Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 6.789,60 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 1.131,60 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu bezahlen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger fuhr am 27.9.1986 gegen 19,30 Uhr mit seinem Moped in Leibnitz durch die Grazergasse Richtung Süden. Er wurde hiebei von einem überholenden PKW gestreift, kam zu Sturz und erlitt neben anderen Verletzungen einen Schrägbruch des rechten Schienbeins. Der schuldtragende PKW-Lenker beging Fahrerflucht.
Das Erstgericht sprach dem Kläger, gestützt auf die Bestimmungen des BG 2.6.1977, BGBl. 322, über den erweiterten Schutz der Verkehrsopfer (im folgenden nur VerkehrsopferG) ein Schmerzengeld von S 95.000 und einen Verdienstentgang von S 1.995, zusammen S
96.995 sA zu.
Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil im Sinne einer gänzlichen Stattgebung des auf Zuspruch von S 121.995 sA gerichteten Klagebegehrens ab und sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig ist.
Rechtliche Beurteilung
Im Revisionsverfahren ist nur mehr die Frage strittig, ob dem Kläger eine Verletzung der Verpflichtung nach § 4 Abs. 1 Z 1 VerkehrsopferG, das Schadenereignis ohne unnötigen Aufschub der nächsten Polizei- oder Gendarmeriedienststelle zu melden, mit der Rechtsfolge des Anspruchsverlustes zur Last fällt.
Beide Vorinstanzen verneinten eine Verletzung dieser Meldepflicht durch den Kläger. Das Berufungsgericht führte hiezu aus, die Pflichten der Anspruchsberechtigten im Schadenfall nach § 4 des VerkehrsopferG seien denen der Versicherungsnehmer gemäß Art. 8 Abs. 2 AKHB 1967, die Rechtsfolgen ihrer Verletzung dem § 6 Abs. 2 VersVG nachgebildet. Schon aus dem unterschiedlichen Wortlaut der Meldepflicht ("sofort" nach Art. 8 Abs. 2 AKHB und "ohne unnötigen Aufschub" nach § 4 Abs. 1 Z 1 VerkehrsopferG) sei eine unterschiedliche Zielsetzung des Gesetzgebers zu erkennen. Es sollten jene Situationen Berücksichtigung finden, die einen unbedingt notwendigen Aufschub erforderten. Im vorliegenden Fall sei der im Unfallszeitpunkt noch minderjährige Kläger durch den Unfall unter einer gewissen Schockeinwirkung gestanden, erheblich verletzt und auf fremde Hilfe angewiesen gewesen, um zunächst nach Hause und von dort in ein Krankenhaus zu gelangen. Unter diesen Umständen könne ihm eine Verletzung der Pflicht, das Schadenereignis ohne unnötigen Aufschub der nächsten Polizei- oder Gendarmeriedienststelle zu melden, nicht angelastet werden, zumal die Gendarmerie nach Einlieferung des Klägers in das Krankenhaus, wenn auch von dritter Seite, von dem Unfall Kenntnis erlangt habe. Die gegen die Entscheidung der zweiten Instanz erhobene Revision der beklagten Partei ist nicht berechtigt.
Der Hinweis auf Art. 8 Abs. 2 AKHB 1967 in den Erläuternden Bemerkungen (506 BlgNR 14. GP 4), dem die Pflichten des Anspruchsberechtigten nach dem VerkehrsopferG nachgebildet wurden, ist insofern unpräzise und mißverständlich, als die Obliegenheit zur sofortigen Verständigung der nächsten Polizei- oder Gendarmeriedienststelle bei Personenschäden damals in Art. 8 Abs. 1 Z 1 AKHB verankert war. Dies ist aber hier für die Auslegung des § 4 Abs. 1 Z 1 VerkehrsopferG ohne Bedeutung. Das Berufungsgericht ist zu Recht von dem von der Obliegenheitsbeschreibung nach den AKHB abweichenden Wortlaut des § 4 Abs. 1 Z 1 VerkehrsopferG ausgegangen. Eine Verletzung der Verständigungsobliegenheit nach den AKHB wurde allerdings vom Obersten Gerichtshof wiederholt verneint, solange einer sofortigen Verständigung ein unüberwindliches Hindernis (etwa die notwendige Hilfeleistung für den Verletzten) entgegenstand (ZVR 1983/296, 1982/117, 1980/351; 7 Ob 10/80; 7 Ob 19/78). Der § 4 Abs. 1 Z 1 VerkehrsopferG trägt schon seinem Wortlaut nach dem Umstand Rechnung, daß durch die Umstände des Unfalls ein Aufschub der Meldung gerechtfertigt sein kann. Durch die Anordnung des Gesetzes ist klargestellt, daß unbeschadet des Regelungszweckes, der mißbräuchlichen Inanspruchnahme von Leistungen vorzubeugen, gerechtfertigte Aufschiebungsgründe beachtlich sind. Ein solcher Grund ist zweifellos eine schwere Verletzung des Anspruchsberechtigten. Da die Meldung des Schadenereignisses aber ohne unnötigen Aufschub zu erfolgen hat, ist sie jedenfalls dann zu erstatten, wenn der Verletzte die erforderliche ärztliche Versorgung erhalten hat und in der Lage ist, die Meldung selbst zu erstatten oder durch einen Dritten zu veranlassen. Daß die Meldung nicht ohne unnötigen Aufschub erfolgte, ist objektives Tatbestandserfordernis der Obliegenheitsverletzung und daher vom Leistungspflichtigen zu beweisen. Dem Anspruchsberechtigten obliegt lediglich der Beweis, daß ihm weder Vorsatz noch grobe Fahrlässigkeit zur Last fällt (vgl. Prölss-Martin, VVG24 109; SZ 47/44; SZ 46/106). Im vorliegenden Fall ereignete sich der Unfall, bei dem der Kläger schwer verletzt wurde, gegen 19,30 Uhr. Der Kläger wurde zunächst nach Hause und anschließend in das Krankenhaus gebracht. Die Revision geht selbst davon aus, daß der Kläger gegen 21,30 Uhr von der Gendarmerie vernommen und diese zu diesem Zeitpunkt Kenntnis von dem Unfall erhalten hat. Daß zu diesem Zeitpunkt der Aufschiebungsgrund aber bereits weggefallen und der Kläger in der Lage gewesen wäre, seiner Meldungspflicht nachzukommen, wurde von der beklagten Partei, die hiefür nach dem Obgesagten beweispflichtig ist nicht einmal behauptet.
Die Vorinstanzen haben daher zu Recht eine Verletzung der Meldepflicht durch den Kläger verneint.
Demgemäß ist der Revision ein Erfolg zu versagen.
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