OGH 12Os63/90

OGH12Os63/9028.6.1990

Der Oberste Gerichtshof hat am 28.Juni 1990 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Müller als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Walenta, Dr. Horak, Dr. Felzmann und Dr. Rzeszut als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr.Ungerank als Schriftführer in der Strafsache gegen Gerhard G*** wegen des Vergehens des schweren Diebstahles nach §§ 127, 128 Abs. 1 Z 1 StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 9.April 1990, GZ 6 Vr 6/90-26, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.

Zur Entscheidung über die Berufungen des Angeklagten und seines Sachwalters werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Text

Begründung

Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 8. März 1990, GZ 6 Vr 6/90-23, wurde der am 25.März 1954 geborene Gerhard G*** - abweichend von der wegen des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs. 1 StGB erhobenen Anklage (ON 13) - wegen der Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB und des schweren Diebstahles nach §§ 127, 128 Abs. 1 Z 1 StGB schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe verurteilt; gleichzeitig wurde gemäß § 494 a Abs. 1 Z 4 StPO beschlußmäßig die bedingte Entlassung aus der Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs. 2 StGB widerrufen. Nach Verkündung dieses Urteiles sowie des Widerrufsbeschlusses und Erteilung einer Rechtsmittelbelehrung durch den Vorsitzenden erklärte der in der Hauptverhandlung durch einen Substituten des gemäß § 41 Abs. 2 StPO bestellten Verteidigers vertretene Angeklagte, daß er sowohl gegen das Urteil als auch gegen den Beschluß auf Rechtsmittel verzichte (ON 32, S 236, 237 iVm S 259 a und 3 f). Dessen ungeachtet meldete der Angeklagte (am Montag, dem) 12.März 1990 (unter Berücksichtigung des Wochenendes also innerhalb der gemäß § 6 Abs. 2 letzter Satz StPO prolongierten dreitägigen Fristen der §§ 268 Abs. 2, 284 Abs. 1 und 294 Abs. 1 StPO) schriftlich "Nichtigkeit und Berufung" an (S 247). Mit dem angefochtenen Beschluß wies der Vorsitzende gemäß § 285 a Z 1 letzter Halbsatz StPO die Nichtigkeitsbeschwerde zurück. Gegen diesen am 12.April 1990 zunächst nur ihm zugestellten Zurückweisungsbeschluß erhob Gerhard G*** schriftlich Beschwerde (ON 29) und führte dort aus, er habe mit seiner Erklärung: "Ich nehme an" nicht das Urteil, sondern die Bedenkzeit gemeint (S 257 vorletzter Absatz). Schließlich gab am 30.April 1990 auch der für den Angeklagten bestellte Sachwalter eine Anmeldung einer Berufung, die er am 10.Mai 1990 auch ausführte, zur Post (ON 31, 33). Nach der vom Obersten Gerichtshof veranlaßten Zustellung des angefochtenen Beschlusses an den bestellten Verteidiger (ON 32) brachte dieser eine Beschwerdeschrift ein, in der bemängelt wird, daß der Verteidiger vor Abgabe der Rechtsmittelerklärung üblicherweise nicht befragt werde und auch in diesem Fall nicht befragt wurde. Ein Rechtsmittelverzicht könne nur dann bindend sein, wenn der Angeklagte die Erklärung nicht nur in Anwesenheit des Verteidigers, sondern nach Rücksprache mit ihm abgebe. Sollte der Oberste Gerichtshof aber diese Rechtsansicht nicht teilen, wolle er gemäß Art. 89 Abs. 2 B-VG beim Verfassungsgerichtshof den Antrag auf Aufhebung der Worte "ohne Beisein eines Verteidigers" im § 268 Abs. 2 StPO stellen, weil diese Bestimmung gleichheitswidrig sei und Art. 6 EMRK widerspreche, sei der Angeklagte durch diese Bestimmung im Fall bloßer Anwesenheit eines Verteidigers doch schlechter gestellt als ein Angeklagter, der keinen Verteidiger hat.

Rechtliche Beurteilung

Nach dem Inhalt des Hauptverhandlungsprotokolles und der im Zuge der Aktenvorlage abgegebenen Äußerungen des Vorsitzenden, der Schriftführerin, des Verteidigers und des Staatsanwaltes gab der Angeklagte unmißverständlich einen Rechtsmittelverzicht ab (S 259 a, 3 f). Da der Angeklagte auch schon in früheren Strafverfahren entweder sogleich nach Urteilsverkündung auf Rechtsmittel verzichtete (vgl hiezu S 208 im Akt 6 Vr 1931/80, S 21 in 6 E Vr 274/84 und S 55 in 6 E Vr 2872/86, jeweils des Landesgerichtes für Strafsachen Graz) oder sich Bedenkzeit erbat (S 84 im Akt 6 Vr 546/85 des Landesgerichtes für Strafsachen Graz), kann seiner Beteuerung, er habe sich mißverständlich ausgedrückt, nicht gefolgt werden. Damit ist davon auszugehen, daß der anwaltlich vertretene Angeklagte einen formgerechten und wirksamen Rechtsmittelverzicht abgegeben hat, der grundsätzlich unwiderruflich ist (LSK 1978/140, 1982/149 uva).

Sohin bleibt der Einwand des Verteidigers, es sei ihm keine Möglichkeit geboten worden, sich mit dem Angeklagten zu beraten, bevor dieser seine Rechtsmittelerklärung abgab, sodaß diesem doch das Recht zustand, seine Erklärung innerhalb von drei Tagen zu widerrufen (§ 268 Abs. 2 StPO).

Dem Beschwerdeführer ist einzuräumen, daß der Gesetzgeber bei Beschränkung der Widerrufsmöglichkeit auf einen "ohne Beisein eines Verteidigers" abgegebenen Rechtsmittelverzicht von der Überzeugung getragen war, daß der Angeklagte bei Anwesenheit eines Verteidigers die Möglichkeit hat, sich mit diesem zu beraten, und ihm das Gericht diese Möglichkeit auch einräumen muß (359 der Beil.XVII.GP, 41). Es ist aber weder dem Hauptverhandlungsprotokoll noch dem Beschwerdevorbringen zu entnehmen, daß es dem Angeklagten nicht möglich war, seinen Verteidiger zu Rate zu ziehen, oder der Verteidiger daran gehindert wurde, seinem Klienten einen ihm notwendig erscheinenden Rat zu geben. Es trifft auch nicht zu, daß es dem Verteidiger verwehrt ist, sich mit dem von ihm vertretenen Angeklagten vor Abgabe einer Rechtsmittelerklärung zu beraten (SSt 22/76). Der Angeklagte oder der Verteidiger müssen aber von sich aus für das Gericht erkennbar den Wunsch äußern, sich beraten zu wollen, wobei der Verteidiger auch berechtigt ist, ohne, aber nicht gegen den ausgesprochenen Willen des Angeklagten Rechtsmittel einzubringen (Mayerhofer-Rieder2 E 43 zu § 44 StPO). Es besteht sohin kein Anhaltspunkt dafür, daß der Angeklagte durch Beschränkung seiner Verteidigungsrechte zu einer voreiligen und von ihm so nicht gewollten Rechtsmittelerklärung veranlaßt wurde, vielmehr spricht viel dafür, daß er nach Verkündung des Urteiles in Erleichterung, konform mit seiner Verantwortung nicht wegen des ihm angelasteten Raubes (mit einer Strafdrohung bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe) verurteilt worden zu sein, den Rechtsmittelverzicht abgab. Unter Zugrundelegung der dargestellten Auslegung des § 268 Abs. 2 StPO ist aber nicht zu sehen, weshalb die Beschränkung der Rechtsmittelverzichtserklärung auf nicht vertretene Angeklagte (Beschuldigte) nicht sachgerecht und damit gleichheitswidrig sein sollte und weshalb durch diese Regelung die im Art. 6 Abs. 3 lit c MRK garantierten Verteidigungsrechte nicht gewährleistet sein sollten. Es bestand daher kein Grund, eine Anfechtung dieser Bestimmung ins Auge zu fassen.

Der bekämpfte Zurückweisungsbeschluß entspricht aus den dargelegten Gründen der Sach- und Rechtslage, weshalb der Beschwerde in Übereinstimmung mit der Äußerung der Generalprokuratur (§ 285 b Abs. 4 StPO) der Erfolg zu versagen war.

Da der Angeklagte und sein Sachwalter (§ 282 Abs. 1 StPO) gegen das Urteil auch Berufungen erhoben haben, waren die Akten - um jeden Zeitverlust zu vermeiden - sofort dem zur (weiteren) Entscheidung berufenen Gerichtshof zweiter Instanz weiterzuleiten.

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