Spruch:
Die mit Beschluß des Bezirksgerichtes Braunau am Inn vom 26. Juni 1990, P 68/84, gemäß § 111 Abs. 1 JN verfügte Übertragung der Zuständigkeit zur Führung der Pflegschaftssache des mj. Thomas B*** an das Bezirksgericht Villach wird gemäß § 111 Abs. 2 JN genehmigt.
Text
Begründung
Mit Beschluß vom 6. August 1984, P 68/84-6, hat das Bezirksgericht Braunau am Inn als Pflegschaftsgericht den mj. Thomas B*** sowie dessen gleichfalls am 17. Februar 1981 geborenen Bruder Michael B*** und die am 10. Jänner 1983 geborene Schwester Silvia B*** gemäß § 26 JWG in gerichtliche Erziehungshilfe, weil die Ehe der Eltern völlig zerrüttet war und die - alkoholund drogenabhängige - Mutter die Familie verlassen hatte. Mit Urteil des Kreisgerichtes Ried im Innkreis vom 11. März 1985, GZ. 1 Cg 35/85-22, wurde die Ehe der Eltern aus beiderseitigem gleichteiligem Verschulden geschieden. In der Folge wurde dem Vater Josef B*** das Recht, mit den drei Kindern persönlichen Verkehr zu pflegen, auf unbestimmte Zeit aberkannt (Beschluß vom 28. Juli 1986, ON 20). Michael und Silvia B*** befanden sich damals - seit August 1984 - in Pflege und Erziehung der Pro-Juventute-Kinderdorffamilie Ernst und Edith B*** in Bleiburg; der mj. Thomas B*** war inzwischen bei der Familie Adolf und Hannelore W*** in Fresach untergebracht worden.
Am 8. November 1987 beantragte der Vater, ihm ein einmaliges Besuchsrecht bei den Kindern einzuräumen (ON 37); am 5. Juni 1990 begehrte er abermals eine "Aufhebung des Besuchsverbotes" (ON 67). Über diese Anträge ist noch nicht entschieden worden. Michael B*** befindet sich seit 29. Jänner 1988 bei seiner in Neuhofen an der Krems wohnenden, mittlerweile wiederverheirateten Mutter Ingeborg H*** (ON 43). Mehrere Anträge der Mutter, die Erziehungshilfe auch für Thomas und Silvia B*** aufzuheben, wurden abgewiesen (zuletzt mit Beschluß vom 3. Jänner 1990, ON 62). Der Vater der Kinder wohnt in Darmstadt, Bundesrepublik Deutschland. Mit Beschluß vom 26. Juni 1990 übertrug das Bezirksgericht Braunau am Inn die Pflegschaftssache des mj. Thomas B*** an das Bezirksgericht Villach, weil der Minderjährige im Rahmen der gerichtlichen Erziehungshilfe bei der Pflegefamilie W*** in Fresach untergebracht sei. Dieser Beschluß ist in Rechtskraft erwachsen.
Das Bezirksgericht Villach weigert sich, die Zuständigkeit zu übernehmen; das Bezirksgericht Braunau am Inn legte hierauf die Akten dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung gemäß § 111 Abs. 2 JN vor.
Rechtliche Beurteilung
Die vom Bezirksgericht Braunau vorgenommene Übertragung der Zuständigkeit ist gerechtfertigt.
Gemäß § 111 Abs. 1 JN kann das Pflegschaftsgericht seine Zuständigkeit einem anderen Gericht übertragen, wenn dies im Interesse des Pflegebefohlenen gelegen erscheint, insbesondere, wenn dadurch die wirksame Handhabung des dem Pflegebefohlenen zugedachten Schutzes voraussichtlich befördert wird. Diese Voraussetzungen liegen in der Regel vor, wenn die Pflegschaftssache an jenes Gericht übertragen wird, in dessen Sprengel der Mittelpunkt der Lebensführung des Kindes liegt (EFSlg. 46.620; 57.691 uva.). Der mj. Thomas B*** befindet sich aber seit Jahren bei seinen Pflegeeltern im Sprengel des Bezirksgerichtes Villach. Offene Anträge sind kein grundsätzliches Übertragungshindernis (EFSlg. 43.978, 57.698 uva.); es hängt von den Umständen des einzelnen Falles ab, ob die Entscheidung über einen solchen Antrag durch das bisherige Gericht zweckmäßiger ist (EFSlg. 41.628; 1 Nd 504/87 uva.). Zu dem noch offenen Antrag des Vaters auf Einräumung eines Besuchsrechtes (auch) beim mj. Thomas B*** hat das Bezirksgericht Braunau noch keine umfangreichen Erhebungen geführt, die es zweckmäßig erscheinen ließen, ihm den Akt bis zur Entscheidung darüber zu belassen; vielmehr ist das Bezirksgericht Villach im Hinblick auf sein räumliches Naheverhältnis zum Minderjährigen und zu seinen Pflegeeltern viel eher in der Lage, eine sachgerechte Entscheidung zu treffen. Da die Eltern weder im Sprengel des Bezirksgerichtes Braunau noch in jenem des Bezirksgerichtes Villach wohnen oder sich aufhalten, werden sie in jedem Fall nur im Rechtshilfeweg vernommen werden können. Der Hinweis des Bezirksgerichtes Villach, daß es dem Wohl eines Minderjährigen entspreche, wenn das Pflegschaftsverfahren bei demjenigen Gericht weitergeführt wird, bei dem auch der Akt seiner Geschwister anhängig ist, geht hier ins Leere, weil das Bezirksgericht Braunau am Inn laut seinem Bericht vom 21. August 1990 mittlerweile die Pflegschaftssache der mj. Silvia B*** dem Bezirksgericht Bleiburg und jene des mj. Michael B*** dem Bezirksgericht Neuhofen an der Krems übertragen hat und diese Gerichte die Zuständigkeit übernommen haben. Aus diesen Erwägungen war die Übertragung zu genehmigen.
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