OGH 5Ob506/91

OGH5Ob506/9112.3.1991

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Jensik als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Zehetner, Dr.Klinger, Dr.Schwarz und Dr.Flossmann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Friedrich L*****, vertreten durch Dr.Rudolf Wieser, Dr.Friedrich Hohenauer und Dr.Martin Zanon, Rechtsanwälte in Innsbruck, wider die beklagte Partei Österreichische Bundesforste, vertreten durch die Finanzprokuratur, Singerstraße 17-19, 1011 Wien, wegen Entfernung und Unterlassung (Streitwert 80.000 S) infolge Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Rekursgerichtes vom 10.Dezember 1990, GZ 3 R 316/90-17, womit der Beschluß des Landesgerichtes Innsbruck vom 15. Oktober 1990, GZ 6 Cg 262/90-13, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 4.245 S bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Der Kläger ist Eigentümer des geschlossenen Hofes "K*****" in P***** (EZ ***** KG P*****); mit dem Eigentum an diesem Hof ist die Mitgliedschaft an der im Eigentum der Beklagten stehenden Alpinteressentschaft O*****-Alpe (EZ ***** KG S*****) verbunden. Der Kläger ist als Mitglied dieser Alpinteressentschaft auf der Gp 821 in EZ ***** KG S***** weideberechtigt.

Mit der am 26.7.1990 beim Bezirksgericht Innsbruck erhobenen und in der Folge an das Erstgericht überwiesenen Klage begehrte der Kläger, die Beklagte schuldig zu erkennen,

1) die von ihr im Bereich der GP 821 in EZ ***** KG S***** im Weidegebiet der O*****alm angebrachten - im einzelnen genau beschriebenen - Stacheldrahtzäune abzunehmen und so zu entfernen, daß das auf der O*****alm aufgetriebene Weidevieh des Klägers nicht durch den Stacheldrahtzaun verletzt werden kann; und

2) in Hinkunft die Errichtung solcher Stacheldrahtzäune auf der Gp 821 in EZ ***** KG S***** im Weidegebiet der O*****alm zu unterlassen.

Die Beklagte habe schon seit Jahren auf dem gegenständlichen Weidegebiet Stacheldrahtzäune errichtet. Durch diese Zäune werde die dem Kläger zustehende Ausübung des Weiderechtes wegen der damit verbundenen Gefahr von Verletzungen des Weideviehs im höchsten Maße gefährdet und beeinträchtigt. Die Stacheldrahtzäune hätten offenbar den Zweck, das Weiderecht des Klägers einzugrenzen. Da es hier nicht um Bestand oder Umfang des Nutzungsrechtes, sondern um die von Stacheldrahtgefährdung freie private Art der Ausübung der Weiderechte des Klägers gehe, sei zur Durchsetzung des geltend gemachten Anspruches der ordentliche Rechtsweg zulässig. Daran könne auch der von der Agrarbehörde am 31.7.1990 erlassene Bescheid bezüglich der Abtragung eines Teiles der Stacheldrahtzäune nichts ändern.

Die Beklagte beantragte die Zurückweisung der Klage wegen Unzulässigkeit des Rechtsweges, weil für die Streitigkeiten über Weiderechte kraft ausdrücklicher gesetzlicher Bestimmung die Agrarbehörden berufen seien. Der Kläger habe sich mit seinem Begehren auch bereits an diese Behörde gewandt, welche bescheidmäßig ausgesprochen habe, daß einem kleinen Teil des Begehrens stattzugeben sei.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren zur Gänze zurück.

Das Gericht zweiter Instanz gab dem vom Kläger gegen diese Entscheidung erhobenen Rekurs keine Folge und sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes 50.000 S übersteigt und der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei.

Bei der Entscheidung über die Zulässigkeit des Rechtsweges nach § 1 JN seien der Wortlaut des Klagebegehrens sowie der Klagssachverhalt maßgebend; entscheidend sei das Wesen des geltend gemachten Anspruches, wofür insbesondere der geltend gemachte Rechtsgrund von ausschlaggebender Bedeutung sei. Wenn es sich um einen bürgerlichrechtlichen Anspruch handle und die Entscheidung darüber nicht durch Gesetz ausdrücklich an eine andere Behörde verwiesen worden sei, sei die Zulässigkeit des Rechtsweges gegeben (SZ 51/161; SZ 58/156; JBl 1985, 240 uva).

Im vorliegenden Fall mache der Kläger geltend, daß er an der Ausübung seines Weiderechtes auf den gegenständlichen Flächen durch die von der Beklagten errichteten Stacheldrahtzäune insofern beeinträchtigt werde, als dadurch sein Weidevieh verletzt worden sei und auch in Zukunft mit Verletzungen zu rechnen sein werde. Er mache also einen Anspruch nach § 523 ABGB (actio confessoria) geltend, über welchen grundsätzlich die Gerichte zu entscheiden hätten. Gemäß § 38 Abs 2 des Tiroler Wald- und Weideservitutengesetzes, LGBl 1952/21, seien jedoch die Agrarbehörden auch außerhalb eines Regulierungs- oder Ablösungsverfahrens mit Ausschluß des Rechtsweges zur Entscheidung nicht nur über Bestand und Umfang von Nutzungsrechten berufen, wozu gemäß § 1 Abs 1 lit b des zitierten Gesetzes auch Weiderechte auf fremdem Grund und Boden zählten, sondern auch über Streitigkeiten hinsichtlich der Ausübung von Nutzungsrechten. Der gegenständliche Rechtsstreit betreffe eine derartige "Ausübung von Nutzungsrechten", denn der Kläger erachte sich nach seinem Vorbringen durch die von der Beklagten errichteten Stacheldrahtzäune in der Ausübung seines Weiderechtes beeinträchtigt. Darüberhinaus ergebe sich aus dem Vorbringen des Klägers, daß er seine Weiderechte durch die Zaunerrichtung überhaupt als gefährdet und in Frage gestellt ansehe. Er erachte also auch den Bestand und den Umfang seiner Weiderechte durch die von der Beklagten errichteten Stacheldrahtzäune für gefährdet. Entgegen den Ausführungen des Rekurswerbers hätten daher nicht die ordentlichen Gerichte, sondern gemäß § 38 Abs 2 Tiroler Wald- und WeideservitutenG die Agrarbehörden den Rechtsstreit über die vom Kläger behauptete Gefährdung und Einschränkung seiner Weiderechte zu entscheiden. Das Amt der Tiroler Landesregierung als Agrarbehörde erster Instanz sei mit dieser Angelegenheit auch schon befaßt gewesen und habe der Beklagten mit Bescheid vom 31.7.1990 die Entfernung von Stacheldrahteinzäunungen im gegenständlichen Weidegebiet aufgetragen. Dem Rekurs sei somit ein Erfolg zu versagen gewesen. Den Ausspruch über den Wert des Entscheidungsgegenstandes stützte das Rekursgericht auf die §§ 500 Abs 2 Z 1, 526 Abs 3 ZPO, jenen über die Zulässigkeit des ordentlichen Revisionsrekurses auf den Umstand, daß zur Frage der Zulässigkeit des Rechtsweges bei Eingriffen in Weiderechte, die den Bestimmungen des Tiroler Wald- und Weideservitutengesetzes unterliegen, eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes fehle (§ 528 Abs 1 und Abs 2 Z 2 ZPO).

Gegen diese rekursgerichtliche Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs des Klägers, mit dem die Behebung der Entscheidungen der Vorinstanzen mit dem Auftrag an das Erstgericht zur Fortsetzung des Verfahrens angestrebt wird.

Die Beklagte beantragte in ihrer Rechtsmittelgegenschrift, dem Revisionsrekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig, aber nicht berechtigt. In seinem Revisionsrekurs vertritt der Kläger die Ansicht, die gemäß § 38 Abs 2 des Tiroler Wald- und Weideservitutengesetzes der Entscheidung der Agrarbehörde zugewiesenen Streitigkeiten auch hinsichtlich der Ausübung von Nutzungsrechten erfaßten nicht die "privatrechtliche Sicherung des öffentlichrechtlichen Anspruches des Berechtigten auf ungestörte Nutzung und Nutzungsweise der ihm zustehenden oder eingeräumten Weiderechte". Es müsse nämlich genau unterschieden werden zwischen dem "öffentlichrechtlich zu begründenden Bestand und Umfang eines solchen Nutzungsrechtes und der öffentlichrechtlich festgelegten Ausübungsweise" einerseits und einer "Störung dieser hinsichtlich Ausübungsweise, Bestand und Umfang öffentlichrechtlich vorgegebenen Weiderechte durch konkrete Störungsmaßnahmen, die außerhalb des öffentlichrechtlich festzulegenden Bestandes und Umfanges und der Ausübungsart der Nutzungsrechte lägen", anderseits. Die Sicherung der "privatrechtlichen ungestörten Nutzung und Nutzungsweise im Rahmen der öffentlichen Berechtigung" könne für den einzelnen Berechtigten nur durch die "Möglichkeit des ordentlichen Rechtsweges wirklich bestehen, wobei im Zweifelsfall der Vorrang der im § 1 JN festgelegten Zuständigkeit des ordentlichen Rechtsweges Gültigkeit habe". Außerdem sei eine gesetzliche Regelung, die die Entscheidung über einen zivilrechtlichen Anspruch dem Gerichte vorenthielte, so auszulegen, daß dadurch Art 6 MRK nicht verletzt werde. Soweit über zivilrechtliche Ansprüche abgesprochen werde, sei daher bei einem solchen Vorbehalt die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte anzunehmen. Da beim Verwaltungsverfahren im Agrarbereich - entgegen Art 6 MRK - eine echte reformatorische Kontrolle sowie die verfassungsrechtlich garantierte richterliche Unbhängigkeit fehle, sei die Gerichtskontrolle für die Entscheidung der vorliegenden zivilrechtlichen Ansprüche geboten. Dem kann nicht gefolgt werden.

Bei der hier zu lösenden Frage des Rechtsschutzweges ist davon auszugehen, daß es sich bei den gegenständlichen Weiderechten um Rechtsverhältnisse öffentlichrechtlicher Natur handelt, denen ohne Eintragung in das Grundbuch absolute Wirkung zukommt und deren Ausübung und Ausübbarkeit unabhängig vom Willen des Berechtigten durch die Behörde überwacht wird (Koprivnikar-Platzer in Österreichisches Recht VII lit f 3, Einführung 7), und in Tirol die Agrarbehörden gemäß § 38 Abs 2 des Tiroler Wald- und Weideservitutengesetzes vom 17.März 1952, LGuVBl für Tirol Nr 21, auch außerhalb eines Regulierungs- oder Ablösungsverfahrens mit Ausschluß des Rechtsweges zur Entscheidung über Streitigkeiten hinsichtlich der Ausübung von Nutzungsrechten berufen sind. Von der Zuständigkeit der Agrarbehörden sind allerdings Streitigkeiten über Eigentum und Besitz an den berechtigten Gütern oder verpflichteten Grundstücken sowie die Angelegenheiten der Eisenbahnen, der Bundesstraßen, der Luftfahrt und des Bergbaues ausgenommen (§ 38 Abs 5 Tiroler WWSG). Darüber hinaus bleibt die Zuständigkeit der Gerichte zur Entscheidung über Klagen, die auf den Schutz und die Wiederherstellung des letzten ruhigen Besitzstandes gerichtet sind, unberührt (§ 38 Abs 6 Tiroler WWSG). Aus diesen Bestimmungen des § 38 leg cit ergibt sich, daß der Gesetzgeber die Wahrung des possessorischen Rechtsschutzes zur Gänze ausdrücklich den Gerichten belassen, den der Sicherung der Weiderechte dienenden petitorischen Rechtsschutz hingegen - von wenigen Sonderbereichen abgesehen - den Agrarbehörden übertragen hat. Eine weitere Differenzierung hinsichtlich des petitorischen Rechtsschutzes in der vom Revisionsrekurswerber gewünschten Weise ist weder dem Wortlaut des Gesetzes noch dem damit verfolgten Zweck, die Überwachung der Ausübung und Ausübbarkeit der im öffentlichen Recht wurzelnden Weiderechte den Agrarbehörden zu übertragen, zu entnehmen.

Auch die vom Revisionsrekurswerber vorgetragenen verfassungsrechtlichen Bedenken gegen eine solche Auslegung der gesetzlichen Rechtsschutzwegregelung vermag der Oberste Gerichtshof nicht zu teilen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg hat in dem Verfahren über die von Ettl ua gegen Österreich am 13.3.1984 erhobene Beschwerde (Nr 9273/81), die sich gegen die Organisation der Agrarbehörden nach dem Agrarbehördengesetz BGBl 1/1951 idF der Agrarbehördennovelle BGBl 476/1974 richtete, und in der die Beschwerdeführer behaupteten, daß diese Behörden sowohl auf der Stufe des Landesagrarsenates als auch des Obersten Agrarsenates nicht als unabhängiges und unparteiisches Gericht im Sinne von Art 6 Abs 1 MRK angesehen werden könnten (vgl EuGRZ 1985, 364), mit Urteil vom 23.4.1987 einstimmig erkannt, daß keine Verletzung von Art 6 MRK gegeben ist (vgl EuGRZ 1987, 257). Da die Mitglieder der Agrarsenate in Ausübung ihres Amtes unabhängig und an keine Weisungen gebunden (§ 8 AgrarbehördenG 1950) und für eine Amtsdauer von 5 Jahren zu bestellen sind (§ 9 Abs 1 leg cit), die bis zu dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 19.März 1974, G 30/73, Kundmachung BGBl Nr 220/1974 bestehende personelle Verflechtung von Mitgliedern der Agrarsenate mit der Exekutive durch die mit Gesetz vom 11.7.1974, BGBl 476 vorgenommene organisatorische Änderung der Agrarbehörden beseitigt wurde, und die Agrarbehörden sowohl die Tat- als auch die Rechtsfrage lösen, besteht kein Zweifel, daß die Landesagrarsenate und der Oberste Agrarsenat als "Gericht" ("Tribunal") im Sinne des Art 6 Abs 1 MRK anzusehen sind (vgl auch Walter-Mayer, Grundriß des österreichischen Bundesverfassungsrechtes6, Rz 1480; Nowak, ÖZW 1974, 91; Klecatsky-Morscher, Das österreichische Bundesverfassungsrecht3 E 61 und 62 zu Art 6 MRK sowie JBl 1988, 302 zu vergleichbaren Kollegialbehörden).

Der Oberste Gerichtshof billigt daher die von den Vorinstanzen vorgenommene Auslegung des § 38 Abs 2 Tiroler Wald- und Weideservitutengesetz und damit die Verneinung der Zulässigkeit des Rechtsweges für den hier geltend gemachten Anspruch durch die Vorinstanzen.

Hinsichtlich der Bezeichnung der beklagten Partei sei schließlich auf die Bestimmungen des Bundesgesetzes vom 17.November 1977 über den Wirtschaftskörper "Österreichische Bundesforste" BGBl 610 verwiesen.

Dem Revisionsrekurs konnte somit kein Erfolg beschieden sein.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsrekursverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

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