OGH 11Os94/91

OGH11Os94/9110.9.1991

Der Oberste Gerichtshof hat am 10.September 1991 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Walenta, Dr. Felzmann, Dr. Rzeszut und Dr. Hager als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Hofbauer als Schriftführerin in der Strafsache gegen Rudolf W***** wegen des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs. 1 erster Fall StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Linz als Schöffengericht vom 10. Juni 1991, GZ 27 Vr 259/91-29, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 1.Jänner 1952 geborene Rudolf W***** (1.) des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach dem § 207 Abs. 1 erster Fall StGB sowie der Vergehen

(2.) des Mißbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach dem § 212 Abs. 1 erster Fall StGB, (3.) des Quälens oder Vernachlässigens unmündiger, jüngerer oder wehrloser Personen nach dem § 92 Abs. 1 erster Fall StGB und (4.) der versuchten Nötigung nach den §§ 15, 105 Abs. 1 StGB schuldig erkannt. Darnach hat er in Linz (1. und 2.) ab Frühjahr 1986 bis Mitte Jänner 1991 (in wiederholten Angriffen) seine am 22.April 1977 geborene, somit (damals) unmündige Stieftochter Bettina W***** durch intensives Betasten ihrer Brüste sowie durch Einführen eines Fingers in ihre Scheide, auf andere Weise als durch Beischlaf zur Unzucht mißbraucht,

(3.) seit Anfang 1989 seinen beiden Stiefkindern Bettina W***** und Jürgen K***** (geboren 1980), sowie seinen ehelichen Kindern, Marina (geboren 1985), Marko (geboren 1987) und Sascha (geboren 1989) W*****, die seiner Obhut unterstanden und das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hatten, durch fortgesetzte körperliche Mißhandlungen, insbesondere durch Versetzen von Faustschlägen gegen den Kopf, durch Schläge ins Gesicht und durch Ausreißen von Haarbüscheln, körperliche und seelische Qualen, nämlich Schmerzen und bleibende Angstzustände zugefügt; (4.) im Jänner 1991 Sonja H***** durch die gegenüber seiner Gattin Margarethe W***** abgegebene Äußerung "wenn du die Sonja siehst, dann richte ihr aus, daß, wenn sie keine Ruhe gibt, ich ihr ein paar in die 'Goschn hau' oder ihr gleich die Bratpfanne aufsetze und ob sie dann noch aufsteht oder nicht, ist mir egal", somit durch gefährliche Drohung zumindest mit der Zufügung einer Körperverletzung zur Unterlassung des Einmischens in seine Familienangelegenheiten und zur Abstandnahme von einer Anzeigeerstattung beim Jugendamt zu veranlassen versucht.

Rechtliche Beurteilung

Der Angeklagte bekämpft seine Schuldsprüche mit einer nominell auf § 281 Abs. 1 Z 5 und 9 lit. a StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde.

Dieser Beschwerde kommt schon Berechtigung zu, soweit sich die Mängelrüge (Z 5) unter Hinweis darauf, daß sich die Zeuginnen Margarethe und Bettina W***** in der Hauptverhandlung gemäß dem § 152 Abs. 1 Z 1 StPO der Aussage entschlugen, gegen die Verwertung der Angaben der Bettina W***** anläßlich der Befundaufnahme durch den jugendpsychiatrischen Sachverständigen Prim. Dr. GERSTL sowie (auch) der - trotz Entschlagung in der Hauptverhandlung verlesenen (S 181) - Aussage der Margarethe W***** vor dem Untersuchungsrichter als Feststellungsgrundlagen wendet und damit der Sache nach zutreffend den Nichtigkeitsgrund gemäß dem § 281 Abs. 1 Z 3 StPO geltend macht. Läuft doch die mündliche Wiedergabe von Angaben, die entschlagungsberechtigte Personen bei der Befundaufnahme durch den Sachverständigen machten, in der Hauptverhandlung und die Verwertung eines derartigen Beweismaterials bei der Urteilsfindung im Ergebnis auf eine Umgehung des Entschlagungsrechtes nach dem § 152 Abs. 1 StPO (Mayerhofer-Rieder3 ENr. 19 zu § 281 Z 3 StPO), somit auf einen nach dem Gesetz unter Nichtigkeitssanktion stehenden Verfahrensverstoß hinaus, der gemäß dem § 281 Abs. 3 StPO nur dann nicht zum Vorteil des Angeklagten geltend gemacht werden kann, wenn unzweifelhaft erkennbar ist, daß die Formverletzung auf die Entscheidung keinen dem Angeklagten nachteiligen Einfluß üben konnte. Diese Voraussetzung trifft aber im konkreten Fall nicht zu, weil sich die tatrichterlichen Feststellungen zu den "sexuellen Belästigungen" primär ausdrücklich auf die Angaben der Bettina W***** vor dem jugendpsychiatrischen Sachverständigen stützen (S 192).

Da sich das angefochtene Urteil im übrigen auch auf die Aussage der Zeugin Margarethe W***** beruft und dabei nicht zwischen der polizeilichen und der untersuchungsrichterlichen Vernehmung differenziert (S 191, 192), ist der mit der Verlesung der gerichtlichen Beweisaussage dieser Zeugin in der Hauptverhandlung unterlaufene Verfahrensverstoß nicht anders zu beurteilen.

Der Einfluß dieser Verfahrensfehler auf die tatrichterliche Gesamtwürdigung der sicherheitsbehördlichen Angaben der Zeugin Margarethe W*****, deren (für allfällige Aufklärungsanliegen des Angeklagten offene) Erörterung in der Hauptverhandlung und Mitberücksichtigung bei der Wahrheitsfindung trotz der Entschlagungserklärung prozessual zulässig war (RZ 1987/62 I; ÖJZ 1991 S 425, 426), läßt sich nach Lage des Falles nicht zuverlässig auf einzelne Urteilsfakten begrenzen, weshalb sich schon bei der nichtöffentlichen Beratung über die Nichtigkeitsbeschwerde zeigt, daß das angefochtene Urteil zur Gänze aufzuheben und die Anordnung einer neuen Hauptverhandlung nicht zu vermeiden ist (§ 285 e StPO).

Damit erübrigt sich ein Eingehen auf die weiteren Beschwerdeargumente.

Mit seiner hiedurch gegenstandslos gewordenen Berufung war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte