OGH 10ObS345/90

OGH10ObS345/9023.10.1990

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Alfred Happi und Oskar Harter (beide Arbeitgeber) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Hellmuth M***, Pensionist, 6850 Dornbirn,

Forachstraße 98 b, vertreten durch Dr. Egbert Waibel, Rechtsanwalt in Dornbirn, wider die beklagte Partei S***

DER G*** W***, 1051 Wien, Wiedner Hauptstraße 84-86, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Hilflosenzuschusses, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 27.Juni 1990, GZ 5 Rs 72/90-31, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 28. Dezember 1989, GZ 33 Cgs 43/89-17, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Dem am 9.5.1923 geborenen Kläger wurde mit Bescheid vom 5.12.1983 ab 1.3.1983 eine Erwerbsunfähigkeitspension nach § 132 GSVG zuerkannt. Mit weiterem Bescheid vom 13.4.1988 wurde die Pension in eine vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer gemäß § 131 GSVG ab 1.2.1987 umgewandelt. Mit Bescheid vom 21.3.1989 lehnte die beklagte Partei den Antrag des Klägers auf Zuerkennung des Hilflosenzuschusses ab. Mit der dagegen fristgerecht erhobenen Klage begehrt der Kläger den Zuspruch des Hilflosenzuschusses ab Antragstellung (15.11.1988). Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es ging dabei von folgendem Sachverhalt aus:

Der Kläger wohnt gemeinsam mit seiner Ehefrau und drei Kindern im Alter von 23, 21 und 16 Jahren im Erdgeschoß des Hauses Dornbirn, Forachstraße 98 b, welches im Eigentum seiner Ehefrau steht. Das Haus wird zum Teil mittels einer Elektroheizung und zum Teil mit einer Wärmepumpe beheizt. Da die Wärmepumpenheizung nicht ausreichend leistungsfähig ist, muß im Winter mit einem Holz-Kohle-Ofen (Zentralheizung) dazugeheizt werden. Das Holz hiefür wird von fremden Personen hergerichtet. Das nächstgelegene Lebensmittelgeschäft ist etwa 1,5 km vom Haus des Klägers entfernt; die nächstgelegene Apotheke ist wesentlich weiter entfernt. Am 6.2.1982 erlitt der Kläger bei einem Verkehrsunfall schwere Beinverletzungen, an denen er noch heute leidet. Am linken Bein besteht eine hintere Rotationsinstabilität des Kniegelenkes und eine Zerreißung des hinteren Kreuzbandes. Im rechten Kniegelenk besteht eine Streckhemmung von 20 Grad gegenüber der Vergleichsseite. Der Kläger ist jedoch ohne jede Stütze, also ohne Krücken oder Gehstock voll gehfähig. Bei normalem Barfußgang besteht starkes Verkürzungshinken. Der Zehen-Ballen-Gang ist auch rechts möglich, der Kläger sinkt allerdings nach einigen Schritten auf die Ferse ab. Trotz dieser Leiden ist der Kläger in der Lage, sich an- und auszukleiden, Speisen zuzubereiten, die Nahrung aufzunehmen, die Wohnräume zu beheizen und zu belüften, die Notdurft zu verrichten, Körperreinigung durchzuführen, insbesondere die einfache Körperreinigung, zu duschen und zu baden, die Wohnung oberflächlich zu reinigen, das Geschirr zu waschen, die Leib- und Bettwäsche sowie Kleidung zu waschen und zu bügeln und das Bett zu machen. Er benötigt keine fremde Unterstützung beim Wechsel der Körperhaltung und bei der Fortbewegung. Auch eine Beaufsichtigung ist nicht erforderlich. Dem Kläger ist eine Gangleistung von etwa einer halben Stunde für den Hin- und zusätzlich für den Rückweg zumutbar, wobei er dazwischen jedoch eine Pause von einigen Minuten zum Hinsetzen und Ausrasten benötigt. Der Kläger kann öffentliche Verkehrsmittel benützen. Er ist jedoch nicht mehr in der Lage, seine Wohnung gründlich zu reinigen und größere Lebensmittelvorräte einzuholen, die auch ein Gesunder nicht mit der Hand heimtragen würde. Für die gründliche Wohnungsreinigung und das Einholen von größeren Lebensmittelvorräten ist ein Zeitaufwand von etwa 2 bis 3 Stunden pro Woche anzusetzen.

Ausgehend von diesem Sachverhalt verneinte das Erstgericht das Vorliegen der Hilflosigkeit iS des § 74 Abs.1 GSVG. Der Aufwand für die Vornahme der notwendigen Verrichtungen durch dritte Personen betrage ca. S 1.300,-- monatlich und erreiche damit bei weitem nicht jenes Ausmaß, das für die Zuerkennung des Hilflosenzuschusses notwendig sei.

Das Berufungsgericht gab der vom Kläger erhobenen Berufung nicht Folge. Es übernahm die erstgerichtlichen Feststellungen und führte in rechtlicher Hinsicht aus, daß Hilflosigkeit iS des § 74 Abs.1 GSVG dann vorliege, wenn der Pensionist nicht in der Lage sei, auch nur einzelne dauernd wiederkehrende lebensnotwendige Verrichtungen selbst auszuführen. Dabei kämen jedoch jeweils nur jene Verrichtungen in Frage, die nicht allgemein von dritten Personen besorgt werden, sondern die auch nicht eingeschränkte Personen gewöhnlich selbst erledigten. Bei der Frage, ob es sich um notwendige Dienstleistungen handle, müßten aber die dem Hilfsbedürftigen tatsächlich zur Verfügung stehenden Hilfsmittel berücksichtigt werden. Da zudem von einem Hilflosen erwartet werden müsse, daß er einen auch unter Nichtbeziehern eines Hilflosenzuschusses gleich hohen Einkommens im selben Lebenskreis üblichen Standard halte, müsse bei der Schätzung des notwendigen Dienstleistungsaufwandes mindestens dieser Standard zugrunde gelegt werden. Der Bedarf nach fremder Hilfe müsse etwa dem Gegenwert des Hilflosenzuschusses entsprechen (SSV-NF 1/46; ZAS 1988, 53; JBl.1988, 64 ua). Unter Anwendung dieser Grundsätze der herrschenden Rechtsprechung habe das Erstgericht zu Recht die Gewährung des Hilflosenzuschusses abgelehnt. Der Kläger könne den Einkauf, den auch ein Gesunder selbst besorge, ausführen. Im nicht bäuerlichen Lebensbereich gehöre es auch nicht zu den allgemeinen Tätigkeiten, daß das Holz selbst geschlägert und herbeigeschafft werde, sondern es werde ofenfertiges Holz verwendet. Wenn es der Kläger ablehne, Tätigkeiten wie Bügeln, Waschen und Kochen noch zu erlernen und selbst auszuüben, so bedürfe er für diese Tätigkeiten nicht deshalb fremder Hilfe, weil er diese Arbeiten auf Grund seines körperlichen und geistigen Zustandes nicht mehr selbst ausüben könne, sondern nur deshalb, da er nicht gewillt sei, diese Arbeiten selbst zu verrichten. Ausgehend von dieser Haltung bedürfe er für diese Arbeiten somit fremder Hilfe unabhängig von seiner Behinderung, so daß die Inanspruchnahme fremder Hilfe bei diesen Tätigkeiten bei Prüfung des Anspruches auf Hilflosenzuschuß nicht berücksichtigt werden könne. Der Kläger bedürfe im wesentlichen fremder Hilfe nur beim groben Hausputz, wofür jedoch keinesfalls ein Aufwand erforderlich sei, der nur annähernd der monatlichen Höhe des Hilflosenzuschusses entspreche.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen vom Kläger erhobene Revision ist nicht berechtigt. Der Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens nach § 503 Z 2 ZPO, der darin erblickt wird, daß das Berufungsgericht "die Grenzen pflichtgemäßen Ermessens bei der amtswegigen Wahrheitsfindung verkannt" habe, liegt nicht vor (§ 510 Abs.3 ZPO).

Die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichtes ist zutreffend, weshalb es ausreichen würde, auf deren Richtigkeit zu verweisen (§ 48 ASGG). Ergänzend sei den Revisionsausführungen erwidert, daß die für die notwendigen Dienstleistungen nach dem Lebenskreis des Klägers üblicherweise aufzuwendenden Kosten, wie das Berufungsgericht zutreffend dargelegt hat, nicht annähernd so hoch sind wie der begehrte Hilflosenzuschuß. Der Kläger ist daher noch nicht derart hilflos, daß er ständig der Wartung und Hilfe bedürfte (vgl. außer den vom Berufungsgericht zitierten Entscheidungen SSV-NF 2/44, 3/32). Der Revisionswerber meint, nach den "Gesetzen der Logik und der allgemeinen Lebenserfahrung" könne einem 66-jährigen Mann, der 46 Jahre gearbeitet habe, nicht zugemutet werden, Tätigkeiten wie Waschen und Bügeln noch zu erlernen und auszuüben. Dem ist entgegenzuhalten, daß es bei Beurteilung der Hilflosigkeit nicht darauf ankommt, ob der Pensionst etwa das Kochen, Waschen und Bügeln erlernen muß, sondern nur darauf, ob er körperlich und geistig dazu in der Lage wäre. Im Fall des Klägers liegen weder nach den Feststellungen noch nach den Beweisergebnissen Anhaltspunkte dafür vor, daß er hiezu nicht imstande wäre. Da der Kläger, wie oben festgestellt, nur Hilfe zur gründlichen Reinigung der Wohnung und Herbeischaffung größerer Lebensmittelvorräte fremder Hilfe bedarf, würde der für diese Hilfeleistung zu erbringende Aufwand selbst dann nicht annähernd die Höhe des begehrten Hilflosenzuschusses erreichen, wenn man berücksichtigte, daß lebenshaltungskosten möglicherweise in Vorarlberg (wo der Kläger wohnt) höher seien als in anderen Bundesländern. Zu diesem Argument muß daher nicht Stellung genommen werden.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs.1 Z 2 lit.b ASGG (SSV-NF 1/19; 2/26; 2/27 uva).

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