OGH 1Ob613/91 (1Ob614/91)

OGH1Ob613/91 (1Ob614/91)18.12.1991

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Schubert als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Hofmann, Dr.Schlosser, Dr.Graf und Dr.Schiemer als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach Georg Erwin S*****, infolge der Revisionsrekurse des Erben Damian S*****, vertreten durch Dr.Dietrich Roessler, Rechtsanwalt in Wien, sowie der Pflichtteilsberechtigten Dr.Elisabeth K*****, vertreten durch Dr.Rainer Strickner, Rechtsanwalt in Innsbruck, und Teresa S*****, vertreten durch Dr.Christian Dorda, Dr.Walter Brugger, Dr.Theresa Jordis und Dr.Florian Kremslehner, Rechtsanwälte in Wien, gegen den Beschluß des Landesgerichtes für ZRS Wien als Rekursgerichtes vom 12.Sepember 1991, GZ 43 R 534/91-69, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 24.Juli 1991, GZ 8 A 61/89-57, teils bestätigt, teils aufgehoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs des Erben wird nicht, den Revisionsrekursen der Pflichtteilsberechtigten wird teilweise Folge gegeben und die Entscheidung des Rekursgerichtes dahin abgeändert, daß die Entscheidung des Erstgerichtes zur Gänze wiederhergestellt wird.

Text

Begründung

Das Erstgericht nahm mit Beschluß vom 22.8.1989 (ON 18) die bedingte Erbserklärung des Testamentserben zu Gericht an und übermittelte den Akt dem Gerichtskommissär zur Errichtung des Inventars. Dieser Beschluß wurde ua den damals anwaltlich nicht vertretenen Noterbinnen am 25.8. bzw 4.10.1989 zugestellt. Zwischen Oktober und Dezember 1989 bestellte der Gerichtskommissär Sachverständige zur Schätzung der äußerst umfangreichen Nachlaßsachen (land- und forstwirtschaftliche Güter, Wohn- und Wirtschaftsgebäude, Sammlungen von Waffen, Gemälde, Bibliothek usw), ohne die Noterbinnen davon zu verständigen oder zur Schätzung (Befundaufnahme) beizuziehen. Am 15.3.1990 legten die Noterbinnen dem Erstgericht die Vollmacht ihrer Rechtsvertreter vor. Sie bemängelten im weiteren Verfahren vor dem Erstgericht bzw vor dem Gerichtskommissär die Vorgangsweise des Gerichtskommissärs und beantragten schließlich die Neudurchführung der als nichtig anzusehenden Schätzungen unter ihrer Beteiligung durch neu zu bestellende Sachverständige unter Beachtung des § 103 Abs 1 AußStrG.

Mit Beschluß vom 24.7.1991 (ON 57) trug das Erstgericht dem Gerichtskommissär auf, jene erbl.Vermögenswerte, die unter § 103 Abs 1 AußStrG fallen, jeweils von zwei Sachverständigen pro Fachgebiet unter Beiziehung aller Beteiligten schätzen zu lassen (Punkt 1), sowie alle jene Schätzungen, die nicht unter Beiziehung der Beteiligten erfolgten, durch die bereits bestellten Sachverständigen wiederholen und die erforderliche Anzahl weiterer Sachverständiger zuziehen (Punkt 2); den Antrag der Noterbinnen, die bereits geschätzten Vermögenswerte ausschließlich durch neu zu bestellende Sachverständige schätzen zu lassen, wies es ab (Punkt 3); es stellte den Parteien frei, zu den Befundaufnahmen maximal drei sachverständige Personen ihres Vertrauens beizuziehen (Punkt 4). Da ein Teil des erbl.Vermögens bereits ohne Zuziehung aller Beteiligten (Noterbinnen) geschätzt worden sei, seien diese Schätzungen zu wiederholen. Allerdings könnten die bisher befaßten Sachverständigen auch neuerlich verwendet werden, weil durch die früheren Schätzungen ihre Unbefangenheit nicht in Frage gestellt sei. Die Parteien hätten die Möglichkeit, gegen die Schätzungen Erinnerungen anzubringen; soweit dies bereits schriftlich erfolgt sei, hätten sich die (bisherigen und neu zu bestellenden) Sachverständigen damit auseinanderzusetzen.

Das Gericht zweiter Instanz hob infolge Rekurses des Erben Punkt 2 der erstgerichtlichen Entscheidung insoweit auf, als dem Gerichtskommissär aufgetragen wurde, die nicht unter Beiziehung der Beteiligten erfolgten Schätzungen zu wiederholen, gab jedoch im übrigen weder dem weiteren Rekurs des Erben, noch dem der Pflichtteilsberechtigten gegen die Abweisung ihres Antrages auf Beiziehung neu zu bestellender Sachverständiger zur Wiederholung der Schätzung Folge. Es sprach aus, daß das Verfahren im Umfang der Aufhebung erst nach Rechtskraft dieses Beschlusses fortzusetzen sei, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes jeweils S 50.000 übersteige, und erklärte den ordentlichen (Revisions)Rekurs für zulässig. Da es um die Frage der Nichtigkeit der einzelnen, ohne Beiziehung der Beteiligten (Noterbinnen) vorgenommenen Schätzungen und nicht um die Anordnung der Wiederholung der Schätzungen als verfahrensleitende Anordnung zur Ermittlung des Wertes der Verlassenschaft gehe, sei die Bekämpfung des erstgerichtlichen Beschlusses grundsätzlich zulässig. Aus der Bestimmung des § 95 Abs 1 AußStrG ("....die bekannten Erben, welche am Orte der Inventursaufnahme anwesend sind oder sich in solcher Nähe befinden, daß ihre Vorladung ohne Aufenthalt geschehen kann,...sind von Amts wegen vorzuladen...") sei für den Erben nichts zu gewinnen, weil im vorliegenden Verfahren keine dringliche Maßnahme vorzunehmen gewesen sei, sondern genügend Zeit zur Verfügung gestanden wäre, die Noterbinnen von der im Zuge der Inventarerrichtung angesetzten Befundaufnahme (Schätzung) so rechtzeitig zu verständigen, daß sie die Möglichkeit gehabt hätten, entweder persönlich (die Anreise aus einem österreichischen Bundesland oder dem europäischen Ausland (Spanien) sei in der gegenwärtigen Zeit problemlos zu bewerkstelligen) oder durch Bevollmächtigte daran teilzunehmen und ihre Rechte gemäß § 784 ABGB ("den Schätzungen beizuwohnen und dabei ihre Erinnerungen zu machen") zu wahren. Diese Unterlassung bewirke zwar die Nichtigkeit der vorgenommenen Schätzungen, doch sei im vorliegenden Fall wegen der nicht zu beanstandenden Anordnung, der schriftlichen Begutachtung von einer generellen Wiederholung aller von der Nichtigkeit betroffenen Schätzungen abzusehen, weil die Noterbinnen gegen die Gutachten ihre Erinnerungen anbringen könnten und zum Teil bereits angebracht haben. Ob und welche Schätzungen allenfalls wiederholt werden müßten, könne erst nach Ergänzung des Vorbringens der Noterbinnen über die Tragweite und Auswirkung der Unterlassung ihrer Beiziehung im Rahmen ihrer Einwände gegen die betreffenden Gutachten beurteilt werden.

Rechtliche Beurteilung

Gegen die Entscheidung des Rekursgerichtes richten sich Revisionsrekurse des Erben und beider Noterbinnen. Das Rechtsmittel des Erben ist nicht berechtigt, jene der Noterbinnen sind es nur insoweit, als sie sich gegen den aufhebenden Teil der Rekursentscheidung richten.

Die Noterben (Pflichtteilsberechtigten) haben im Verlassenschafsverfahren gemäß § 784 zweiter Satz ABGB das Recht, an der Schätzung teilzunehmen und dabei ihre Erinnerungen anzubringen. Sie sind deshalb insoweit Beteiligte im Sinne des § 9 AußStrG (EFSlg 39.551 (2) uva; Weiss in Klang2 III 900; Welser in Rummel2 Rz 11 zu §§ 762-764 mwH; Koziol-Welser9 II 387 f mwH). Damit sie dieses Recht ausüben können, müssen sie vom Verlassenschaftsverfahren und den jeweiligen Schätzungsterminen verständigt werden. Ohne Verständigung der bekannten Noterben durchgeführte Schätzungen sind nichtig (JBl 1985, 98 uva; Weiss aaO; Welser aaO). Auf die Verfahrensvorschrift des § 95 Abs 1 zweiter Satz AußStrG kommt es dabei - abgesehen davon, daß eine zeitgemäße Auslegung dieser Gesetzesstelle das von der zweiten Instanz angenommene Ergebnis rechtfertigt - schon deshalb nicht an, weil es Sache des Noterben ist, sich auf ihm geeignet erscheinende Weise am Schätzungsverfahren zu beteiligen. Um dem Zweck der dem Schutz des Noterben dienenden Bestimmung des § 784 ABGB gerecht zu werden, bedarf es seiner Beteiligung bereits im Stadium der Befundaufnahme und nicht erst in jenem der Gutachtensbemängelung, weil nur dadurch die beweissichernde Funktion der Schätzung und Inventur (JBl 1991, 190; 1990, 583 uva) und die möglichst rasche Gewinnung der Grundlagen für die Ausmittlung des Pflichtteils gewährleistet ist (EvBl 1981/50). Die verfahrensrechtliche Stellung des Noterben ist damit schon durch die Unterlassung der Beiziehung zur Befundaufnahme verletzt, sodaß er insoweit auch zur Bekämpfung der ihn belastenden, wenn auch verfahrensleitenden Anordnungen berechtigt ist (EFSlg 61.285, 58.549, 47.000 uva). Sind aber schon die Befundaufnahme der Schätzungen mit Nichtigkeit belastet, können die Noterbinnen nicht auf die bloße Bemängelung der auf nichtigen Befunden basierenden schriftlichen Gutachten verwiesen werden. Im Sinne der erstinstanzlichen Entscheidung sind daher alle ohne Beteiligung der Noterbinnen vorgenommenen Schätzungen zu wiederholen (neu durchzuführen). Da bei Schätzungen der unter § 103 Abs 1 AußStrG zählenden Nachlaßsachen jeweils zwei Sachverständige zuzuziehen sind, gilt dies auch für die zu wiederholenden Schätzungen.

Bloß auf Grund der Tatsache, daß ein Sachverständiger in einem wegen eines Verfahrensfehlers nichtigen Verfahren ein Gutachten erstattet hat, kann er nicht für das nach Beseitigung des Verfahrensfehlers neu durchzuführende Verfahren als befangen angesehen werden. Es trifft nicht zu, daß ein Sachverständiger nach Einwendungen oder Erinnerungen gegen sein Gutachten dieses unter keinen Umständen ändern könne oder werde, wolle er damit nicht gleichsam seine Haftung für ein falsches Gutachten anerkennen. Unter geänderten tatsächlichen oder rechtlichen Voraussetzungen (Änderung des Befundes oder der Wertermittlungsvoraussetzungen) zu einer geänderten gutächtlichen Aussage zu gelangen, kommt in der Praxis immer wieder vor und bedeutet noch kein "Haftungsanerkenntnis" im Sinne der Rechtsmittelausführungen der Noterbinnen. Dazu kommt noch, daß die im Verlassenschaftsverfahren geltende Wertermittlung für den Pflichtteilsprozeß nicht bindend ist.

Die vom aufgezeigten Nichtigkeitsgrund betroffenen Schätzungen sind demnach unter Beiziehung der bisher bestellten und der etwa gemäß § 103 Abs 1 AußStrG noch zu bestellenden weiteren Sachverständigen unter Beteiligung der Noterbinnen neu durchzuführen.

Demzufolge ist spruchgemäß zu entscheiden.

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