OGH 6Ob641/90

OGH6Ob641/906.9.1990

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel, Dr. Schlosser, Dr. Redl und Dr. Kellner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Anna R***, im Haushalt, Voitsberg, Stiftergasse 10, vertreten durch Dr. Manfred Schiffner, Rechtsanwalt in Köflach, wider die beklagte Partei Anton R***, Beamter, Stallhofen, Södingberg 9, vertreten durch Dr. Alois Siegl, Rechtsanwalt in Graz, wegen Leistung des gesetzlichen Unterhaltes (Revisionsstreitwert 61.200 S), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Graz als Berufungsgerichtes vom 4. Mai 1990, GZ 1 R 96/90-13, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Voitsberg vom 22. Jänner 1990, GZ 1 C 65/89k-9, in der Hauptsache bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht stattgegeben.

Die Klägerin ist schuldig, dem Beklagten die mit 3.292,80 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten an Umsatzsteuer 548,80 S) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Streitteile haben einander im März 1962 geheiratet. Der Mann war damals 23 Jahre alt, die Frau stand im 22. Lebensjahr. Nach mehr als elfjähriger ehelicher Lebensgemeinschaft, während der die Frau fünf Kinder zur Welt brachte, von denen zwei verstarben, verließ der Mann die Ehewohnung, in der die Frau der Haushaltsführung und Kindererziehung oblegen war. Nach nahezu zehnjähriger Trennung erhob der Mann eine auf § 55 Abs 3 EheG gestützte Scheidungsklage. Diesem Begehren wurde mit dem Urteil vom 11. März 1983 mit dem Ausspruch stattgegeben, daß den Kläger das Alleinverschulden an der Zerrüttung der Ehe treffe.

Die gesetzliche Unterhaltspflicht des Mannes gegenüber seiner geschiedenen Ehefrau im Sinne des § 69 Abs 2 EheG ist unbestritten. Das jüngste Kind der Streitteile, die in der Obsorge ihrer Mutter stehende, am 20. April 1973 geborene Andrea wurde als sechsjähriges Mädchen Opfer eines Verkehrsunfalles und ist als Folge ihrer dabei erlittenen Hirnstammschädigungen mit Lähmungen aller vier Gliedmaßen und tiefgreifender Störung der intellektuellen und sonstigen Funktionen schwerst behindert und voll pflegebedürftig. Das Kind verfolgte klageweise gegen Lenker, Halter und Haftpflichtversicherer des am Verkehrsunfall beteiligten Kraftfahrzeuges Schadenersatzansprüche. Dabei erhob es unter anderem ein Teilbegehren auf Zahlung einer Rente von 12.000 S als Ersatz der unfallsbedingten Pflegeleistungen. Diesem Begehren wurde im ersten Rechtsgang mit einem monatlichen Teilbetrag von 4.000 S und im zweiten Rechtsgang mit einem weiteren Betrag von 4.000 S rechtskräftig stattgegeben.

Die Mutter erhält für das erheblich behinderte Kind die - im Sinne des § 8 Abs 4 FamLAG 1967 - erhöhte Familienbeihilfe. Das Land Steiermark gewährt dem Kind auf Grund des Steiermärkischen Behindertengesetzes vom 9. Juli 1964, LGBl. Nr. 316 in der Fassung der LGBl. Nr. 33/1966, Nr. 11/1972, Nr. 147/1973, Nr. 19/1977 und Nr. 70/1984 Hilfeleistung in der Form eines Pflegegeldes (der Stufe II). Diese betrug in den Jahren 1988 und 1989 3.840 S (LGBl. Nr. 2/1988; sie beträgt nach dem LGBl. Nr. 1/1990 nunmehr 4.050 S), 14 x im Jahr (§ 31 Stmk.BehindertenG.). Das Steiermärkische Behindertengesetz kennt keine Legalzession, in Ansehung des Pflegegeldes ist keine Beitrags- oder Ersatzpflicht des Behinderten oder der für ihn gesetzlich unterhaltspflichtigen Personen vorgesehen (vgl. dagegen die §§ 39 ff. Stmk. SozialhilfeG. LGBl. Nr. 1/1977).

Die Mutter betreut und pflegt ihre nunmehr 17 Jahre alte Tochter ganztägig selbst. Ihr steht - neben den Unterhaltszahlungen des Vaters für das Kind in der monatlichen Höhe von 2.600 S und der erhöhten Familienbeihilfe sowie den Schadenersatzleistungen - die öffentlich-rechtliche Hilfeleistung des für das Kind bezahlten Pflegegeldes nach dem Steiermärkischen Behindertengesetz zur Verfügung. Die Schadenersatzzahlungen verwendet die Mutter "für die Bedürfnisse und Mehraufwendungen" des Kindes.

Während die Frau im übrigen über kein weiteres Einkommen verfügt, bezieht der Mann als Beamter der Heeresverwaltung nunmehr ein durchschnittliches monatliches Einkommen von rund 19.000 S. Das ist mehr als der letzten Unterhaltsfestsetzung zugrundegelegt worden war (Zeitpunkt und Art dieser letzten Unterhaltsfestsetzung sowie die einzelnen damals berücksichtigten Bemessungsumstände blieben unerörtert). Unbestritten ist, daß der Mann nach der letzten Unterhaltsbestimmung zur Leistung eines monatlichen Betrages in der Höhe von 3.800 S an seine geschiedene Frau verpflichtet ist. Ebenso unbestritten ist, daß den Mann nunmehr eine weitere gesetzliche Sorgepflicht für eine im November 1989 uneheliche geborene Tochter trifft.

Mit der am 11. Juli 1989 zu Protokoll erklärten Klage begehrte die Frau eine Erhöhung des ihr von ihrem geschiedenen Ehemann zu zahlenden monatlichen Unterhaltes von 3.800 S - nach Klagsausdehnung - auf 7.000 S.

Sie begründete dieses Erhöhungsbegehren mit einer entsprechenden Steigerung der Bezüge des Beklagten.

Dieser leugnete die Wesentlichkeit der Bezugserhöhungen und machte im übrigen außer der neu hinzugetretenenen gesetzlichen Unterhaltspflicht für seine uneheliche Tochter geltend, daß eigenes Einkommen der Klägerin als anspruchsmindernd zu berücksichtigen wäre. Das Prozeßgericht erster Instanz gab dem Unterhaltserhöhungsbegehren für die Zeit vom 1. Juli bis 16. November 1989 nur im Teilbetrag von 500 S monatlich statt und wies das Mehrbegehren für diese Zeit sowie das Erhöhungsbegehren für die Zeit ab 17. November 1989 zur Gänze ab.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil in seinen klagsabweisenden Teilen. Dazu sprach es aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei.

Beide Vorinstanzen werteten - in der offenkundigen Unterstellung, daß die Klägerin einen Betrag in der Höhe des ihrer Tochter auf Grund des Steiermärkischen Behindertengesetzes geleisteten Pflegegeldes zur Befriedigung ihrer eigenen Lebensbedürfnisse verwende - einen dem Pflegegeld entsprechenden Betrag als Abgeltung der der Tochter erbrachten Pflegeleistungen und damit unterhaltsrechtlich als eigene Einkünfte der Klägerin. Die Klägerin ficht das in der Hauptsache bestätigende Berufungsurteil wegen qualifiziert unrichtiger unterhaltsrechtlicher Beurteilung des dem Kind gebührenden Pflegegeldes als Entgelt der die Pflege besorgenden Mutter mit einem auf Erhöhung der monatlichen Unterhaltsverpflichtung des geschiedenen Ehemannes auf 5.500 S zielenden Abänderungsantrag an.

Der Beklagte erachtet die Revisionszulässigkeitsvoraussetzungen gemäß § 502 Abs 1 ZPO als nicht gegeben; im übrigen strebt er die Bestätigung der angefochtenen Entscheidung an.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist im Sinne der Übergangsregelung nach Art. XLI Z 9 WGN 1989 zulässig, weil die unterhaltsrechtliche Wertung eines nach dem Steiermärkischen Behindertengesetz einem Angehörigen des gemäß § 69 Abs 2 EheG unterhaltsberechtigten Ehegatten geleisteten Pflegegeldes als Entgelt für tatsächlich erbrachte Pflegeleistungen und damit als eigene Einkünfte im Sinne des § 94 Abs 2 ABGB im Sinne des Jud. 60 als Unterhaltsbemessungsfrage gewertet worden war, zweitinstanzliche Rechtsprechung zu dieser Frage nicht bekannt ist und daher in erweiternder Auslegung des Wortlautes der zitierten Übergangsregelung die Rechtsmittelzulässigkeit nach dem Grundkonzept des § 502 Abs 1 ZPO zu bejahen ist.

Die Revision ist aber nicht berechtigt.

Der nach dem Klagebegehren der Frau zu erhöhende gesetzliche Unterhaltsanspruch gegen ihren geschiedenen Ehemann beruht im Sinne des § 69 Abs 2 EheG auf § 94 Abs 2, zweiter Fall, ABGB. Der unterhaltspflichtige Mann könnte einem Unterhaltsbegehren seiner geschiedenen Ehefrau - ausgenommen im Falle anzunehmenden Rechtsmißbrauchs - nicht wirksam entgegenhalten, daß sie zur Erzielung bedarfdeckenden Einkommens aus eigener Erwerbstätigkeit imstande wäre. Dennoch sind deren "eigene Einkünfte angemessen zu berücksichtigen". Tatsächlich bezogene Einkünfte, insbesondere auch solche aus eigener Erwerbstätigkeit, mindern den Bedarf nach Fremddeckung der Unterhaltsbedürfnisse. Das gilt auch als unterhaltsrechtliche Reflexwirkung in den Fällen, in denen sich der Unterhaltsberechtigte nur aus wirtschaftlichen, sozialen oder familiären Motiven zum Einsatz seiner eigenen Arbeitskraft zwecks Erzielung eines regelmäßigen, nennenswerten Einkommens veranlaßt sieht. Die Tatsache eigenen Einkommens des Unterhaltsberechtigten entlastet den Unterhaltspflichtigen. Die gesetzliche Anordnung einer "angemessenen" Berücksichtigung eigener Einkünfte des unterhaltsberechtigten Ehegatten gestattet nur die als Einkünfte zu wertenden Mittel des unterhaltsberechtigten Ehegatten zu seinen, an den Lebensverhältnissen zu messenden Bedürfnissen und zur Leistungsfähigkeit des unterhaltspflichtigen Ehegatten in eine betragliche Beziehung zu setzen, nicht aber, nach den Motiven zu unterscheiden, die den unterhaltsberechtigten Ehegatten zur Erschließung von Einkommensquellen bestimmten.

Vermag der unterhaltsberechtigte Ehegatte etwa wegen geringer Leistungsfähigkeit oder auch wegen nur schlechter Zahlungsmoral des unterhaltspflichtigen Ehegatten seine Unterhaltsbedürfnisse in ausreichender Weise aus den geschuldeten Unterhaltszahlungen nicht mit Sicherheit zu befriedigen und entschließt er sich unter diesem wirtschaftlichen Zwang zu einer eigenen Erwerbstätigkeit, die der unterhaltspflichtige geschiedene Ehegatte nach dem zweiten Fall des § 94 Abs 2 ABGB nicht verlangen könnte, ist auch solches Erwerbseinkommen als eigene Einkünfte zu veranschlagen. Hätte daher die Klägerin - aus welchen Motiven immer - die Pflege eines fremden Kindes auf längere Dauer gegen Entgelt übernommen, müßte sie sich das Einkommen als eigene Einkünfte anrechnen lassen. Die Erbringung einer solchen geldwerten Leistung für das eigene Kind erfolgt in dem Umfang entgeltlos, als sie kraft Gesetzes als Betreuungsleistung geschuldet wird. Steht nun auch der Klägerin als Mutter ihres aus der geschiedenen Ehe mit dem Beklagten stammenden Kindes die alleinige Obsorge für das pflegebedürftige Mädchen zu, umfaßte die persönliche Fürsorge für das Kind doch nur die Verpflichtung, für die erforderliche Pflege zu sorgen, nicht aber darüber hinaus auch, sie selbst zu verrichten. Im Falle der Fremdleistung wären deren Kosten in erster Linie aus eigenen Einkünften des Kindes zu bestreiten.

Solche eigene Einkünfte des Kindes sind im vorliegenden Fall in der Form der zweckbestimmten Schadenersatzzahlungen sowie der Leistungen nach dem Steiermärkischen Behindertengesetz vorhanden. Die Klägerin erbringt ihrer pflegebedürftigen Tochter, die in ihrer alleinigen elterlichen Obsorge steht, Pflegeleistungen, die in ihrem Ausmaß einer vollen Arbeitsleistung entsprechen, und deckt dafür - nach den in tatsächlicher Hinsicht nicht bekämpften vorinstanzlichen Unterstellungen - zumindest bis zum Ausmaß der in ihren Auswirkungen strittigen öffentlichen Hilfeleistung in der Form des dem Kind bezahlten Pflegegeldes im Rahmen des Haushaltes eigene Unterhaltsbedürfnisse. Das ist unterhaltsrechtlich in Ansehung der Klägerin wie ein Leistungsaustausch mit Fremden zu werten: Das Kind verfügt über Mittel zur Bezahlung der erforderlichen Pflegeleistungen in der Form der Schadenersatzrente sowie des vom Land auf Grund des Behindertengesetzes ausbezahlten Pflegegeldes. Im Ausmaß dieser Einkünfte hat das Kind aus seinem Vermögen auch für die Kosten seiner - unfallsbedingten - Pflege aufzukommen und ist nicht auf Unterhaltsleistungen der Eltern angewiesen. Das Kind hat daher Pflegeleistungen im Rahmen der unfallsbedingten Pflegebedürftigkeit auch angemessen abzugelten, wenn sie von der eigenen Mutter erbracht werden. Wenn diesbezüglich auch kein formeller Vertrag, ja nicht einmal eine rechtserhebliche Absprache, sondern nur eine faktische Übung der haushaltsführenden und obsorgenden Klägerin vorliegt, ist der rein wirtschaftliche Vorgang, daß die Mutter als finanzielle Abgeltung der ihrer Tochter tatsächlich erbrachten Pflegeleistungen die Mittel, die das Kind außer den Schadenersatzzahlungen vom Land als Pflegegeld erhält, zur Befriedigung eigener Unterhaltsbedürfnisse verwendet, unterhaltsrechtlich als Erzielung eigener Einkünfte im Sinne des § 94 Abs 2 ABGB zu werten. Der Einsatz ihrer Arbeitskraft zu Pflegeleistungen für ihr Kind ist auf Dauer angelegt, die dafür aus Einkünften des Kindes faktisch gezogenen Nutzungen sind nicht geringfügig und erfolgen regelmäßig. Sie entheben daher in diesem Umfang die Klägerin des Bedarfes nach Fremdleistungen durch den unterhaltspflichtigen geschiedenen Mann.

Die von der Revisionswerberin zitierten Rechtsprechungsleitsätze haben den Einfluß von Sozialversicherungsleistungen zur Deckung eines bestimmten Sonderbedarfes oder von Sozialunterstützung auf den gesetzlichen Unterhaltsanspruch des Beziehers solcher Leistungen zum Gegenstand, nicht aber die tatsächliche Verwendung derartiger Leistungen durch oder zu Lasten des Empfängers zur Abgeltung der einen besonderen Bedarf darstellenden Pflegeleistungen durch einen Dritten und die unterhaltsrechtliche Wertung einer solchen Abgeltung in Ansehung von Unterhaltsansprüchen der die Naturalleistung erbringen Person gegen einen Vierten.

Der Lösung dieser für den anhängigen Rechtsstreit entscheidenden unterhaltsrechtlichen Frage von qualifizierter Bedeutung durch die Vorinstanzen haftet aus den dargelegten Erwägungen kein Rechtsirrtum an. Art und Ausmaß der "angemessenen Berücksichtigung" jener Mittel der Klägerin, die als ihre eigenen Einkünfte zu werten sind, also die Berechnungsmethode und das konkrete Ausmittlungsergebnis sind kein Gegenstand der Revisionsausführungen.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO. Der dreifache Jahresbetrag des revisionsverfangenen Erhöhungsbegehrens (von 1.700 S monatlich) bedeutet eine Bemessungsgrundlage zwischen 50.000 S und 75.000 S, wobei allerdings der Einheitssatz nur im Ausmaß von 50 % gebührt. Der mit ihrem Rechtsmittel erfolglos gebliebenen Klägerin war allerdings ein Kostenersatz nur im Rahmen der Verzeichnung durch den Beklagten aufzuerlegen.

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