OGH 8Ob652/90

OGH8Ob652/9030.10.1990

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Griehsler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch, Dr.Huber, Dr.Graf und Dr.Jelinek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Maria B***, Hausfrau, 3100 St. Pölten, Kranzbichlerstraße 6, vertreten durch Dr.Stefan Gloß und Dr.Hans Pucher, Rechtsanwälte in St. Pölten, wider die beklagte Partei W*** & Co. Ges.m.b.H., 3100 St. Pölten, Hötzendorferstraße 5, vertreten durch Dr.Eduard Pranz, Dr.Oswin Lukesch und Dr.Anton Hintermeier, Rechtsanwälte in St. Pölten, wegen S 72.123,-- und Feststellung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 27.Juni 1990, GZ 17 R 126/90-14, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes St. Pölten vom 23. Jänner 1990, GZ 28 Cg 25/89-10, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

In Abänderung des angefochtenen Urteiles wird das erstgerichtliche Zwischenurteil wiederhergestellt.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens wird der Endentscheidung vorbehalten.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin kam am 3.8.1987 um ca. 10.15 Uhr als Fußgängerin vor dem Hause St. Pölten, Wienerstraße 3, durch ein auf den oberflächlich aufgegrabenen Gehsteig gelegtes und kippendes Schalbrett (Schaltafel), zu Sturz und erlitt hiedurch einen Trümmerbruch des linken Ellbogens. Mit der Behauptung, die beklagte Partei habe die Verkehrssicherungspflicht im Baustellenbereich vertraglich übernommen, jedoch die erforderlichen Sicherungsmaßnahmen unterlassen, begehrt sie von dieser die Zahlung eines Schadenersatzbetrages von S 72.123 sowie die Feststellung der Haftung für allfällige zukünftige Unfallschäden.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens, weil ohne ihr Wissen kurz vor dem Unfall eine andere Firma Schalbretter aufgelegt habe und sie daher für deren allenfalls unsachgemäße Anbringung keine Haftung treffe.

Das Erstgericht sprach mit Zwischenurteil aus, daß die Klageforderung dem Grunde nach zu Recht bestehe. Es stellte folgenden Sachverhalt fest:

Im Auftrag des Magistrates der Stadt St. Pölten hatte die Firma A***- UND B*** M.B.H. in der Wienerstraße in St. Pölten Straßenbauarbeiten durchzuführen; ihr Bauleiter war Ing.Günther B***. Die beklagte Partei war an der Baustelle mit der Erneuerung der Fernheizungsrohre befaßt; ihr Auftraggeber waren die Stadtwerke St. Pölten; für sie war als Bauleiter Herbert E*** tätig. Bei einer am 29.7.1987 durchgeführten Besprechung über die laut Anordnung des Magistrates der Stadt St. Pölten zur Aufrechterhaltung des Fußgängerverkehrs erforderlichen Absperr- und Sicherungsmaßnahmen hat die beklagte Partei aufgrund ihres ausdrücklichen Einverständnisses "mit 31.7.1987, 17.00 Uhr, die Verantwortung und die Instandhaltung der Sicherungsmaßnahmen" übernommen. Sie wurde darauf verwiesen, daß die Absperrmaßnahmen laufend, und zwar auch während des Wochenendes, zu kontrollieren sind. Im Zeitpunkt der Übernahme der Verantwortung befanden sich im südlichen Gehsteig-Bereich der Wienerstraße zahlreiche Schaltafeln, im nördlichen Bereich waren nur zwei Schaltafeln vor Hauseingängen vorhanden. Aus den Lichtbildern in dem den Unfall der Klägerin betreffenden Strafakt ist die damalige Situation ersichtlich. Am 1.8. und 2.8.1987 und am Morgen des 3.8.1987 um ca. 7.00 Uhr kontrollierte der vom Bauleiter E*** mit der Überprüfung der "Ordnungsgemäßheit der Absicherung" betraute Mitarbeiter der beklagten Partei namens B*** die Baustelle; zur letztgenannten Zeit waren im nördlichen Bereich der Wienerstraße weiterhin nur die beiden genannten Schaltafeln vorhanden. An diesem Tag wurden wegen starker Regenfälle die Arbeiten nicht aufgenommen. Offenbar infolge Anrainerbeschwerden und/oder auf Anweisung des Magistrates der Stadt St. Pölten verlegten Leute der A***- UND B***

M.B.H. am Vormittag dieses Tages auch im nördlichen Bereich der Wienerstraße, insbesondere auch vor dem Hause Nr. 3, weitere Schaltafeln, sodaß sich die aus den weiteren Lichtbildern ersichtliche Situation ergab. Von den auf die aufgegrabenen Gehsteigoberflächen gelegten Schaltafeln bestand zu der tiefer gelegenen Straße hin keine Absperrung oder Begrenzung. Als die damals 62-jährige Klägerin die teilweise wackelnden Schaltafeln vor dem Hause Nr. 3 beging, stolperte eine unmittelbar vor ihr gehende Frau. Dadurch hob sich eine Schaltafel, die nachkommende Klägerin geriet mit ihrem linken Fuß darunter, konnte ihn wegen der sich wieder senkenden Schaltafel nicht mehr herausbringen, verlor das Gleichgewicht und stürzte auf die Straße; dabei erlitt sie einen Trümmerbruch des linken Ellbogens. Bei der Verlegung der Schaltafeln war keine besondere Sorgfalt angewendet worden. Sie lagen teilweise aufeinander, teilweise bestanden auch Zwischenräume, sodaß es viele Stolperstellen gab. Eine ordnungsgemäße und sorgfältige Verlegung hätte darin bestanden, die Schaltafeln stumpf aneinanderstoßen zu lassen, im Bereiche der Stöße Holzpfosten unterzulegen und darauf die Schaltafeln anzunageln. Dadurch wären Höhenunterschiede unterblieben und ein Aufschnappen der Schaltafeln hintangehalten worden. Auch durch eine Vernagelung der Schaltafeln und durch ein Hinterstopfen mit Schotter wäre derselbe Effekt erreicht worde. Eine optimale Absicherung hätte auch ein aus Fuß-, Mittel- und Brustwehr bestehendes Geländer erfordert. Das gegen Herbert E*** im Zusammenhang mit dem Unfall der Klägerin wegen des Vergehens nach § 88 Abs 1 und 4 StGB eingeleitete Strafverfahren endete mit einem rechtskräftigen Freispruch.

In seiner rechtlichen Beurteilung verwies das Erstgericht auf die den Bauführer treffende Verkehrssicherungspflicht und kam zu dem Schluß, daß diese - wie dem Inhalt der Lichtbilder zu entnehmen sei - auf der gegenständlichen Baustelle völlig unzureichend erfüllt worden sei. Das Auflegen der Schaltafeln sei auch unsachgemäß erfolgt und von der beklagten Partei zu vertreten, da sie die Verantwortub 80ür die Baustelle und ihre ordnungsgemäße Absicherung getragen habe. Ein Mitverschulden der Klägerin liege nicht vor. Das Berufungsgericht gab der von der beklagten Partei erhobenen Berufung Folge und wies das Klagebegehren ab. Es erklärte die Revision für zulässig und führte aus:

Eine Haftung der beklagten Partei für nicht von ihr und ohne ihrem Wissen von einer anderen Firma verlegte Schaltafeln sei nicht gegeben. Die Frage einer sonstigen mangelhaften Sicherung der Baustelle sei nicht zu untersuchen, weil der Unfall der Klägerin nicht dadurch verursacht worden sei. Auch eine Verletzung der Aufsichtspflicht hinsichtlich der Baustelle liege nicht vor, weil die Baustelle drei Stunden vor dem Unfall von ihr kontrolliert worden sei. Eine Haftung gemäß § 1319 ABGB sei ebenfalls zu verneinen, da die beklagte Partei durch ihre regelmäßige Kontrolle die ihr zumutbaren Vorkehrungen zur Gefahrenabwendung getroffen habe. Gegen die berufungsgerichtliche Entscheidung wendet sich die auf den Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützte Revision der Klägerin mit dem Antrage auf Abänderung im Sinne der Wiederherstellung des erstgerichtlichen Zwischenurteiles. Die Revisionswerberin vertritt die Auffassung, eine Kontrolle der Baustelle im Abstand von mehr als drei Stunden sei nicht hinreichend gewesen. Überhaupt müsse ein Bauunternehmer alles ihm mögliche vorkehren, um eine Schädigung Dritter abzuwenden. An seine Kenntnisse seien im Sinne des § 1299 ABGB hohe Anforderungen zu stellen, insbesondere wenn sich - wie hier - die Baustelle mitten in einer Fußgängerzone mit einer überdurchschnittlich hohen Frequenz befinde und wegen Regenwetters Rutschgefahr bestehe. Somit sei der beklagten Partei eine Verletzung ihrer Verkehrssicherungspflicht anzulasten. Im übrigen handle es sich bei der gegenständlichen, mit Schaltafeln bedeckten Aufgrabung um ein Werk im Sinne des § 1319 ABGB, sodaß auch deswegen die Haftung der beklagten Partei zu bejahen sei. Als Besitzer dieses Werkes hätte die beklagte Partei ihrerseits den Mangel eines Verschuldens zu beweisen.

Rechtliche Beurteilung

Den Revisionsausführungen kommt im Ergebnis Berechtigung zu. Nach dem Inhalt der Lichtbilder im Strafakt AZ 5 U 727/87 des Bezirksgerichtes St. Pölten befand sich der Gehsteig im gesamten Baustellenbereich der Wienerstraße infolge der Aufgrabungen in einem unförmigen, hügeligen Zustand mit mehrfachen tiefen unregelmäßigen Querrillen. Ein Begehen des groben, in unregelmäßiger Breite vorhandenen und seitlich zur Fahrbahn hin stark abfallend lose liegenden Schotter- und Erdmaterials war ganz offenkundig mit erheblicher Sturzgefahr verbunden.

Die beklagte Partei, die am 31.7.1987 die Verantwortung für die Verkehrssicherheit der Fußgänger auf der Baustelle übernommen hatte, war daher - ebenso wie vor ihr schon die A***- UND

B*** M.B.H. - verpflichtet, die erforderlichen

wirksamen Abwehrmaßnahmen zu ergreifen. Tatsächlich hat sie jedoch den Baustellenbereich im bisherigen gefährlichen Zustand belassen. Insbesondere hat sie auch nicht die von der A***- UND B*** M.B.H. an zahlreichen Stellen völlig

unsachgemäß und gefährlich aufgelegten Schaltafeln entfernt oder - im Sinne der obenstehenden Ausführungen - sachgemäß neu verlegt. Der Umstand, daß einzelne solcher Tafeln von der A***- UND B*** M.B.H. auch noch am 3.8.1987

aufgelegt wurden, enthebt sie nicht der Verantwortung hiefür, weil sie die aufgezeigte völlig unsachgemäße und gefährliche Art der Verlegung durch jene Gesellschaft grundsätzlich für den ganzen Baustellenbereich gebilligt hatte und demgemäß für den mangelhaften Gesamtzustand der begehbaren Teile der Baustelle einzustehen hat. Der Sturz der Klägerin ist auf die unsachgemäße Verlegung der Schaltafeln durch die A***- UND B*** M.B.H. im Baustellenbereich zurückzuführen und die beklagte Partei haftet somit hiefür, weil sie zur Unfallszeit die Verkehrssicherungspflicht an der Baustelle traf.

In Stattgebung der Revision war daher das erstgerichtliche Zwischenurteil wiederherzustellen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf § 52 ZPO.

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