OGH 9ObA182/90

OGH9ObA182/9029.8.1990

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr. Kuderna als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier und Dr. Bauer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. phil. Eberhard Piso und Dr. Gerhard Dengscherz als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Michael K***, Angestellter, Klagenfurt, Trojastraße 17, vertreten durch Dr. Walter Moser und Dr. Nikolaus Lanner, Rechtsanwälte in Klagenfurt, wider die beklagte Partei B & C G*** MBH, Klagenfurt, Johann-Schaschl-Weg 7, vertreten durch Dr. Michael Mülner, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wegen 294.020,40 S sA, Streitwert im Revisionsverfahren 114.222,24 S sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 2.3.1990, GZ 8 Ra 12/90-36, womit infolge Berufung beider Parteien das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt als Arbeits- und Sozialgericht vom 3.November 1989, GZ 31 Cga 2/89-31, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei hat die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war bei der beklagten Partei vom 1.10.1985 bis 28.9.1988 im Angestelltenverhältnis beschäftigt. Aus diesem Dienstverhältnis, das durch vorzeitigen Austritt des Klägers endete, steht diesem eine restliche Entgeltforderung von S 114.222,24 zu. Der Kläger war bei der beklagten Partei mit der Erstellung von Computerprogrammen beschäftigt und erarbeitete ua im Rahmen des Projektes "Schlüsselanlagen das Berechnungsmodul auf der Basis des Algorithmus Doktoris J***. Zu diesem Berechnungsmodul existiert derzeit bei der beklagten Partei weder der Quellcode noch ein funktionsfähiges Exekutivprogramm oder eine Dokumentation. Als der Kläger am 28.9.1988 vorzeitig austrat, erfolgte keine Übergabe der Softwaredokumentation. Auch bei einer nachträglichen gemeinsamen Suche der Streitteile am 1.3.1990 konnte die Software im Datenbestand der beklagten Partei nicht ermittelt werden. Nach dem 28.9.1988 wurde im Betrieb der beklagten Partei mit den vorhandenen Programmen im Bereich der Software "Schlüsselanlagen" gearbeitet und es wurden dabei auch Dateien verändert. Im Zug solcher Eingriffe in die Software erfolgten jeweils Datumseintragungen. Der Datumseintrag wird für eine Datei immer dann verändert, wenn in dieser Datei Daten verändert, hinzugefügt oder gelöscht werden und die Datei wieder abgespeichert wird. Bezugsdatum ist jeweils das aktuelle Tagesdatum im Rechnersystem. Dies gilt sowohl für Daten als auch für Programmdateien. Darüber hinaus ist aber auch jeder Datumseintrag willkürlich veränderbar, ohne in die Dateien einzugreifen. Das Berechnungsmodul, welches in den Aufgabenbereich des Klägers fiel, ist nicht mehr abrufbar und nicht mehr verwertbar. Dieses Modul müßte daher neu erstellt werden. Der Kaufpreis für ein solches Modul beträgt etwa S 40.000,--, mindestens aber S 35.000,--. Die beklagte Partei konnte das Programm an zwei Kunden nicht in Rechnung stellen und mußte Aufträge stornieren. Diese beiden Aufträge entsprechen einem Gegenwert von mindestens je S 35.000,--. Der Entwicklungsaufwand für das Softwaremodul liegt bei etwa S 200.000,--. Der Rest der Schließanlagensoftware der beklagten Partei ist vom Berechnungsmodul klar abgegrenzt und daher auch vermarktbar. Ohne den vom Kläger seinerzeit programmierten automatisierten Berechnungsteil ist die Software aber nicht mehr auf dem Stand der Technik. Die Vorgänge beim Ausscheiden des Klägers aus der Firma der beklagten Partei widersprachen dem professionellen und branchenüblichen Verständnis für die Funktion und Verantwortung. Die beklagte Partei hat es versäumt, die ordnungsgemäße Übergabe und sorgsame Behandlung der Programme und Dokumentation sicherzustellen. Der Kläger hätte schon zur eigenen Entlastung eine ordnungsgemäße Sicherung des Programms und entsprechende Übergabe veranlassen müssen. Tatsächlich war nach dem Ausscheiden des Klägers aus dem Betrieb der beklagten Partei am 28.9.1988 erstmals am 1.3.1989 in Anwesenheit beider Parteien der noch existierende Softwarebestand dokumentiert worden. Der Stand vom 28.9.1988 ist nicht belegt. Unbestritten ist in dritter Instanz, daß dem Kläger aus dem Dienstverhältnis eine restliche Entgeltforderung von S 114.222,24 sA zusteht. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist ausschließlich die von der beklagten Partei eingewendete Gegenforderung im Betrag von S 200.000,--, die darauf gegründet wird, daß der Kläger vor seinem Ausscheiden das Berechnungsmodul des Softwarepaketes "Schlüsseldienste" gelöscht habe; da sowohl Quellcode wie auch Exekutivprogramm und Dokumentation fehlten, sei eine Rekonstruktion des fehlenden Programmteiles nicht möglich. Selbst wenn der Kläger die Löschung nicht durchgeführt hätte, sei er für die fehlenden Programmteile verantwortlich und habe den der beklagten Partei hieraus entstandenen Schaden von S 200.000,-- zu vertreten, weil er es unterlassen habe, vor Verlassen seiner Arbeitsstätte das Programm ordnungsgemäß abzusichern und dem Arbeitgeber zu übergeben. Hiezu wäre er jedoch verpflichtet gewesen.

Der Kläger bestritt die Gegenforderung dem Grunde und der Höhe nach. Er habe weder ein Programm noch Programmteile gelöscht oder verändert. Der Entwicklungsaufwand sei nicht verloren, weil sich die Berechnungsunterlagen Doktoris J*** weiterhin in der Hand der beklagten Partei befänden.

Das Erstgericht sprach aus, daß die Gegenforderung nicht zu Recht bestehe. Die beklagte Partei sei den Beweis schuldig geblieben, daß der Kläger den Ausfall des Programmteiles verursacht habe. Vom Zeitpunkt des Ausscheidens des Klägers am 28.9.1988 habe die beklagte Partei zumindest bis zur folgenden Woche den Datenstand nicht überprüft und es habe praktisch jeder Angestellte Zutritt zu den Daten gehabt. Es komme daher jeder andere Angestellte der beklagten Partei als Verursacher des Datenverlustes in Betracht. Der Verlust sei nur auf den Umstand zurückzuführen, daß die beklagte Partei entgegen aller Übung die Daten nicht auf einem Sicherungsband abgespeichert habe. Wäre dies der Fall, so hätten auch allfällige Eingriffe des Klägers in das Programm vor seinem Austritt aus dem Betrieb der beklagten Partei keinen Nachteil bringen können. Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei nicht Folge, wobei es im wesentlichen die rechtliche Beurteilung des Erstgerichtes billigte.

Der Einwand der beklagten Partei, den Kläger treffe nach § 1298 ABGB die volle Beweispflicht dafür, daß er kein Verschulden zu vertreten habe, sei nicht zielführend. Die beklagte Partei habe nie behauptet, daß der Kläger irgendwelche gesetzlichen Vorschriften oder sonstigen Verpflichtungen verletzt habe. Auch wenn der Kläger es versäumt habe, vor seinem Ausscheiden aus dem Dienstverhältnis zu seiner Entlastung eine ordnungsgemäße Sicherung des Programmes und eine entsprechende Übergabe zu veranlassen, so übersehe sie, daß der gleiche Vorwurf auch die beklagte Partei in gleichem Maß treffe. Das schließe aber die Anwendung des § 1298 ABGB aus.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der beklagten Partei aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß (ausgehend vom Zurechtbestehen der Gegenforderung) das Klagebegehren zur Gänze abgewiesen werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Wie bei anderen Arbeitsprozessen auch, muß sich der Arbeitgeber mit der Art und Weise der Programmgestaltung vertraut machen, um geeignete Weisungen geben zu können. Notwendig sind genaue Richtlinien unter anderem auch für die Vorgangsweise bei der Programmerstellung und das richtige und vollständige Dokumentieren. Bleiben die Weisungen unter diesen Gesichtspunkten unvollständig, so trägt der Arbeitgeber allein das Risiko, die entwickelte Software nur unvollständig oder überhaupt nicht nutzen zu können. Entscheidend kann für den Arbeitnehmer nur sein, ob er die vorgegebenen Weisungen eingehalten hat (Koch, Ihre Rechte an Computerprogrammen2, 72). Den Mindestschutz stellt der Aufbau eines Kennwortsystems für den Zugriff auf die Daten und Programme dar. Der Systemmanager (oder jemand mit ähnlicher Funktion) legt - durch Vergabe von Kennworten - fest, wer auf welche Programme und Dateien Zugriff hat und welcher Art dieser Zugriff ist (Zimmerli-Liebl, Computermißbrauch Computersicherheit, 142). Umfassende Sicherheit im Rechenzentrumsbetrieb setzt Back-up-Systeme voraus (Lessing-Jülich-Barmen-Weese KES 1987, 243). Für jedes die elektronische Datenverarbeitung einsetzende Unternehmen sind Datenbestände von besonderem Wert. Daten sind daher vor Verlust, Beschädigung wie auch mutwilliger Zerstörung zu schützen. Externe Datensicherung ist dabei gleichbedeutend mit organisatorischen Sicherungsmaßnahmen, die außerhalb der technischen Geräte durchgeführt werden. Ganz besonders wichtig ist das Sichern von Programmen und Daten durch Duplizieren bzw. Kopieren (Computer-Praxis abc, Gruppe 3/36, 1). Die tägliche Datensicherung nach dem Drei-Generationen-Prinzip ist ein Muß für jede EDV-Abteilung. Die "Vater-Generation" sollte zu einer eventuell notwendig werdenden Rekonstruktion schnell zur Verfügung stehen. Eine Generation ist im EDV-Archiv aufzubewahren. Für das Außer-Haus-Archiv genügt unter Umständen eine wöchentliche Sicherung (Zimmerli-Liebl, aaO). Der Aufbau der Datensicherung ist Angelegenheit der Unternehmensorganisation. Es obliegt dem Unternehmer bzw. dem für den Softwarebereich Verantwortlichen, genaue Richtlinien hinsichtlich der Datensicherung zu erstellen, um einen Verlust von Daten und Programmen im Fall eines Maschinenschadens oder einer Fehlbedienung der Anlage zu vermeiden. Zur Durchführung des erarbeiteten Sicherheitssystems sind an die Arbeitnehmer Weisungen zu erteilen.

Die beklagte Partei hat nicht einmal vorgebracht, daß in ihrem Betrieb ein System der Datensicherung bestanden habe und daß entsprechende Weisungen an die Mitarbeiter erteilt worden seien. Allein die Tatsache, daß nach dem Ausscheiden des Klägers am 28.9.1988 erstmals am 1.3.1989 der noch existierende Softwarebestand dokumentiert wurde, zeigt, daß ein geeignetes Back-up-System offenbar nicht eingerichtet war. Der Grund für die Löschung der fraglichen Programmteile konnte nicht festgestellt werden. Dieser Verlust wäre aber nicht eingetreten, wenn bei der beklagten Partei ein branchenüblich entsprechendes Datensicherungssystem eingerichtet gewesen wäre. Die fehlenden Programmteile stünden in diesem Fall auf Band oder Disketten zur Verfügung und könnten jederzeit wieder abgerufen werden. Auch dem Mindesterfordernis eines Kennwortsystems wurde nicht Rechnung getragen, so daß es jedem anderen Angestellten des Unternehmens der beklagten Partei möglich war, auf das vom Kläger erstellte Programmodul zuzugreifen, dieses zu verändern und zu löschen. Grund für den Programmverlust waren diese schwerwiegenden Organisationsmängel, die die beklagte Partei zu vertreten hat. Es wäre an der beklagten Partei gelegen, sofort nach der Austrittserklärung des Klägers eine entsprechende Datensicherung durchzuführen, um einen späteren Verlust zu verhindern, zumal ihr bekannt war, daß eine Projektübergabe - die von ihrer Seite im übrigen gar nicht angeordnet wurde - nicht stattgefunden hatte; dies hat sie aber durch einen Zeitraum von fünf Monaten unterlassen, ohne das Programm in irgendeiner Weise gegen Benutzung durch andere Mitarbeiter zu schützen und hat damit eine spätere Programmlöschung ermöglicht. Eine Haftung des Klägers könnte nur aus einem weisungswidrigen Verhalten - etwa Unterlassung der Datensicherung trotz entsprechenden Auftrages - resultieren. Da kein Anhaltspunkt dafür besteht, daß im Unternehmen der beklagten Partei im Rahmen eines Datensicherungssystems eine derartige Weisung erteilt wurde, fällt dem Kläger auch kein Verschulden zur Last, wenn er die Sicherung der Daten unterließ. Wohl hat das Erstgericht - gestützt auf das Gutachten des Sachverständigen - festgestellt, daß der Kläger "schon zu seiner eigenen Entlastung" eine Sicherung des Programms und eine entsprechende Übergabe hätte veranlassen müssen. Die Nichteinhaltung dieser Vorgangsweise tritt jedoch gegenüber den schwerwiegenden Organisationsmängeln im Betrieb der beklagten Partei, die letztlich für den Datenverlust ausschlaggebend waren, soweit in den Hintergrund, daß dies vernachlässigt werden kann. Zutreffend sind daher die Vorinstanzen zum Ergebnis gelangt, daß die eingewendete Schadenersatzforderung nicht zu Recht besteht. Die Entscheidung über die Kosten der beklagten Partei gründet sich auf §§ 40, 50 ZPO; die klagende Partei hat Kosten nicht verzeichnet.

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