OGH 9ObA194/90

OGH9ObA194/9012.9.1990

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier und Dr. Petrag sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Heinrich Basalka und Margarethe Heidinger als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Anna H***, Angestellte, Graz, Rainweg 30, vertreten durch Dr. Reinhard Tögl, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagte Partei B*** R*** Autowaschbetrieb Gesellschaft mbH, Graz, Niesenbergerstraße 39, vertreten durch Dr. Kurt Klein und Dr. Paul Wuntschek, Rechtsanwälte in Graz, wegen S 30.233,94 brutto sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 4.April 1990, GZ 8 Ra 16/90-11, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 31.Oktober 1989, GZ 35 Cga 172/89-5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 3.292,80 (darin S 548,80 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin, die vorher als Verkäuferin gearbeitet hatte, ist seit 29.Oktober 1979 bei der Beklagten beschäftigt. Diese betreibt mit dem Standort Eggenberger Gürtel/Steinfeldgasse in Graz eine Tankstelle und einen Lebensmittelhandel, für den sie im November 1987 die Gewerbeberechtigung erhielt. Die Beklagte ist mit diesem Standort den Sektionen Verkehr 10 (Garagen-, Tankstellen- und Serviceunternehmungen) und Handel 1 B (Lebensmittelhandel) der Kammer der gewerblichen Wirtschaft zugehörig. Die Klägerin war bei der Beklagten vorerst als Kassierin tätig. Es war vereinbart, daß auf ihr Arbeitsverhältnis die Bestimmungen des Angestelltengesetzes Anwendung zu finden haben. Ihr letztes Bruttogehalt betrug S 6.930 14mal jährlich, zusätzlich einer umsatzabhängigen Prämie. Es gibt zwar einen Kollektivvertrag für die Arbeiter der Garagen-, Tankstellen- und Servicestationsunternehmungen (kurz Kollektivvertrag für Tankstellenarbeiter), nicht aber einen solchen für die Angestellten. Der Kollektivvertrag für Tankstellenarbeiter ist auf jene Arbeitnehmer, die dem Angestelltengesetz unterliegen, nicht anzuwenden.

Mit der vorliegenden Klage begehrt die Klägerin den der Höhe nach außer Streit gestellten Betrag von S 30.233,94 brutto sA an restlichem Entgelt für die Zeit von November 1987 bis Juli 1989. Sie arbeite als Angestellte in dem der Tankstelle angeschlossenen Handelsbetrieb der Beklagten. Ihr Arbeitsverhältnis unterliege somit auch ex lege dem Angestelltengesetz. Obwohl auf ihr Arbeitsverhältnis der Kollektivvertrag für die Handelsangestellten anzuwenden sei, werde für die Entgeltabrechnung der Kollektivvertrag für Tankstellenarbeiter herangezogen. Auf Grund der falschen Einstufung als Arbeiterin stehe ihr noch der geltend gemachte Differenzbetrag zu.

Die Beklagte beantragte, das Klagebegehren abzuweisen. Es bestehe keine fachliche oder organisatorische Trennung zwischen der Tankstelle und dem Lebensmittelhandel. Die maßgebliche wirtschaftliche Bedeutung liege eindeutig im Tankstellenbereich, da dessen Umsatz im Verhältnis zum Umsatz im Handel ca. 90 : 10 betrage. Auf das Arbeitsverhältnis der Klägerin finde daher der Kollektivvertrag für Handelsangestellte keine Anwendung; ihr Arbeitsverhältnis unterliege vielmehr überhaupt keinem Kollektivvertrag. Analog der Bestimmung des § 9 Abs.3 ArbVG komme nämlich bei einem echten Mischbetrieb jene Branche zum Zug, welche die maßgebliche wirtschaftliche Bedeutung für den Mischbetrieb habe. Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es stellte im wesentlichen fest:

Die Beklagte betreibt am angeführten Standort eine Tankstelle mit Verkaufsgeschäft, eine getrennt geführte Autowaschstraße und eine organisatorisch getrennte Servicestelle. Zwischen der Tankstelle und dem Verkaufsgeschäft besteht weder eine organisatorische noch eine kostenmäßige Trennung. Es erfolgt zwar eine Bonierung nach Warengruppen, die Kassa wird aber gemeinsam geführt und abgerechnet. Im Tankstellen- und Handelsbereich sind neben der Klägerin noch eine andere Kassierin und drei Tankwarte beschäftigt. Tagsüber sind jeweils ein Tankwart und eine Kassierin tätig; während der Nacht ist lediglich ein Tankwart anwesend, der sowohl die Tankstelle als auch das Verkaufsgeschäft betreut. Der Tankstellenkassenraum, in dem auch das Verkaufsgeschäft liegt, ist etwa 60 m2 groß. In diesem Raum werden Waren aus dem Handelsbereich Lebensmittel, Tiefkühlwaren, Tiernahrung, Spielwaren, Süßigkeiten und Autozubehör angeboten. An den Verkaufsraum schließt ein etwa 25 m2 großer Lagerraum an. Aufgabe der Kassierin ist es, die Tankrechnungen zu kassieren, die Tankstellenkunden zu beraten, zum Kauf anderer Waren zu animieren, an einen allfälligen Ölwechsel zu erinnern und die Kundenrechnungen nach Warengruppen zu erstellen und zu bonieren. Dazu kommt die Betreuung der Regale, die Übernahme und Kontrolle der angelieferten Waren, deren Auspreisung, Nachzuteilung und Austeilung. Daneben hat die Kassierin auch den Tankwart an den acht Zapfsäulen zu vertreten, falls dieser einmal kurzfristig verhindert ist. Diese Vertretungstätigkeit macht - bezogen auf einen 12-Stunden-Arbeitstag - aber nur etwa 30 Minuten aus. Im Geschäft entfällt etwa jeweils die Hälfte der Tagesarbeit einer Kassierin auf den Verkauf und die Tätigkeit für die Tankstelle. Auch insgesamt ist der Personaleinsatz eher ausgeglichen.

Die Beklagte hat die Tankstelle samt Verkaufsgeschäft von der Mineralölfirma BP gepachtet. Das für die Pacht der Tankstelle zu entrichtende Entgelt wird in Form eines geminderten Provisionssatzes von S 0,22 pro Liter Treibstoff berücksichtigt. Für das Verkaufsgeschäft ist ein Pachtzins von 4 % des monatlichen Umsatzes zu entrichten. Im Treibstoffgeschäft liegt gebundendes Kapital in Höhe von ca. S 460.000 bis S 480.000, während der Wert des Warenlagers im Verkaufsgeschäft, in dem etwa 1.500 bis 2.000 Artikel angeboten werden, jedenfalls S 150.000 ausmacht. Der Treibstoffumsatz betrug im Jahr 1987 ca. 35 Millionen S; die Beklagte weist diesbezüglich nur ihre Provision hiefür aus. Demnach betrug der Gesamtumsatz der Beklagten hinsichtlich der Treibstoffe, Öle und Gas nur S 1,540.532,62; hingegen erzielte die Beklagte aus dem Bereich Handelswaren einen Gesamtumsatz von S 1,961.756,10. Der Bruttogewinn betrug im Jahre 1987 im Bereich der Tankstelle aus der Provision für den Treibstoff S 1,219.377,12; im Bereich des Handelsgeschäftes S 643.735,07. Auch nach Abzug der Kosten liegt die größere Ertragskomponente und der größere Betriebsmitteleinsatz im Tankstellenbereich.

Die Beklagte selbst sieht ihr wirtschaftliches Schwergewicht in der Tankstelle. Diese wäre aber auf Grund der niedrigen Provisionen ohne das Verkaufsgeschäft, das ebenso wie die Tankstelle durchlaufend geöffnet ist, "undenkbar", da sie ihren Ertrag letztlich auch aus dem Verkaufsgeschäft erwirtschaften muß. Das Erstgericht vertrat die Rechtsauffassung, daß die Klägerin spätestens ab November 1987 zusätzlich zu ihrer Arbeit als Sitzkassierin in einer Selbstbedienungstankstelle, auf die das Angestelltengesetz lediglich auf Grund der Vereinbarung anzuwenden wäre, zur Hälfte auch die Tätigkeit einer kaufmännischen Angestellten im Sinne des § 1 AngG verrichtet habe. Die maßgebliche wirtschaftliche Bedeutung des Betriebs liege hinsichtlich des Rohgewinns zwar im Bereich der Tankstelle, hinsichtlich des Umsatzes sei jedoch ein Übergewicht des Handelsgeschäftes, ohne das die Tankstelle nicht wirtschaftlich wäre, gegeben. Der Personaleinsatz sei eher ausgeglichen.

Diese im Sinne des § 9 Abs.3 ArbVG zu berücksichtigenden Kriterien seien auf den vorliegenden Fall jedoch nicht anzuwenden, da die Klägerin dann, obwohl zu 50 % mit überwiegender Angestelltentätigkeit beschäftigt, keinem Kollektivvertrag unterliegen würde. Die Bestimmung des § 9 Abs.3 ArbVG könne hier mit dem damit verbundenen Grundsatz der Tarifeinheit nicht in Einklang gebracht werden. Die Anwendung eines der Tätigkeit des Arbeitnehmers nicht entsprechenden Kollektivvertrags sei sinnwidrig. Im Sinne der Bestimmung des § 10 ArbVG müsse vielmehr der tatsächlichen Tätigkeit des Arbeitnehmers entscheidende Bedeutung zukommen. Demnach sei für das Arbeitsverhältnis der Klägerin der Kollektivvertrag für die Handelsangestellten maßgeblich, so daß ihr die begehrte Entgeltdifferenz zustehe.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, daß die Revision zulässig sei. Es vertrat die Rechtsauffassung, daß es für den Mischbetrieb der Beklagten ohne fachliche und organisatorische Abgrenzung an sich wohl Kollektivverträge für die Arbeiter der Tankstellen und für Angestellte im Gemischtwarenhandel gebe, nicht jedoch für Angestellte im Tankstellenbereich. Bezogen auf die Klägerin bedeute dies, daß für sie als kaufmännische Angestellte im Tankstellenbereich im Sinne des § 9 Abs.3 ArbVG kein Kollektivvertrag bestehe. Auf ihr Arbeitsverhältnis sei sohin entweder überhaupt kein Kollektivvertrag oder der Kollektivvertrag für Tankstellenarbeiter anzuwenden. Dagegen spreche, daß eine so maßgebliche wirtschaftliche Bedeutung der Tankstelle im Sinne des § 9 Abs.3 ArbVG gar nicht vorliege. Die Provisionen aus dem Treibstoffverkauf seien nämlich so niedrig, daß die Beklagte ihren Ertrag letztlich auch aus dem Shop erwirtschaften müsse. Es sei nicht vertretbar, die Klägerin einem Arbeiterkollektivvertrag zu unterwerfen, obwohl für ihr Fachgebiet ein eigener Kollekivvertrag zur Verfügung stehe und die Beklagte auch der Sektion Handel angehöre. Auf Grund dieser besonderen Situation seien die Bestimmungen des § 9 ArbVG daher nicht anzuwenden. Es sei vielmehr ein Rückgriff auf "letzte" maßgebende Grundsätze des kollektiven Arbeitsrechts geboten. Als solche kämen vor allem das soziale Schutzprinzip, auf das sich die Einrichtung der kollektiven Rechtsgestaltung überhaupt gründe, und das Günstigkeitsprinzip in Frage. Ein solcher Rückgriff ergebe, daß der seinem ganzen Inhalt nach günstigere Kollektivvertrag zu gelten habe. Würde man die Klägerin dem Kollektivvertrag für Tankstellenarbeiter unterstellen oder die Anwendung eines Kollektivvertrags überhaupt verneinen, obwohl die Klägerin als Angestellte kaufmännische Dienste in einem Handelsbetrieb leiste, wäre dies als krasser Verstoß gegen das allgemein anzuwendende Günstigkeitsprinzip nicht vertretbar. Gegen dieses Urteil richtet sich die aus den Gründen der mangelhaften Tatsachenfeststellung und unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Revision der beklagten Partei mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Soweit unter dem Revisionsgrund der "mangelhaften Tatsachenfeststellung" eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens geltend gemacht wird, ist der Rüge entgegenzuhalten, daß eine solche Mangelhaftigkeit nicht vorliegt (§ 510 Abs.3 ZPO).

Auf die Frage, ob die im Berufungsverfahren von der beklagten Partei vorgebrachten Neuerungen auf die vom Erstgericht nicht begründete, lediglich gemäß § 40 Abs 2 Z 4 ASGG zugelassene Vertretung der beklagten Partei durch einen von der Handelskammer Steiermark entsendeten, zur Parteienvertretung üblicherweise verwendeten, angestellten Juristen gemäß § 63 ASGG überhaupt zulässig ist oder ob ein lediglich der Ermöglichung eines neuen Vorbringens bestimmter Rechtsmißbrauch vorliegt, ist mangels Relevierung im Revisionsverfahren und mangels rechtlicher Relevanz des neuen Vorbringens nicht einzugehen.

Es ist im vorliegenden Fall unbestritten, daß die Klägerin nicht nur Angestellte kraft Vereinbarung ist, sondern auch kaufmännische Dienste im Sinne des § 1 Abs.1 AngG leistet (vgl. auch die Judikaturzusammenstellung in Martinek-Schwarz, AngG6 50 ff). Die Beklagte besitzt unter anderem eine Gewerbeberechtigung zum Betrieb des Handelsgewerbes gemäß § 103 Abs.1 lit.b Z 25 der GewO 1973, die schon kraft Gesetzes zur Mitgliedschaft in der entsprechenden Teilorganisation der Kammer der gewerblichen Wirtschaft, die ihrerseits im Regelfall gemäß § 8 Z 1 ArbVG Voraussetzung für die Unterworfenheit des Arbeitgebers unter einen bestimmten Kollektivvertrag ist, führt (Arb.10.559). Nach den Feststellungen der Vorinstanzen handels es sich aber bei der Tankstelle und dem dieser angeschlossenen Verkaufsgeschäft nicht um zwei getrennte Betriebe und es besteht auch keine organisatorische Trennung. Die Gewerbeberechtigungen der Beklagten lassen sich sohin im Sinne des § 9 Abs.1 und 2 ArbVG weder auf einzelne Betriebe noch auf Haupt- oder Nebenbetriebe oder organisatorisch abgegrenzte Betriebsabteilungen aufteilen. Es liegt vielmehr ein sogenannter "Mischbetrieb" vor, in dem gemäß § 9 Abs.3 ArbVG nur ein Kollektivvertrag zur Anwendung zu kommen hat, nämlich der Kollektivvertrag jenes fachlichen Wirtschaftsbereiches, der für den Betrieb die maßgebliche wirtschaftliche Bedeutung hat. Dabei kommt es auf jenen Fachbereich an, der dem Betrieb das Gepräge gibt, der für den Betrieb ausschlaggebend ist (vgl. Strassser in Floretta-Strasser, HandkommzArbVG 82; Cerny, ArbVG8 § 9 Erl.4). Aus der Art des Betriebes der Beklagten folgt, daß die maßgebliche wirtschaftliche Bedeutung bei der Tankstelle liegt, die dem Betrieb auch das Gepräge gibt. Diese Qualifikation ist nicht nur aus dem Treibstoffumsatz in Höhe von S 35 Millionen, dem höheren Bruttogewinn, dem größeren Betriebsmitteleinsatz und der höheren Ertragskomponente abzuleiten, sondern auch aus der wirtschaftlichen Funktion dieses Fachbereichs im Verhältnis zum Tankstellenshop. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen gehört es unter anderem zu den Aufgaben der Kassierinnen, die Tankstellenkunden zu beraten und zum Kauf anderer Waren zu animieren. Der Käuferkreis setzt sich sohin in der Regel - Ausnahmen mögen für die Ladenschlußzeiten gelten - aus den Kunden der Tankstelle zusammen, die neben dem Auftanken ihrer Fahrzeuge auch noch Einkäufe im Geschäft vornehmen. Hätte jeder der beiden Wirtschaftsbereiche einen Angestelltenkollektivvertrag, käme nach der Kollisionsregel des § 9 Abs.3 ArbVG jener für die Tankstellen zur Anwendung. Es besteht jedoch diesbezüglich lediglich ein Kollektivvertrag für die Arbeiter der Garagen-, Tankstellen- und Servicestationsunternehmungen, der in § 1 lit.c diejenigen Arbeitnehmer, die dem Angestelltengesetz unterliegen, ausdrücklich von seinem Geltungsbereich ausnimmt. Das Angestelltenverhältnis der Klägerin könnte sohin keinesfalls dem Kollektivvertrag für Tankstellenarbeiter unterstellt werden. Eine unmittelbare Anwendung des § 9 Abs.3 ArbVG scheidet schon aus diesem Grund aus, da diese Bestimmung iVm § 8 ArbVG voraussetzt, daß zumindest zwei konkret anwendbare Kollektivverträge vorliegen. Der zwar wünschenswerte aber ohnehin durchbrochene Grundsatz der Tarifeinheit (vgl. Strasser in Floretta-Spielbüchler-Strasser, Arbeitsrecht3 II 129 ff) ist in bezug auf den Betrieb der Beklagten nicht zu verwirklichen. Eine analoge Anwendung des § 9 Abs.3 ArbVG hätte nämlich zur Folge, daß sich die Klägerin auf gar keinen Kollektivvertrag berufen könnte, da ein für sie nicht anwendbarer Kollektivvertrag den persönlichen Geltungsbereich eines auf sie zutreffenden Kollektivvertrags verdrängen müßte. Eine solche Wertung widerspricht, wie das Berufungsgericht richtig erkannte, den tragenden Grundsätzen des kollektiven Arbeitsrechts, nämlich dem sozialen Schutzprinzip und dem Günstigkeitsprinzip, das im Rahmen der einzelnen Instrumente der kollektiven Rechtsgestaltung stets maßgebend ist (vgl. Strasser in Floretta-Strasser, Kommentar zum ArbVG 87).

Die in der Revision erwähnten und bereits entschiedenen Fälle (9 Ob A 83/89 und 9 Ob A 201 bis 203/89) unterscheiden sich von dem vorliegenden dadurch, daß sich die Kollektivvertragsunterworfenheit der Beklagten hinsichtlich des Verkaufsgeschäftes nicht bloß auf eine geringfügige Teiltätigkeit im Rahmen eines allein maßgeblichen Wirtschaftsbereiches bezieht (9 Ob A 83/89) und auch keine faktische Trennung der Branchen vorliegt (9 Ob A 201-203/89). Nach den Feststellungen der Vorinstanzen kommt dem fachlichen Wirtschaftsbereich Tankstelle zwar die maßgebliche Bedeutung zu, der Betrieb der Tankstelle allein wäre aber, wirtschaftlich gesehen, im Hinblick auf die niedrigen Treibstoffprovisionen nicht möglich (undenkbar). Unbestimmte Gesetzesbegriffe bedürfen jeweils einer Konkretisierung durch Abstufung, zumal auch das Tatbestandsmerkmal der maßgeblichen wirtschaftlichen Bedeutung mehr oder weniger durchschlagend gegeben sein kann. So gesehen hat das Verkaufsgeschäft zwar nicht gerade die maßgebliche wirtschaftliche Bedeutung, es ist aber von ganz erheblichem wirtschaftlichen Gewicht. Dazu kommt, daß hinsichtlich des Angestelltenverhältnisses der Klägerin, wie schon erwähnt, keine echte Kollision von Kollektivverträgen im Sinne des § 9 Abs.3 ArbVG vorliegt. Hinsichtlich des persönlichen Geltungsbereiches unterliegt sie lediglich dem Kollektivvertrag für die Handelsangestellten (§ 10 Abs.1 ArbVG), der auch ohne weiteres anzuwenden wäre, wenn die beiden Betriebsabteilungen organisatorisch abgegrenzt wären. Für den fachlichen Bereich der Tankstelle gibt es für sie überhaupt keinen anwendbaren Kollektivvertrag. Es kommt dadurch im Ergebnis zu einem Nebeneinander von zwei Kollektivverträgen, von denen einer nur für die Arbeiter und der andere nur für die Angestellten gilt, eine Konstellation, die auch in fachlich einheitlichen Betrieben mit Arbeitern und Angestellten die Regel ist und jedenfalls den notwendigen und unabweislichen Grundsatz der Tarifeinheit in bezug auf das einzelne Arbeitsverhältnis wahrt (vgl. Strasser in Floretta-Strasser-Spielbüchler-Strasser, Arbeitsrecht3 II 129). In diesem Sinn könnte der Kollektivvertrag des maßgeblicheren Wirtschaftsbereiches, der nur für Arbeiter gilt, den nur für Angestellte geltenden Kollektivvertrag der etwas weniger maßgeblichen Branche nicht verdrängen, wie auch entgegen der Ansicht der Revisionswerberin keine Gefahr bestünde, daß der Kollektivvertrag für die Handelsangestellten den Arbeitsverhältnissen der Tankstellenarbeiter aufgedrängt würde. Die Kollisionsregel des § 9 Abs.3 ArbVG allein erweist sich demnach in mehrfacher Hinsicht nicht analogiefähig, da der geregelte und der ungeregelte Fall in den maßgeblichen Voraussetzungen nicht übereinstimmen. Die Vorinstanzen sind somit zu Recht davon ausgegangen, daß gemäß den aus den §§ 9 und 10 ArbVG zu gewinnenden Wertungen unter Berücksichtigung des sozialen Schutzprinzips im vorliegenden Fall die jeweils für Arbeiter und Angestellte geltenden entsprechenden Kollektivverträge entsprechend ihrem Naheverhältnis nebeneinander bestehen, so daß hinsichtlich des Arbeitsverhältnisses der Klägerin kein kollektivvertragsfreier Raum angenommen werden kann.

Die Kostenentscheidung ist in den §§ 50 und 41 ZPO begründet.

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