OGH 8Ob639/91

OGH8Ob639/9128.11.1991

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Griehsler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber, Dr. Graf, Dr. Jelinek und Dr. Schinko als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und gefährdeten Partei Ingrid A*****, vertreten durch Dr. Franz Kreibich, Dr. Alois Bixner, Dr. Edwin Demoser und Dr. Heinrich Schellhorn, Rechtsanwälte in Salzburg, wider die beklagte und Gegnerin der gefährdeten Partei Walter A*****, vertreten durch Dr. Werner Thurner und Dr. Peter Schaden, Rechtsanwälte in Graz, wegen Unterhalt infolge Revisionsrekurses der klagenden und gefährdeten Partei gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Rekursgerichtes vom 23. Juli 1991, GZ 2 R 315/91-16, womit in Abänderung des Beschlusses des Bezirksgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 8. Juni 1991, GZ 31 Cg 9/91t-12, der Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung abgewiesen wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die Ehe der Streitteile wurde mit Urteil des Landesgerichtes Salzburg vom 8.7.1987 aus dem Alleinverschulden des Beklagten geschieden. Mit gerichtlichem Vergleich vom 12.10.1988 verpflichtete sich der Beklagte zur Leistung eines Unterhaltsbeitrages an die Klägerin in der Höhe von 3.000 S monatlich. Diese Vereinbarung wurde ausdrücklich nur für die Dauer der damals bestehenden Arbeitslosigkeit des Beklagten geschlossen. Im Punkt 3 des Vergleiches erklärte die Klägerin, bei Abschluß der Vereinbarung davon ausgegangen zu sein, daß der Beklagte entsprechende Schritte unternehme, um ehestmöglich wiederum einer Erwerbstätigkeit nachzugehen; der Beklagte erklärte, bei Abschluß des Vergleiches davon auszugehen, daß auch die Klägerin entsprechende Schritte setze, um entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen eine zumutbare Erwerbstätigkeit aufzunehmen.

Der Ehe der Streitteile entstammen zwei Kinder. Die Tochter S*****, geboren am 4.1.1972, studiert in Wien, der am 20.9.1974 geborene Sohn M***** lebt im gemeinsamen Haushalt mit der Klägerin, er verdient als Lehrling monatlich 2.600 S. Für diese Kinder leistet der Beklagte monatlich je S 4.000 an Unterhalt, die Familienbeihilfe bezieht die Klägerin.

Mit der vorliegenden Klage begehrte die Klägerin die Zahlung eines um S 5.000 höheren monatlichen Unterhaltsbeitrages als im Vergleich zu 4 C 62/88 des Bezirksgerichtes Salzburg vereinbart wurde. Zur Sicherung dieses Anspruches beantragte sie die Erlassung einer inhaltsgleichen einstweiligen Verfügung.

Zur Begründung brachte sie vor: Zum Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses sei der Beklagte arbeitslos gewesen, seit April 1990 gehe er aber wieder einer Berufstätigkeit nach und verdiene monatlich mindestens 35.000 S netto. Seit der Geburt der Kinder im Jahre 1972 habe sie sich ausschließlich der Kindererziehung gewidmet und kein eigenes Einkommen bezogen. Sie habe ihren erlernten Beruf als Abteilungsleiterin im Textilverkauf aufgegeben.

Der Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und des Antrages auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung und wendete ein, die Klägerin könne durch eigene Berufstätigkeit einen ausreichenden Verdienst erzielen. Überdies ruhe ihr Unterhaltsanspruch, da sie mit einem anderen Mann in aufrechter Lebensgemeinschaft lebe.

Das Erstgericht trug dem Beklagten die Leistung eines einstweiligen Unterhaltes von 8.000 S auf.

Über den eingangs wiedergegebenen unbestrittenen Sachverhalt hinausgehend traf es folgende wesentliche Feststellungen:

Die Klägerin hat den Beruf eines Textilkaufmanns erlernt und bis zur Geburt der Tochter S***** im Jahre 1972 gearbeitet. Danach widmete sie sich ausschließlich der Kindererziehung. Im Zuge des Scheidungsverfahrens begann die Klägerin damit, gelegentlich zu arbeiten. In den letzten beiden Jahren tat sie dies, um ihren Unterhalt bestreiten zu können, da sie mit dem vom Beklagten geleisteten Betrag von 3.000 S monatlich nicht das Auslangen finden konnte. In der Zeit vom 17.9.1990 bis 16.10.1990 hat sie monatlich S 4.875,76 netto verdient. Sie hat für die Wohnung monatlich S 3.000 an Betriebskosten zu entrichten und verfügt über kein weiteres Vermögen.

Der Beklagte ist seit 1.4.1990 wieder berufstätig und verdient monatlich netto S 34.534,26. Er wohnt in G***** und fährt täglich zu seiner Arbeitsstätte nach K***** und zurück; dabei hat er täglich insgesamt 170 km zurückzulegen. Die Reisespesen werden dem Beklagten nicht vergütet; den Betrieb seines Fahrzeuges finanziert er selbst. Bis einschließlich Februar 1991 hat er der Klägerin monatlich 3.000 S an Unterhalt geleistet; seit März zahlte er nicht mehr, da er der Meinung ist, daß die Klägerin eine Lebensgemeinschaft mit Erich F***** unterhält. Die Klägerin kennt Erich F***** seit August 1987. Er übernachtet ein- bis zweimal im Monat bei ihr, wobei es auch zu sexuellen Kontakten kommt. Fallweise verbringt sie den Urlaub mit ihm. Zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts trägt er nicht bei.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, der Anspruch der gefährdeten Klägerin ergebe sich aus § 66 EheG. Das Vorliegen einer Lebensgemeinschaft sei nicht bescheinigt worden, die gefährdete Klägerin verfüge nicht über ausreichendes Eigeneinkommen. Die vom beklagten Gegner ins Treffen geführten erhöhten Aufwendungen für berufsbedingte Fahrten seien mit dem von ihm angeführten Betrag von 10.000 S zweifellos überhöht.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des beklagten Gegners Folge und wies den Sicherungsantrag ab; der ordentliche Revisionsrekurs wurde nicht für zulässig erklärt.

Das Rekursgericht stellte ergänzend fest, daß im Februar 1991 beim Arbeitsamt S***** zwei Stellen für Textilverkäuferinnen ohne Alterseinschränkung gemeldet waren. Die gefährdete Klägerin hat sich nie als arbeitssuchend gemeldet.

Zur Rechtsfrage vertrat das Rekursgericht die Meinung, der beklagte Gegner habe der gefährdeten Klägerin nur insoweit Unterhalt zu leisten, als ihre Einkünfte aus einer zumutbaren Erwerbstätigkeit zur Deckung des ihren Lebensverhältnissen angemessenen Unterhalts nicht ausreichten. Im Hinblick auf ihr Alter von 46 Jahren und ihre Ausbildung als Textilkaufmann sei der gefährdeten Klägerin die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit in dieser Branche zumutbar; sie könne monatlich zumindest 5.000 S verdienen. Der Ausnahmefall der Unzumutbarkeit wegen der notwendigen Kinderbetreuung liege nicht vor. Auch bei Abschluß des Vergleiches vom 12.10.1988 sei von der grundsätzlichen Verpflichtung der gefährdeten Klägerin zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit ausgegangen worden. Ein über den bestehenden Titel hinausgehender Unterhaltsanspruch der Klägerin sei nicht bescheinigt.

Gegen diesen Beschluß richtet sich der ao. Revisionsrekurs der gefährdeten Klägerin mit dem Antrag, die Entscheidung des Erstgerichtes wiederherzustellen; hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag.

Der beklagte Gegner begehrte in der ihm freigestellten Revisionsrekursbeantwortung, diesem Rechtsmittel nicht Folge zu geben.

Der Revisionsrekurs ist zulässig und im Sinne des Eventualantrags auch berechtigt.

Das Rekursgericht hat die von den Gerichten zweiter Instanz entwickelten Richtsätze für die Bemessung des Unterhaltes der geschiedenen Ehegattin (siehe hiezu Schwimann/Zankl, ABGB I, Rz 55 f zu § 66 EheG) nicht herangezogen, sondern lediglich ausgeführt, aufgrund einer der gefährdeten Klägerin zumutbaren Erwerbstätigkeit sei ein über den Titel hinausgehender Unterhaltsanspruch nicht bescheinigt. Das Rekursgericht ist dadurch von der Rechtsprechung der Gerichte zweiter Instanz abgewichen, sodaß die Voraussetzungen für die Annahme des außerordentlichen Revisionsrekurses vorliegen (Art. XLI WGN 1989 Z 9).

Die gefährdete Klägerin vertritt in ihrem Rechtsmittel die Ansicht, sie habe sich während der Ehe ausschließlich der Erziehung der Kinder und der Haushaltsführung gewidmet. Da der beklagte Gegner über ein hohes Einkommen verfügte, habe ein hoher Lebensstandard, verbunden mit einem dementsprechenden Sozialprestige, bestanden. Die Tätigkeit einer Hilfsarbeiterin könne ihr jedenfalls nicht zugemutet werden, denn sie habe früher die Position einer Abteilungsleiterin im Textilhandel bekleidet. Überdies betrage nach ständiger Rechtsprechung der Unterhaltsanspruch unter Berücksichtigung von zwei Sorgepflichten mindestens 32 % des Familieneinkommens abzüglich des Eigeneinkommens. Dies ergebe, unter teilweiser Berücksichtigung der Aufwendungen des beklagten Gegners für Fahrten zum Arbeitsplatz, einen Unterhaltsanspruch in der Höhe von mindestens 6.000 S monatlich.

Rechtliche Beurteilung

Diese Ausführungen sind nur zum Teil zutreffend. Der allein oder überwiegend schuldige Mann hat der geschiedenen Frau den nach den Lebensverhältnissen der Ehegatten angemessenen Unterhalt nur zu gewähren, soweit die Einkünfte aus dem Vermögen der Frau und der Erträgnisse einer Erwerbstätigkeit, die von ihr den Umständen nach erwartet werden kann, nicht ausreichen (§ 66 EheG). Die Unterhaltspflicht ist demgemäß subsidiär: Sie besteht erst dann, wenn die Vermögenseinkünfte und Erträgnisse einer der geschiedenen Frau zumutbaren Erwerbstätigkeit nicht ausreichen, um ihr den nach den Lebensverhältnissen der Ehegatten angemessenen Unterhalt zu verschaffen (JBl. 1954, 540). Die Unterhaltsberechtigte hat deshalb ihre Arbeitskraft primär für die Beschaffung des eigenen Unterhalts einzusetzen (Schwimann/Zankl, ABGB I, Rz 15 zu § 66 EheG). Für die Beurteilung der Frage, wann eine Erwerbstätigkeit von der Frau erwartet werden kann, läßt sich eine allgemeine Richtlinie nicht aufstellen; maßgebend sind aber jedenfalls Alter, Gesundheitszustand, Berufsausbildung, bisherige, auch länger zurückliegende Berufsausübung, Pflicht zur Erziehung eines Kindes, Vermittlungsmöglichkeit am Arbeitsmarkt u.ä. (Pichler in Rummel, Rz 2 zu § 66 EheG). Im vorliegenden Fall ist nun zu berücksichtigen, daß nach den Feststellungen des Rekursgerichtes beim Arbeitsamt S***** zwei Stellen für Textilverkäuferinnen ohne Alterseinschränkung gemeldet waren. Daraus folgt (jedenfalls nach den Feststellungen im Provisorialverfahren), daß es für die gefährdete Klägerin konkrete Arbeitsmöglichkeiten in dem von ihr erlernten Beruf gibt. Auch wenn die gefährdete Klägerin vor Einstellung ihrer Berufstätigkeit Abteilungsleiterin im Textilverkauf gewesen sein sollte, hätte dies nicht zur Folge, daß ihr eine Tätigkeit als Textilverkäuferin nicht zugemutet werden kann. Es könnte von ihr wohl nicht verlangt werden, als Hilfsarbeiterin zu arbeiten, eine Tätigkeit als Verkäuferin in dem von ihr erlernten Beruf stellt aber keinen gravierenden und unzumutbaren sozialen Abstieg dar. Der Umstand, daß die gefährdete Klägerin während der Ehe keiner Berufstätigkeit nachging, kann nicht dazu führen, daß ihr gar keine Arbeitstätigkeit zugemutet werden könnte. Zu bedenken ist hiebei auch, daß dem Abschluß des Vergleiches vom 12.10.1988 die Voraussetzung zugrundelag, die gefährdete Klägerin werde entsprechende Schritte setzen, um entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen eine zumutbare Erwerbstätigkeit aufzunehmen. Wegen der Notwendigkeit der Kinderbetreuung allein ist die postulierte Unzumutbarkeit wohl nicht mehr gegeben. Die Ansicht des Rekursgerichtes, es sei bei der Ermittlung des Unterhaltsanspruches der gefährdeten Klägerin ein erzielbares Einkommen von monatlich mindestens 5.000 S netto zu berücksichtigen, ist also zutreffend.

Daraus folgt aber nicht zwingend, daß der gefährdeten Klägerin kein Unterhaltsanspruch mehr zustünde. Nach der - auch von der Lehre gebilligten (Pichler in Rummel2, Rz 3 a zu § 94; Schwimann/Schwimann, ABGB I, Rz 25 zu § 94) - Rechtsprechung der Gerichte zweiter Instanz wird der Unterhaltsanspruch des schlechter verdienenden Ehegatten mit 40 % des Familieneinkommens angenommen, wenn keine weiteren Sorgepflichten bestehen (7 Ob 503/91). Von diesen Sätzen sind für jedes im Unterhaltsanspruch konkurrierende Kind 4 % abzuziehen (Pichler, aaO). Wenngleich diese Prozentmethoden sich nicht unmittelbar aus dem Gesetz ergeben, so haben sie doch den Charakter einer Orientierungshilfe (3 Ob 1520/91) und können als Maßstab für die Behandlung gleichartiger Fälle herangezogen werden (7 Ob 503/91). Da der Höhe nach zwischen dem Unterhalt nach § 66 EheG und jenem nach § 94 ABGB kein Unterschied besteht (Schwimann/Zankl, aaO, Rz 4 zu § 66 EheG), sind die vorhin erwähnten Prozentsätze auch bei der hier zu treffenden Entscheidung zu berücksichtigen; daraus ergäbe sich ein Unterhaltsanspruch der gefährdeten Klägerin in der Höhe von insgesamt S 7.640 (32 % des Gesamteinkommens von S 39.500 = S 12.640, abzüglich des von ihr erzielbaren Einkommens von S 5.000 verbleiben S 7.640).

Eine Abzugspost vom Nettoeinkommen des Unterhaltspflichtigen bilden aber unter Umständen Kosten für PKW und Fahrtkosten vom Wohnort zum Dienstort (Schwimann/Zankl, aaO, Rz 41 zu § 66 EheG). Mit der Frage einer derartigen Abzugspost haben sich die Vorinstanzen aber nicht auseinandergesetzt. Das Erstgericht wird im fortgesetzten Verfahren zu klären haben, welche Aufwendungen dem beklagten Gegner dadurch entstehen, daß er, um seine Arbeitsstätte zu erreichen, täglich 170 km zurückzulegen hat. Es wird zu prüfen sein, inwieweit diese Aufwendungen die durchschnittlichen Kosten eines Arbeitnehmers in G***** übersteigen und ob und inwieweit sie allenfalls durch Benützung eines Massenverkehrsmittels gesenkt werden können. Die Aufwendungen, die zur Erreichung des Arbeitsplatzes nötig sind, werden insoweit, als sie die durchschnittlichen Kosten übersteigen, bei der neuerlichen Entscheidung zu berücksichtigen sein.

Auf der Grundlage der Feststellungen des Erstgerichtes liegt eine Lebensgemeinschaft (siehe hiezu Schwimann/Zankl, aaO, Rz 59 zu § 66 EheG) zwischen der gefährdeten Klägerin und Erich F***** nicht vor. Mit Recht hat das Erstgericht die Einvernahme der vom beklagten Gegner in der Verhandlung vom 29.4.1991 beantragten Zeugen unterlassen, da diese Beweismittel nicht sogleich zur Verfügung standen (§ 274 Abs.1 ZPO). Der beklagte Gegner hätte diese Zeugen in seiner Äußerung zum Antrag auf Erlassung der einstweiligen Verfügung beantragen oder in einer der abgeführten Verhandlungen stellig machen können. Eine neuerliche Erstreckung der Verhandlung vom 29.4.1991 hätte jedenfalls dem Grundsatz, daß das Bescheinigungsverfahren rasch durchgeführt werden muß (Fasching, LB2, Rz 809), widersprochen.

Die Entscheidung über die Kosten gründet sich auf § 78 EO, § 52 ZPO.

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