OGH 9ObS23/91

OGH9ObS23/9118.3.1992

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof.Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr. Gamerith und Dr. Maier sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Raimund Kabelka und Margarete Heidinger als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Dr. F***** W*****, Rechtsanwalt *****, als Masseverwalter im Konkurs über das Vermögen des K***** H*****, Angestellter, ***** wider die beklagte Partei ARBEITSAMT VERSICHERUNGSDIENSTE TIROL, Innsbruck, Schöpfstraße 5, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen S 2,232.500,-- sA, infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 1. Oktober 1991, GZ 5 Rs 99/91-35, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 14.Mai 1991, GZ 47 Cgs 37/91-30, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben und die Sozialrechtssache zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der Kläger als Masseverwalter im Konkurs des betroffenen Arbeitnehmers begehrt die Zahlung von Insolvenz-Ausfallgeld im Betrag von S 2,232.500. Dem Gemeinschuldner stehe nach dem auf 10 Jahre unkündbaren Dienstvertrag vom 20.März 1986 noch das Entgelt von Jänner 1987 bis März 1996, abzüglich dessen, was er in dieser Zeit verdient habe bzw. verdienen werde, zu. Die beklagte Partei habe seinen Antrag vom 12.Oktober 1988 zu Unrecht abgelehnt. Ein schon allenfalls Anfang des Jahres 1987 ergangener Beschluß auf Abweisung eines Konkursantrages mangels Masse könne nicht für ein Verfahren am Ende des Jahres 1988 maßgebend sein. Für den Fall der Fristversäumung hätten die Rechtsfolgen nachgesehen werden müssen.

Die beklagte Partei beantragte, das Klagebegehren abzuweisen. Der Antrag vom 12.Oktober 1988 sei außerhalb der viermonatigen Antragsfrist des § 6 Abs 1 IESG gestellt worden, da der Kläger von der Abweisung des Konkursantrages gegen die ehemalige Dienstgeberin des Gemeinschuldners bereits im Februar 1987, allenfalls im April 1988 und in eventu spätestens Ende Mai 1988 Kenntnis erlangt habe. Seinen ersten Antrag auf Zuerkennung von Insolvenz-Ausfallgeld habe der Kläger ohnehin noch fristgerecht gestellt. Im übrigen seien die Ansprüche des Klägers gemäß § 34 AngG verfallen. Soweit die Ansprüche des Gemeinschuldners nicht in die Konkursmasse gehörten, fehle die aktive Klagelegitimation. Abgesehen davon sei ein Anspruch auf Insolvenz-Ausfallgeld für Kündigungsentschädigung über den 31. Dezember 1986 hinaus gemäß § 1 Abs 6 Z 2 IESG nicht gegeben.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren auch im dritten Rechtsgang ab. Es kam zu dem Ergebnis, daß nicht festgestellt werden könne, ob der Kläger vom Beschluß nach § 1 Abs 1 Z 3 IESG betreffend die ehemalige Dienstgeberin des Gemeinschuldners noch Ende Mai 1988 (vor dem 13.Juni 1988) Kenntnis erlangt habe. Da der betroffene Arbeitnehmer aber zum Zeitpunkt des Abschlusses des Dienstvertrages Geschäftsführer der Gemeinschuldnerin gewesen sei, habe er schon aus diesem Grunde keinen Anspruch auf Insolvenz-Ausfallgeld.

Das Berufungsgericht hob diese Entscheidung auf und sprach aus, daß der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei. Es vertrat die Rechtsauffassung, daß es sich bei der Frist des § 6 Abs 1 IESG nicht um eine verfahrensrechtliche, sondern um eine materiellrechtliche Ausschlußfrist handle. Es komme demnach nicht darauf an, wann der Kläger den Antrag auf Zuerkennung von Insolvenz-Ausfallgeld abgesendet habe, sondern wann dieser Antrag bei der zuständigen Behörde eingelangt sei. Mangels einer solchen Feststellung sei das Verfahren aber noch ergänzungsbedürftig.

Sollte eine Fristversäumung nicht vorliegen, sei noch eine Reihe weiterer Fragen zu erörtern und zu prüfen, etwa wie lange der Gemeinschuldner vertretungsbefugtes Organ gewesen sei und ob es sich bei der vereinbarten Kündigungsbeschränkung um eine im Zusammenhang mit seiner Organstellung zugestandene Leistung gehandelt habe. Es werde auch zu erwägen sein, ob in diesem Zusammenhang von einer Fortwirkung der Organtätigkeit im Hinblick auf die gegenseitigen Vereinbarungen ausgegangen werden könne.

Gegen diesen Beschluß richtet sich der aus dem Grunde der unrichtigen Beweiswürdigung, Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Rekurs der beklagten Partei mit dem Antrag auf Abänderung der angefochtenen Entscheidung im Sinne einer Klageabweisung. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragte in seiner Rekursbeantwortung, dem Rekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist berechtigt.

Wie das Berufungsgericht zutreffend ausführt, war bisher trotz der langen Verfahrensdauer im wesentlichen lediglich die Frage der Versäumung der Frist des § 6 Abs 1 IESG durch den Kläger Gegenstand des Verfahrens. Der diesbezügliche Sachverhalt ist aber entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes noch nicht unstrittig. Da die beklagte Partei in erster Instanz obsiegte, war sie nicht verpflichtet, die ihr nachteiligen und von ihr als unrichtig erachteten Feststellungen im Berufungsverfahren zu bekämpfen. Unter der Voraussetzung, daß diese Feststellungen für die rechtliche Beurteilung wesentlich sind, können sie somit noch im Revisionsverfahren gerügt werden (SZ 54/160; SZ 48/9). Diese Grundsätze gelten auch im Falle der Anfechtung eines berufungsgerichtlichen Aufhebungsbeschlusses mit Rekurs (6 Ob 712/78) und für ordentliche Rechtsmittel auch nach der ZVN 1983 (ÖBl 1990, 122; JBl 1986, 121 ua).

Die Rechtzeitigkeit der Antragstellung durch den Kläger an die zuständige Verwaltungsbehörde ist eine zentrale Frage dieses Verfahrens. Bevor diese Frage nicht geklärt ist, erübrigt sich ein Eingehen auf die weiteren Anspruchsgrundlagen dem Grunde und der Höhe nach, die bisher noch nicht einmal vollständig erörtert worden sind. Wie der Oberste Gerichtshof schon im ersten Rechtsgang ausführte (9 Ob S 11/90), wird vorerst zu klären und festzustellen sein, wann der Kläger von dem Beschluß nach § 1 Abs 1 Z 3 IESG betreffend die ehemalige Dienstgeberin des Gemeinschuldners tatsächlich Kenntnis erlangte. Dafür liegt eine Fülle von Indizien vor, die bisher noch nicht abschließend geprüft wurden. Dabei ist dem Berufungsgericht beizupflichten, daß es sich bei der Frist des § 6 Abs 1 IESG nicht um eine verfahrensrechtliche (vgl Infas 1990 A 48; Koziol-Welser, Grundriß8 I 174), sondern um eine materiellrechtliche Ausschlußfrist handelt (vgl SZ 61/253 ua). Die Bestimmung des § 33 Abs 3 AVG ist somit nicht anwendbar (vgl Walter-Mayer, Grundriß des österreichischen Verwaltungsverfahrens5 Rz 230; Floretta-Strasser, Handkommentar zum ArbVG 675; VwGHSlg A 6045 ua; auch Spielbüchler in Rummel2 ABGB § 340 Rz 10; MietSlg 28.604 ua; aM Schwarz-Holler-Holzer, Die Rechte des Arbeitnehmers bei Insolvenz, 159; zur Beweisfrage: Kuderna, Behauptungs- und Beweislast im Verfahren in Sozialrechtssachen, FS Walter Schwarz [1991] 595 ff, 607 ff und 617 f; derselbe ASGG § 87 Erl 3).

Erst wenn sich aufgrund dieser Feststellungen eine Versäumung der Antragsfrist durch den Kläger gemäß § 6 Abs 1 IESG ergibt, wird zu erwägen sein, ob berücksichtigungswürdige Gründe vorliegen, um die Rechtsfolgen der Fristversäumung durch den Masseverwalter nachzusehen (vgl 9 Ob S 11/90). Da sich das Berufungsgericht mit wesentlichen Tatsachenfeststellungen, die im Rekursverfahren zulässigerweise bekämpft worden sind, nicht auseinandergesetzt hat, muß der Beschluß aufgehoben und die Sozialrechtssache zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden (§ 496 Abs 3 ZPO). Abgesehen davon ist im Hinblick auf die bisherige Verfahrensdauer eine weitere Zurückverweisung an das Erstgericht zumindest hinsichtlich des Fragenkomplexes nach § 6 Abs 1 IESG nicht mehr vertretbar.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

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