OGH 10ObS239/90

OGH10ObS239/9025.9.1990

Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Robert Göstl (Arbeitgeber) und Walter Hartl (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Elly A***, Hausfrau, 3382 Loosdorf, Wachaustraße 1, vertreten durch Dr. Hans Pritz, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei A*** U*** (Landesstelle Wien),

1200 Wien, Adalbert Stifterstraße 65, vertreten durch Dr. Vera Kremslehner und Dr. Josef Milchram, Rechtanwälte in Wien, wegen Familiengeld, infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 6.März 1990, GZ 31 Rs 18/90-24, womit das Urteil des Landesgerichtes St. Pölten als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 22.September 1989, 33 Cgs 11/89-20, teilweise aufgehoben wurde, beschlossen und zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben. In der Sache selbst wird zu Recht erkannt, daß das (abweisliche) Urteil des Erstgerichtes zur Gänze wiederhergestellt wird.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Teilurteil des Obersten Gerichtshofes vom 6.12.1988, 10 Ob S 212/88-11 (veröffentlicht in SSV-NF 2/133), wurde festgestellt, daß die Unfälle der Klägerin vom 20.11.1979 und vom 31.1.1983 im Geschäft ihres Ehemannes in Loosdorf Arbeitsunfälle iS des § 176 Abs. 1 Z 6 ASVG waren. Auf den in dieser Entscheidung dargestellten Sachverhalt wird verwiesen.

Im zweiten Rechtsgang begehrte die Klägerin mit der Behauptung, sie habe bei dem ersten Unfall eine Chondromalazie der linken Kniescheibe erlitten, deren operative Behandlung einen stationären Aufenthalt im Krankenhaus der Stadt St. Pölten vom 10.11. bis 20.11.1980 erfordert habe, die Zahlung eines Familiengeldes im gesetzlichen Ausmaß für die Zeit vom 10.11. bis 20.11.1980. Weiters begehrte die Klägerin eine Versehrtenrente für die Folgen beider Unfälle.

Das Erstgericht wies beide Klagebegehren ab. Es stellte folgenden Sachverhalt fest:

Am 20.11.1979 stürzte die Klägerin im Geschäft, als sie zum Telefon ging, und fiel dabei auf das linke Knie. Sie maß dem Vorfall keine wesentliche Bedeutung bei, sondern behandelte sich selbst mit Salben und Verbänden. Nach Stärkerwerden der Beschwerden suchte sie im Feber 1980 einen Facharzt für Orthopädie auf, wo dann in weiterer Folge eine Probeexcision bzw. Retinakulaentlastung wegen Chondromalazie an der Kniescheibenhinterwand durchgeführt wurde. Am 31.3.1983 stolperte die Klägerin erneut im Geschäft ihres Mannes, als sie aushalf. Sie stürzte über die Stiege und zog sich eine Zerrung am linken Sprunggelenk zu. Beide Verletzungen sind als abgeheilt zu betrachten; es bestehen folgende Funktionseinbußen:

ganz zarte blande Operationsnarbe am linken Knie sowie subjektive Beschwerden. Aus den Folgen des Arbeitsunfalles vom 20.11.1979 läßt sich eine Minderung der Erwerbsfähigkeit im Ausmaß von unter 10 % für die Folgen des Unfalles vom 31.1.1983 eine solche von 0 % einschätzen. Das Gesamtkalkül beträgt nach beiden Unfällen unter 10 %.

In seiner Beweiswürdigung schloß sich das Erstgericht dem unfallchirurgischen Sachverständigengutachten an, wonach wohl eine auf den Unfall vom 20.11.1979 zurückgehende Arthrose im linken Knie denkbar sei, im gegenständlichen Fall jedoch höchstens eine gerinfügige Verschlimmerung eines anlagebedingten Leidens gebracht haben könne, weil die Knorpelveränderungen auch im nicht vom Unfall betroffenen rechten Knie seitengleich feststellbar seien. Dazu hatte der gerichtliche Sachverständige in seinem Gutachten ausgeführt, der Arbeitsunfall vom 20.11.1979 sei für sich alleine nicht geeignet, eine solche Knorpelschädigung, wie sie bei der Klägerin vorliege, ohne eine vorherige anlagebedingte Disposition hervorzurufen. Das gegenständliche Trauma könne zwar auslösend gewesen sein, die Chondromalazie an der Kniescheibe sei aber besonders im Hinblick auf die heutigen Röntgenbilder, wo an beiden Kniegelenken bereits arthrotische Veränderungen und damit Knorpelschädigungen vorliegen, zum großen Teil auf das anlagebedingte Leiden zurückzuführen. In der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung ergänzte der Sachverständige dieses Gutachten dahin, daß es auch ohne das Ereignis vom 20.11.1979 mit höchster Wahrscheinlichkeit zu den geschilderten Beschwerden gekommen wäre. Es lägen seitengleich Arthrosen und Muskelverschmächtigung bei seitengleich freier Beweglichkeit vor. Es sei bekannt, daß es bei schweren Weichteilverletzungen zu einer verstärkten Arthrosebildung kommen könne; bei der Klägerin seien aber die Arthrosezeichen seitengleich, so daß dieser Zustand nicht eingetreten sei, der die Arthrosebildung als unfallskausal ansehen lasse. Für die subjektiven Beschwerden der Klägerin würden sich keine objektiven Anhaltspunkte finden. Warum gerade am linken Knie eine Probeexcision und eine Retinakulaentlastung durchgeführt worden sei, könne den Krankengeschichten nicht entnommen werden. Wahrscheinlich habe die Klägerin über Schmerzen im linken Knie geklagt. Die Bänder seien durch einen solchen Vorgang nicht betroffen worden, eine Unsicherheit im Knie könne darauf nicht zurückgeführt werden. Rechtlich führte das Erstgericht aus, selbst unter Berücksichtigung beider Unfälle liege die Minderung der Erwerbsfähigkeit nicht höher als 10 %. Das Begehren auf Familiengeld sei nach § 195 Abs. 4 ASVG abzuweisen.

Da die Klägerin nicht nach dem ASVG versichert sei, habe sie keine Einkommensschmälerung erlitten.

Das Berufungsgericht gab der nur wegen der Nichtgewährung des Familiengeldes erhobenen Berufung der Klägerin Folge, hob das erstgerichtliche Urteil, das hinsichtlich der Abweisung des Rentenbegehrens unberührt bleibt, im Umfang der Abweisung des Begehrens auf Familiengeld auf und verwies die Rechtssache insoweit an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurück. Der Anspruch der Klägerin auf Familiengeld bestehe trotz ihrer Stellung als Hausfrau dem Grunde nach zu Recht. Die Klägerin sei nicht versichert gewesen, so daß ihr Anspruch auf Familiengeld auf Grund der Bemessungsgrundlage des § 182 ASVG, also nach billigem Ermessen, festgestellt werden müsse. Dabei sei außer den Fähigkeiten, der Ausbildung, der Lebensstellung der Versehrten, ihre Erwerbstätigkeit zur Zeit des Eintritts des Versicherungsfalles oder, soweit sie nicht gegen Entgelt tätig war, eine gleichartige oder vergleichbare Erwerbstätigkeit zu berücksichtigen. Wie hoch bei einer Hausfrau bzw. einer im Betrieb mittätigen Hausfrau die Bemessungsgrundlage anzusehen sei, bleibe der Ermessensentscheidung des Erstgerichtes vorbehalten. Zur Feststellung der Bemessungsgrundlage bedürfe es einer weiteren Verhandlung in erster Instanz.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diesen Beschluß von der beklagten Partei erhobene Rekurs ist im Ergebnis berechtigt.

In der Unfallversicherung gilt für die Kausalität die Theorie der "wesentlichen Bedingung". Eine Ursache muß für die Schädigung wesentlich sein. Dies ist sie dann, wenn sie nicht im Hinblick auf andere mitwirkende Ursachen erheblich in den Hintergrund tritt (SSV-NF 2/6, 2/112 ua). Eine Krankheitsanlage hindert zwar nicht in allen Fällen, daß das Unfallereignis als Ursache der Schädigung berücksichtigt wird. Voraussetzung ist aber, daß dem Ereignis zumindest eine ähnliche Bedeutung wie die Veranlagung zukommt. Hätte hingegen wegen der Veranlagung jedes andere alltäglich vorkommende ähnlich gelagerte Ereignis zur selben Zeit die Schädigung ausgelöst, so bildet es nur eine Gelegenheitsursache, die aber die Leistungspflicht in der Unfallversicherung nicht begründet (SSV-NF 2/7, 3/95). Diese zum Anspruch auf Versehrtenrente entwickelte Judikatur ist auch für den Anspruch auf Familiengeld maßgeblich (arg. "Folgen eines Arbeitsunfalles ...." in den §§ 195 Abs. 1 und 203 Abs. 1 ASVG).

Im vorliegenden Fall stand die Krankheitsanlage der Klägerin, nämlich die arthrotischen Veränderungen und damit Knorpelschädigungen an beiden Kniegelenken eindeutig im Vordergrund. Die Schädigung der Klägerin durch den Sturz auf dem Weg zum Telefon hat offensichtlich die vorhandene krankhafte Veranlagung zu einer plötzlichen, aber auch ohne dieses Ereignis in absehbarer Zeit zu erwartenden Entwicklung gebracht; diese Schädigung hätte aber nicht nur durch den Sturz auf dem Weg zu dem läutenden Telefon, das sie bedienen wollte, sondern durch jedes andere alltäglich vorkommende ähnliche Ereignis zur selben Zeit herbeigeführt werden können. Ein Sturz (Fallen) auf das Knie ereignet sich durchaus nicht selten; daß dies hier im Zusammenhang mit einer vorübergehend ausgeübten betrieblichen Tätigkeit iS des § 176 Abs. 1 Z 6 ASVG geschah, ist Zufall. Auch unter diesem Gesichtspunkt bildete die geschilderte Tätigkeit nur eine Gelegenheitsursache (ähnl. wie im "Hundebißfall" SSV-NF 3/95).

Da also nicht das dargestellte Ereignis, sondern die Veranlagung der Klägerin für die auftretenden Beschwerden und den daraus entstandenen Krankenhausaufenthalt wesentlich im Sinne der vorstehenden Ausführungen war, ist die beklagte Partei schon deshalb zur Gewährung von Leistungen wegen des Unfalls vom 20.11.1979 nicht verpflichtet, wenngleich es sich - wie bereits ausgeführt - um einen Arbeitsunfall iS des § 176 Abs. 1 Z 6 ASVG handelte. Der Anspruch auf Familiengeld (§§ 173 Z 1 lit. b, 195 ASVG) besteht demgemäß schon dem Grunde nach nicht zu Recht, so daß es weiterer Erörterungen im Sinne der Rechtsansicht des Berufungsgerichtes und einer Verfahrensergänzung hinsichtlich der Bemessungsgrundlage nicht bedarf. Die Sache ist vielmehr im Sinne einer gänzlichen Abweisung des noch strittigLn Klagebegehrens spruchreif. Gemäß § 519 Abs. 2 ZPO konnte der Oberste Gerichtshof durch Urteil in der Sache selbst im Sinne einer Wiederherstellung des abweislichen (End-)Urteiles des Erstgerichtes erkennen.

Kosten der Rekursbeantwortung wurden nicht verzeichnet.

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