OGH 3Ob576/91

OGH3Ob576/9113.11.1991

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Petrasch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hule, Dr. Warta, Dr. Klinger und Dr. Angst als weitere Richter in der Pflegschaftssache für die Minderjährigen 1) Michaela G*****, und

2) Andrea G*****, beide in Obsorge der Mutter Christine G*****, beide vertreten durch das Amt für Jugend und Familie, Wien 11, Enkplatz 2, als Sachwalter gemäß § 212 Abs. 2 ABGB, infolge Revisionsrekurses des Sachwalters gegen den Beschluß des Landesgerichtes für ZRS Wien als Rekursgericht vom 12.Juni 1991, GZ 44 R 307/91-37, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Favoriten vom 5.März 1991, GZ 2 P 73/90-26, teilweise abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben und dem Gericht zweiter Instanz eine neue Entscheidung aufgetragen.

Text

Begründung

Mit Scheidungsvergleich vom 20.4.1990 vereinbarten die Eltern unter anderem, daß die Obsorge für ihre beiden Kinder der Mutter zustehen solle, und der Vater verpflichtete sich zur Leistung eines monatlichen Unterhaltsbetrages von 3.730 S für Michaela und 3.360 S für Andrea. Die Mutter und der mit ihrer Zustimmung zur Durchsetzung der Unterhaltsansprüche einschreitende Sachwalter im Sinne des § 212 Abs. 2 ABGB stellten den Antrag, diesem Vergleich im Punkte Unterhalt die pflegschaftsgerichtliche Genehmigung zu versagen, weil der Vater nicht nur wie im Vergleich zugrunde gelegt etwa 16.000 S, sondern in Wirklichkeit etwa 33.000 S monatlich verdiene. Der Sachwalter beantragte, den Vater zu einem monatlichen Unterhaltsbetrag von 6.600 S für Michaela und 6.000 S für Andrea zu verpflichten.

Das Erstgericht forderte den Vater zur Stellungnahme auf. Dieser sprach sich gegen höhere als im Vergleich festgelegte Unterhaltsbeträge aus.

Am 27.9.1990 faßte das Erstgericht den Beschluß, daß der am 20.4.1990 zwischen den Eltern geschlossene Vergleich pflegschaftsgerichtlich genehmigt werde und somit die Obsorge gemäß § 177 ABGB der Mutter allein zukomme (ON 14). Der Beschluß enthielt keine Begründung und wurde zunächst nur dem Vater und der Mutter, nicht jedoch dem Sachwalter, zugestellt, jedoch wurden die Akten gleichzeitig dem Sachwalter zur Bekanntgabe von Umständen übermittelt, die für die Unterhaltsbemessung von Bedeutung sein konnten.

Nach Abschluß der Erhebungen faßte das Erstgericht am 5.3.1991 den Beschluß, daß der Vater schuldig sei, zum Unterhalt seiner Kinder zu dem ihm mit Vergleich vom 20.4.1990 auferlegten Beträgen noch 2.870 S für Michaela, sohin für sie zusammen

6.600 S, und noch 2.640 S für Andrea, sohin für sie zusammen 6.000 S, zu bezahlen (ON 26). Bei Michaela wurde für August 1990 keine Unterhaltserhöhung ausgesprochen und der Vater seit 1.10.1990 von weiteren Unterhaltsleistungen enthoben, welcher Beschlußteil in Rechtskraft erwuchs.

Das Erstgericht stellte fest, daß der Vater nicht wie beim Vergleichsabschluß angenommen nur 16.000 S, sondern in Wirklichkeit 36.000 S monatlich verdiene, und sprach hievon etwa 20 % für Michaela und etwa 18 % für Andrea zu.

Der Vater erhob gegen diesen Beschluß Rekurs mit der Begründung, sein Einkommen sei in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht unrichtig beurteilt worden und sohin keine Änderung seit dem Vergleich eingetreten.

Über Aufforderung des Gerichtes zweiter Instanz teilte das Erstgericht mit, daß sich die pflegschaftsgerichtliche Genehmigung laut Beschluß ON 14 auf den gesamten Vergleich bezogen habe, wobei die Unterhaltsvereinbarung aber nur als vorläufige Regelung gedacht gewesen sei; im Beschluß ON 26 sei hierauf auch Bedacht genommen worden. Über weiteres Ersuchen des Gerichtes zweiter Instanz wurde der Beschluß ON 14 dem Sachwalter am 26.4.1991 zugestellt, der gegen diesen Beschluß keine Rechtsmittel erhob.

Hierauf änderte das Gericht zweiter Instanz über den Rekurs des Vaters den Beschluß des Erstgerichtes im Sinne der Abweisung des Antrages auf erhöhte Unterhaltsbeträge. Das Gericht zweiter Instanz sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.

Das Gericht zweiter Instanz vertrat die Auffassung, daß das Erstgericht den Vergleich durch den Beschluß ON 14 auch hinsichtlich des Unterhaltes endgültig genehmigt habe. Da zu diesem Zeitpunkt die wirklichen Einkommensverhältnisse des Vaters schon bekannt gewesen seien, liege seither keine Änderung der Verhältnisse vor und einer Erhöhung der Unterhaltsbeträge stehe die Rechtskraftwirkung des Genehmigungsbeschlusses ON 14 entgegen.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs des Sachwalters ist ungeachtet des Ausspruches der zweiten Instanz zulässig und berechtigt.

Wenn das Pflegschaftsgericht in Kenntnis der wahren Einkommensverhältnisse einen Unterhaltsvergleich genehmigt oder einen Unterhaltsfestsetzungsbeschluß gefaßt hätte und ein solcher Beschluß in Rechtskraft erwachsen wäre, dann wäre eine neue Unterhaltsfestsetzung allerdings nur bei einer seither eingetretenen Änderung der Verhältnisse möglich. Davon kann aber im vorliegenden Fall keine Rede sein, sodaß die vom Gericht zweiter Instanz angeführte Rechtsprechung hier nicht paßt.

Als das Erstgericht den Beschluß ON 14 faßte, waren die wirklichen Einkommensverhältnisse des Vaters nicht bekannt. Die Mutter und der Sachwalter vertraten zwar die Ansicht, daß die beim Vergleich zugrunde gelegte Einkommenshöhe unrichtig sei; die Erhebungen über diese Behauptungen waren aber noch nicht durchgeführt. Das Erstgericht konnte zu diesem Zeitpunkt nur jenen Vergleich genehmigen, bei dem die Parteien nach den noch nicht überprüften Behauptungen einer Seite von einer unrichtigen Bemessungsgrundlage ausgegangen waren. Bloße Tatsachenbehauptungen können entgegen der Auffassung der zweiten Instanz noch nicht als neue Entscheidungsgrundlage angesehen werden. Auch den vom Rekursgericht dazu angeführten Entscheidungen von Gerichten zweiter Instanz, ist eine solche Ansicht nicht zu entnehmen. Als Ausgangsbasis für die Beurteilung einer Änderung der Verhältnisse und des Ausmaßes einer solchen Änderung sind dann aber nicht nur die nachträglich objektiv feststellbaren, für die Unterhaltsbemessung bestimmenden Umstände, sondern auch die von den Parteien übereinstimmend vorausgesetzten oder zugrunde gelegten Bemessungsfaktoren heranzuziehen (7 Ob 685/84, 3 Ob 77/90, 3 Ob 1574/90). Eine Änderung der Verhältnisse, der die Rechtskraft einer früheren Entscheidung nicht mehr entgegensteht, liegt also nicht nur vor, wenn neue Tatsachen eingetreten sind, sondern auch dann, wenn schon zur Zeit der früheren Entscheidung eingetretene Tatsachen dem Gericht erst später bekannt werden (vgl. JBl. 1972, 274).

Im Zeitpunkt der Fassung des Beschlusses ON 26 war der Beschluß ON 14 aber auch noch nicht in Rechtskraft erwachsen, weil er dem Sachwalter noch nicht zugestellt worden war. Infolge seiner verunglückten Formulierung war darüber hinaus dem Beschluß ON 14 nicht zu entnehmen, daß damit auch über den Antrag der Mutter und des Sachwalters auf Versagung der Genehmigung der im Vergleich enthaltenen Unterhaltsregelung entschieden wurde. Der Hinweis auf die Obsorge legte nahe, daß nur der die Obsorge regelnde Vergleichspunkt genehmigt werden sollte, damit für die noch ausstehende Unterhaltsregelung die Grundlage geschaffen werde, ob überhaupt der Vater zur Zahlung eines Unterhaltsbetrages verpflichtet werden könne. Das Fehlen jeder Begründung deutete darauf hin, daß das Erstgericht den Antrag der Mutter und des Sachwalters nicht abweisen wollte. Denn dann hätte gemäß § 2 Abs. 2 Z 8 AußStrG Begründungspflicht bestanden (vgl. auch § 187 AußStrG). Bei dieser Sachlage mußte jede Prozeßpartei den Beschluß ON 14 dahin verstehen, daß damit, wenn überhaupt, höchstens die Schaffung eines Exekutionstitels über die im Vergleich vereinbarten Teilbeträge der strittigen Unterhaltsansprüche ohne gleichzeitige Abweisung des längst gestellten Mehrbegehrens beabsichtigt war, oder wie das Erstgericht es in seinem Bericht an das Gericht zweiter Instanz ausdrückte, daß die im Vergleich enthaltene Unterhaltsvereinbarung nur als "vorläufige Regelung" gedacht war. Der Sachwalter konnte bei dieser Sachlage durch die Zustellung des Beschlusses ON 14 noch dazu nach ON 26 nicht erkennen, daß ein dem Wohl der Kinder widerstreitender Beschluß ergangen sei. Gerade im Außerstreitverfahren ist eine rein formalistische Betrachtungsweise nicht vertretbar. Einem in vieler Hinsicht mißverständlichen Beschluß darf keine übergroße formellrechtliche Bedeutung zugemessen werden, sondern es ist im Zweifel auf das Erzielen einer der materiellen Rechtslage entsprechenden Lösung hinzuarbeiten. Würde der Sachwalter den Beschluß ON 14 angefochten haben, hätte dieser wohl wegen Fehlens einer Begründung als nichtig aufgehoben werden können. Würde der Sachwalter diesen Beschluß bisher falsch eingeschätzt haben und einen Wiedereinsetzungsantrag gegen die Versäumung der Rechtsmittelschrift einbringen, müßte einem solchen Antrag wohl stattgegeben werden. All dies spricht gegen eine Überbewertung der Rechtskraft des Beschlusses ON 14. Durch die nachträgliche Zustellung dieses und die Unterlassung eines Rechtsmittels durch den Sachwalter konnte daher die vom Gericht zweiter Instanz angenommene Rechtskraftwirkung nicht eintreten, abgesehen davon, daß das Gericht zweiter Instanz den Beschluß des Erstgerichtes grundsätzlich nach der bei Beschlußfassung in erster Instanz gegebenen Sachlage zu überprüfen hatte (EFSlg. 61.352).

Der Beschluß des Gerichtes zweiter Instanz ging also wegen einer unrichtigen Beurteilung der Rechtskraftwirkung des Beschlusses ON 14 von einer falschen Entscheidungsgrundlage aus und durfte eine Prüfung der in zweiter Instanz strittigen Tatfragen über die Höhe des Einkommens des Vaters und die Berücksichtigung seiner Reisetätigkeit nicht unterlassen, was die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses erfordert.

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