.
Am 7. Februar 1989 (ON 33) stellte die Mutter den Antrag, den Pflegeeltern aufzutragen, ihr die Tochter in ihre ständige Obhut zurückzugeben, und für den Fall, daß von Seiten des Jugendamtes eine gerichtliche Erziehungshilfe oder eine sonstige derartige Erziehungsmaßnahme beantragt würde, zu genehmigen, daß die Mutter ihre Tochter wiederum in ständige Obhut zurückholen dürfe. Die Mutter begründete ihren Antrag wie folgt:
Sie habe am 10. Oktober 1987 Stefan H***** geheiratet und bewohne mit ihm eine Zwei-Zimmer-Wohnung. Eine Zusage des Wohnungsamtes auf Gewährung einer größeren Wohnung liege vor. Ihr Mann erziele ein Einkommen von rund S 20.000,-- netto und habe sich bereit erklärt, für den Unterhalt der Kinder aufzukommen. Durch dieses Einkommen des Mannes sei es ihr möglich, genügend Zeit für die Betreuung der Kinder aufzuwenden. Der mj. Marcus hänge sehr an seiner Schwester und auch deswegen wolle sie die Tochter Jacqueline zu sich nehmen. Sie sei nunmehr in der Lage, die Tochter Jacqueline selbst ordentlich zu betreuen und zu erziehen.
Daraufhin hat die Bezirkshauptmannschaft Zell am See (Jugendamt) mit dem am 28. Februar 1989 eingebrachten Antrag begehrt, daß hinsichtlich der mj. Jacqueline nach § 26 Abs. 3 JWG die gerichtliche Erziehungshilfe angeordnet und der Weiterverbleib der Minderjährigen bei den Pflegeeltern genehmigt werde. Die Mutter habe am 31. Jänner 1989 die Maßnahme der freiwilligen Erziehungshilfe widerrufen und beantragt, ihr die Minderjährige in ständige Obhut zu übergeben.
Die Mutter habe sich, solange noch beide Kinder am Pflegeplatz gewesen seien, fast ausschließlich um den mj. Marcus gekümmert. Im Zeitraum von 9 Monaten sei nur ein einziger Besuchskontakt der Mutter zur mj. Jacqueline am 4. Oktober 1988 erfolgt. Zwischen dem Kind und der Mutter bestehe keine emotionale Beziehung und im Falle der Rückführung zur Mutter sei das Wohl des Kindes gefährdet.
Das Erstgericht wies den Antrag der Mutter ab und gab dem Antrag des Jugendamtes statt.
Die dieser Entscheidung zugrundeliegenden Feststellungen des Erstgerichtes lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Aufgrund der kinderpsychologischen Untersuchung der mj. Jacqueline ist davon auszugehen, daß die Pflegeeltern G***** die psychologischen Eltern für das Kind sind. Aufgrund der Annamnese in der Mutter-Kind-Kontaktentwicklung, insbesondere aber aufgrund des seit einem Jahr fehlenden Mutter-Kind-Kontaktes liegt eine völlige Entfremdung zwischen Mutter und Kind vor, die leibliche Mutter ist für sie fremd. Ein Wechsel zur leiblichen Mutter würde für die mj. Jacqueline psychisch gesehen den Verlust ihrer Eltern bedeuten und die Aufgabe erforderlich machen, sich mit fremden Menschen neu zu arrangieren. Unabhängig von den äußeren Gegebenheiten, zum Beispiel Lebensbedingungen der Mutter, ist aufgrund der inneren Gegebenheiten auf Seiten des Kindes derzeit eine Übergabe des Kindes in die Obsorge der Mutter ohne das Risiko einer schweren seelischen Störung beim Kind nicht möglich.
Die Annahme des Jugendamtes, daß die Mutter an der mj. Jacqueline kein Interesse habe und beabsichtige, sie zur Adoption freizugeben, ist glaubwürdig.
Der Magistrat der Landeshauptstadt Salzburg geht in seiner Stellungnahme davon aus, daß eine Unterbringung des Kindes bei der Mutter keinesfalls zu befürworten ist. Zur Begründung hat der Magistrat (Stadtjugendamt) hiezu ausgeführt: "Frau H***** rechnet nicht mehr damit, daß ihr Jacqueline zugesprochen wird. Sie gibt an, die an sie gestellten Erwartungen bezüglich regelmäßiger Besuchskontakte nicht erfüllen zu können, da die do. Situation für sie nicht aushaltbar ist. Sie kann mit ihrer Tochter nicht allein sein, sieht sich unter ständiger Beobachtung seitens der Pflegeeltern. Andererseits weiß die Kindesmutter selbst, daß Jacqueline keinerlei Beziehung zu ihr hat und sie für sie eine fremde Person ist. Frau H***** hat nur noch die Hoffnung, daß Jacqueline, wenn sie älter ist, von sich aus den Wunsch hat, ihre leibliche Mutter kennenzulernen. Eine Verbesserung der finanziellen und der Wohnverhältnisse der Familie ist nicht absehbar. Frau H***** ist nicht bereit, auch nicht in Zukunft, mittels Besuchskontakten eine Beziehung zu ihrer Tochter aufzubauen oder wenigstens ein Kennenlernen zu ermöglichen."
In rechtlicher Hinsicht hat das Erstgericht ausgeführt, daß es daher zum Ergebnis komme, daß seitens des Kindes derzeit eine Übergabe in die Obsorge der Mutter ohne das Risiko einer schweren seelischen Störung beim Kind nicht möglich sei und es daher zur Erhaltung des Kindeswohles der Beibehaltung der derzeitigen Pflege- und Erziehungsmodalitäten bedürfe.
Der vom Jugendamt gemäß § 26 Abs. 3 JWG gestellte Antrag auf Anordnung der gerichtlichen Erziehungshilfe sei zweifelsohne als Antrag im Sinne der §§ 28 Abs. 1 und 30 JWG 1989 zu verstehen.
Das Rekursgericht bestätigte den erstgerichtlichen Beschluß mit der Maßgabe, daß Punkt 2. wie folgt lautet:
"Die Obsorge für die mj. Jacqueline S***** wird der Mutter Manuela H***** entzogen und dem Jugendwohlfahrtsträger (Bezirkshauptmannschaft Z**********) übertragen."
Das Rekursgericht sprach die Zulässigkeit des ordentlichen Revisionsrekurses aus.
Zunächst ergänzte das Rekursgericht die erstgerichtlichen Feststellungen betreffend die vom Ehemann der Mutter zu verbüßenden Freiheitsstrafen:
Der Ehemann der Mutter habe die vom Landesgericht Salzburg wegen § 142 Abs. 2 StGB verhängte Freiheitsstrafe von 8 Monaten und die vom Bezirksgericht Salzburg zu U 370/89 wegen §§ 83 Abs. 1, 127 StGB verhängte Strafe von 3 Monaten verbüßt. Der Strafantritt erfolgte am 17. Jänner 1990, das Strafende wäre der 3. Dezember 1990 gewesen, doch wurde Herr H***** am 10. August 1990 bedingt entlassen. Mit dem Urteil des Bezirksgerichtes Salzburg vom 3. Oktober 1989, 28 U 370/89-13, wurde Herr Stefan H***** schulig erkannt, in Salzburg am 19. März 1989 den Franz L***** dadurch, daß er ihm ein Bierglas ins Gesicht stieß und ihm dadurch mehrere Schnittwunden an der linken Gesichtsseite und den Ausbruch zweier kleiner Ecken an den inneren oberen Schneidezähnen zufügte, am Körper verletzt zu haben, und weiters schuldig erkannt, am 2. September 1989 im Kaufhaus "I*****" fremde bewegliche Sachen, nämlich Schnuller und Batterien im Werte von S 303,70 den Berechtigten des Kaufhauses mit dem Vorsatz weggenommen zu haben, sich dadurch unrechtmäßig zu bereichern.
Wie sich aus der Begründung des Urteiles, aber auch aus der Verantwortung des dort Beschuldigten Stefan H***** ergibt, hatte er mit dem später Verletzten die ganze Nacht durchgetrunken und schließlich bis zirka 13.00 Uhr zusammen mit dem Verletzten verschiedene Lokale besucht und Alkohol konsumiert (Strafakt 28 U 370/89 des Bezirksgerichtes Salzburg).
Rechtlich führte das Rekursgericht im wesentlichen folgendes aus:
Gemäß § 46 JWG 1989 (BGBl. 1989/161) treten unter anderem die Bestimmungen der §§ 19 bis 35 JWG mit Wirksamkeitsbeginn der jeweiligen Ausführungsgesetze der einzelnen Länder außer Kraft. Da das Land Salzburg entgegen der Bestimmung des § 42 Abs. 3 JWG 1989 bisher kein Ausführungsgesetz erlassen habe, sei der § 26 JWG 1954 bisher durch das JWG 1989 nicht außer Kraft getreten.
Wohl aber sei die Bestimmung des § 26 JWG 1954 durch Artikel VI § 9 KindReÄG, BGBl. 1989/182, gegenstandslos geworden, da nach dieser Bestimmung die gerichtliche Anordnung einer Erziehungsmaßnahme nach dem bisherigen Jugendwohlfahrtsrecht als Verfügung nach § 176 ABGB gelte bzw. dann, wenn das Kind dadurch gänzlich aus seiner bisherigen Umgebung entfernt worden ist, als Verfügung nach dem § 176 a ABGB in der Fassung des Familienrechtsänderungsgesetzes zu gelten habe. Daraus ergebe sich zwangsläufig, daß Anträge nach § 26 JWG 1954, die nach dem Inkrafttreten des Familienrechtsänderungsgesetzes (1. Juli 1989) entschieden werden, als Anträge auf Verfügungen nach § 176 oder 176 a ABGB zu behandeln seien, es somit nach diesem Zeitpunkt keine gerichtliche Erziehungshilfe und Fürsorgeerziehung mehr gebe.
Zufolge der Beseitigung der vom Erstgericht seinerzeit angeordneten gerichtlichen Erziehungshilfe durch das Rekursgericht liege keine gerichtlich angeordnete Erziehungshilfe mehr vor, sodaß grundsätzlich gemäß § 166 ABGB die Obsorge auch für die mj. Jacqueline bei der Mutter verblieben sei, weshalb auch eine Rückübertragung dieser Obsorge nicht möglich sei.
Inhaltlich sei daher nur über den Antrag des Jugendwohlfahrtsträgers zu entscheiden und dieser Antrag im Sinne der obigen Ausführungen als ein solcher auf Übertragung der Obsorge im Sinne des § 176 ABGB anzusehen. Zwar sehe § 176 a ABGB nur die Entfernung aus der bisherigen Umgebung gegen den Willen des Erziehungsberechtigten vor, doch sei diese Bestimmung analog auch auf den Fall anzuwenden, daß das Kind aus seiner bisherigen Umgebung (Pflegeplatz) zum Obsorgeberechtigten zurück soll, wenn dort die im § 176 a ABGB angeführte Gefährdung des Kindeswohles gegeben sei.
Ansonsten wäre jedenfalls nach der Bestimmung des § 176 ABGB vorzugehen, was zum selben Ergebnis führen würde.
In der Jugendpsychiatrie werde allgemein die Ansicht vertreten, daß, je jünger ein Kind sei und je länger es in einer Pflegefamilie Wurzeln geschlagen habe, die Herausnahme des Kindes aus der Pflegefamilie und seine "Verpflanzung" in ein anderes Milieu - sei es auch in seine Ursprungsfamilie - umso problematischer sei. Für Pflegekinder, die seit den ersten Lebenswochen ununterbrochen bei elternähnlich liebevoll aufziehenden Pflegeeltern leben und dort das 18. Lebensmonat erreicht haben, bedeute die Verpflanzung von den Pflegeeltern weg eine Gefahr für das Kindeswohl. Abbrüche von gewachsenen Beziehungen könnten bei Kindern vielfach nicht oder nur schwer gutzumachende Persönlichkeitsschäden verursachen.
Im vorliegenden Fall sei davon auszugehen, daß für die mj. Jacqueline am Pflegeplatz die Voraussetzungen für eine gedeihliche Entwicklung in jeder Hinsicht gegeben sind und daß das Kind zu den Pflegeeltern eine sehr gute Beziehung hat und - bis auf die Sprachstörung - altersgemäß entwickelt ist. Wie der Sachverständige ausgeführt habe, sei davon auszugehen, daß die Sprachstörung anlagebedingt ist, sodaß diesbezüglich den Pflegeeltern kein Vorwurf gemacht werden könne.
Es sei daher rein von der Betreuung des Kindes her gesehen die Herausnahme des Kindes vom Pflegeplatz nicht geboten, ein Wechsel wäre lediglich mit einem Recht der Mutter, ihr Kind bei sich zu haben, bzw. mit einem Recht des Kindes, bei seiner Mutter und den Geschwistern aufzuwachsen, zu rechtfertigen. Diesem "Recht" müsse aber das Wohl des Kindes vorangestellt werden.
Sei aber die Herausnahme des Kindes aus seinem bisherigen Milieu - auch wenn es zur leiblichen Mutter kommt, zu der es aber keine engere Beziehung hat - mit der Gefahr einer Beeinträchtigung für das Kind verbunden, so müsse um so mehr gewährleistet sein, daß aller Voraussicht nach bei der Mutter nicht nur die entsprechende Betreuung und Fürsorge gegeben ist, sondern auch die Kontinuität in der Betreuung, da ein neuerlicher Wechsel der Betreuungsperson eine neuerliche starke Belastung für das Kind mit sich brächte. In dieser Hinsicht bestehen aber doch Bedenken. Immerhin bewohnt die Mutter mit ihrem Mann und den beiden anderen Kindern - aus dem Akt ergibt sich, daß die Mutter aus der Ehe mit Herrn H***** ein Kind, die mj. Sarah hat - lediglich eine Zweizimmerwohnung. Die Aussage der Mutter im seinerzeitigen, den mj. Marcus betreffenden Verfahren, daß sie, falls die beiden Kinder zu ihr kämen, die fixe Zusage einer größeren Wohnung vom Wohnungsamt habe, habe sich auch nicht bewahrheitet, da, falls diese Zusage zugetroffen haben sollte, durch die Geburt der mj. Sarah jedenfalls die von der Mutter behaupteten Voraussetzungen für die Zuweisung der größeren Wohnung gegeben gewesen wären. Herr Stefan H*****, der Ehemann der Mutter, habe bei seiner Vernehmung am 21. März 1988 vor dem (auch nunmehr erkennenden) Rekurssenat (ON 20 dieses Aktes) erklärt, nunmehr sein Leben in Ordnung bringen zu wollen.
Trotz dieser Beteuerung und der doch erheblichen Vorstrafen sei Herr H*****, wie festgestellt, mehr als ein Jahr später neuerlich straffällig geworden. Dabei stimme nicht so sehr die Tat als solche bedenklich als vielmehr die Umstände, weil, wie sich aus dem Strafakt ergibt, die Tat nach einer durchzechten Nacht erfolgt ist, was doch darauf schließen lasse, daß jedenfalls damals und zu einem Zeitpunkt, als die Mutter bereits die Rückführung des Kindes beantragt hatte, Herr H***** - zumindest zweitweise - keine dem Kindeswohl entsprechende Lebensweise geführt hat.
Dies kann keineswegs der Mutter zum Vowurf gemacht werden, stellt aber einen objektiven Umstand dar, der zu berücksichtigen sei.
Daraus, daß die Rückführung des Kindes zur Mutter auf jeden Fall mit einer ernstlichen Gefahr für das Wohl des Kindes verbunden sei und nicht ausreichend gewährleistet sei, daß dies etwa durch günstigere Verhältnisse bei der Mutter allenfalls ausgeglichen werden könne, folge daß das Verbleiben des Kindes auf dem Pflegeplatz dessen Wohl entspreche, während ein Herausnehmen von dort das Wohl des Kindes ernstlich gefährden würde.
Um dieses Verbleiben auf dem Pflegeplatz zu ermöglichen, sei die Anordnung, daß die Obsorge der Mutter entzogen und dem Jugendamt übertragen werde, erforderlich.
Der Revisionsrekurs sei zulässig, da zur Frage, ob die Bestimmung des § 176 a ABGB auch dann anzuwenden ist, wenn das Kind von einem Pflegeplatz zum ursprünglich Sorgeberechtigten zurückkehren soll, fehle. Am Falle der jüngst ergangenen Entscheidung des Obersten Gerichtshofes (EvBl. 1991/59) sei ein Pflegevertrag nach § 137 a ABGB vorgelegen.
Gegen diesen Beschluß des Rekursgerichtes richtet sich der Revisionsrekurs der Mutter mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluß dahin abzuändern, daß dem Antrag der Mutter vollinhaltlich stattgegeben werde; hilfsweise stellte die Mutter einen Aufhebungsantrag.
Der Revisionsrekurs ist nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Die Revisionsrekurswerberin macht in ihrem Rechtsmittel im wesentlichen geltend, der Weiterverbleib des Kindes bei den Pflegeeltern dürfe nur angeordnet werden, wenn ein Mißbrauch der Erziehungsgewalt durch die Mutter gegeben sei oder wenn sie ihre Pflichten nicht erfüllen könne oder wolle. Dies sei nicht der Fall. Selbst wenn § 176 a ABGB auch auf den Fall analog anzuwenden sei, wann zu entscheiden ist, ob die Rückführung des Kindes zu den Eltern zulässig sei, so fehlten Feststellungen, die eine Gefährdung des Wohles des Kindes durch das Verhalten der Eltern rechtfertigen würden.
Auf diese Einwendungen ist folgendes zu erwidern:
Maßgebend für die Entscheidung in dieser Rechtssache sind die privatrechtlichen Bestimmungen des ABGB über das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern in der Fassung des KindRÄG, BGBl 1989/162 (gemäß Art VI § 1 Abs 1 leg cit in Kraft getreten am 1. Juli 1989), insbesondere die in diesem Gesetz enthaltenen Übergangsbestimmungen (Art VI §§ 3, 4 und 6 - Beendigung der Amtsvormundschaften und sonstigen Vormundschaften;
§ 9 - Überleitung von gerichtlich angeordneten Erziehungsmaßnahmen) und diejenigen Bestimmungen, die den Jugendwohlfahrtsträgern (= dem jeweiligen Land; hier:
repräsentiert durch die örtlich zuständige Bezirkshauptmannschaft) bestimmte Aufgaben zuweisen (hier:
Obsorge, die dem Jugendwohlfahrtsträger gemäß § 176 a ABGB übertragen werden kann). Auf die Abgrenzung der das generelle Außerkrafttreten des JWG 1954 (Art VI § 2 KindRÄG;
§ 42 Abs 2 JWG 1989) und das Außerkrafttreten in den einzelnen Ländern (§ 46 JWG 1989) regelnden Bestimmungen sowie auf die Auswirkungen der nicht fristgerechten Erlassung eines Ausführungsgesetzes durch das Land Salzburg auf das dort bestehende, auf den Grundsatzbestimmungen des JWG 1954 beruhende Landesgesetz ist daher nicht weiter einzugehen.
Nach Art VI § 9 KindRÄG ist die gerichtliche Anordnung einer Erziehungsmaßnahme nach dem bisherigen Jugendwohlfahrtsrecht als Verfügung nach den §§ 176 bzw 176 a ABGB anzusehen. Daraus folgt, daß auch vor dem Inkrafttreten des KindRÄG gestellte Anträge auf Anordnung von Erziehungsmaßnahmen - je nach ihrem
Inhalt - nunmehr als Anträge auf Anordnung von Maßnahmen nach den §§ 176 ff ABGB zu behandeln sind.
Nach dem eingangs wiedergegebenen Sachverhalt ist davon auszugehen, daß das Kind von der Mutter auf Grund ihrer freien Entscheidung auf dem Pflegeplatz untergebracht wurde, wobei nicht klar ist, ob ein Pflegevertrag zwischen dem Kind (damals vertreten durch das Jugendamt als Vormund) und den Pflegeeltern abgeschlossen wurde ober ob die Pflegeeltern nur als Erfüllungsgehilfen der Mutter tätig wurden, ohne daß ihnen Obsorgerechte und -pflichten als solche (§ 137 a ABGB) übertragen wurden (näheres zu dieser Unterscheidung s EvBl 1991/59). Eine Abklärung dieser Umstände kann aber unterbleiben, weil schon bei Vorliegen der für die Rechtsstellung der Mutter günstigeren zweiten Variante im Sinne des Rekursgerichtes zu entscheiden ist.
Gemäß § 166 ABGB kommt die Obsorge für das uneheliche Kind der Mutter allein zu, in diesem Fall also der Revisionsrekurswerberin seit 1. Juli 1989 nach Beendigung der vorher bestandenen Amtsvormundschaft des Jugendamtes gemäß Art VI § 3 Abs 1 KindRÄG.
Gefährden aber die Eltern - hier: die Mutter, der die Obsorge zukommt - durch ihr Verhalten das Wohl des Kindes, so hat das Gericht zur Sicherung des Wohles des Kindes die nötigen Verfügungen zu treffen (§ 176 Abs 1 ABGB). Ist wegen Gefährdung des Kindeswohles die gänzliche Entfernung des Kindes aus seiner bisherigen Umgebung gegen den Willen des Erziehungsberechtigten notwendig und seine Unterbringung bei Verwandten oder anderen nahestehenden geeigneten Personen nicht möglich, so hat das Gericht die Obsorge dem Jugendwohlfahrtsträger ganz oder zum Teil zu übertragen, der die Ausübung der Obsorge Dritten (hier: Pflegeeltern) übertragen darf (§ 176 a ABGB).
Unter dem Begriff "Gefährdung des Kindeswohls" ist nicht geradezu ein Mißbrauch der elterlichen Befugnisse zu verstehen. Es genügt, daß die Eltern objektiv - also auch, wenn ihnen kein Schuldvorwurf gemacht werden kann - durch ihr Gesamtverhalten das Wohl des Kindes gefährden. Die Gefährdung des Kindeswohles kann auch darin gelegen sein, daß wichtige Veränderungen eingetreten sind, die Eltern aber diesen Veränderungen nicht in geeigneter Weise Rechnung tragen (vgl zu diesem Problemkreis SZ 53/142).
Ein solches, das Kindeswohl gefährdendes Verhalten legt in dem hier zu beurteilenden Fall die Mutter an den Tag, die trotz der damit verbundenen ernstlichen Gefährdung der weiteren gedeihlichen Entwicklung des Kindes, wenn nicht vorher behutsam ein Vertrauensverhältnis zwischen ihr und dem Kind aufgebaut wird, dieses vom Pflegeplatz entfernen und zu sich zurückbringen will.
Es ist daher eine Entscheidung über die Unterbringung des Kindes gegen den Willen der Mutter erforderlich. Dabei handelt es sich um eine nach § 176 a ABGB zu beurteilende Maßnahme, wenngleich vordergründig betrachtet nicht der in dieser Gesetzesstelle behandelte Regelfall der Entfernung des Kindes aus seiner bisherigen Unterbringung bei den Eltern zu verfügen, sondern die Zurückbringung des Kindes dorthin zu verhindern ist. Dabei handelt es sich aber nur um die nach gleichen Wertungen zu beurteilende, im Vergleich zu der im Gesetz beschriebenen gleichsam seitenverkehrten Vorgangsweise mit gleichem, unter dem Gesichtspunkt des Kindeswohls zu vermeidenden Ergebnis:
Unterbringung des Kindes bei der Mutter. Würde nämlich bei einem Sachverhalt wie dem hier festgestellten das Kind in die Obhut der Mutter gebracht werden, so müßte dieser Zustand im selben Augenblick nach § 176 a ABGB wieder beseitigt werden. Der analogen Anwendung des § 176 a ABGB auf den Fall, in dem über die abermalige Unterbringung des aus der Umgebung der Mutter bereits entfernten Kindes bei dieser entschieden werden muß, steht daher nichts entgegen. So wurde schon entschieden, daß eine vom Pflegschaftsgericht nach § 176 a ABGB zu bewilligende Maßnahme auch dann vorliegt, wenn der Antrag des Erziehungsberechtigten, ihm das Kind unter Aufhebung einer entgegenstehenden Maßnahme wieder in die Obsorge zu übergeben, mangels der Voraussetzungen hiefür abgewiesen wird (ÖA 1990, 53). Dies muß aber auch gelten, wenn sich das Kind nicht auf Grund einer zuvor bewilligten Zwangsmaßnahme, sondern auf Grund eigenen Entschlusses der Mutter in fremder Pflege befindet.
Da die Mutter nicht bereit ist, die unter dem Gesichtspunkt des Kindeswohls unbedingt erforderliche Unterbringung ihres Kindes auf dem Pflegeplatz beizubehalten, muß dem Jugendwohlfahrtsträger durch die Übertragung der Obsorge die Möglichkeit eingeräumt werden, die Ausübung der Obsorge Dritten (hier: den Pflegeeltern) zu übertragen (§ 176 a letzter Satz ABGB). Welches gelindere Mittel zur Erreichung dieses Zieles angemessen gewesen wäre, vermag die Rechtsmittelwerberin konkret nicht anzugeben.
Dem Revisionsrekurs war daher der Erfolg zu versagen.
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