OGH 3Ob15/92

OGH3Ob15/9225.3.1992

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof.Dr.Petrasch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Warta, Dr. Klinger, Dr. Angst und Dr. Graf als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei D***** Gesellschaft mbH, ***** vertreten durch Dr. Erhard C.J. Weber, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei VEREIN M***** vertreten durch Dr. Friedrich Doschek, Rechtsanwalt in Wien, wegen Wiederaufnahme des Rechtsstreites 17 C 146/90s des Exekutionsgerichtes Wien, infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 27. November 1991, GZ 46 R 1206/91-6, womit die Wiederaufnahmsklage zurückgewiesen wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Begründung

Die klagende Partei ist Eigentümerin des Hauses in Wien 7., N*****gasse *****. Der beklagte Verein ist Mieter der dort befindlichen Räumlichkeiten top. II im Hochparterre (an anderer Stelle auch: Erdgeschoß oder Halbstock) im Ausmaß von rund 95 m2 und top. IV/4 a im 2. Stock im Ausmaß von rund 200 m2. Diese Räumlichkeiten sind baubehördlich als Geschäftsräumlichkeiten gewidmet. Der beklagte Verein betrieb in diesen Objekten ein Bethaus, eine Koranschule sowie eine Kantine im Hochparterre. Er nahm in den Objekten ohne Zustimmung der Baubehörde sowie der klagenden Partei Umbauarbeiten vor, indem er Zwischenwände aufstellte, im Hochparterre eine Küche einrichtete, die vier bestehenden englischen Toiletten durch Hockaborte ersetzte und Fußwaschgelegenheiten einrichtete. Wegen unzureichender Isolierung der Kanalisation traten beim umfänglichen Betrieb der Sanitäreinrichtungen Durchfeuchtungsschäden an der Bausubstanz ein. Die Baupolizei erteilte der klagenden Partei als Hauseigentümerin mit Bescheid vom 8. März 1988 den Auftrag, binnen 3 Monaten nach Rechtskraft des Bescheides 1.) die widmungswidrige Benützung der (Geschäfts-)Räume im 2. Stock für religiöse Versammlungen und Veranstaltungen aufzulassen, und

2.) den kosensgemäßen Zustand der Geschäfts- und Arbeitsräume im Erdgeschoß und im 2. Stock einschließlich der Abortanlagen durch Einbau von WC-Muscheln wiederherstellen zu lassen.

Der beklagten Partei wurde mit einstweiliger Verfügung des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 5. Juni 1989 die widmungswidrige Benützung der Räumlichkeiten top. II im Hochparterre und top. IV/4 a im 2. Stock des Hauses, insbesondere die Benützung der widmungswidrigen Hockaborte verboten.

Am 15. Dezember 1989 fand in den vom beklagten Verein gemieteten Räumlichkeiten im Hochparterre eine Veranstaltung und Besprechung von rund 25 Mitgliedern des Vereins ohne religiösen Charakter statt. An diesem Tag blieb die Tür zu den Räumlichkeiten im

2. Stock des Hauses verschlossen. Am 16. März 1990 fand in den Räumlichkeiten im 2. Stock eine Mitgliederversammlung, gleichfalls ohne religiösen Charakter, statt.

Mit der Behauptung, die beklagte Partei habe an diesen beiden Tagen gegen das Verbot der einstweiligen Verfügung verstoßen, weil sie in den Räumlichkeiten nach wie vor ein Restaurant betreibe und religiöse Veranstaltungen mit rund 60 Personen abhalte, wobei offensichtlich die widmungswidrigen Hockaborte und Fußwaschanlagen benützt würden und ein Schaden an der Bausubstanz eintrete, erwirkte die klagende Partei gegen die beklagte Partei beim Exekutionsgericht Wien die Bewilligung der Unterlassungsexekution und die Strafverfügung vom 22. Jänner 1990 mit einer Geldstrafe von S 15.000 und sodann die Strafverfügung vom 17. Mai 1990 mit einer Geldstrafe von S 20.000.

In ihren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbundenen Impugnationsklagen gegen die beiden Strafverfügungen bestritt die beklagte Partei, gegen die einstweilige Verfügung verstoßen zu haben.

Das Exekutionsgericht wies die beiden Klagebegehren ab, weil schon im Betrieb einer Kantine mit einer ohne Baubewilligung errichteten Küche in den als Geschäftsräumlichkeiten gewidmeten Räumen im Hochparterre ein Verstoß gegen die Exekutionsbewilligung liege.

Das Landesgericht für ZRS Wien gab der gegen dieses Urteil erhobenen Berufung der beklagten (dort klagenden) Partei mit Urteil vom 7. Mai 1991 Folge und änderte das Ersturteil im Sinne der Klage ab. Es bewertete den Streitgegenstand mit nicht über S 50.000 und sprach aus, daß die Revision jedenfalls unzulässig sei. Das Berufungsgericht vertrat auf der Grundlage der erstrichterlichen Feststellungen die Rechtsansicht, daß der Betrieb einer nur Vereinsmitgliedern zugänglichen Kantine in den Räumlichkeiten im Hochparterre der Widmung als Geschäftsräumlichkeiten nicht widerspreche und nicht einzusehen sei, daß dadurch die Bausubstanz des Hauses geschädigt werden könnte, zumal das Vorhandensein der Kantine im Bescheid der Baupolizei vom 8. März 1988 nicht beanstandet worden sei. Weder der religiöse Charakter der beiden Veranstaltungen, noch die Benützung der Sanitäranlagen an den beiden fraglichen Tagen sei von der klagenden Partei bewiesen worden, sodaß auch die Durchführung einer Mitgliederversammlung keine widmungswidrige Benützung der im 2. Stock gelegenen Bestandräumlichkeiten darstelle.

Mit der am 31. Juli 1991 beim Exekutionsgericht Wien überreichten und von diesem (unrichtigerweise) an das Landesgericht für ZRS Wien überwiesenen Wiederaufnahmsklage begehrt die klagende Partei mit folgendem Vorbringen die Beseitigung des im Vorprozeß ergangenen Berufungsurteils vom 7. Mai 1991: Sie sei durch die Äußerungen des Beamten Stefan S***** am 15. Juli 1991 anläßlich einer von ihr beantragten baupolizeilichen Überprüfung der Bestandräumlichkeiten in Kenntnis der neuen (im Vorprozeß vorhandener) Tatsachen und eines neuen Beweismittels darüber gelangt, daß unter dem im baupolizeilichen Bescheid vom 8. März 1988 (Punkt 2) angeführten konsenswidrigen Zustand der Geschäfts- und Arbeitsräume im Erdgeschoß (Hochparterre) und

2. Stock nicht nur die örtliche Abgrenzung bzw. Unterbringung der Räumlichkeiten, sondern auch deren Verwendung oder Benützung verstanden werde. Nach der "authentischen Interpretation" dieses Bescheides durch den im Vorprozeß bereits vernommenen Beamten der Baupolizei Stefan S***** sei nicht zu bezweifeln, daß die von der beklagten Partei betriebene Kantine mit der darin befindlichen Küche eine widmungswidrige Benützung der Bestandräumlichkeiten darstelle. Weiters habe dieser "neue" Zeuge am 15. Juli 1991 geäußert, daß jede Benützung der konsenswidrigen Bestandräumlichkeiten im 2. Stock als widmungswidrige Benützung im Sinne des genannten Bescheides vom 8. März 1988 erfolge. Diese neuen Tatsachen und dieses Beweismittel seien ihr ohne ihr Verschulden erst am 15. Juli 1991 bekannt geworden.

Mit dem angefochtenen Beschluß wies das Landesgericht für ZRS Wien die Wiederaufnahmsklage im Vorprüfungsverfahren gemäß § 538 ZPO zurück. Sowohl der baupolizeiliche Bescheid vom 8. März 1988 als auch der Zeuge Stefan S***** seien der klagenden Partei im Vorprozeß bekannt gewesen. Ein von Amts wegen wahrzunehmendes Verschulden an der Unterlassung rechtzeitiger Behauptungen oder Beweisanbote (Beweisausschöpfung) im Sinne des § 530 Abs 2 ZPO liege vor, wenn einem im Vorprozeß geführten Zeugen nicht jene Fragen gestellt würden, deren Beantwortung nach ihrer ohne weiteres erkennbaren Bedeutung und Maßgeblichkeit zu einem für die Partei günstigeren Prozeßausgang führen hätte können. Da schon das Vorbringen in der Wiederaufnahmsklage keinen Anhaltspunkt dafür biete, daß die darin geltend gemachten Tatsachen und Beweismittel im Vorprozeß nicht geltend gemacht werden konnten, liege kein tauglicher Wiederaufnahmsgrund im Sinne des § 530 Abs 1 Z 7 und Abs 2 ZPO vor.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diese Entscheidung erhobene Rekurs der klagenden Partei ist gemäß § 535 ZPO in Analogie zu § 519 Abs 1 Z 1 ZPO ungeachtet der in den §§ 502, 528 ZPO verfügten Beschränkungen zulässig, weil das in erster Instanz erkennende Gericht hier auf Grund seiner Funktion als Berufungsgericht im Vorprozeß eingeschritten ist; er ist aber nicht berechtigt.

Gemäß § 530 Abs 1 Z 7 ZPO kann ein durch eine Entscheidung erledigtes Verfahren wieder aufgenommen werden, wenn die Partei in Kenntnis von neuen Tatsachen gelangt oder Beweismittel zu benützen in den Stand gesetzt wird, deren Vorbringen und Benützung im früheren Verfahren eine ihr günstigere Entscheidung herbeigeführt hätte. Gemäß § 530 Abs 2 ZPO ist die Wiederaufnahme wegen der im Abs 1 Z 7 angegebenen Umstände nur dann zulässig, wenn die Partei ohne ihr Verschulden außerstande war, die neuen Tatsachen oder Beweismittel vor Schluß der mündlichen Verhandlung, auf welche die Entscheidung erster Instanz erging, geltend zu machen. Dafür ist der Wiederaufnahmskläger behauptungs- und beweispflichtig. Ein Verschulden des Wiederaufnahmsklägers im dargestellten Sinn ist von Amts wegen zu beachten (MietSlg. 39.795; 1 Ob 512/92 ua; Fasching, Lehrbuch2 Rz 2067). Kommt der Wiederaufnahmskläger schon in der Klage der Behauptungspflicht nicht nach, so ist diese gemäß § 538 Abs 1 ZPO durch Beschluß zurückzuweisen (EvBl. 1973/163; 1 Ob 512/92 u.a.; Fasching IV 520).

Der Beurteilung der Vorinstanz ist beizupflichten, daß die klagende Partei schon in der Klage keine auch nur abstrakt tauglichen Behauptungen darüber aufgestellt hat, daß ihr ohne ihr Verschulden die Benützung oder Ausschöpfung des im Vorprozeß vor Gericht vernommenen Zeugen Stefan S***** nicht im Sinne der in der Wiederaufnahmsklage dargestellten "authentischen Interpretation" des ebenfalls vorgelegenen Baupolizeibescheides vom 8. März 1988 möglich gewesen wäre. Soweit eine solche Interpretation überhaupt Grundlage neuer Tatsachenfeststellungen im Sinne des geltend gemachten Wiederaufnahmsgrundes sein könnte und nicht bloß eine, der Wiederaufnahme nicht fähige nachgetragene rechtliche Interpretation des Bescheidtextes mit der Absicht der Ausdehnung der Bescheidwirkungen auf darin nicht enthaltene Sachverhalte darstellt, wird in keiner Weise dargelegt, warum an den Zeugen im Vorprozeß nicht Fragen gestellt wurden, die ein derartiges Aussageergebnis zeitigen hätten können. Dafür ist auch weder ein tatsächliches, noch ein rechtliches Hindernis erkennbar. Der Prozeßstandpunkt der klagenden Partei im Vorprozeß war derart, daß die beklagte Partei auch durch den Betrieb der Kantine samt Küche und durch die bloße Abhaltung von Mitgliederversammlungen wegen insoweit widmungswidriger Benützung der Bestandräumlichkeiten dem Exekutionstitel zuwider gehandelt habe, sodaß Fragen nach dem näheren Verständnis und der Bedeutung des baupolizeilichen Bescheides im Zusammenhang mit diesen Umständen nahe gelegen wären.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 50, 40 ZPO.

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