OGH 6Ob518/91

OGH6Ob518/9116.5.1991

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel, Dr. Redl, Dr. Kellner und Dr. Schiemer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ilse E*****, vertreten durch Dr. *****, wider die beklagte Partei Margit I*****, vertreten durch Dr. *****, wegen S 58.850 und Feststellung (Streitwert S 30.000), infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Landesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 9. Mai 1990, GZ 2 a R 42/90-17, womit das Urteil des Bezirksgerichtes Innsbruck vom 31. Oktober 1989, GZ 11 C 1065/88-8, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die Klägerin war Mieterin einer 130 m2 großen Wohnung im Haus *****. Alleineigentümer war bis zu seinem Tod der Hotelier Johann I*****. Das *****Haus ist am 23. Mai 1985 (teilweise) eingestürzt. Der Nachlaß nach Johann I***** wurde der Beklagten am 14. Juli 1989 eingeantwortet.

Die Klägerin begehrt mit der am 17. August 1988 eingebrachten Klage S 58.850 sA sowie die Feststellung, daß die Beklagte ihr für sämtliche Ereignisse aus dem Vorfall vom 23.Mai 1985 zu haften, insbesondere die Mietkosten weiterzubezahlen habe. Sie brachte dazu im wesentlichen vor, der Rechtsvorgänger der Beklagten habe die Mieter des Hauses wegen Umbauarbeiten ersucht, vorübergehend, voraussichtlich für ein Jahr, die Wohnungen gegen Beistellung von Ersatzwohnungen und Zahlung der damit verbundenen Kosten zu räumen. Es sei eine Vereinbarung zustandegekommen, daß die Klägerin die Betriebs- und Heizkosten der für ein Jahr angemieteten Ersatzwohnung trage, während Johann I***** die Übersiedlungskosten sowie den Mietzins von monatlich S 5.885 bezahle. Die Mietzinse seien nur für die Monate April und Mai 1985 bezahlt, weitere Zahlungen jedoch mit der Begründung abgelehnt worden, das Haus ***** sei ohne Verschulden des Vermieters eingestürzt. Der Einsturz sei im Zuge von Umbauarbeiten erfolgt, weil diese unsachgemäß und gegen die Regeln der Baukunst durchgeführt worden seien. Der Vermieter hafte für das Verschulden der von ihm beauftragten Baufirmen. Neben dem Anspruch auf Zahlung der aushaftenden Mietzinse für 10 Monate von insgesamt S 58.850 habe die Klägerin ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Haftung der Beklagten für alle weiteren Schadenersatzansprüche, welche die Klägerin als Mieterin einer Wohnung im eingestürzten Haus habe.

Die Beklagte bestritt das Zustandekommen einer Vereinbarung über die Zahlung des Mietzinses für die von der Klägerin angemietete Ersatzwohnung sowie ein Verschulden am Einsturz des Hauses. Schadenersatzansprüche seien im übrigen bereits verjährt.

Das Erstgericht wies die Klage zur Gänze ab. Es stellte im wesentlichen fest, daß Johann I***** im Jänner 1985 an die Klägerin und an die anderen Mieter des Hauses ***** herangetreten war, um abzuklären, ob auf Grund des geplanten Hausumbaues die Mieter bei Beistellung einer Ersatzwohnung und Leistung einer einmaligen Entschädigung zum Auszug aus dem Haus bereit seien. Nach dem Umbau sollten die Mieter nach Wunsch wieder in die alten Wohnungen einziehen können. Mit dem Auffinden von Ersatzwohnungen, nicht aber dem Abschluß von Verträgen, wurde ein Immobilienmakler betraut. Nach längeren Verhandlungen konnte keine Einigung über die Bezahlung der Mietkosten hinsichtlich Höhe und Dauer der von der Klägerin in Aussicht genommenen Ersatzwohnung erzielt werden. Die Klägerin übersiedelte am 20. März 1985 dennoch. Der Rechtsvorgänger der Beklagten bezahlte freiwillig die Übersiedlungskosten und für die ersten beiden Monate je S 3.550 (den Gegenwert für eine Garconniere); dann stellte er die Zahlungen ein. Am 23. Mai 1985 stürzte das Haus ***** ohne Verschulden des Rechtsvorgängers der Beklagten ein.

Rechtlich führte das Erstgericht aus, ein Bestandvertrag löse sich nach § 1112 ABGB von selbst auf, wenn die Bestandsache zugrundegehe. Geschehe dies aus Verschulden eines Teiles, gebühre dem anderen Teil Ersatz. Der Einsturz des Hauses sei, soweit dies bereits feststehe, ohne Verschulden des Vermieters geschehen. Vor dem Einsturz habe dieser die ihm obliegenden Pflichten erfüllt, indem er mit den Mietern für die Zeit des Umbaues Vereinbarungen zu treffen versucht bzw. diesen Ersatzunterkünfte angeboten habe. Die Klägerin habe sich mit dem Vermieter allerdings nicht einigen können und sei ohne vertragliche Vereinbarung "auf gut Glück" in eine neue Wohnung gezogen. Durch den unvorhergesehenen Untergang der Bestandsache am 23. Mai 1985 sei der Mietvertrag aufgelöst worden, so daß die Klägerin keine Ansprüche gegen die Beklagte habe. Eine Schadenersatzhaftung des Vermieters scheide aus, weil selbst unter Annahme eines Verschuldens des Vermieters am Untergang der Bestandsache allfällige Schadenersatzansprüche verjährt seien, weil die Klage erst nach Ablauf von drei Jahren nach dem Einsturz des Hauses eingebracht worden sei.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin Folge, hob das Urteil des Erstgerichtes auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück. Es sprach aus, daß der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei.

Es übernahm die Feststellung, daß eine Vereinbarung über die Übernahme der Mietkosten der Ersatzwohnung der Klägerin nicht zustandegekommen sei, so daß das auf einen Vertrag gestützte Begehren auf Zahlung von S 58.850 rechtlich nicht berechtigt sei.

Im Recht sei die Berufung aber, soweit sie sich auf geltend gemachte Schadenersatzansprüche beziehe. Der Vermieter sei durch § 1096 ABGB verpflichtet, dem Mieter den bedungenen Gebrauch des Bestandobjektes zu erhalten. Der wegen solcher Ersatzansprüche in Anspruch genommene Vermieter habe zu beweisen, daß ihn kein Verschulden treffe. Bediene sich der Vermieter bei der Bauführung dritter Personen, so hafte er für deren Verschulden nach § 1313 a ABGB. Das Erstgericht sei wegen seiner Rechtsansicht, allfällige Schadenersatzansprüche seien jedenfalls verjährt, auf diese nicht näher eingegangen. Die Beurteilung der Verjährung sei noch nicht abschließend möglich. Die Verjährung von Ersatzansprüchen aus dem Mietverhältnis nach § 1112 ABGB könne nicht vor dem Zeitpunkt beginnen, ab welchem der Bestandvertrag kraft Gesetzes wegen physischen oder rechtlichen Unterganges der Bestandsache als aufgelöst gelte. Da nur eine gänzliche Zerstörung der Bestandsache, wenn eine Wiederherstellung nicht mehr in Frage komme, die Vertragsauflösung bewirke, nicht aber die Tatsache der bloßen Unbenützbarkeit, sei für den Beginn der Verjährungsfrist maßgeblich, zu welchem Zeitpunkt der Mieter bei objektiver Betrachtung die Gewißheit erlangt habe, daß es zu einer Wiederherstellung des unbenützbaren Bestandobjektes nicht kommen werde. Das Erstgericht habe ohne Reflexion auf den Tatbestand des § 1112 ABGB und der gerichtsbekannten breiten Diskussion in der Öffentlichkeit sowie des Akteninhaltes, daß durch den nur teilweisen Einsturz keine gänzliche Zerstörung des Hauses, das erst nach Jahren einem gänzlichen Abbruch zum Opfer gefallen sei, erfolgt sei, ohne nähere Begründung und ohne ausreichende Tatsachengrundlage nur einen "Einsturz des Hauses" angenommen. Es habe sich auch mit der Frage des Verschuldens des Rechtsvorgängers der Beklagten wegen seiner unrichtigen Rechtsansicht nicht näher befaßt. Sollte die Wohnung der Klägerin bei dem - teilweisen - Einsturz nicht gänzlich zerstört worden sein, müsse zur Beurteilung des Beginnes der Verjährungsfrist untersucht werden, ab welchem Zeitpunkt die Klägerin nach objektiven Gesichtspunkten davon ausgehen mußte, eine Wiederherstellung ihrer Wohnung komme nicht mehr in Betracht.

Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei zuzulassen, weil dem Rekursgericht keine veröffentlichte Rechtsprechung über den Beginn der Verjährungsfrist für Ersatzansprüche nach § 1112 ABGB bekannt sei.

Dem Rekurs kommt keine Berechtigung zu.

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 1112 ABGB löst sich der Bestandvertrag von selbst auf, wenn die bestandene Sache zugrundegeht. Geschieht dies aus Verschulden eines Teiles, so gebührt dem anderen Ersatz. Geschieht dies durch einen Unglücksfall, so ist kein Teil dem anderen dafür verantwortlich. § 1096 ABGB verpflichtet den Bestandgeber, das Bestandstück in brauchbarem Zustand zu übergeben und zu erhalten und die Bestandinhaber in dem bedungenen Gebrauch nicht zu stören und normiert für die Dauer und das Maß der Unbrauchbarkeit eine Befreiung von der Mietzinszahlung.

Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, daß zwischen der bloßen Unbenützbarkeit und dem "Zugrundegehen" der Bestandsache als Grund für die Auflösung des Bestandvertrages ex nunc zu unterscheiden ist (MietSlg 24.157 ua). § 1112 ABGB ist dahin einschränkend auszulegen, daß das Bestandverhältnis nicht erlischt, soweit den Bestandgeber dem Bestandnehmer gegenüber eine Wiederherstellungspflicht trifft und die Wiederherstellung auch möglich ist. Eine solche kann nicht nur auf besonderen Vorschriften oder auf Vereinbarung beruhen, sondern ist auch nach Treu und Glauben anzunehmen, etwa bei einer rechtswidrigen Zerstörung durch einen eigenmächtigen Umbau (vgl Würth in Rummel2 Rz 2 zu § 1112 und die dort zitierte Judikatur). So lange die Wiederherstellung des Mietgegenstandes rechtlich und wirtschaftlich möglich ist, kann der Mieter auch die Zuhaltung des Mietvertrages verlangen (MietSlg 18.197; vgl auch 7 Ob 611/90). Es ist dem Berufungsgericht daher zuzustimmen, daß aus dem - teilweisen - Einsturz des Hauses allein noch nicht eine Auflösung des Bestandvertrages gemäß § 1112 ABGB und insbesondere auch nicht die erst daran geknüpften schadenersatzrechtlichen Konsequenzen abgeleitet werden können. Diese richten sich allerdings auch im Falle von Ansprüchen nach § 1112 ABGB nach den allgemeinen Grundsätzen des Schadenersatzrechtes. Für den Beginn der Verjährungsfrist nach § 1489 ABGB ist entscheidend, ob dem Anspruchsberechtigten nach objektiven Gesichtspunkten alle für das Entstehen des Anspruches maßgeblichen Tatumstände bekannt waren. Die Kenntnis des Geschädigten muß den ganzen Sachverhalt umfassen, aus dem sich der Anspruch ableiten läßt. Dazu gehört im Falle einer Verschuldenshaftung auch die Klarheit über das Verschulden des Schädigers. Wenn sich auch der Geschädigte nicht passiv verhalten und abwarten darf, daß er von den maßgeblichen Tatsachen eines Tages zufällig Kenntnis erlangt, so muß ihm doch unter Anlegung eines objektiven Maßstabes zugebilligt werden, nach der Lage des besonderen Falles zunächst Erkundigungen einzuziehen und sich Gewißheit zu verschaffen, ob ein Schadenersatzanspruch mit Aussicht auf Erfolg auch geltend gemacht werden kann. Solange daher noch mit der Wiederherstellung der Bestandsache gerechnet werden konnte und überdies noch keine begründeten Anhaltspunkte für ein dem Bestandgeber zuzurechnendes Verschulden am teilweisen Einsturz des Hauses vorlagen, wurde die dreijährige Verjährungsfrist der auf § 1112 ABGB gestützten Ansprüche, welche nicht nur für Leistungs-, sondern auch für auf den Titel des Schadenersatzes gegründete Feststellungsbegehren gilt (SZ 48/27; RZ 1979/27 uva) - noch nicht in Gang gesetzt. Es trifft zwar zu, daß die beklagte Partei, welche die Verjährung der Ansprüche der Klägerin eingewendet hat, für den Beginn der Verjährungsfrist beweispflichtig ist (SZ 61/156; SZ 56/36 ua), doch übersieht die Klägerin in ihren Ausführungen, daß das Berufungsgericht zu einer Aufhebung der Entscheidung der ersten Instanz gelangt ist, weil die Frage des Beginnes der Verjährungsfrist trotz ausreichender Anhaltspunkte in den Akten überhaupt unerörtert blieb und Feststellungen fehlen.

Das Berufungsgericht ist daher zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, daß das Verfahren in erster Instanz, in welchem auch auf eine Präzisierung des zu unbestimmt formulierten Feststellungsbegehrens hinzuwirken sein wird, noch ergänzungsbedürftig ist.

Der Ausspruch über den Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

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