OGH 9ObA178/91

OGH9ObA178/9128.8.1991

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Gamerith und Dr. Jelinek sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Wolfgang Dorner und Mag. Karl Dirschmied als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei J***** A*****, Angestellte, ***** vertreten durch *****, Sekretär der Kammer für Arbeiter und Angestellte *****, dieser vertreten durch *****, Rechtsanwalt *****, wider die beklagte Partei B***** GesmbH, *****, vertreten durch *****, Rechtsanwalt *****, wegen S 18.600 brutto sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 11. Juni 1991, GZ 13 Ra 42/91-10, womit infolge der Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 18. Jänner 1991, GZ 18 Cga 292/90-6, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 3.264 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 544 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin wurde unter Anrechnung ihrer Vordienstzeit ab 1. August 1988 in ein Dienstverhältnis als Filialleiterin bei der beklagten Partei übernommen. Vom 25. August 1989 bis 29. Juni 1990 befand sie sich in Karenzurlaub. Mit Schreiben vom 11. Juni 1990 kündigte die beklagte Partei unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist von zwei Monaten mit 31. Juli 1990 zum 30. September 1990 das Dienstverhältnis auf und teilte der Klägerin mit, daß sie in der Zeit vom 30. Juni 1990 bis zum Ende des Dienstverhältnisses am 30. September 1990 unter Fortzahlung ihrer Bezüge von jeglicher Dienstleistung freigestellt werde. Mit Schreiben der Gewerkschaft der Privatangestellten vom 20. September 1990 teilte die Klägerin der beklagten Partei mit, daß die Kündigung vom 11.Juni 1990 gemäß den §§ 10 und 15 Abs 4 MSchG rechtsunwirksam sei und erklärte sich ab 1. Oktober 1990 arbeitsbereit. Mit Schreiben vom 19. Oktober 1990 kündigte die beklagte Partei für den Fall der Rechtsunwirksamkeit der Kündigung vom 11. Juni 1990 das Dienstverhältnis mit 31. Oktober 1990 zum 31. Dezember 1990 und stellte die Klägerin bis 31. Dezember 1990 vom Dienst frei.

Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin das der Höhe nach unstrittige Oktober-Gehalt 1990 mit der Begründung, daß die am 11. Juni zum 30. September 1990 ausgesprochene Kündigung rechtsunwirksam gewesen sei.

Die beklagte Partei beantragt Klagsabweisung und wendet ein, daß die Kündigung vom 11. Juni 1990 per 31. Juli 1990 zum 30. September 1990 unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist rechtswirksam sei, weil das Dienstverhältnis auch bei einem Kündigungsausspruch nach Ende der Schutzfrist zum 30. September 1990 hätte beendet werden können. Für die Klägerin ergebe sich daher keine Schlechterstellung.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es meinte, die beklagte Partei habe mit Schreiben vom 11. Juni 1990 das Dienstverhältnis der Klägerin per 31. Juli 1990, sohin nach Ablauf der vierwöchigen Frist nach Beendigung des Karenzurlaubes, zum 30. September 1990 unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist von zwei Monaten aufgelöst. Da im Kündigungsschreiben ausdrücklich angeführt worden sei, daß das Dienstverhältnis mit 31. Juli zum 30. September 1990 gekündigt werde, sei die Kündigung nicht während der Schutzfrist ausgesprochen worden, sondern es sei das Kündigungsschreiben nur als Vorankündigung einer mit gleichem Schreiben per 31. Juli zum 30. September 1990 ausgesprochenen Kündigung zu werten. Sinn der gesetzlichen Schutzbestimmung sei es, daß der Beginn der Kündigungsfrist nicht vor Ablauf der vierwöchigen Schutzfrist zu laufen beginnen dürfe. Der Zweck der Schutzfrist sei durch das Kündigungsschreiben vom 11. Juni 1990 nicht verletzt worden.

Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil im Sinn des Klagebegehrens ab und sprach aus, daß die Revision zulässig sei. Aus § 10 Abs 5 MSchG iVm § 15 Abs. 4 MSchG ergebe sich eindeutig, daß eine während der Schutzfrist entgegen § 10 Abs 1 bis 3 MSchG ausgesprochene Kündigung unwirksam sei. Der Kündigungsschutz des MSchG stelle auf das Zugehen der Kündigungserklärung und nicht auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses ab. Dieses könne daher nicht nur nicht während der Schutzfrist beendet werden, sondern die Kündigung könne auch während der Schutzfrist nicht rechtswirksam ausgesprochen werden, und zwar auch dann nicht, wenn das Ende der Kündigungsfrist nicht mehr in die Schutzfrist falle (Arb 5164; 9883). Dies gelte auch dann, wenn die gesamte Kündigungsfrist außerhalb der Schutzfrist liege. Der Schutzzweck der Regelung bestehe nämlich darin, von der (werdenden) Mutter jegliche ihre Existenzgrundlage betreffende Beunruhigung fernzuhalten.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der beklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache mit dem Antrag, das Ersturteil wiederherzustellen; hilfsweise stellt sie auch einen Aufhebungsantrag.

Die Klägerin beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Die Revision ist zwar mangels Vorliegens einer einschlägigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zulässig; sie ist aber sachlich nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Nach § 10 Abs 1 MSchG können Dienstnehmerinnen während der Schwangerschaft und bis zum Ablauf von vier Monaten nach der Entbindung nicht rechtswirksam gekündigt werden. Nach § 10 Abs 5 MSchG ist eine entgegen Abs 1 (und der hier nicht zur Diskussion stehenden Abs 2 und 3) ausgesprochene Kündigung rechtsunwirksam. Nach § 15 Abs 4 MSchG erstreckt sich der Kündigungsschutz des § 10 MSchG bis zum Ablauf von vier Wochen nach Beendigung des Karenzurlaubes, wenn ein solcher gewährt wird.

Der Oberste Gerichtshof hat in Arb 5164 (noch auf Grund der Rechtslage des im wesentlichen gleichlautenden § 6 MSchG DRGBl I 321/1942) und in Arb 9883 - von der Lehre gebilligt - die Auffassung vertreten, daß der Kündigungsschutz des Mutterschutzgesetzes nicht nur bedeutet, daß das Dienstverhältnis während der Schutzfrist durch Dienstgeberkündigung nicht beendet werden kann, sondern darüber hinaus, daß während der Schutzfrist eine Kündigung rechtswirksam nicht ausgesprochen werden kann, und zwar auch dann nicht, wenn das Ende der Kündigungsfrist nicht mehr in die Schutzfrist fällt. Der diesen Fällen zugrundeliegende Sachverhalt unterscheidet sich von dem vorliegenden dadurch, daß dort - wenn die Kündigung vor dem Ende der Schutzfrist wirksam gewesen wäre - das Dienstverhältnis früher geendet hätte als dann, wenn die Arbeitnehmerin erst nach Ende der Schutzfrist gekündigt worden wäre. Ihr wurde dort also unzulässigerweise die gesetzliche Kündigungsfrist verkürzt, so daß die Kündigung schon aus diesem Grund unwirksam sein muß. Der Schutzzweck dieser Norm besteht nämlich darin, daß der Mutter der Arbeitsplatz für eine gewisse Zeit gesichert sein soll.

Im vorliegenden Fall ist durch die Kündigung während der Schutzfrist eine Verkürzung des Dienstverhältnisses nicht eingetreten, weil die Klägerin erst für einen Zeitpunkt (Kündigungstermin) gekündigt worden ist, zu dem sie auch nach dem Ende der Schutzfrist wirksam hätte gekündigt werden können. Ihr ist daher durch die "vorgezogene" Kündigung kein finanzieller Nachteil erwachsen. Es trifft auch zu, daß sie sogar den Vorteil hatte, sich bereits länger auf das bevorstehende Ende ihres Arbeitsverhältnisses einzustellen und sich daher bereits früher um einen anderen Arbeitsplatz umsehen konnte. Dennoch führen diese Umstände aus nachstehenden Erwägungen nicht dazu, daß die Kündigung während der Schutzfrist als wirksam angesehen werden kann:

Geht man vorerst vom Wortlaut des § 10 Abs 5 MSchG aus, ist eine Kündigung, die während der Schutzfrist ausgesprochen wurde, rechtsunwirksam. Die Kündigung ist nämlich eine einseitige, empfangsbedürftige, aber nicht annahmebedürftige Willenserklärung einer Partei; sie verfolgt den Zweck, das auf unbestimmte Zeit abgeschlossene Arbeitsverhältnis unter Einhaltung der im Gesetz, Kollektivvertrag oder Arbeitsvertrag vorgeschriebenen Fristen und Termine zu einem bestimmten Endtermin aufzulösen. Sie bewirkt, daß das Arbeitsverhältnis in das Auflösungsstadium (mit den damit ausgelösten Rechtsfolgen) versetzt wird und mit Ablauf der Kündigungsfrist endet. Die Kündigung wird mit dem Zugang ihrer Erklärung wirksam (Arb 5164 ua; Martinek-Schwarz-Schwarz 376 ff, 410 ua).

Die oben angestellte Erwägung, daß die Klägerin im vorliegenden Fall durch die "vorgezogene" Kündigung keine finanzielle Einbuße gegenüber einer Kündigung nach Ende der Schutzfrist erlitten hätte, rechtfertigt nicht die Bestimmung des § 10 Abs 5 MSchG entgegen ihrem Wortlaut und der sich hieraus ergebenden dogmatischen Konsequenz einschränkend dahin zu interpretieren, daß eine solche "vorgezogene" Kündigung in eine Kündigung unmittelbar nach Ablauf der Schutzfrist und damit in eine wirksame umgeduetet wird. Der im Arb 10409 ausgesprochene Gedanke, daß unter Kündigungsfrist iS des § 9 Abs 1 Z 4 UrlG nicht die im Gesetz zwingend vorgeschriebene, sondern die dem gekündigten Arbeitnehmer tatsächlich eingeräumte Kündigungsfrist zu verstehen ist, kommt hier nicht zum Tragen. Der Zweck des Kündigungsschutzes nach dem MSchG besteht nämlich nicht nur darin, der Mutter den Arbeitsplatz für einen gewissen im Gesetz geregelten Zeitraum zu erhalten, sondern sie auch vor der Beunruhigung einer Kündigung zu bewahren (ausführlich Arb 5164 mit Bezug auf die Absicht des historischen Gesetzgebers, die zufolge der insoweit wortgleichen Übernahme durch den österreichischen Gesetzgeber im LandarbeitsG noch Gültigkeit hat). Diese Absicht des früheren Gesetzgebers hat der nunmehrige Gesetzgeber bei der Neufassung des MSchG 1957 bekräftigt. Die RV (197 BlgNR VIII GP, 13) verweist ausdrücklich darauf, daß die vorgesehene Regelung eine Kündigung während der Dauer des Schutzes auch für den Zeitraum nach Ablauf desselben ausschließen soll. Wenn auch anzunehmen ist, daß der Gesichtspunkt der Vermeidung jeder Beunruhigung der Mutter eher wegen des Schutzes der werdenden Mutter im Gesetz in dieser Form seinen Niederschlag gefunden hat, gibt es keinen Anhaltspunkt, den Schutz insoweit nur auf diese zu erstrecken und entgegen dem Wortlaut des Gesetzes eine "vorgezogene" Kündigung nach der Entbindung als wirksam anzusehen, sofern dadurch nur nicht auch das Ende des Arbeitsverhältnisses vorverlegt wird, weil die Mutter auch nach der Entbindung schutzwürdig ist. Es ist vielmehr dem Arbeitgeber zuzumuten, die Kündigung gesetzeskonform erst nach Beendigung der Schutzfrist auszusprechen, da ihm aus einer derartigen Vorgangsweise keinerlei Nachteil erwächst. Er ist zwar nicht gehindert, der Arbeitnehmerin zu deren leichteren Disposition seine Absicht vorweg mitzuteilen, muß aber nach Ende der Schutzfrist die Kündigung ordnungsgemäß aussprechen. Für die Umdeutung einer vorzeitigen und daher unwirksamen Kündigung in eine Ankündigung mit späterem automatischen Wirksamwerden fehlt jegliche gesetzliche Grundlage. Sie ergibt sich auch nicht aus dem Erklärungsinhalt.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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