OGH 12Os149/90

OGH12Os149/9010.1.1991

Der Oberste Gerichtshof hat am 10. Jänner 1991 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Müller als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Horak, Dr. Felzmann, Hon.‑Prof. Dr. Brustbauer und Dr. Rzeszut als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Bauer als Schriftführerin in der Strafsache gegen Ingrid S* wegen des Vergehens der üblen Nachrede nach § 111 Abs. 1 StGB über die von der Generalprokuratur zur Wahrung des Gesetzes gegen die Urteile des Bezirksgerichtes Schwaz vom 15. Mai 1990, GZ U 55/90-9, und des Landesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht vom 24. Mai 1990, AZ Bl 232/90, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Wasserbauer, und des Verteidigers Dr. Grill, jedoch in Abwesenheit der Verurteilten Ingrid S* zu Recht erkannt:

 

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1991:0120OS00149.90000.0110.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

Die Urteile des Bezirksgerichtes Schwaz vom 15. Mai 1990, GZ U 55/90-9, und des Landesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht vom 24. Juli 1990, Bl 232/90, verletzen das Gesetz in der Bestimmung des § 46 Abs. 1 StPO.

Beide Urteile werden aufgehoben und es wird gemäß §§ 292, 288 Abs. 2 Z 3 StPO in der Sache selbst erkannt:

Ingrid S* wird von der wider sie erhobenen Anklage, sie habe Ende November/Anfang Dezember 1989 in J* Rosemarie S* gegenüber Maria W*, somit in einer für einen Dritten wahrnehmbaren Weise, dadurch einer verächtlichen Eigenschaft geziehen, daß sie sie eine "Hure" nannte, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Gemäß §§ 390, 390 a StPO wird der Privatanklägerin Rosemarie S* der Ersatz der Kosten des Verfahrens erster und zweiter Instanz auferlegt.

 

Gründe:

Rosemarie S* hat spätestens am 22. Dezember 1989 davon Kenntnis erlangt, daß sie von Ingrid S* im November bzw im Dezember 1989 gegenüber einer gemeinsamen Bekannten (im Zusammenhang mit einem konkreten Verhaltensvorwurf) als "Hure" bezeichnet worden war. Diese Information nahm Rosemarie S* zum Anlaß, mit einem Schreiben, das mit 29. Jänner 1990 datiert war und am 30. Jänner 1990 bei dem (örtlich unzuständigen) Bezirksgericht Zell am Ziller einlangte, "Anzeige" gegen Ingrid S* mit der Begründung zu erstatten, daß diese Lügen über sie erzählt und sie auch mit Schimpfnamen belegt hätte (S 5). Die Konkretisierung des betreffenden Tatvorwurfes durch Angabe der Ingrid S* darnach zugeschriebenen Äußerung wurde von Rosemarie S* aber erst bei ihrem ladungsgemäßen Erscheinen vor dem Bezirksgericht Zell am Ziller am 23. Februar 1990 vorgenommen (S 7). Am 30. März 1990 beantragte Rosemarie S* schließlich vor dem zuständigen Bezirksgericht Schwaz (an das der Akt inzwischen weitergeleitet worden war) mit dem Hinweis darauf, daß ihr bisheriges Vorbringen als Privatanklage zu verstehen sei, auch noch ausdrücklich die Bestrafung der Ingrid S* (S 11).

Mit Urteil vom 15. Mai 1990, GZ U 55/90-9, erkannte hierauf das Bezirksgericht Schwaz Ingrid S* (wegen der vorangeführten Äußerung) des Vergehens der üblen Nachrede nach dem § 111 Abs. 1 StGB schuldig und verhängte über sie eine gemäß § 43 Abs. 1 StGB (unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren) bedingt nachgesehene Geldstrafe. Das Bezirksgericht betrachtete das erwähnte Schreiben der Rosemarie S* vom 29. Jänner 1990 als "verfahrenseinleitende Eingabe", durch deren Einbringung die sechswöchige Verfolgungsfrist des § 46 Abs. 1 StPO gewahrt worden sei. Dieser Auffassung schloß sich auch das Landesgericht Innsbruck als Rechtsmittelgericht an, das in der Eingabe Rosemarie S* vom 29. Jänner 1990 zumindest einen Antrag auf Durchführung von gerichtlichen Vorerhebungen erblickte und deshalb der Berufung der Ingrid S* wegen Nichtigkeit (unter gleichzeitiger Stattgebung ihrer Berufung wegen des Strafausspruches) nicht Folge gab (Urteil vom 24. Juli 1990, Bl 232/90 = ON 15 der Akten U 55/90 des Bezirksgerichtes Schwaz).

Beide Urteile stehen mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Rechtliche Beurteilung

Zur Wahrung der sechswöchigen Frist des § 46 Abs. 1 StPO ist erforderlich, daß eine zur Privatanklage berechtigte und auch nach außen hin erkennbar als Privatankläger auftretende Person beim Strafgericht innerhalb dieser Frist einen Verfolgungsantrag stellt, der ungeachtet des Umstandes, daß die Strafverfolgung vor den Bezirksgerichten weniger strengen Formerfordernissen als im Gerichtshofverfahren unterliegt, neben einer unzweideutigen Erklärung des Verfolgungswillens die unverwechselbare Kennzeichnung des für strafbar gehaltenen Sachverhaltes im Verfolgungsantrag voraussetzt. Im vorliegenden Fall hätte es daher einer hinreichend deutlichen Bezeichnung der Äußerung, die Ingrid S* zugeschrieben wurde, gegenüber den mit der gegenständlichen Strafsache befaßten Gerichten binnen der Frist des § 46 Abs. 1 StPO bedurft. Eine derartige Konkretisierung der Tat hat Rosemarie S* in ihrer zwar fristgerechten, aber keine ausreichende Tatumschreibung enthaltenden Eingabe vom 29. Jänner 1990 jedoch unterlassen und erst am 23. Februar 1990 - mithin ausgehend von einer Kenntnisnahme durch die Privatanklägerin am 21. Dezember 1989 nach Ablauf der mit 2. Februar 1990 endenden sechswöchigen Verfolgungsfrist des § 46 Abs. 1 StPO und damit verspätet - nachgetragen (Mayerhofer-Rieder, StPO2, § 46, ENr 52, 54 und 55 sowie die gleichfalls eine entsprechende Sachverhaltsumschreibung voraussetzende, unter ENr 62 angeführte ältere Judikatur; im gleichen Sinne auch SSt 36/61). Infolge der hiedurch eingetretenen - ein prozessuales Verfolgungshindernis darstellenden - subjektiven Verjährung wäre Rosemarie S* daher gemäß § 259 Z 3 (nach einigen älteren

Entscheidungen - siehe Mayerhofer-Rieder, aaO, § 259 StPO, ENr 18 und ENr 26 - iS der Z 1) StPO freizusprechen gewesen (Mayerhofer-Rieder aaO, § 46 StPO, ENr 146 sowie § 259 StPO, ENr 27 und 92; MKK4, § 259 StPO Erl III/5).

Da sich die unterlaufene Gesetzesverletzung zum Nachteil der Verurteilten Ingrid S* auswirkte, war sie in Stattgebung der vom Generalprokurator gemäß § 33 Abs. 2 StPO erhobenen Beschwerde spruchgemäß mit dem Hinweis zu sanieren, daß die auf dem kassierten Urteil beruhenden Anordnungen (siehe insbesondere 21) ipso iure hinfällig sind (EvBl 1984/147, LSK 1987/79 uva; zuletzt 12 Os 46/90); als Konsequenz daraus war der Privatanklägerin der Ersatz sämtlicher Kosten aufzuerlegen (siehe dazu MKK4 § 292 StPO Erl II; SSt 50/9).

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