Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der am 15.3.1942 in Jugoslawien geborene Kläger, der keinen Beruf erlernt hat, war in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag (1.4.1990) in Österreich als Bauhilfsarbeiter beschäftigt. Aufgrund seiner Leidenszustände in neurologischer und orthopädischer Hinsicht ist er nur mehr in der Lage, sehr leichte Arbeiten in geschlossenen Räumen in vorwiegend sitzender Stellung zu verrichten, wobei er die Möglichkeit haben muß, etwa stündlich für etwa 10 Minuten seine Haltung zu verändern. Das Heben und Tragen von Gegenständen ist auf maximal etwa 3 bis 4 kg auf Dauer eingeschränkt. Ungeeignet sind für ihn Tätigkeiten, die ein häufiges Bücken, eine vermehrte Beweglichkeit der Halswirbelsäule, sei es im Sinne von Rechts- und Linksschauen oder auch von Vor- und Rückwärtsneigen der Halswirbelsäule verlangen. Der Anmarschweg zur Arbeitsstätte sollte eine Gehstrecke von etwa 1 km nicht überschreiten, die Benützung eines öffentlichen Verkehrsmittels ist für die Dauer von etwa einer halben Stunde zumutbar. Die in Anlehnung an das berufskundliche Sachverständigengutachten ermittelten Verweisungstätigkeiten eines Portiers und eines Parkgaragenkassiers sind körperlich sehr leichte Arbeiten, die in geschlossenen Räumen zu verrichten sind. Die Arbeitshaltung ist überwiegend sitzend, es kann aber zwischendurch auch aufgestanden und herumgegangen werden. Das Heben und Tragen von Gegenständen und das Bücken ist bei diesen Tätigkeiten nicht erforderlich. Eine vermehrte Beweglichkeit der Halswirbelsäule wird ebenfalls nicht verlangt. In diesen auf dem Arbeitsmarkt zahlreich vorkommenden Verweisungstätigkeiten könnte der Kläger die gesetzliche Lohnhälfte erzielen.
Das Erstgericht wies das auf Gewährung der Invaliditätspension im gesetzlichen Ausmaß ab 1.4.1990 gerichtete Klagebegehren ab. Invalidität nach § 255 Abs 3 ASVG würde erst dann vorliegen, wenn der Kläger nicht mehr imstande wäre, eine auf dem Arbeitsmarkt noch verwertbare Tätigkeit zu verrichten. Da für ihn noch die Verweisungsberufe eines Portiers und eines Parkgaragenkassiers in Frage kämen, deren Anforderungen mit seinem Leistungskalkül vereinbar seien, sei er noch nicht invalid im Sinne der genannten Gesetzesstelle.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Es übernahm die erstgerichtlichen Feststellungen und erachtete das Fehlen der vom Kläger gewünschten Feststellung, wonach er der deutschen Sprache nicht mächtig sei, als rechtlich unerheblich. Nach ständiger Rechtsprechung könne nämlich die Unkenntnis der deutschen Sprache gegen die Verweisung auf einen bestimmten Arbeitsplatz nicht ins Treffen geführt werden. Im Hinblick auf das Leistungskalkül des Klägers bestünden auch keine Hindernisse gegen seine Verweisung auf den Beruf eines Portiers oder eines Parkgaragenkassiers, weshalb er mit einer Verweisungstätigkeit noch die gesetzliche Lohnhälfte erzielen könne und nicht nach § 255 Abs 3 ASVG invalid sei.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision des Klägers ist nicht berechtigt.
Unter dem Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens werden keine Verfahrensmängel geltend gemacht, sondern der Versuch unternommen, die Beweiswürdigung der Tatsacheninstanzen und insbesondere die Feststellung zu bekämpfen, daß der Kläger die Verweisungstätigkeiten eines Portiers und eines Parkgaragenkassiers noch ausüben könne. Dieser Revisionsgrund liegt daher nicht vor.
In seiner Rechtsrüge macht der Kläger neuerlich seine Unkenntnis der deutschen Sprache als angebliches Verweisungshindernis geltend. Er lebe seit 1970 in Österreich und habe bis 1989 bei einer Baufirma gearbeitet, in diesem Zeitraum auch regelmäßig die Sozialversicherungsbeiträge geleistet. Nach seiner Auffassung wäre es unbillig, ihm Pensionsansprüche mit der Begründung zu verwehren, er müsse der deutschen Sprache mächtig sein. Eine derartige Auffassung widerspreche einerseits dem Grundsatz von Treu und Glauben, andererseits dem Art 8 B-VG, aus welcher Bestimmung nicht abgeleitet werden könne, daß jemandem sozialversicherungsrechtliche Ansprüche mit der Begründung verwehrt werden könnten, er sei der deutschen Sprache nicht mächtig. Die genannten Verweisungstätigkeiten seien für den Kläger daher auch nicht zumutbar.
Diesen Ausführungen ist nicht zu folgen. Der Oberste Gerichtshof hat wiederholt ausgesprochen, daß die Unkenntnis der deutschen Sprache nicht gegen die Verweisbarkeit auf einen bestimmten Arbeitsplatz ins Treffen geführt werden kann, weil es andernfalls zu einer sachlich nicht gerechtfertigten Differenzierung zwischen Ausländern und Inländern käme, da diese auf alle Arbeiten verwiesen werden könnten, während bei Ausländern, bedingt durch mangelnde Sprachkenntnis, das Verweisungsfeld enger gezogen wäre (SSV-NF 1/4 ua). In einer weiteren Entscheidung legte der erkennende Senat dar, diese Auffassung finde eine Stütze im § 8 B-VG, wonach die deutsche Sprache, unbeschadet der den sprachlichen Minderheiten bundesgesetzlich eingeräumten Rechte, die Staatsprache der Republik ist. Daraus sei für die Auslegung von Gesetzen abzuleiten, daß sich, wenn nicht in dem Gesetz etwas anderes bestimmt werde oder sich aus dem Zweck der Regelung etwas anderes ergebe, niemand darauf berufen dürfe, daß er nur eine andere Sprache als die deutsche Sprache beherrsche. Weder dem Wortlaut noch dem Zweck des § 255 ASVG sei zu entnehmen, daß die Frage der Invalidität eines Versicherten, der nur eine andere Sprache als die deutsche beherrscht und nur eine andere Schrift als die Lateinschrift schreiben oder lesen kann, anders als die eines Versicherten mit Kenntnissen dieser Sprache und Schrift zu beurteilen sei. Ein solcher Versicherter, der Versicherungszeiten in der österreichischen Pensionsversicherung erwerbe, müsse damit rechnen, daß er bei der Beurteilung der Frage seiner Invalidität auf den Arbeitsmarkt in Österreich verwiesen werde, auf dem aber Kenntnisse der deutschen Sprache und der Lateinschrift überwiegend selbstverständlich seien (SSV-NF 1/22 = SZ 60/168 = ZAS 1989, 16 (Wachter); 10 Ob S 133/88; 10 Ob S 326/88, 10 Ob S 327/89; 10 Ob S 299/90; 10 Ob S 32/91 = Infas 1990 S 12 ua). Der Hinweis darauf, daß es auch österreichische Staatsbürger gebe, welche nicht lesen und schreiben können, wurde als unerheblich abgetan, weil auch sie sich nicht darauf berufen könnten, wenn dieser Mangel nicht auf ein geistiges Gebrechen, sondern nur auf mangelnden Schulbesuch zurückzuführen sei (10 Ob S 326/88 ua), wobei noch betont wurde, daß auf dem österreichischen Arbeitsmarkt Kenntnisse der deutschen Sprache und Lateinschrift schon wegen der allgemeinen Schulpflicht selbstverständlich seien (so 10 Ob S 299/90 und 10 Ob S 32/91).
An dem Grundsatz, daß die Unkenntnis der deutschen Sprache nicht gegen die Verweisbarkeit auf einen bestimmten Arbeitsplatz im Sinn des § 255 ASVG ins Treffen geführt werden kann, ist festzuhalten.
Auch nach der Rechtsprechung des deutschen BSG dürfen Ausländer, die die im Geltungsbereich der RVO bisher ausgeübte Tätigkeit aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr verrichten können, auf Tätigkeiten verwiesen werden, für die sie die erforderlichen Kenntnisse der deutschen Sprache nicht besitzen (SozR 2200 § 1246 Nr 61). In jüngster Zeit wurde ausgesprochen, daß ein Vertriebener, der die deutsche Sprache nicht beherrscht und deswegen eine sonst mögliche Verweisungstätigkeit nicht auszuüben vermag, nicht berufsunfähig ist (SGb 1991, 404). Bisheriger Beruf und Verweisungstätigkeit stünden in einer Wechselwirkung zueinander. Der Umstand, daß neben der Gleichstellung der zurückgelegten Beitragszeiten und der ihnen zugrundeliegenden Beschäftigung aus dem Eingliederungsgedanken auch Besonderheiten bei der Zuerkennung qualifizierten Berufsschutzes abzuleiten seien, könne bei der Bestimmung des Maßstabes für mögliche inländische Verweisungstätigkeiten nicht unberücksichtigt bleiben. Die Wechselwirkung zwischen bisherigem Beruf und Verweisungstätigkeit sei dadurch gekennzeichnet, daß der qualitative Wert der bisherigen Berufstätigkeit den Kreis der qualitativ zumutbaren Verweisungstätigkeiten innerhalb des Mehrstufenschemas bestimme. Hingegen führe ein unterschiedlicher Bewertungsmaßstab hinsichtlich des bisherigen Berufs und der Verweisungstätigkeit zu einer Mißachtung der Wechselwirkung und im Ergebnis zu einer Ungleichbehandlung der Versicherten bei der Gewährung von Rente wegen Berufsunfähigkeit. Hieraus folge, daß dem Kläger, dem allein aufgrund seiner fachlichen Kenntnisse ein qualifizierter Berufsschutz zukomme, obwohl er die für eine inländische Beschäftigung ausreichenden Sprachkenntnisse nicht besitze, auch auf der Verweisungsebene so zu behandeln sei, als wenn er die erforderlichen Sprachkenntnisse eines vergleichbaren deutschen Versicherten mitbrächte. Der ihm zukommende Berufsschutz beziehe sich mit anderen Worten nur auf seine fachlichen Kenntnisse, nicht jedoch auf die nicht vorhandenen Kenntnisse der deutschen Sprache. Würden alleine bei der Verweisungstätigkeit die unzureichenden deutschen Sprachkenntnisse berücksichtigt, so erlangte der aus dem Ausland zuziehende Rentenanstragsteller nur wegen seiner mangelnden Sprachkenntnisse eine Rente wegen Berufsunfähigkeit, die ein inländischer Versicherter unter sonst gleichen Voraussetzungen nicht erwerben könnte. Eine Berücksichtigung der fehlenden Sprachkenntnisse nur im Rahmen der Verweisungsmöglichkeiten würde zu einer systemwidrigen Privilegierung führen, die mit dem inländischen Tatbestand der Rentengewährung wegen Berufsunfähigkeit nicht zu vereinbaren sei (BSG aaO 406 f). Diesem zuletzt genannten Urteil wurde in der Lehre (Eichenhofer aaO 407) zugestimmt; es überzeuge im Ergebnis, wenngleich in seiner Begründung hätte deutlich hervorgehoben werden müssen, daß fehlende Sprachfertigkeit ein Risiko der Rentenversicherung sei, soweit sie auf gesundheitlichen Beeinträchtigungen beruhe, indessen ein Risiko der Arbeitsförderung, soweit sie auf fehlende berufliche Bildung zurückgehe.
Die Richtigkeit der eingangs dargestellten ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs wird im Ergebnis aber auch durch folgende Überlegungen (in Anschluß an Wachter ZAS 1989, 17 ff) dargetan:
Nach § 255 Abs 3 ASVG muß die Arbeitsfähigkeit des Versicherten bisher bei mindestens der Hälfte derjenigen eines körperlich und geistig gesunden Versicherten gelegen sein. Ein in der Pensionsversicherung der Arbeiter Versicherter, dessen Arbeitsfähigkeit von vornherein (zB aufgrund eines angeborenen oder vor Eintritt in das Erwerbsleben erworbenen Leidens oder Gebrechens) so stark herabgesetzt war, daß sie nicht mindestens die Hälfte derjenigen eines körperlich und geistig gesunden Versicherten erreichte, kann nicht invalid im Sinn des § 255 ASVG werden, weil es bei ihm nicht zum Eintritt des betreffenden Versicherungsfalles kommen kann (SSV-NF 1/67; vgl auch SSV-NF 1/33). Wer trotz bestehender körperlicher Behinderung, die ihn an sich vom allgemeinen Arbeitsmarkt ausschließen würde, eine Berufstätigkeit ausübt, Versicherungszeiten erwirbt und damit die allgemeinen Anspruchsvoraussetzungen für eine Invaliditäts- oder Berufsunfähigkeitspension erfüllt, kann sich, wie der Oberste Gerichtshof weiters ausgesprochen hat (SSV-NF 4/60 = SZ 63/61), nach Erreichung dieser Voraussetzungen nicht darauf berufen, daß er - ohne Änderung seines körperlichen oder geistigen Zustandes - wegen dieser Behinderung nunmehr invalid oder berufsunfähig sei. Es muß also bei dem betreffenden Versicherten eine Verschlechterung der Arbeitsfähigkeit in dem Maße eingetreten sein, daß seine Arbeitsfähigkeit nun unter der Hälfte der Arbeitsfähigkeit eines körperlich und geistig gesunden Versicherten liegt. Die Ursache für die Minderung der Arbeitsfähigkeit muß der körperliche oder geistige Zustand des Versicherten sein. Umstände, die zwar eine geminderte Arbeitsfähigkeit nach sich ziehen, mit dem Gesundheitszustand aber nicht zusammenhängen, führen nicht zur Invalidität oder Berufsunfähigkeit. Ausschließlich dies ist der in der Pensionsversicherung durch die Versicherungsfälle der Minderung der Arbeitsfähigkeit abgedeckte Risikobereich; für den Schutz gegen andere Risken ist die Pensionsversicherung in ihrer derzeitigen Ausgestaltung nicht zuständig.
Der Kläger kann als ungelernter Arbeiter gemäß § 255 Abs 3 ASVG grundsätzlich auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verwiesen werden (so die ständige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs seit SSV-NF 1/4). Sein Gesundheitszustand hat sich nicht in einem solchen Maße verschlechtert, daß er aufgrund seines körperlichen oder geistigen Zustandes nicht mehr imstande wäre, wenigstens die Hälfte des Entgeltes zu erwerben, das ein körperlich und geistig gesunder Versicherter regelmäßig zu erzielen pflegt. Ist ein Versicherter in der Lage, eine Verweisungstätigkeit ohne jede Einschränkung inhaltlicher oder zeitlicher Art auszuüben - und dies steht hier fest - , so ist davon auszugehen, daß er in der Lage ist, ein Einkommen in der Höhe des kollektivvertraglichen Lohnes oder Gehaltes zu erzielen (SSV-NF 1/11, 1/54, 3/157 ua). Allfällige mit dem Gesundheitszustand nicht im Zusammenhang stehende Ursachen einer Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit sind bei Prüfung der Invalidität von vornherein nicht zu berücksichtigen und können daher auch das Verweisungsfeld nicht einengen. Der Kläger ist nach den Feststellungen der Tatsacheninstanzen bei bloßer Berücksichtigung seines Gesundheitszustandes noch in der Lage, die Arbeiten eines Portiers oder Parkgaragenkassiers auszuführen; er ist damit nicht invalid im Sinn des § 255 Abs 3 ASVG. Tatsächlich ist seine Arbeitsfähigkeit nicht infolge seines körperlichen oder geistigen Zustandes gemindert, sondern nach seinen Behauptungen (Feststellungen dazu fehlen allerdings) infolge mangelnder Beherrschung der deutschen Sprache. Auf diese mangelnde Beherrschung der deutschen Sprache kann sich der Kläger aber nicht berufen, da dieser Umstand mit seinem Gesundheitszustand nichts zu tun hat und daher nicht im Risikobereich der Pensionsversicherung liegt. Da dies auch dann gälte, wenn ein Versicherter nicht ein Ausländer, sondern ein Inländer ohne hinreichende Kenntnisse der deutschen Sprache wäre, ist das hier dargelegte Ergebnis auch nicht gleichheitswidrig und bedeutet schon gar keine Diskriminierung von Ausländern. Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Da der Kläger durch einen im Rahmen der Verfahrenshilfe beigegebenen Rechtsanwalt vertreten ist, wird er mit Kosten des Revisionsverfahrens nicht belastet, so daß schon deshalb zu einem Kostenersatz nach Billigkeit keine Veranlassung besteht (SSV-NF 1/19, 2/26, 2/27 ua).
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