OGH 10ObS47/91

OGH10ObS47/9112.2.1991

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Robert Prohaska und Dr. Stephan Seper (beide Arbeitgeber) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Theresia K*****, ***** vertreten durch Dr. Emil Schreiner, Rechtsanwalt in Eisenstadt, wider die beklagte Partei SOZIALVERSICHERUNGSANSTALT DER BAUERN (Landesstelle Burgenland), 1031 Wien, Ghegastraße 1, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Erwerbsunfähigkeitspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 22. Oktober 1990, GZ 32 Rs 179/90-11, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Eisenstadt als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 25. April 1990, GZ 16 Cgs 789/89-6, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil des Berufungsgerichtes wird dahin abgeändert, daß das klagsstattgebende Urteil des Erstgerichtes zur Gänze wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der Klägerin die mit S 3.623,04 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 603,84 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die am 11. Mai 1926 geborene Klägerin und ihr am 21. Juni 1920 geborener Ehegatte bewirtschafteten gemeinsam bis zum 30. September 1980 einen landwirtschaftlichen Betrieb, dessen jeweilige Hälfteeigentümer sie waren, wobei der Ehegatte der Klägerin in der Pensionsversicherung nach dem BSVG pflichtversichert war. Mit Pachtvertrag vom 27. November 1980 verpachtete der Ehegatte der Klägerin, um eine vorzeitige Alterspension zu erlangen, per 1. Oktober 1980 seinen Hälfteanteil am gemeinsamen Betrieb (mit Ausnahme dreier hier nicht interessierender Grundstücke) an seinen Sohne Michael und dessen Ehegattin. Die Klägerin trat diesem Pachtvertrag ausdrücklich bei und bewirtschaftete ab 1. Oktober 1980 gemeinsam mit ihrem Sohn Michael und dessen Ehegattin die von letzteren gepachteten Grundstücke und die schon bisher in ihrem Hälfteeigentum gestandenen und auch schon bisher von ihr bewirtschafteten Grundstücke des bis zum 30. September 1980 gemeinsamen ehelichen Betriebes. Im Punkt VI. dieses Pachtvertrages nahm der Verpächter zustimmend zur Kenntnis, daß die Pächter die Bewirtschaftung gemeinsam mit der Ehegattin des Verpächters (also der Klägerin) vornehmen werden. Nachdem der genannte Pachtvertrag zum 1. Dezember 1982 einvernehmlich aufgelöst worden war, pachtete die Klägerin ab diesem Zeitpunkt formell noch einmal einige Grundstücke ihres Ehegatten. Tatsächlich bewirtschaftete sie auch ab 1. Dezember 1982 die schon vor diesem Zeitpunkt bewirtschafteten Grundstücke.

Die Klägerin erwarb ab Oktober 1980 bis Feber 1989 (das ist der letzte Monat vor dem Stichtag 1. März 1989) 101 Beitragsmonate in der Pflichtversicherung der Pensionsversicherung nach dem BSVG. Seit dem 1. März 1989 übt sie keine die Pflichtversicherung nach diesem Gesetz begründende Erwerbstätigkeit mehr aus; sie ist zumindest seit diesem Zeitpunkt erwerbsunfähig iS des § 124 Abs. 2 BSVG.

Die beklagte SOZIALVERSICHERUNGSANSTALT DER BAUERN lehnte mit Bescheid vom 24. April 1989 den Antrag der Klägerin vom 27. Februar 1989 auf Gewährung einer Pension aus dem Versicherungsfall der dauernden Erwerbsunfähigkeit ab, weil die Wartezeit nicht erfüllt sei. In dem unmittelbar vor dem Stichtag liegenden Zeitraum von 288 Kalendermonaten seien statt der erforderlichen 144 nur 101 Versicherungsmonate nachgewiesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Klage, in der die Klägerin geltend macht, sie habe nach der Pensionierung ihres Ehegatten einen Teil seines Betriebes fortgeführt, weshalb die Übergangsbestimmungen der 8. BSVG-Novelle anzuwenden seien, wonach für die Gewährung einer Erwerbsunfähigkeitspension eine Wartezeit von 96 Versicherungsmonaten innerhalb der letzten 120 Kalendermonate vor dem Stichtag vorgeschrieben seien. Im übrigen sei die Klägerin erwerbsunfähig.

Das Erstgericht gab dieser Klage statt und erkannte die beklagte Partei schuldig, der Klägerin ab 1. März 1989 die Erwerbsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren und ab 1. Mai 1990 eine vorläufige Zahlung von S 3.000,-- monatlich zu erbringen. Gemäß § 123 Abs. 1 BSVG habe die Klägerin Anspruch auf Erwerbsunfähigkeitspension bei dauernder Erwerbsunfähigkeit, wenn sie die Wartezeit erfülle und die für sie in Betracht kommende weitere Voraussetzung des § 121 Abs. 2 BSVG zutreffe. Nach § 114 Abs. 1 BSVG sei der Anspruch auf eine Erwerbsunfähigkeitspension abgesehen von den im zweiten Unterabschnitt des BSVG festgesetzten besonderen Voraussetzungen an die allgemeine Voraussetzung geknüpft, daß die Wartezeit durch Versicherungsmonate iS des § 110 BSVG erfüllt sei. Im Fall der Klägerin sei Art. II Abs. 7 der 8. BSVG-Novelle anzuwenden, weil der damals versicherte Ehegatte der Klägerin zur Erfüllung der Voraussetzung für die Erlangung einer vorzeitigen Alterspension seinen landwirtschaftlichen Betrieb an die Klägerin vor dem 1. Jänner 1985 zur Bewirtschaftung überlassen habe. Es reiche daher aus, wenn 96 Versicherungsmonate innerhalb der letzten 120 Kalendermonate vor dem Stichtag erworben worden seien. Durch den Erwerb von 101 Beitragsmonaten in der Pflichtversicherung der Pensionsversicherung nach dem BSVG habe die Klägerin die Wartezeit im Sinne der genannten Novellenbestimmung erfüllt. Da die Klägerin dauernd erwerbsunfähig iS des § 124 Abs. 2 BSVG sei und seit 1. März 1989 keine die Pflichtversicherung nach dem BSVG begründende Erwerbstätigkeit mehr ausübe, habe sie alle Anspruchsvoraussetzungen auf eine Erwerbsunfähigkeitspension erfüllt, weshalb der Klage stattzugeben sei.

Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens ab. Auszugehen sei davon, daß der Ehegatte der Klägerin seinen Hälfteanteil am gemeinsam geführten Betrieb an seinen Sohn Michael und dessen Ehegattin verpachtet habe. Die Heranziehung der Übergangsbestimmungen der 8. BSVG-Novelle sei daher rechtsirrig. Von einer Überlassung des Betriebes zur Bewirtschaftung an die Klägerin könne nicht gesprochen werden, weshalb die Klägerin die Wartezeit nicht erfülle.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen von der Klägerin erhobene Revision ist berechtigt. Gemäß § 60 Abs. 3 B-PVG (Stammfassung) war für eine Leistung aus dem Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit die Wartezeit erfüllt, wenn am Stichtag 60 Versicherungsmonate vorlagen; bei Personen, die erstmalig nach dem vollendeten 50. Lebensjahr und nach dem 31. Dezember 1957 in der landwirtschaftlichen Zuschußrentenversicherung oder in der Pensionsversicherung nach dem B-PVG versicherungspflichtig geworden sind,

96 Versicherungsmonate. Im Zusammenhang mit der aus der gewerblichen Selbständigen-Pensionsversicherung übernommenen Erleichterung der Anspruchsvoraussetzungen für die Erwerbsunfähigkeitspension bei Versicherten, die das 55. Lebensjahr vollendet haben und deren persönliche Arbeitsleistung zur Aufrechterhaltung des Betriebes notwendig war, ließ sich im Bereich der bäuerlichen Pensionsversicherung, bedingt durch die anders gelagerten Besitz- und Betriebsverhältnisse in der Landwirtschaft eine Entwicklung beobachten, die der vom Gesetzgeber seinerzeit mit dieser Maßnahme verfolgten Zweckbestimmung nicht mehr gerecht wurde. Immer mehr griff in den größenmäßig geeigneten Betrieben die Übung um sich, daß Betriebsführer mit Erreichung des 55. Lebensjahres den landwirtschaftlichen Betrieb an die Ehegattin verpachteten und die begünstigte Erwerbsunfähigkeitspension in Anspruch nahmen. Die Ehegattin wurde damit Betriebsführer, erwarb Versicherungszeiten und hatte, ohne daß sich an den tatsächlichen Arbeitsverhältnissen am Hof etwas geändert hätte, oftmals nach fünf Jahren die Wartezeit eine eigene Erwerbsunfähigkeitspension erfüllt. Um eine solche Entwicklung einzudämmen, sollte nach der RV zur 6. B-PVG-Novelle nach der in der Neufassung des § 60 Abs. 3 vorgesehenen Regelung solche durch Pachtverhältnisse zwischen Verwandten und Ehegatten zustandegekommenen Versicherungszeiten für die Erfüllung der Wartezeit für die Erwerbsunfähigkeitspension nur zur Hälfte zählen, so daß für die Erlangung einer solchen Pension eine Wartezeit von mindestens 10 Versicherungsjahren erforderlich sein sollte (RV 643 BlgNR. 14. GP 7). Nach dem Bericht des Ausschusses für soziale Verwaltung ergab eine neuerliche überprüfung der in der RV vorgesehenen Regelung, daß sie einerseits der damit verfolgten Absicht, eine ungerechtfertigte Mehrbelastung der versicherten Gemeinschaft zu verhindern, nicht voll gerecht werde, andererseits aber auch Fälle erfasse, bei denen ihre Anwendung eine echte Härte bedeute. Die Neufassung dieser Bestimmung sollte den aufgetretenen Bedenken Rechnung tragen und daher nicht nur bei der vom Versicherten in Anspruch genommenen Erwerbsunfähigkeitspension sondern auch bei der vorzeitigen Alterspension Anwendung finden, weil auch hier die Möglichkeit besteht, durch formelle Betriebsübergabe einerseits die Anspruchsvoraussetzungen in der eigenen Person zu erfüllen und gleichzeitig die Anspruchsvoraussetzungen für eine Erwerbsunfähigkeitspension der Ehegattin zu schaffen, ohne daß sich an den tatsächlichen Betriebsverhältnissen etwas ändert. Sie sollte allerdings nur in den Fällen wirksam werden, in denen für die Ehegattin eine Leistung aus dem Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit iS des § 70 Abs. 1 zweiter Satz B-PVG in Betracht kam. Weiters sollte die Regelung nicht nur auf die Verpachtung beschränkt, sondern auf jede Art der Überlassung des Betriebes zur Bewirtschaftung ausgedehnt werden. Die Regelung sollte überdies zur Vermeidung echter Härtefälle auf die Ehegattin des Versicherten eingeschränkt bleiben. Abweichend von der Fassung der RV wurde schließlich die Sonderregelung nicht mehr in Form einer Minderbewertung der erworbenen Versicherungszeiten in zeitlicher Hinsicht, sondern in Form der Einführung einer besonderen Wartezeit für diese Fälle getroffen (AB 716 BlgNR 14. GP). Die Bestimmung des § 60 Abs. 3 B-PVG idF der 6. Novelle wurde im wesentlichen in die Stammfassung des BSVG (§ 111 Abs. 3) übernommen. Die hier wesentliche Passage aus § 111 Abs. 3 BSVG idF der 1. Novelle lautete: "Hat ein Versicherter zur Erfüllung der Voraussetzung a) des § 121 Abs. 2 für den Anspruch auf Erwerbsunfähigkeitspension auf Grund einer Erwerbsunfähigkeit iS des § 124 Abs. 2 oder b) des § 122 Abs. 1 lit. d seinen land(forst)wirtschaftlichen Betrieb an seinen Ehegatten übergeben, verpachtet oder auf andere Weise zur Bewirtschaftung überlassen, so beträgt die Wartezeit für eine für den Ehegatten in Betracht kommende Leistung aus dem Versicherungsfall der dauernden Erwerbsunfähigkeit iS des § 124 Abs. 2

96 Versicherungsmonate". Dieses System der Wartezeit wurde durch die 8. BSVG-Novelle grundlegend geändert. Dabei hatte die Präsidentenkonferenz der Landwirtschaftskammern Österreichs im Begutachtungsverfahren darauf hingewiesen, daß die vorgeschlagenen Änderungen im Bereich der Wartezeit besondere Härten, vor allem in jenen Fällen mit sich brächten, in denen schon bisher im Zusammenhang mit der Übergabe des land(forst)wirtschaftlichen Betriebes an den Ehegatten strengere Voraussetzungen bezüglich der Wartezeit für eine Leistung aus dem Versicherungsfall der dauernden Erwerbsunfähigkeit iS des § 124 Abs. 2 BSVG an den Ehegatten bestanden haben. Die Übernahme und Fortführung des land(forst)wirtschaftlichen Betriebes durch den Ehegatten ist in der Regel im Vertrauen auf die geltende Rechtslage erfolgt, eine allfällige Leistung gemäß § 124 Abs. 2 BSVG nach Erfüllung der Wartezeit von

96 Versicherungsmonaten in Anspruch nehmen zu können. Dem begründeten Vorbringen, das einen Sonderfall der Wartezeitregelung in der bäuerlichen Pensionsversicherung berührte, sollte im Übergangsrecht der Novelle dadurch Rechnung getragen werden, daß eine Weitergeltung der alten Rechtslage hinsichtlich des Ausmaßes der Wartezeit in allen jenen Fällen vorgesehen wurde, in denen der land(forst)wirtschaftliche Betrieb vor dem 1. Jänner 1985 an den Ehegatten übergeben worden ist (329 BlgNR 16. GP 11). Die Übergangsbestimmung des Art. II Abs. 7 der 8. BSVG-Novelle entspricht daher im wesentlichen der Rechtslage des § 111 BSVG idF der 1. Novelle. Sie bedeutet im Fall der Klägerin eine Erleichterung der Erfüllung der Wartezeit, weil sie statt der sonst erforderlichen 144 Versicherungsmonate nur 96 nachweisen muß.

Die entscheidende Frage, ob der Ehegatte der Klägerin seinen ideellen Hälfteanteil am gemeinsamen landwirtschaftlichen Betrieb vor dem 1. Jänner 1985 an die Klägerin zur Bewirtschaftung überlassen hat, um die Voraussetzung für den Anspruch auf vorzeitige Alterspension zu erfüllen, wurde entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes vom Erstgericht zutreffend bejaht. Auszugehen ist nämlich von der unbekämpft gebliebenen Feststellung, daß die Klägerin trotz formeller Verpachtung des ideellen Hälfteanteils an den Sohn und die Schwiegertochter auch nach dem 1. Jänner 1980 - wenn auch, statt wie bisher mit dem Ehegatten, nunmehr gemeinsam mit dem Sohn und der Schwiegertochter - den gesamten landwirtschaftlichen Betrieb weiterhin (mit)bewirtschaftete. Dies entsprach auch dem ausdrücklichen Willen ihres Ehegatten, der im Pachtvertrag hiezu seine Zustimmung gegeben hatte. Bedenkt man, daß die Klägerin stets die Eigentümerin der anderen ideellen Hälfte des Betriebes war und den gesamten Betrieb sowohl vor dem 1. Oktober 1980 wie danach mit Willen ihres Ehegatten zumindest mitbewirtschaftete, dann kann kein Zweifel daran bestehen, daß ihr diese Mitbewirtschaftung vom Ehegatten überlassen wurde. Die Klägerin, die ab 1. Oktober 1980 in der Pensionsversicherung nach dem BSVG pflichtversichert war und seit dieser Zeit Beitragsmonate erwarb, konnte darauf vertrauen, daß sie durch den Erwerb von 96 Versicherungsmonaten die Wartezeit für die Erlangung einer Erwerbsunfähigkeitspension erfüllen würde. Gerade in diesem Vertrauen sollte die Klägerin durch die Übergangsbestimmungen der 8. BSVG-Novelle geschützt werden. Da unstrittig ist, daß sie 101 Versicherungsmonate erworben hat, ist die Wartezeit erfüllt und damit das einzige der Gewährung einer Erwerbsunfähigkeitspension noch entgegenstehende Hindernis beseitigt.

In Stattgebung der Revision war daher das Urteil des Erstgerichtes wiederherzustellen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs. 1 Z 2 lit. a ASGG. Gemäß § 77 Abs. 2 ist, da der Rechtsstreit einen Anspruch auf eine wiederkehrende Leistung zum Gegenstand hat, bei der Festsetzung des Kostenersatzanspruches von einem Betrag von S 50.000,-- auszugehen; die Revisionskosten sind dabei nach TP III C des RAT zu berechnen.

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