OGH 7Ob29/91

OGH7Ob29/9110.10.1991

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Warta, Dr. Egermann, Dr. Niederreiter und Dr. Schalich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei W***** Versicherungsanstalt, ***** vertreten durch Dr. Willibald und Dr. Manfred Rath, Rechtsanwälte in Graz, wider die beklagte Partei Michael H*****, vertreten durch Dr. Egon Duschek, Rechtsanwalt in Knittelfeld, wegen S 50.038,96 und Feststellung (Gesamtstreitwert S 100.000), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 16. April 1991, GZ 1 R 276/90-18, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Kreisgerichtes Leoben vom 31. August 1990, GZ 4 Cg 31/90-12, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben und das angefochtene Urteil dahin abgeändert, daß es zu lauten hat:

"Der Beklagte ist schuldig, der klagenden Partei S 50.038,96 samt 4 % Zinsen seit 8.1.1990 sowie die mit S 28.236,40 bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz (darin S 4.339,40 Umsatzsteuer und S 2.200 Barauslagen) sowie die mit S 12.488 bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin S 1.414 Umsatzsteuer und S 4.000 Barauslagen) binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Es wird festgestellt, daß zwischen der klagenden Partei und dem Beklagten hinsichtlich der Haftpflichtversicherung des PKW Opel Ascona Kennzeichen St 217.320 im Innenverhältnis Leistungsfreiheit bis zu einem Gesamtbetrag von S 100.000, bezogen auf den vom Beklagten am 3.4.1988 mit dem PKW auf der Landesstraße 504 im Bereich des Kilometers 7,8 verschuldeten Verkehrsunfalles, bei dem die Beifahrerin Monika S***** verletzt wurde, besteht."

Der Beklagte ist ferner schuldig, der klagenden Partei die mit S 10.094 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 849 Umsatzsteuer und S 5.000 Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Beklagte verschuldete am 3.April 1988 mit dem bei der Klägerin haftpflichtversicherten PKW, Kennzeichen St 217.320, auf der Landesstraße 504 zwischen Straßenkilometer 7,8 und 7,9 einen Verkehrsunfall, bei dem seine Beifahrerin Monika S***** schwer verletzt wurde. Die Klägerin mußte als Haftpflichtversicherer für Monika S***** bisher Leistungen von 50.038,96 S erbringen.

Nach dem Unfall, der sich kurz nach Mitternacht ereignete, klagte die schwerverletzte Monika S***** über Schmerzen. Der Beklagte und nachfahrende Bekannte führten S***** daher mit dem nachkommenden PKW in das Landeskrankenhaus Knittelfeld, wobei sie dort angaben, daß Monika S***** die Verletzung durch einen Sturz über eine Stiege erlitten habe. Sie wollten die wahre Verletzungsursache verschleiern. Anschließend fuhren der Beklagte und die unverletzt gebliebenen Begleiter zum Betrieb des Vaters des Beklagten, um einen LKW für die Bergung des Unfallswracks zu holen. Etwa 1 1/2 bis 2 Stunden nach dem Unfall trafen sie an der Unfallstelle ein. Als sie mit der Bergung des Wracks beginnen wollten, kam zufällig eine Gendarmeriepatrouille vorbei, der gegenüber der Beklagte erklärte, beim Unfall sei niemand verletzt worden. Es sei nur noch ein Bursche mitgefahren, der unverletzt geblieben sei. Hätten die Gendarmen Kenntnis von den Verletzungsfolgen gehabt, so hätten sie die entsprechende Spurensicherung und insbesondere eine Überprüfung des Beklagten bezüglich seines Alkoholkonsums vorgenommen. Im Hinblick auf die Angaben des Beklagten unterblieben jedoch derartige Amtshandlungen.

Auch in der Folge verständigte der Beklagte keine Gendarmeriedienststelle. Erst erheblich später gab Monika S***** über Vorhalt des Arztes zu, daß ihre Verletzungen auf einen Verkehrsunfall zurückzuführen seien. Von dem Unfall erhielt die Gendarmerie erst am 4.4.1988 Kenntnis.

Der Beklagte hatte am Tag vor dem Unfall an einer Feier teilgenommen, hiebei nach den Feststellungen des Erstgerichtes jedoch nur geringfügig Alkohol getrunken. Die Vorinstanzen gingen davon aus, daß der Beklagte zur Unfallszeit weder alkoholisiert noch übermüdet gewesen sei.

Die Klägerin stützt ihr aus dem Spruch ersichtliches Begehren auf die vom Beklagten begangenen Obliegenheitsverletzungen nach Art 8 Abs 2 Z 2 und 4 AKHB.

Die Vorinstanzen haben das Klagebegehren abgewiesen, wobei sie die Rechtsansicht vertraten, der Beklagte habe die ihn nach § 8 Abs 2 Z 2 AKHB treffende Obliegenheit zur Aufklärung des Versicherers dadurch verletzt, daß er trotz der auf den Unfall zurückführenden Verletzung einer Mitfahrerin, die Gendarmerie nicht eingeschalten und ihr gegenüber auch unrichtige Angaben gemacht habe. Hiedurch habe er eine eingehende Überprüfung einer allfälligen Alkoholisierung verhindert. Zu einer entsprechenden Aufklärung bzw. Mitwirkung der Feststellung des Sachverhaltes sei ein Versicherter auch dann verpflichtet, wenn eine derartige Aufklärung für ihn mit Nachteilen verbunden sei. Die Obliegenheitsverletzung sei vorsätzlich begangen worden. Nach § 8 Abs 2 AKHB bewirke jedoch auch eine vorsätzliche Obliegenheitsverletzung die Leistungsfreiheit des Versicherers nur insoweit, als diese Verletzung die Leistungspflicht der Versicherungsunternehmung beeinflußt habe. Sei die Obliegenheitsverletzung auf den Eintritt des Versicherungsfalles und den Umfang der vom Versicherer zu erbringenden Leistung ohne Einfluß geblieben, so trete auch bei Vorsatz Leistungsfreiheit nicht ein. Da dem Beklagten im vorliegenden Fall der Beweis gelungen sei, daß bei ihm eine alkoholbedingte Beeinträchtigung seiner Fahrtüchtigkeit nicht vorgelegen habe, sei der Gegenbeweis, bezüglich dessen jeder Zweifel dem Beklagten zur Last fallen würde, als erbracht anzusehen.

Das Berufungsgericht hat die Revision für nicht zulässig erklärt.

Die von der Klägerin gegen die Entscheidung des Berufungsgerichtes erhobene Revision ist zulässig und auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Die Rechtslage bezüglich der Obliegenheitsverletzung, der Beweispflicht für deren Vorliegen oder Nichtvorliegen sowie der Rechtsfolgen einer solchen Verletzung hat das Berufungsgericht richtig dargestellt, weshalb diesbezüglich auf seine Ausführungen verwiesen werden kann. Zutreffend hat das Berufungsgericht auch dargelegt, daß sich der Beklagte auf ein Teilungsabkommen der Versicherungsunternehmung mit Sozialversicherungsträgern nicht berufen kann, weil ein derartiges Abkommen nicht den Zweck hat, den Schuldner von der ihn treffenden Leistungspflicht zu befreien.

Die Vorinstanzen gehen nun aufgrund verschiedener von ihnen aufgenommener Beweise davon aus, daß der Beklagte zum Zeitpunkt des Unfalles nicht durch Alkohol in seiner Fähigkeit, ein Kraftfahrzeug zu lenken, beeinträchtigt war. Dies wäre an sich ein Akt der Beweiswürdigung, den der Oberste Gerichtshof nicht überprüfen kann. Im vorliegenden Fall wurde jedoch die Verletzung der Obliegenheit zur Mitwirkung an der Aufklärung des Versicherungsfalles (§ 8 Abs 2 Z 2 AKHB) geltend gemacht und bewiesen. Zu dieser Frage (daß entsprechende Entscheidungen zu der gleichlautenden Vorgängebestimmung des § 9 Abs 2 AKHB 1985 ergangen sind, spielt keine Rolle) hat der Oberste Gerichtshof jedoch bereits in einigen Entscheidungen Stellung genommen. Er hat hiebei klargelegt, daß die erwähnte Obliegenheit dazu dient, die eigenen Angaben des Versicherten überprüfbar zu machen. Diese Bestimmung schließt daher die Möglichkeit aus, daß der Versicherer vorerst durch seine Weigerung die Aufklärung verhindert, dann aber die fehlenden Aufklärungsschritte durch seine eigenen Angaben ersetzt. Aus diesem Grund ist die bloße Parteiaussage des Versicherten zur Erbringung des Kausalitätsgegenbeweises untauglich (VersR 1986, 51 ua). In einem weiteren Fall hat der Oberste Gerichtshof einen solchen Gegenbeweis durch ein Sachverständigengutachten, das sich ausschließlich auf Angaben des Versicherten, der vorerst die Aufklärung verhindert hatte, stützt, als nicht ausreichend erachtet (ZVR 1989/110).

Im vorliegenden Fall stützen sich die Feststellungen der Vorinstanzen zwar neben der Aussage des Beklagten auch auf Aussagen weiterer Personen (die an der Verschleierung der Unfallsfolgen durch den Beklagten zumindest indirekt beteiligt waren). Der Oberste Gerichtshof erachtet auch in einem solchen Fall eine Verhinderung des Eintrittes der Leistungsfreiheit des Versicherers durch eine derartige Vorgangsweise als nicht möglich. Die fragliche Obliegenheit wurde im Interesse der Versicherungsgemeinschaft festgesetzt, um zumindest teilweise die Folgen asozialen Verhaltens, wie z.B. des Lenkens eines Kraftfahrzeuges im alkoholisierten Zustand, dem Versicherten selbst und nicht zur Gänze der Versicherungsgemeinschaft aufzuerlegen. Es müssen daher besonders strenge Anforderungen an das Verhalten eines Versicherten gestellt werden, bezüglich dessen Anhaltspunkte dafür bestehen, daß er einen Unfall im alkoholisierten Zustand verursacht hat. Um den rechtspolitischen Zielsetzungen dieser Bestimmung zu entsprechen, wird man daher jedem Versuch des Unterlaufens einer entsprechenden Aufklärung des Unfalles entgegentreten müssen. Unterdrückt der Versicherte nach einem Unfall ein für die restlose Aufklärung erforderliches Beweismittel, so steht es ihm nicht frei, den ihm obliegenden Kausalitätsgegenbeweis durch Beweismittel, von denen er annehmen darf, daß sie für ihn sprechen, zu erbringen. Vielmehr würde ein solcher wirksamer Gegenbeweis voraussetzen, daß ihm eine Beweislage zugrunde liegt, die jener gleichwertig ist, die der Versicherte durch seine Verschleierungshandlungen zerstört oder eingeschränkt hat. Es steht also dem Versicherten nicht frei, durch Verschleierungshandlungen ihm obliegende Erhebungen durch die Gendarmerie zu verhindern und dafür jene Beweisergebnisse, die im Falle der Einschaltung der Gendarmerie möglich gewesen wären, durch bloße Aussagen von ihm selbst ausgewählter Personen zu ersetzen und hiedurch trotz der durch sein Verhalten eingeschränkten Möglichkeit der Sachverhaltsermittlung deren Vollständigkeit zu suggerieren. In einem solchen Fall spielt es keine Rolle, inwieweit das Gericht die vom Versicherten präsentierten Personen für glaubwürdig erachtet oder nicht. Vielmehr kann der Kausalitätsgegenbeweis solange nicht wirksam geführt werden, solange die unterdrückten Beweismittel nicht durch gleichwertige ersetzt worden sind. Nur auf diese Weise wird dem Versicherten die Möglichkeit einer wirksamen Manipulation bezüglich der Feststellung der Unfallsfolgen genommen.

Im vorliegenden Fall wäre der Beklagte zur Einschaltung der Gendarmerie verpflichtet gewesen. Er hätte dieser gegenüber die Verletzung seiner Beifahrerin beim Unfall angeben müssen. Dies hätte aber die Gendarmerie zu einer Überprüfung des Unfallsgeschehens und insbesondere auch des Zustandes des Beklagten im Hinblick auf eine allfällige Alkoholbeeinträchtigung geführt. Eine solche Überprüfung kann durch die Aussage von Zeugen lange Zeit nach dem Unfall nicht ersetzt werden. Ob die Unterdrückung der sich aufgrund einer wahrheitsgemäßen Anzeige bei der Gendarmerie ergebenden Beweislage auf andere gleichwertige Weise ersetzt werden kann und welche Beweismittel hiefür in Frage kommen, muß hier nicht untersucht werden. Die vom Beklagten nach seiner Willkür geschaffene Beweislage ist jedenfalls derjenigen, die sich bei pflichtgemäßem Vorgehen ergeben hätte, nicht annähernd gleichwertig. Sie konnte daher auch ohne Würdigung der vom Beklagten angebotenen Beweise keinesfalls als zur Erbringung des Kausalitätsgegenbeweises tauglich erachtet werden.

Es ergibt sich sohin, daß die Vorinstanzen die prinzipielle Frage der Tauglichkeit eines Kausalitätsgegenbeweises im Sinne des § 8 Abs 2 Z 2 AKHB unrichtig beurteilt haben. Dies führt einerseits zur Zulässigkeit der Revision und andererseits zur Klagsstattgebung.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO. Ein nicht verbrauchter Kostenvorschuß konnte nicht als Barauslagenersatz zuerkannt werden. Bei der Addition der Berufungskosten unterlief dem Klagevertreter ein Rechenverstoß.

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