Spruch:
Dem Revisionsrekur wird Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird die Fortsetzung des Verfahrens unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung
Der Kläger erlitt am 29.4.1987 einen Arbeitsunfall. Als Entschädigung wurde ihm gemäß § 209 Abs. 2 ASVG für die Zeit vom 6.8.1987 bis 31.8.1988 eine Gesamtvergütung entsprechend einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 vH gewährt. Sein Antrag, ihm darüber hinaus eine Versehrtenrente im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren, wurde mit Bescheid der beklagten Partei vom 2.11.1988 abgewiesen. Die dagegen zu 13 Cgs 255/88 des Landesgerichtes Linz als Arbeits- und Sozialgerichtes erhobene Klage wurde abgewiesen, die vom Kläger erhobene Berufung blieb erfolglos. Das Urteil des Berufungsgerichtes wurde dem Kläger am 12.6.1989 zugestellt und erwuchs ohne Anfechtung in Rechtskraft.
Am 9.6.1989 stellte der Kläger einen neuen Antrag auf Gewährung einer Versehrtenrente im gesetzlichen Ausmaß mit der Behauptung, sein Gesundheitszustand habe sich in der Zwischenzeit verschlechtert; dazu verwies er auf ein dem Antrag beigelegtes Privatgutachten. Diesen Antrag wiederholte der Kläger am 1.9.1989 unter Bezugnahme auf einen neuen ärztlichen Befund vom 24.8.1989. Mit Bescheid vom 21.3.1990 hat die beklagte Partei den Antrag auf Gewährung einer Rente wegen der Folgen des Unfalls vom 29.4.1987 gemäß § 183 ASVG abgewiesen. In der Begründung dieses Bescheides führte die beklagte Partei aus, nach dem Ergebnis der ärztlichen Begutachtung bestünden keine Unfallsfolgen in rentenberechtigendem Ausmaß; es könne somit keine Rente gewährt werden. Der Bescheid enthielt ferner die Rechtsbelehrung, daß er gemäß § 67 Abs. 2 ASGG rechtskräftig würde, wenn der Bescheidempfänger nicht innerhalb von vier Wochen nach Zustellung Klage erhebe.
Mit der am 20.4.1990 zur Post gegebenen Klage begehrt der Kläger die beklagte Partei schuldig zu erkennen, ihm ab 1.8.1989 die Versehrtenrente im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren. Nach den Klagsbehauptungen habe sich sein Gesundheitszustand auf Grund der Folgen des Arbeitsunfalles weiter verschlechtert. Bei richtiger Beweiswürdigung und richtiger rechtlicher Beurteilung könne kein Zweifel bestehen, daß ihm die beantragte Rente zustehe. In ihrer Klagebeantwortung führte die beklagte Partei aus, der Entschädigungsanspruch des Klägers sei mit dem bekämpften Bescheid zu Recht abgelehnt worden, das Klagebegehren sei nicht berechtigt und es werde beantragt, die Klage als unbegründet abzuweisen. Das Erstgericht holte ein schriftliches, auf Grund der Aktenlage erstattetes orthopädisches Gutachten ein und wies sodann mit dem nunmehr angefochtenen Beschluß die Klage zurück. Auf Grund der gutachterlichen Stellungnahme des orthopädischen Sachverständigen stehe fest, daß mit den vom Kläger vorgelegten Befunden eine wesentliche Änderung der zuletzt mit Urteil vom 1.3.1989 festgestellten Unfallfolgen nicht bescheinigt sei; möglicherweise sei zwischenzeitig eine geringfügige Verschlimmerung eingetreten. Damit sei der innerhalb eines Jahres nach Rechtskraft der letzten, das Rentenbegehren des Klägers abweisenden Entscheidung eingebrachte neuerliche Antrag auf Zuerkennung einer Versehrtenrente gemäß § 362 Abs. 1 ASVG ungeachtet der - durch die Klagserhebung außer Kraft getretenen - Sachentscheidung des beklagten Versicherungsträgers vom Gericht in Wahrnehmung der sukzessiven Kompetenz zurückzuweisen. Das Rekursgericht gab dem vom Kläger erhobenen Rekurs nicht Folge. In einem Antrag, den ein Versicherter während der Jahresfrist des § 362 Abs. 1 ASVG stelle, müsse er eine Verschlechterung seines Gesundheitszustandes bescheinigen, widrigenfalls das Begehren zurückzuweisen sei. In diesem Zusammenhang könne nicht schaden, wenn der Versicherungsträger einen innerhalb der Jahresfrist gestellten Verschlimmerungsantrag sogleich sachlich behandelt und das Begehren mit der Begründung abgewiesen habe, daß keine Unfallsfolgen im rentenbegründenden Ausmaß bestünden. Der Versicherungsträger könne durch eine unrichtige sachliche Behandlung eines unzulässigen Antrages nicht bewirken, daß die Bescheinigungspflicht des Antragstellers während der Jahresfrist außer Kraft gesetzt würde. Zutreffend habe daher das Erstgericht bereits vor Eingehen in die Verhandlung geprüft, ob und inwieweit die Prozeßvoraussetzungen vorlägen, ob also der Kläger eine Verschlimmerung des zuletzt festgestellten Gesundheitszustandes glaubhaft gemacht habe. Da diese Bescheinigung mißlungen sei, habe das Erstgericht die Klage mit Recht zurückgewiesen.
Rechtliche Beurteilung
Der dagegen vom Kläger erhobene Revisionsrekurs ist im Ergebnis berechtigt.
Das Modell der sukzessiven Zuständigkeit sieht grundsätzlich eine Entscheidungsbefugnis des Gerichtes erst dann vor, wenn zuvor über den betreffenden Anspruch eine meritorische Entscheidung des Versicherungsträgers ergangen oder dieser säumig geworden ist (§ 67 Abs. 1 ASGG, vgl. SSV-NF 2/67). Eine Lockerung der strengen Bindung an den im Bescheid erledigten Anspruch bringt § 68 ASGG: Hat der Versicherungsträger gemäß § 362 Abs. 1 ASVG einen innerhalb eines Jahres seit Rechtskraft der Entscheidung, mit dem ein Leistungsantrag in der Unfallversicherung auf Zuspruch oder Erhöhung einer Versehrtenrente mangels Erwerbsminderung abgewiesen oder eine solche Rente aus diesem Grund entzogen wurde, gestellten neuerlichen Antrag auf Zuerkennung oder Erhöhung der Rente deshalb zurückgewiesen, weil keine wesentliche Änderung der zuletzt festgestellten Unfallfolgen glaubhaft gemacht wurde, dann darf der Versicherte in der gegen diesen Bescheid erhobenen Klage eine wesentliche Änderung des zuletzt festgestellten Gesundheitszustandes glaubhaft machen. Das Gericht hat, wenn es diese Änderung bejaht, dann auch über die Berechtigung des Rentenanspruches abzusprechen, obwohl der den Klagsanlaß bietende Bescheid darüber gar nicht abgesprochen hat; das Klagebegehren muß dann auf Zuspruch der begehrten Rente gerichtet sein (Fasching in Tomandl SV-System 4. ErgLfg. 728/1). Die Glaubhaftmachung ist hier nicht etwa eine sachliche Voraussetzung für das Bestehen des Leistungsanspruches; sie ist vielmehr eine Voraussetzung der Rechtswegzulässigkeit: Gelingt dem Versicherten die Glaubhaftmachung nämlich nicht, ist seine Klage gemäß § 73 ASGG wegen Unzulässigkeit des Rechtsweges zurückzuweisen. Es fehlt dann an der Voraussetzung eines über den Leistungsantrag des Versicherten materiell absprechenden Bescheides des Versicherungsträgers und an der weiteren Voraussetzung der Glaubhaftmachung einer wesentlichen Änderung (Verschlechterung) des Gesundheitszustandes (Kuderna ASGG 376 Anm. 3 zu § 68 und 393 Anm. 1 zu § 73 mit Hinweis auf die RV zum ASGG).
Da im vorliegenden Fall die beklagte Partei den innerhalb der Jahresfrist gestellten Antrag des Klägers auf Zuerkennung der Versehrtenrente nicht zurückgewiesen, sondern sachlich erledigt hat, ist § 68 ASGG schon nach dem klaren Wortlaut dieser Bestimmung überhaupt nicht anzuwenden. Damit entfällt aber auch § 73 ASGG als tragfähige Grundlage für die Zurückweisung der vorliegenden Klage. Unzulässigkeit des Rechtsweges liegt schon deshalb nicht vor, weil es sich um eine Leistungssache nach § 65 Abs. 1 Z 1 ASGG handelt und der Versicherungsträger über den mit der Klage geltend gemachten Anspruch ("darüber") bereits mit Bescheid entschieden hat (§ 67 Abs. 1 Z 1 ASGG). Entgegen der Ansicht des Rekursgerichtes bietet aber auch § 362 Abs. 1 ASVG keine Handhabe für eine Zurückweisung der Klage. Der dort vorgesehene Zurückweisungsbescheid beschränkt sich inhaltlich auf den verfahrensrechtlichen Anspruch auf Durchführung eines Leistungsverfahrens und ist daher nicht Leistungs-, sondern Verwaltungssache; über den Leistungsanspruch selbst wird ja nich entschieden (Oberndorfer in Tomandl SV-System 3. ErgLfg. 681 unter Hinweis auf VfGH B 504/80, JBl. 1984, 428). Hat der Versicherungsträger aber den innerhalb der Sperrfrist neuerlich gestellten Antrag nicht zurückgewiesen, sondern darüber sachlich entschieden, dann muß daraus abgeleitet werden, daß er die geforderte Glaubhaftmachung als erbracht angesehen hat; eine Überprüfung der Entscheidung des Versicherunsträgers darüber, daß die Glaubhaftmachung erbracht sei, steht den Gerichten nicht zu.
§ 68 ASGG ist ja, wie bereits ausgeführt, nur dann anzuwenden, wenn der Versicherungsträger in den Fällen des § 362 ASVG den Antrag zurückgewiesen hat. Das Argument des Rekursgerichtes, die sachliche Abweisung des Rentenbegehrens durch den Versicherungsträger enthalte als Minus auch die Entscheidung, daß eine Verschlimmerung des früheren Zustandes als nicht bescheinigt angesehen worden sei, ist verfehlt: Da sich die Glaubhaftmachung vom Beweis sowohl im geforderten Ergebnis (Überzeugungskraft) als auch im Verfahren unterscheidet (Fasching ZPR2 Rz 809; ebenso Kuderna ASGG 376 Anm. 3 zu § 68), ist es ja - wie der vorliegende Fall zeigt - durchaus möglich, eine Glaubhaftmachung der wesentlichen Änderung zunächst als erbracht anzusehen und dann dennoch mangels Beweis einer solchen Änderung den Antrag abzuweisen. Auch das weitere Argument des Rekursgerichtes, der den Rentenantrag sachlich erledigende Bescheid trete ohnehin durch die gerichtliche Anfechtung zur Gänze außer Kraft, schlägt nicht durch, weil ein solches Außerkrafttreten des Bescheides nur durch eine rechtzeitige und auch zulässige Klage eintritt (Fasching in Tomandl SV-System 4. ErgLfg. 728/6) und ja die vorliegende Klage nach Auffassung des Rekursgerichtes als unzulässig zurückzuweisen wäre. Wie die Rechtslage ist, wenn der Versicherungsträger über einen innerhalb der Sperrfrist gestellten neuerlichen Antrag überhaupt nicht entscheidet, ist hier nicht zu erörtern, weil dieser Fall nicht vorliegt.
Zusammenfassend ergibt sich demnach, daß der den Rentenantrag des Klägers meritorisch abweisende Bescheid durch die rechtzeitig erhobene Klage, in der es einer Glaubhaftmachung iS des § 68 ASGG überhaupt nicht bedurfte, außer Kraft getreten ist. Ein Prozeßhindernis nach § 67 Abs. 1 Z 1 ASGG, das gemäß § 73 ASGG die Zurückweisung der Klage zur Folge hätte, liegt also nicht vor. Die Zurückweisungsbeschlüsse der Vorinstanzen sind daher aufzuheben und dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens unter Abstandnahme von dem gebrauchten Zurückweisungsgrund aufzutragen. Damit erübrigt sich ein Eingehen auf die weiteren Rekursausführungen, daß eine Überprüfung der behaupteten Verschlimmerung des Gesundheitszustandes des Klägers in einen der Prozeßordnung entsprechenden Beweisverfahren unterblieben sei.
Die Kostenentscheidung bleibt der Entscheidung in der Hauptsache vorbehalten (§ 52 Abs. 1 ZPO iVm § 77 Abs. 1 Z 2 lit a und b ASGG).
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