OGH 4Ob554/91

OGH4Ob554/9110.9.1991

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Prof.Dr. Friedl als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr. Gamerith, Dr. Kodek, Dr. Niederreiter und Dr. Redl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Margarethe M*****, vertreten durch Dr. Otto Ackerl, Rechtsanwalt in Wien, und des ihr beigetretenen Nebenintervenienten Dr. F***** K*****, vertreten durch Dr. Franz Dobersberger, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagten Parteien 1. Dr. Robert P*****, vertreten durch DDr. Berthold Moser, Rechtsanwalt in Salzburg, 2. Christa K*****, vertreten durch Dr. Lennart Binder, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 154.176,34 sA, infolge außerordentlichen Revisionsrekurses des Nebenintervenienten gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien vom 5. Juni 1991, GZ 12 R 88/91-113, womit der Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 8. November 1989, GZ 10 Cg 38/85-81, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Der Rechtsmittelwerber hat die Kosten des Revisionsrekurses selbst zu tragen.

Text

Begründung

Mit der Behauptung, der am 21.Dezember 1982 verstorbene Rechtsanwalt Dr. V***** habe in ihrem und ihres - am 23.Jänner 1984 verstorbenen - Gatten ***** Auftrag bestimmte Geldbeträge eingetrieben, aber nicht abgeliefert, begehrte die Klägerin von den beiden Beklagten als den Erben nach Dr. V***** zunächst insgesamt S 332.561,80 sA. Nachdem im Verfahren zwischen der Klägerin und dem Erstbeklagten am 14.Februar 1989 Ruhen eingetreten war, schränkte die Klägerin ihr Begehren gegen die Zweitbeklagte auf S 154.176 sA ein.

Die Beklagten beantragen die Abweisung des Klagebegehrens.

Mit Schriftsatz vom 27.März 1986 erklärte Dr.F***** seinen Beitritt als Nebenintervenient auf der Seite der Klägerin (ON 29). Die Zweitbeklagte beantragt die Zurückweisung des Nebenintervenienten (ON 80).

Mit Beschluß vom 8.November 1989 wies der Erstrichter den Antrag der Zweitbeklagten, die Nebenintervention nicht zuzulassen, ab (ON 81).

Am 22.November 1989 lehnte die Zweitbeklagte den Erstrichter wegen Befangenheit ab. Da sie dem gerichtlichen Auftrag, ihren Schriftsatz durch Unterfertigung eines Rechtsanwaltes zu verbessern, nicht fristgerecht nachkam, wies der zuständige Senat des Erstgerichtes ihren Ablehnungsantrag mit Beschluß vom 10. April 1990 zurück. Aus dem gleichen Grund wies das Erstgericht auch den dagegen von der Zweitbeklagten persönlich erhobenen Rekurs mit Beschluß vom 4.September 1990 zurück (Akt 45 Nc 8/90).

Mit Urteil vom 23.November 1990 gab der Erstrichter der Klage statt (ON 98). Mit der dagegen erhobenen Berufung verband die Zweitbeklagte auch einen Rekurs gegen den Beschluß ON 81 über die Zulassung des Nebenintervenienten.

Mit dem angefochtenen Beschluß wies das Rekursgericht die Erklärung Dr. F*****s, dem Verfahren als Nebenintervenient auf der Seite der Klägerin beizutreten, zurück, unterbrach das Berufungsverfahren bis zur Rechtskraft seines Beschlusses und sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Aus den in der Beitrittserklärung angeführten Gründen ergebe sich nur ein wirtschaftliches, nicht aber das nach § 17 Abs.1 ZPO erforderliche rechtliche Interesse Dr. F*****s am Obsiegen der Klägerin.

Gegen diesen Beschluß wendet sich der außerordentliche Revisionsrekurs des Nebenintervenienten mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluß als nichtig aufzuheben und den Rekurs der Beklagten gegen den Beschluß ON 81 als verspätet zurückzuweisen, hilfsweise die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Rekursgericht zurückzuverweisen.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zwar zulässig, weil zu der hier maßgeblichen Frage der Auslegung des § 515 ZPO - soweit überblickbar - Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes fehlt; er ist aber nicht berechtigt.

Der Beschluß des Erstrichters, mit dem er (dem Sinne nach) die Nebenintervention Dr. F*****s für zulässig erklärt hat, konnte nicht durch ein abgesondertes Rechtsmittel angefochten werden (§ 18 Abs.4 ZPO). In den Fällen, in denen nach den Bestimmungen der ZPO gegen einen Beschluß ein abgesondertes Rechtsmittel versagt ist, können gemäß § 515 ZPO die Parteien "ihre Beschwerden" gegen diesen Beschluß mit dem gegen die nächstfolgende anfechtbare Entscheidung eingebrachten Rechtsmittel zur Geltung bringen.

In dem hier zu beurteilenden Fall ist nach der Verkündung des nicht abgesondert anfechtbaren Beschlusses ON 81 und noch vor der Zustellung des Endurteils ein Beschluß ergangen, den die Zweitbeklagte sehr wohl selbständig anfechten konnte, nämlich der Beschluß, mit dem ihre Ablehnung des Erstrichters zurückgewiesen wurde; dennoch hat die Zweitbeklagte den vorbehaltenen Rekurs erst mit ihrer Berufung gegen das Urteil verbunden. Damit erhebt sich die Frage, ob die Partei, die einen vorbehaltenen Rekurs ergreifen will, bei sonstigem Ausschluß des Rechtsmittels die nächste anfechtbare Entscheidung, durch welche sie sich beschwert erachtet, bekämpfen muß.

Dazu hat der Oberste Gerichtshof - soweit

ersichtlich - ausdrücklich nur in seiner "Beantwortung der Fragen, welche dem Justizministerium über Bestimmungen der neuen Processgesetze vorgelegt wurden" (veröffentlicht in JMVBl 1897/44) Stellung genommen. Dort hat er zu § 515 ZPO ausgeführt:

"Die Beschwerden gegen Beschlüsse, wider welche ein abgesondertes Rechtsmittel versagt ist, können die Parteien schon mit dem gegen die nächstfolgende anfechtbare Entscheidung angebrachten Rechtsmittel, wenn sie dies aber unterlassen haben, mit dem gegen die Endentscheidung (Urtheil, Endbeschluss) erhobenen Rechtsmittel zur Geltung bringen. Da das Gesetz den Parteien nur gestattet, ihre Beschwerden, wo es ihnen nöthig scheint, schon vor der Endentscheidung, und zwar möglichst bald nach den zur Beschwerdeführung Anlaß gebenden Beschlusse vorzubringen, so hat die Zurückhaltung der Beschwerdeführung den Ausschluss dieser Beschwerde nicht zur Folge. Beschwerden, welche nicht mit dem gegen die nächstfolgende anfechtbare Entscheidung etwa angebrachten Rechtsmittel zur Geltung gebracht wurden, können nur mehr mit dem Rechtsmittel gegen die Endentscheidung verbunden werden.....".

Pollak (System des Österreichischen Zivilprozeßrechtes mit Einschluß des Exekutionsrechtes2, 570) lehrt hingegen, daß ein nicht abgesondert anfechtbarer Beschluß "erst mit dem nächsten anfechtbaren Beschluß und nur dann angefochten werden darf, wenn dieser nächste wirklich angefochten wird.....; unterbleibt das, so wird also mit dem zweiten auch der erste Beschluß unanfechtbar." Neumann (Kommentar zu den Zivilprozeßgesetzen4 II 1383) folgt demgegenüber der Rechtsansicht des Obersten Gerichtshofes und hebt nur hervor, daß es im Interesse der Partei liegen kann, schon die nächste Gelegenheit zur Geltendmachung der Beschwerde zu ergreifen. Dagegen vertritt Wolff (Grundriß des österreichischen Zivilprozeßrechts2, 366) die gleiche Auffassung wie Pollak ("Ergeht vielmehr nach dem nicht abgesondert anfechtbaren ein selbständig anfechtbarer Beschluß und wird dieser nicht angefochten, so kann auch der vorhergegangene Beschluß nicht mehr angefochten werden"). Eine vermittelnde Lösung finden Petschek-Stagel (Der österreichische Zivilprozeß 398): § 515 ZPO spreche vom "eingebrachten" Rechtsmittel, d.h. die Beschwerde könne mit demjenigen Rechtsmittel verbunden werden, zu dessen Erhebung der durch die frühere Entscheidung Beschwerte Anlaß hat; maßgebend sei somit nicht die nächstfolgende anfechtbare Entscheidung, sondern das nächstfolgende faktisch erhobene Rechtsmittel. Wer aber die Beschwerde nicht mit dem nächstfolgenden Rechtsmittel verbindet, könne nur noch das Berufungsgericht zur Beseitigung des nicht angefochtenen Beschlusses anregen (§ 462 Abs.2 ZPO), aber nicht eine wahre Beschwerde mit der Berufung verbinden; d.h. er habe keinen Anspruch auf eine sich mit jenem Beschluß befassende Entscheidung des Berufungsgerichtes und erreiche seine Beseitigung nur dann, wenn die von ihm geltend gemachten Berufungsgründe jenen Beschluß betreffen und das Berufungsgericht zu dessen Beseitigung Anlaß finde. Während Holzhammer (Österreichisches Zivilprozeßrecht2, 340) und Ballon (Einführung in das österreichische Zivilprozeßrecht - Streitiges Verfahren2,

226) ohne jede Begründung ausführen, daß der vorbehaltene Rekurs nach Wahl der Partei gemeinsam mit der nächsten anfechtbaren Entscheidung oder mit der Endentscheidung erhoben werden kann, begründet Fasching (IV 392 f und LB2 Rz 1973) diese Ansicht ausführlich. Schon der Wortlaut des § 515 ZPO, der von "können" spricht, zeige, daß den Parteien nur die Möglichkeit eingeräumt werden sollte, solche Rekurse gegen nicht selbständig anfechtbare Beschlüsse bereits mit dem Rekurs gegen die nächste anfechtbare Entscheidung zu verbinden, so daß sie nicht bis zur Anfechtung der Endentscheidung warten müssen. Auch § 462 Abs.2 ZPO, der nur die bereits rechtskräftig gewordenen selbständig anfechtbaren Beschlüsse und die gänzlich unanfechtbaren Beschlüsse der Beurteilung durch das Berufungsgericht entzieht, spreche für die Auslegung, daß der Partei die Möglichkeit offenbleibe, erst mit dem Rechtsmittel gegen die Endentscheidung die Überprüfung des nicht abgesondert anfechtbaren Beschlusses zu begehren. Dieses Recht könne sie auch nicht dadurch verlieren, daß sie inzwischen eine vor der Endentscheidung liegende Entscheidung angefochten hat, ohne damit den vorbehaltenen Rekurs zu verbinden.

Der erkennende Senat schließt sich dieser in der heutigen Lehre herrschenden Meinung an. Für ihre Richtigkeit spricht neben dem Wortlaut der §§ 515 und 462 Abs.2 ZPO auch der rechtspolitische Zweck des "aufgeschobenen" (verbundenen, vorbehaltenen) Rekurses, soll doch damit im Interesse der Prozeßbeschleunigung die Möglichkeit geschaffen werden, daß eine Partei mit der Anfechtung bestimmter verfahrensleitender Beschlüsse, die gegen ihren Willen ergangen sind, so lange zuwarten kann, bis sie eindeutig erkennt, ob diese Beschlüsse ihr auch tatsächlich zum Nachteil gereichen; sie kann ja im Hinblick auf den Ausgang des Prozesses das ursprünglich vorhandene Interesse an der Bekämpfung einer solchen Entscheidung - etwa auf Zulassung eines Dritten zur Nebenintervention - verlieren.

Gegen die Auffassung, daß die Partei auch dann mit der Erhebung des aufgeschobenen Rekurses bis zur Endentscheidung (oder dem Zeitpunkt, da feststeht, daß weitere anfechtbare Entscheidungen nicht mehr erfließen können: SpR 215; JBl 1977, 99 u.a.) zuwarten kann, wenn sie einen mittlerweile ergangenen selbständig anfechtbaren Beschluß unangefochten läßt, führt der Rechtmittelwerber nichts ins Treffen; er teilt offenbar diese Meinung. Soweit er - vor allem unter Hinweis auf Petschek-Stagel - den Standpunkt einnimmt, daß eine Partei, die vor der Zustellung der Endentscheidung einen Rekurs erhebt, mit diesem bei sonstigem Verlust den vorbehaltenen Rekurs verbinden müsse, kann ihm nicht gefolgt werden, spricht doch § 515 ZPO nur davon, daß die Parteien ihre Beschwerden mit dem gegen die nächstfolgende anfechtbare Entscheidung eingebrachten Rechtsmittel zur Geltung bringen können, nicht aber, daß sie dies tun müßten. Die oben zur Prozeßökonomie angestellten Erwägungen gelten auch hier in vollem Umfang. Die von Petschek-Stagel vorgeschlagene Lösung, daß das Berufungsgericht in einem solchen Fall (nur) von Amts wegen - auf bloße Anregung hin - solche unanfechtbar gebliebenen Beschlüsse beseitigen könne, widerspricht dem Wortlaut des § 462 Abs.2 ZPO und der Systematik des Gesetzes. Im übrigen übersieht der Rechtmittelwerber, daß die Zweitbeklagte den - selbständig anfechtbaren - Beschluß auf Zurückweisung ihrer Ablehnung hier in Wahrheit gar nicht (wirksam) angefochten hat. Eine Eingabe, die infolge formeller Mängel - wie etwa wegen Fehlens der Unterschrift eines Rechtsanwaltes - zurückgewiesen wird, ist kein Rechtsmittel und führt demnach nicht zum Verbrauch des Rechtsmittelrechtes (RZ 1964, 202; RZ 1983/23; 3 Ob 513/84 u.v.a.). Von einer Verspätung des aufgeschobenen Rekurses der Zweitbeklagten und der dadurch eingetretenen Rechtskraft des Beschlusses auf Zulassung der Nebenintervention kann demnach keine Rede sein.

Auch der weitere im Rechtsmittel geltend gemachte Nichtigkeitsgrund liegt nicht vor:

Der Revisionsrekurswerber verweist - wie in der Berufungsbeantwortung - darauf, daß gegen die Zweitbeklagte beim Bezirksgericht Innere Stadt Wien zu 6 SW 26/89 ein Verfahren zur Bestellung eines Sachwalters anhängig gemacht worden sei. Aus diesem - vom Obersten Gerichtshof beigeschafften - Akt ergibt sich aber, daß das Verfahren bereits eingestellt ist, weil nach Meinung des Rekursgerichtes keinerlei konkret begründete Anhaltspunkte für das Vorliegen einer psychischen Krankheit oder einer geistigen Behinderung vorhanden waren. An diese Entscheidung ist auch das Prozeßgericht gebunden (§ 6 a Satz 2 ZPO).

Die vom Revisionsrekurswerber aufgezeigten "aggressiven und auffälligen, jedenfalls ungewöhnlichen Äußerungen" der Zweitbeklagten in ihrem Ablehnungsantrag können nicht als Anzeichen für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 273 ABGB gewertet werden.

Dem Revisionsrekurs mußte somit ein Erfolg versagt bleiben.

Der Kostenausspruch gründet sich auf §§ 40, 50 ZPO.

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