OGH 2Ob26/91

OGH2Ob26/9112.6.1991

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Melber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kropfitsch, Dr. Zehetner, Dr. Niederreiter und Dr. Schinko als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Hermann T*****, vertreten durch Dr. Reinhard Kohlhofer, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei A***** Versicherungs-AG, ***** vertreten durch Dr. Wolfgang Waldeck, Dr. Hubert Hasenauer, Rechtsanwälte in Wien, wegen Leistung und Feststellung (Gesamtstreitwert S 801.000,--), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 7. Februar 1991, GZ 12 R 209/90-23, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 18. Mai 1990, GZ 17 Cg 707/89-15, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben und das angefochtene Urteil aufgehoben; zugleich wird auch das Urteil des Erstgerichtes aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind als weitere Verfahrenskosten zu behandeln.

Text

Begründung

Am Abend des 7. Februar 1988 fuhr der Kläger mit seinem Bekannten Werner B***** nach Deutschland. Am 8. Februar gegen 22 Uhr übernahm Werner B***** nach einer Rast das Steuer des PKW BMW Coupe 635 Csi. Um ca. O Uhr 15 des 9. Februar 1988 geriet das von B***** gelenkte Fahrzeug im Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland auf Schnee bzw. Schneematsch ins Schleudern. Der PKW drehte sich und kam auf der linken Fahrbahnseite leicht schräg zur Fahrtrichtung zu stehen. Während B***** versuchte, den abgestorbenen Motor wieder zu starten, prallte Josef B***** mit dem Peugeot, amtliches Kennzeichen M-*****, gegen den stehenden PKW. Josef B***** erlitt tödliche Verletzungen, der Kläger wurde schwer verletzt.

Eigentümer und Halter des von B***** gelenkten Unfallwagens BMW Coupe 635 Csi. war zunächst Franz S*****. Dieser verkaufte das Auto dem Kläger, welcher es an Peter M***** weiterveräußerte. M***** übergab dem Kläger zur Besicherung der Kaufpreisforderung einen Blankowechsel und einen Schuldschein sowie einen PKW Ford Escort Diesel. Bis zur Zahlung des Kaufpreises sollte der Kläger dieses Fahrzeug benützen dürfen. Peter M***** meldete in der Folge den BMW beim Verkehrsamt in Wien an und schloß mit der Beklagten einen Haftpflichtversicherungsvertrag. Die Versicherungsprämie bezahlte er nicht.

Einige Wochen nach der Übergabe vereinbarten Peter M***** und der Kläger, daß der Ford Escort an M***** zurückgegeben werde und der Kläger den BMW als Sicherstellung für die Kaufpreisforderung erhalte. Die Autos wurden vereinbarungsgemäß übergeben.

In dem an Rechtsanwalt Dr. Kohlhofer, der damals den Kläger noch nicht vertrat, gerichteten Schreiben vom 7. Juni 1988 erklärte die Beklagte, den Geschädigten gegenüber in den gegenständlichen Schadensfall einzutreten.

Gestützt auf diesen Sachverhalt begehrte der Kläger von der Beklagten die Zahlung von S 500.000,-- sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für alle zukünftigen kausalen Schäden aus dem Verkehrsunfall vom 9. Februar 1988 bis zur Höhe der Haftungssumme auf Grund des Versicherungsvertrages.

Die Beklagte bestritt und erhob unter anderem die Einrede der mangelnden Passivlegitimation. Nach den maßgeblichen Bestimmungen des KHVG sei bei Verkehrsunfällen im Ausland ein direktes Klagerecht gegen den Versicherer ausgeschlossen.

Ausgehend von dem eingangs wiedergegebenen Sachverhalt wies das Erstgericht das Klagebegehren ab.

In rechtlicher Hinsicht führte es aus, gemäß § 1 KHVG erstrecke sich die gesetzliche Haftpflicht für Kraftfahrzeuge nur auf das österreichische Bundesgebiet. § 1 Abs 1 KHVG stelle nämlich auf Versicherungsverträge ab, die in Erfüllung der Verpflichtung des § 59 Abs 1 KFG geschlossen wurden, diese Verpflichtung gelte aber nur für Fahrzeuge die auf öffentlichen Straßen in Österreich mit inländischem Kennzeichen verwendet werden. Der Versicherungsschutz für inländische Fahrzeuge, die im Ausland Verwendung finden, sei demnach dem § 1 KHVG nicht zuordenbar. Daraus folge, daß für freiwillige, über die Haftpflichtversicherung hinausgehende, Versicherungen für das Ausland der VI. Abschnitt des ersten Hauptstückes des KHVG nicht anzuwenden sei. Somit bestehe bei einem Unfall eines in Österreich zugelassenen Kraftfahrzeuges im Ausland kein direktes Klagerecht gegen den österreichischen Haftpflichtversicherer. Im übrigen sei im Schreiben vom 7. Juni 1988 ein konstitutives Anerkenntnis nicht zu erblicken.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, der Wert des Entscheidungsgegenstandes übersteige S 50.000,--, die ordentliche Revision sei zulässig.

In rechtlicher Hinsicht verwies das Berufungsgericht auf die Entscheidung des Erstgerichtes und führte ergänzend aus, daß wegen des Unfallortes wohl das materielle Recht der Bundesrepublik Deutschland anzuwenden sei. Die Frage der Passivlegitimation sei aber nach dem Recht des Versicherungsvertrages zu beurteilen, so daß die Bestimmungen des KHVG anzuwenden seien.

Dagegen richtet sich die Revision der klagenden Partei mit dem Antrag, die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung aufzutragen; hilfsweise wird ein Abänderungsantrag dahingehend gestellt, daß der Klagsanspruch als dem Grunde nach zu Recht bestehend erkannt werde.

Die beklagte Partei hat Revisionsbeantwortung erstattet und beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Die Revision ist berechtigt.

Hinsichtlich des geltend gemachten Anerkenntnisses der Beklagten wird in der Revision ausgeführt, es sei nicht die Frage eines (konstitutiven) Anerkenntnisses strittig, sondern lediglich die rechtliche Würdigung der Erklärung im Schreiben vom 7. Juni 1988. In diesem Zusammenhang sei das Gesamtverhalten der Beklagten ebenso zu berücksichtigen, wie der konkrete Wortlaut der abgegebenen Erklärung und der durch das Verhalten der Beklagten hervorgerufene Rechtsschein. Die Erklärung der Beklagten könne nur dahin verstanden werden, daß ein Haftpflichtversicherungsvertrag zum Zeitpunkt des Unfalls bestand und daß die Beklagte den aus diesem Verkehrsunfall Geschädigten für deren Ansprüche hafte.

Da, wie im folgenden noch darzulegen sein wird, die Beklagte schon auf Grund des Gesetzes unmittelbar vom geschädigten Kläger in Anspruch genommen werden kann, erübrigt es sich, darauf einzugehen, ob die Beklagte dem Grunde nach ihre Haftung gegenüber dem Kläger aus dem Verkehrsunfall vom 9. Februar 1988 anerkannt hat.

Im übrigen macht der Kläger in seinem Rechtsmittel geltend, der Gesetzgeber habe mit der Neuregelung der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung im KHVG 1987 inhaltlich die bisher im § 63 KFG bestehende Rechtslage hinsichtlich der Direktklage nicht verändern wollen. Die Unklarheit des § 2 KHVG, welcher auf den Abschnitt VI des Gesetzes nicht verweise, beruhe auf einem Redaktionsversehen und sei vom Gesetzgeber nicht gewollt. Überdies sei nach dem Übereinkommen über das auf Straßenverkehrsunfälle anzuwendende Recht (Haager Straßenverkehrsabkommen) jeweils das innerstaatliche Recht des Staates anzuwenden, in dessen Hoheitsgebiet sich der Unfall ereignete. Gemäß Art 9 dieses Abkommens stehe geschädigten Personen ein unmittelbares Klagerecht gegen den Versicherer des Haftpflichtigen zu, wenn ein solches Recht nach dem Recht des Unfallortes zustehe. Ein derartiges Recht bestehe gemäß § 3 Abs 2 Pflichtversicherungsgesetz in der Bundesrepublik Deutschland.

Rechtliche Beurteilung

Die Ausführungen des Klägers über das im vorliegenden Fall anzuwendende Recht sind grundsätzlich zutreffend. Da eine außervertragliche zivilrechtliche Haftung aus einem Straßenverkehrsunfall im Ausland geltend gemacht wird, sind die Bestimmungen des Übereinkommens über das auf Straßenverkehrsunfälle anzuwendende Recht (Haager Straßenverkehrsübereinkommen) anzuwenden. Die Regelungen dieses Übereinkommens stehen einer Anwendung des § 48 IPRG entgegen (ZVR 1989/79 mwN). Art 9 des Übereinkommens bestimmt, daß die geschädigten Personen ein unmittelbares Klagerecht gegen den Versicherer des Haftpflichtigen ("action directe") haben, wenn ihnen ein solches Recht nach dem gemäß Art 3, 4 oder 5 anzuwendenden Sachrecht zusteht. Kennt der Zulassungsstaat ein solches Recht nicht, so kann es trotzdem ausgeübt werden, wenn das Recht des Unfallsortes es vorsieht. Wenn alle diese Rechte eine direkte Klage nicht zulassen, so kann sie trotzdem angestrengt werden, wenn sie nach dem für den Versicherungsvertrag maßgebenden Recht zugelassen ist (Schwind, IPR 1990, Rz 507). Die früher umstrittene Anknüpfung vom Direktanspruch des Geschädigten gegen den Haftpflichtversicherer ist nunmehr durch Art 9 des Haager Straßenverkehrsabkommens ausdrücklich geregelt (Schwimann in Rummel, ABGB, Rdz 8 zu § 48 IPRG).

Da sich der hier relevante Verkehrsunfall auf deutschem Hoheitsgebiet ereignet hat und an diesem Unfall auch ein in Deutschland zugelassenes Kraftfahrzeug beteiligt war, sohin die Ausnahmebestimmungen des Art 4 lit. a und b des Haager Straßenverkehrsübereinkommens nicht vorliegen - das in Deutschland zugelassene Kraftfahrzeug hat beim Verkehrsunfall nicht bloß eine zufällige Rolle gespielt (vgl. ZVR 1990/41) - ist dem Geschädigten ein unmittelbares Klagerecht gegen den Versicherer des Haftpflichtigen dann einzuräumen, wenn ein solches nach deutschem Recht vorgesehen ist. § 3 Z 1 dPflVG räumt dem Geschädigten einen unmittelbaren Anspruch gegen den KFZ-Haftpflichtversicherer ein, sodaß gemäß Art 9 Haager Straßenverkehrsübereinkommen auch im vorliegenden Fall dem geschädigten Kläger ein direkter Ersatzanspruch gegenüber der beklagten Versicherung zusteht. Auf die Frage, ob es sich bei der Erstreckung des Versicherungsschutzes auf das Ausland um eine freiwillige Versicherung im Sinne des § 2 Abs 1 KHVG handelt und ein direktes Klagerecht gemäß dem VI. Abschnitt des KHVG nicht besteht, braucht daher nicht weiter eingegangen zu werden. Der auf diese Bestimmungen gestützte Einwand der mangelnden Passivlegitimation erweist sich sohin als unberechtigt.

Da die Vorinstanzen über die sachliche Berechtigung des Klagsanspruches noch nicht abgesprochen und auch keine Feststellungen getroffen haben, die dessen Beurteilung zulassen, war der Revision Folge zu geben und spruchgemäß zu entscheiden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 ZPO.

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