OGH 6Ob535/91

OGH6Ob535/9116.5.1991

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel, Dr. Redl, Dr. Kellner und Dr. Schiemer als weitere Richter in der Sachwalterschaftssache *****, vertreten durch den Sachwalter *****, infolge Revisionsrekurses des Sachwalters, vertreten durch *****, Rechtsanwälte in Salzburg, gegen den Beschluß des Landesgerichtes Salzburg als Rekursgericht vom 7. Februar 1991, GZ 22 a R 164/90-166, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Tamsweg vom 21. Oktober 1990, GZ Sw 131/84-163, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Johann B*****, ursprünglich Landwirt, nunmehr Pensionist, wurde mit Beschluß des Erstgerichtes vom 19. Oktober 1987 unter Sachwalterschaft gestellt. Zum Sachwalter wurde sein Schwager *****, der zuvor schon einstweiliger Sachwalter war, mit folgendem Kreis von Angelegenheiten bestellt: Verwaltung des Vermögens, Verwaltung der Einkünfte, Vertretung vor Ämtern und Behörden.

Der Behinderte ist seit 10. Mai 1975 mit Stefanie B***** verheiratet. Dieser Ehe entstammt der am 27.Oktober 1975 geborene mj. *****, der sich in Pflege bei Verwandten befindet. Gegen Stefanie B***** war seinerzeit ein Sachwalterbestellungsverfahren eingeleitet worden; es kam zu keiner Sachwalterbestellung. Die häusliche Gemeinschaft der Eheleute ist seit Jahren aufgehoben.

Der Behinderte ist auf Grund des Übergabevertrages vom 29. November 1972 Alleineigentümer des S*****gutes in M*****, das ein Ausmaß von 31,75 ha hat. Der Wert der Gesamtliegenschaft ist nicht aktenkundig. Der Wert der Waldgrundstücke lag 1989 bei rund 2,7 Millionen S. Für eine zum Gutsbestand der Liegenschaft gehörende Grundparzelle im Ausmaß von 1,3 ha ***** liegen Anbote von Kaufinteressenten zum Erwerb um einen Kaufpreis von S 510.000 bzw S 520.000 vor.

Auf Grund einer notariellen Vereinbarung vom 23. Mai 1977 ist auf der Liegenschaft ein Belastungs- und Veräußerungsverbot zugunsten der Ehefrau des Behinderten einverleibt.

Obwohl der Sachwalter seit 8. Jänner 1985 die Vermögensverwaltung für den Behinderten führt, ging dieser von Mai 1986 bis Ende 1986 für Investitionen in seinem Haus hohe Verbindlichkeiten ein. Zu deren Abdeckung nahm der einstweilige Sachwalter mit Genehmigung des Erstgerichtes am 25. Mai 1987 einen unbesicherten Kredit über S 450.000 auf, der zum 19. Juli 1990 mit S 873.553,87 aushaftete.

Zwischen dem Betroffenen und seinem Sachwalter einerseits und der verbotsberechtigten Ehegattin und deren Rechtsvertreter andererseits kam es, wiederholt auch unter Mitwirkung des Erstgerichtes, zu Gesprächen über die Regelung der immer weiter anwachsenden Schulden. Die Ehefrau des Betroffenen erklärte sich nur bereit, einer teilweisen Veräußerung von Liegenschaften zuzustimmen, wenn das Belastungs- und Veräußerungsverbot zu ihren Gunsten auf der Restliegenschaft aufrecht bleibe und für den gemeinsamen Sohn zur Besitznachfolgesicherung ein weiteres Veräußerungs- und Belastungsverbot einverleibt und gleichzeitig ein Schenkungsvertrag auf den Todesfall zugunsten des Sohnes abgeschlossen werde. Diese Forderung scheiterte bisher am Widerstand des Sachwalters, der der vorgesehenen Regelung nur dann zustimmen wollte, wenn die Ehegattin auf das zu ihren Gunsten bestehende Veräußerungs- und Belastungsverbot verzichte.

Nachdem das Rekursgericht einen Beschluß des Erstgerichtes auf Enthebung des Sachwalters wegen pflichtwidrigen Verhaltens aufgehoben und aufgetragen hatte, zunächst durch entsprechende zweckmäßige Weisungen den Sachwalter zur Erfüllung seiner Pflichten anzuleiten und allfälligen Unzukömmlichkeiten abzuhelfen, erteilte das Erstgericht dem Sachwalter mit Beschluß vom 21. Oktober 1990 den Auftrag, binnen Monatsfrist Verträge über den Verkauf von Liegenschaftsteilen des Behinderten zur Abdeckung der Kreditverbindlichkeiten bei der Raiffeisenkasse M***** vorzulegen, dies auch unter den von Stefanie B***** gestellten Bedingungen, und zwar Abschluß eines Schenkungsvertrages auf den Todesfall zugunsten des minderjährigen Sohnes ***** unter Einräumung eines Belastungs- und Veräußerungsverbotes zu dessen Gunsten hinsichtlich der Restliegenschaft. Für den Fall der nicht fristgerechten Erledigung dieses Auftrages durch den Sachwalter bestellte das Erstgericht den öffentlichen Notar ***** zum Kollisionskurator zur Erfüllung dieses Auftrages. Es führte dazu aus, es sei allen Beteiligten klar, daß der landwirtschaftliche Besitz ohnedies künftig einmal dem einzigen Sohn, der die landwirtschaftliche Fachschule in T***** besuche, übergeben werden solle. Durch den Verlauf der Zeit und eine gewisse Untätigkeit des Sachwalters sei der Schuldenstand auf nahezu 900.000 S angewachsen, so daß eine dringende Erledigung des Grundverkaufes unumgänglich erscheine. Mit der geringen Pension von derzeit S 3.258 und den geringen Einnahmen aus der Verpachtung der Acker- und Wiesenflächen sei die Abstattung der Schulden bei der zusätzlich bestehenden Unterhaltspflicht für die Ehefrau des Betroffenen nicht möglich. Da dieser die Kreditaufnahme verursacht habe, müsse er auch die Bedingungen seiner Ehefrau akzeptieren.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Sachwalters Folge, hob den Beschluß des Erstgerichtes auf und trug diesem eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf.

Die Rechtsfürsorgepflicht des Vormundschaftsgerichtes schließe die Überwachung der Tätigkeit des gesetzlichen Vertreters, dessen Aufklärung und Belehrung und auch allfällige Aufträge mit ein. Die Einräumung eines Veräußerungs- und Belastungsverbotes zugunsten des 15jährigen Sohnes unter gleichzeitiger Schenkung auf den Todesfall sowie der Weiterbestand des Belastungs- und Veräußerungsverbotes für die Ehefrau stellten so weitgehende Beschränkungen des Betroffenen in der Verfügung über die von seinen Eltern übernommene Liegenschaft dar, daß sie nur als letzte Möglichkeit einer finanziellen Sanierung des Betroffenen in Betracht kämen. Die Erbansprüche des Sohnes seien in diesem Zusammenhang ebenso außer Acht zu lassen wie die Interessen des Kreditgebers, welcher wegen des derzeit verbücherten Veräußerungs- und Belastungsverbotes nach Schaffung eines Exekutionstitels Exekution durch Zwangsverwaltung oder Zwangsverpachtung der Liegenschaft führen könne. Dies sei aber nicht im Interesse des Betroffenen. Die Kreditschuld wachse infolge der vereinbarten Verzinsung jedenfalls um ein Vielfaches schneller als der Wert des bäuerlichen Gutes.

Ob die von der Verbotsberechtigten gesetzten Bedingungen für die Zustimmung zu einer Veräußerung von Liegenschaftsteilen zur Rettung des restlichen Besitzes für den gemeinsamen Sohn zumutbar seien, könne derzeit noch nicht endgültig beurteilt werden. Bei der Entscheidung, welche Interessen überwiegen, sei zu berücksichtigen, welchen Verkehrswert die Liegenschaft insgesamt habe, ob und welche Liegenschaftsteile unter Berücksichtigung erforderlicher grundverkehrsbehördlicher Genehmigungen an Kaufinteressenten veräußert werden könnten, um alle Verbindlichkeiten abzudecken und ob eine rechtsverbindliche Zustimmungserklärung der Verbotsberechtigten (unter den von ihr genannten Bedingungen) vorliege. Erst nach Klärung dieser Tatumstände könne verläßlich beurteilt werden, ob die progressiv fortschreitende Verschuldung und die damit allenfalls drohenden Zwangsmaßnahmen die Interessen des Betroffenen weniger einschränkten als die von der Verbotsberechtigten aufgestellten Bedingungen.

Die Bestellung eines Kollisionskurators komme nur bei Interessenkollision zwischen den eigenen Interessen des Sachwalters und den Interessen des Behinderten in Betracht. Ein Sachwalter, der den gerichtlichen Anordnungen und seinen Pflichten, zu welchen auch Auskünfte, wie es zu dem Schuldenstand gekommen sei und die Vorlage einer überprüfbaren Pflegschaftsrechnung gehörten, nicht nachkomme, sei seines Amtes zu entheben.

Der Revisionsrekurs sei zuzulassen, weil eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes nicht bekannt sei, ob der Verkauf von Liegenschaften eines Behinderten zur finanziellen Sanierung unter Belastungen, die einer Entziehung des Eigentumes weitgehend nahekämen, überhaupt zulässig sei.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig, aber nicht berechtigt. Wie der Oberste Gerichtshof in seiner Entscheidung SZ 61/231 ausführlich dargelegt hat, ist aus § 21 Abs 1 ABGB eine umfassende Fürsorgepflicht des Pflegschaftsgerichtes abzuleiten. Dessen Aufgabe besteht nicht nur darin, die Gesetzmäßigkeit, sondern auch die Zweckmäßigkeit der vom Vertreter eines Minderjährigen oder unter Sachwalterschaft stehenden Behinderten getroffenen oder in Aussicht genommenen Maßnahmen zu prüfen. Das Pflegschaftsgericht kann daher auch bindende Weisungen für Geschäfte geben und muß insbesondere dann tätig werden, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, daß die Vermögensinteressen der Pflegebefohlenen verletzt werden, da deren Vermögen kraft ausdrücklicher gesetzlicher Bestimmung (§ 222 ABGB) der Obsorge des Pflegschaftsgerichtes anvertraut ist. Dieses hat dafür Sorge zu tragen, daß Rechtsgeschäfte unter Wahrung der Interessen des Pflegebefohlenen geschlossen und abgewickelt werden. Es muß die Amtsführung des Vertreters sorgfältig überwachen, einen unzuverlässigen Vertreter entheben, auf die Wahrung bücherlicher Rechte des Pflegebefohlenen hinwirken und dessen Vertreter auf geeignete Weise unterstützen, beraten, aufklären und anleiten.

Nach § 232 ABGB kann ein unbewegliches Gut nur im Notfall oder zum offenbaren Vorteil des Minderjährigen - und gemäß § 282 ABGB auch des unter Sachwalterschaft stehenden - veräußert werden. Das Gesetz schützt daher in besonderer Weise das unbewegliche Vermögen der Pflegebefohlenen. Dies bedeutet aber nicht, wie im Revisionsrekurs ausgeführt wird, daß eine Belastung oder Veräußerung unbeweglichen Vermögens "generell unzulässig" wäre, sondern daß eine solche Maßnahme nur im Notfall gesetzt werden darf, also dann, wenn sie zur Wahrung der Interessen des Pflegebefohlenen oder Behinderten unumgänglich notwendig ist. Dabei haben die Interessen Dritter, seien es solche eines Gläubigers oder künftige Erbansprüche eines Kindes oder der Ehefrau, außer Betracht zu bleiben. Da der Sachwalter und das Gericht nur die Interessen des Behinderten wahrzunehmen haben, ist in die Erwägungen nur einzubeziehen, wie sich dessen gegenwärtige wirtschaftliche und soziale Situation darstellt und wie sie sich voraussichtlich künftig durch bestimmte Maßnahmen und Verfügungen zu seinem Vorteil oder Nachteil ändern kann. Hiezu reichen aber die Entscheidungsgrundlagen noch nicht aus. Zutreffend hat das Rekursgericht daher Aufträge erteilt, deren Ausführung eine Verbreiterung der Entscheidungsgrundlage herbeizuführen und vor allem andere Lösungsmöglichkeiten zur Abdeckung der Verbindlichkeiten des Behinderten aufzuzeigen geeignet ist. Wenn der bestellte Sachwalter durch die zu bewältigenden Probleme überfordert sein sollte, wird auch dessen Enthebung und die Bestellung eines geeigneteren anderen Sachwalters erforderlich sind.

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