OGH 8Ob692/89 (8Ob693/89)

OGH8Ob692/89 (8Ob693/89)12.6.1990

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Kropfitsch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber, Dr. Graf, Dr. Schalich und Dr. Jelinek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Herbert T***, Landtagsabgeordneter, Neustadt 12, 6800 Feldkirch, vertreten durch Dr. Andreas Brandtner, Rechtsanwalt in Feldkirch, wider die beklagte Partei Manfred R***, Landtagsabgeordneter, Landhaus, 6900 Bregenz, vertreten durch Dr. Edelbert Giesinger, Rechtsanwalt in Feldkirch, wegen Feststellung, Unterlassung und Rechnungslegung infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Rekursgerichtes vom 2. August 1989, GZ 3 R 152, 208/89-15, womit der Beschluß des Landesgerichtes Feldkirch vom 15. Dezember 1989, GZ 8 Cg 448/88-6, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Nach dem Klagevorbringen sind die Streitteile Abgeordnete zum

24. Vorarlberger Landtag und Mitglieder der vierköpfigen Landtagsfraktion "A*** L***/V*** G*** Ö***"

(= AL/VGÖ). Der Beklagte ist Mitglied der Partei "V*** G*** Ö***" und Obmann des Landtagsklubs AL/VGÖ, der Kläger gehört der "A*** L*** V***" an. Der Kläger behauptet, der Beklagte habe ihn nach Auseinandersetzungen aus dem Landtagsklub hinausgedrängt und verfüge eigenmächtig über das der gesamten Landtagsfraktion, also nicht dem Landtagsklub, zustehende "Fraktionsgeld", das das Land Vorarlberg gemäß § 6 Abs.5 der Geschäftsordnung des Vorarlberger Landtages jeder Landtagsfraktion zur Erfüllung ihrer Aufgaben gewähre. Dieses Geld werde vom Land Vorarlberg allmonatlich auf ein Konto überwiesen, über welches der Beklagte derart verfüge, daß er es nur für die Landtagsarbeit der der Partei "V*** G*** Ö***" zugehörigen beiden Landtagsabgeordneten verwende und sich weigere, den Kläger und den weiteren zur Landtagsfraktion AL/VGÖ gehörenden Landtagsabgeordneten an den Geldmitteln in irgendeiner Weise teilhaben zu lassen. Aus diesen Gründen stelle der Kläger das Urteilsbegehren.

1. Es wird festgestellt, daß die der "A***

L***/V*** G*** Ö***" gemäß § 6 Abs.5 der Geschäftsordnung für den Vorarlberger Landtag gewährten Geldmittel der Landtagsfraktion "A*** L***/V*** G*** Ö***",

welcher auch der Kläger angehört, zur Erfüllung ihrer Aufgaben im Vorarlberger Landtag zustehen;

2. der Beklagte hat es ab sofort zu unterlassen, über die an die "A*** L***/V*** G*** Ö***" gemäß § 6 Abs.5 der Geschäftsordnung für den Vorarlberger Landtag gewährten Geldmittel eigenmächtig zu verfügen und diese nur für seine und des Abgeordneten Kaspanaze S*** Landtagsarbeit zu verwenden;

3. der Beklagte ist schuldig, dem Kläger über die seit Oktober 1987 der Landtagsfraktion "A*** L***/V*** G*** Ö***" gemäß § 6 Abs.5 der Geschäftsordnung für den Vorarlberger Landtag gewährten Geldmittel Rechnung zu legen;

4. der Beklagte ist weiters schuldig, dem Kläger zur Erfüllung seiner Aufgaben im Vorarlberger Landtag von den seit Oktober 1987 der Landtagsfraktion "A*** L***/V*** G*** Ö***"

gemäß § 6 Abs.5 der Geschäftsordnung für den Vorarlberger Landtag gewährten Geldmittel einen Betrag von S 6.000,- auszuzahlen. Der Beklagte erhob die Einrede der Unzulässigkeit des Rechtsweges und bestritt das Klagebegehren. Ein einzelnes Mitglied der Landtagsfraktion habe kein Klagerecht gegen ein anderes Mitglied auf Zuteilung von "Fraktionsgeldern". Da die Landtagsfraktion nach der Landtagsgeschäftsordnung über keine Organe verfüge, seien alle Mitglieder gleichgestellt und es könne kein Mitglied vom anderen Rechenschaft und Rechnungslegung verlangen. Die Gelder stünden der Gesamtheit der Mitglieder der Fraktion zu.

Mit seinem Beschluß ON 6 erklärte sich das Erstgericht zur Verhandlung und Entscheidung unzuständig, sprach aus, daß das bisherige Verfahren nichtig sei und wies die Klage wegen Unzulässigkeit des Rechtsweges mit der Begründung zurück, die Geschäftsordnung für den Vorarlberger Landtag, in welcher die Rechte von Landtagsfraktionen aufgezählt würden und aus welcher der Kläger seine Ansprüche ableite, enthalte keine Bestimmungen darüber, wer für allfällige Streitigkeiten aus der Geschäftsordnung zuständig sei. Eine gerichtliche Durchsetzung politischer Absprachen sei nicht zulässig, es handle sich um öffentlich-rechtliche Ansprüche. Das Rekursgericht hob den erstgerichtlichen Beschluß auf und ordnete die Fortsetzung des erstgerichtlichen Verfahrens an. Es sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes hinsichtlich der einzelnen Begehren jeweils S 15.000,-, nicht jedoch S 300.000,-

übersteigt und daß der Revisionsrekurs nach den §§ 528 Abs.2 und 502 Abs.4 Z 1 ZPO zulässig sei.

In der Entscheidungsbegründung verwies das Rekursgericht auf die grundsätzliche Zuständigkeit der Gerichte zur Entscheidung über privatrechtliche Fragen, deren Vorliegen nach dem Inhalt des Klagebegehrens und Klagevorbringens zu beurteilen sei sowie auf die Regelungen betreffend die Landtagsfraktionen im § 6 der Geschäftsordnung für den Vorarlberger Landtag. Danach verfüge eine Landtagsfraktion anders als ein Klub des Vorarlberger Landtags oder gemäß § 7 Geschäftsordnungsgesetz 1975 ein parlamentarischer Klub des Nationalrates nicht zwingend über eine innere Organisation, sie müsse auch nicht gesondert konstituiert werden, sondern entstehe mit der Konstituierung des Landtages aus einer genau definierten Gruppe von Abgeordneten. Trotzdem könne ihr

eine - eingeschränkte - Rechtspersönlichkeit nicht abgesprochen werden, da sie gemäß § 6 der Geschäftsordnung vom Land Vorarlberg Geldmittel zur Erfüllung ihrer Aufgaben im Landtag erhalte und damit jedenfalls fähig sei, Träger von Vermögen zu sein und unter Heranziehung dieses Vermögens Rechtsgeschäfte im Zusammenhang mit der Erfüllung der Aufgaben einer Landtagsfraktion im Landtag abzuschließen. Inwieweit eine Fraktion des Vorarlberger Landtags auch parteifähig sei und wer sie nach außen vertrete, brauche hier nicht untersucht zu werden. Mangels einer ausdrücklichen oder analog anwendbaren gesetzlichen Regelung seien die Landtagsfraktionen auch nicht als juristische Personen oder Körperschaften öffentlichen Rechtes anzusehen. Die Rechtsbeziehungen der Mitglieder einer Landtagsfraktion untereinander seien ebenfalls weder im Verfassungs- und Verwaltungsrecht noch im Privatrecht geregelt. Analoge Anknüpfungspunkte fänden sich eher im Privatrecht, das in zahlreichen Bestimmungen die Rechtsbeziehungen innerhalb von Personengruppen regle. Dafür, daß die Rechtsbeziehungen zwischen den Mitgliedern einer Landtagsfraktion dem bürgerlichen Recht nahe stünden, spreche auch der nunmehr in Rechtsprechung und Lehre einheitlich beurteilte Begriff der bürgerlichen Rechtssachen, denen streitige Privatrechtsverhältnisse zugrundelägen.

Privatrechtsansprüche seien nach der herrschenden Subjektionstheorie durch die Gleichheit der Rechtssubjekte gekennzeichnet, während das öffentliche Recht durch die überragende Stellung des öffentlichen Rechtsträgers gekennzeichnet sei. Daß der Kläger als freier Abgeordneter dem Beklagten oder der Landtagsfraktion in keiner Weise unterworfen sei, bedürfe keiner näheren Begründung. Ein Abgeordneter des Vorarlberger Landtages dürfe ihm für die Fraktion überlassene Geldmittel zweifellos nicht zur eigenen Bereicherung verwenden und demgemäß andere, gleichgeordnete und gleichberechtigte Abgeordnete von der Verwendung der Geldmittel nicht ausschließen. Da die Rechtsbeziehungen zwischen Abgeordneten, die im Vorarlberger Landtag eine Landtagsfraktion bildeten, jedenfalls nicht durch besondere Gesetze vor andere Behörden oder Organe verwiesen seien, stehe dem Kläger zur Verfolgung seiner Ansprüche gegen den Beklagten nach § 1 JN der ordentliche Rechtsweg offen.

In seinem gegen den rekursgerichtlichen Beschluß und auf Abänderung im Sinne der Zurückweisung der Klage wegen Unzulässigkeit des Rechtsweges gerichteten Rekurs bringt der Beklagte zur Frage der Zulässigkeit des ordentlichen Rechtsweges vor, der Kläger stelle hier gegen den Beklagten direkt Forderungen und Begehren, obwohl es sich um vermögensrechtliche Ansprüche handle, über die gemäß Art 137 B-VG vom Verfassungsgerichtshof zu entscheiden sei. Davon abgesehen sei bei der Beurteilung eines Klageanspruches als eines bürgerlich-rechtlichen Anspruches auch das Vorbringen des Beklagten zu berücksichtigen. Zwischen den Streitteilen bestehe sicherlich keine Gleichheit als Fraktionsmitglieder, weil der Beklagte auch Obmann des Landtagsklubs "AL/VGÖ" sei und daher sicherlich eine Sonderstellung habe. Zwar verfüge die Fraktion über keine Organe, doch sie werde in wesentlichen Ausschüssen usw vom Beklagten vertreten, sodaß der Beklagte primus inter pares sei. Von den von den Fraktionen zu erfüllenden Aufgaben her gesehen bestünden nur wenig Beziehungen zum Privatrecht, ihre Tätigkeiten bezögen sich auf den politischen Bereich. Politische Verpflichtungen hätten nicht jenen Normcharakter, der ihnen gerichtliche Durchsetzbarkeit zukommen lasse. Die gesamte Tätigkeit in der Fraktion müsse daher von ihrem Zweck her gesehen als innere Angelegenheit einer Personengruppe beurteilt werden, eine Angelegenheit, der den eigentlichen Kern der politischen Betätigung betreffe und in der ohne Autonomie die Fraktion in der Verwirklichung ihrer Zielvorstellungen eingeschränkt wäre. Gegenseite Vor- oder Nachteile dürften keinesfalls aus dieser Umgebung herausgelöst und auf die Ebene einer bürgerlichen Rechtssache transferiert werden. Aus der losen Mitgliedschaft könnten sich nicht solche Mitgliedschaftsrechte ergeben, die im Rahmen eines Gerichtsverfahrens durchsetzbar wären. Die vom Land zweckgebunden für politische Tätigkeit gewährten Gelder sollten den Fraktionen und nicht den einzelnen Fraktionsmitgliedern quotenmäßig zukommen. Dem Beklagten als Fraktionsmitglied und Klubobmann obliege letztlich die Verantwortung für den Einsatz der Geldmittel im Rahmen der politischen Zielvorstellungen, ein allfälliger Vorwurf unzweckmäßiger Verwendung könne nur intern (Mißtrauensvotum, Abwahl usw.) geregelt werden.

Rechtliche Beurteilung

Diesen Rekursausführungen kann insgesamt nicht gefolgt werden. In der Verfassung des Landes Vorarlberg LGBl. 1984/30 wird der Begriff "Landtagsfraktion" mehrfach (siehe zB Art 14 Abs.2, 18 Abs.2, 19 Abs.1) gebraucht, jedoch nicht definiert. Ihr Art 19 Abs.1 sieht vor, daß sich der Landtag durch Beschluß eine Geschäftsordnung gibt, in welcher ua Bestimmungen über die Gewährung von Sach- und Geldmitteln des Landes an die "Landtagsfraktionen" und Landtagsklubs zur Erfüllung ihrer Aufgaben im Lande vorzusehen sind. Der § 6 Abs.1 der vom Landtag beschlossenen Geschäftsordnung enthält sodann folgende Begriffsdefinition: "Alle Abgeordneten, die derselben wahlwerbenden Gruppe (Partei) angehören, bilden eine Landtagsfraktion".

Gemäß § 6 Abs.5 der Geschäftsordnung des Vorarlberger Landtags hat das Land "jeder Landtagsfraktion zur Erfüllung ihrer Aufgaben im Landtag Geldmittel" in der im folgenden detailliert geregelten Höhe zu gewähren je nach dem, ob die Landtagsfraktion aus bis zu zwei, bis zu acht oder aus mehr als acht Mitgliedern besteht. Landtagsfraktionen mit mindestens drei Mitgliedern haben nach § 6 Abs.2 der Geschäftsordnung das Recht, einen Landtagsklub zu bilden und einen Obmann usw zu wählen. Den Landtagsklubs sind vom Land gemäß § 6 Abs.4 der Geschäftsordnung zwei Büroräume und ein Besprechungszimmer kostenlos zur Verfügung zu stellen. Nähere Regelungen darüber, wie die "den Landtagsfraktionen" und damit im Sinne des § 6 Abs.1 der Geschäftsordnung den ihr angehörenden Abgeordneten in ihrer Gesamtheit zugewiesenen Geldmittel zu verwenden und zu verwalten sind, enthält weder die Verfassung des Landes Vorarlberg noch die vom Landtag erlassene Geschäftsordnung. Insbesondere werden hierin solche Aufgaben nicht den Klubobmännern oder Ausschußmitgliedern übertragen. Organe der Landtagsfraktionen sind nicht vorgesehen. Demgemäß ist somit aber im Sinne der subsidiär auf alle "Gemeinschaften" analog anzuwendenden Bestimmungen der §§ 825 ff ABGB grundsätzlich eine Verfügungsbefugnis sämtlicher Mitglieder einer Fraktion über diese Gelder und ein Mitwirkungsrecht jedes einzelnen Mitgliedes an der Verwaltung dieser Geldmittel zugrundezulegen. Darüber, in welchem Verfahren über die Anmaßung eines alleinigen Verfügungsrechtes eines oder einzelner Fraktionsmitglieder des Vorarlberger Landtages zu entscheiden ist, bestehen keine besonderen gesetzlichen Vorschriften. Im Sinne der vom Rekursgericht bezogenen ständigen Rechtsprechung ist einerseits für die Zuordnung von Ansprüchen zum Privatrecht oder zum öffentlichen Recht primär die Beteiligung gleichberechtigter oder aber über- und untergeordneter, rechtsunterworfener Rechtssubjekte maßgebend und andererseits für die Qualifikation eines Anspruches als eines privatrechtlichen Anspruches und damit der Zulässigkeit des ordentlichen Rechtsweges die Natur, das Wesen des geltend gemachten Anspruches und der Inhalt des Klagebegehrens sowie der Klagssachverhalt entscheidend (SZ 51/161; SZ 53/179; SZ 56/33; SZ 44/165; SZ 45/117; JBl. 1988, 594 ua).

Die vom Kläger geltend gemachten Ansprüche sind solche aus einem Gemeinschaftsverhältnis gleichberechtigter Rechtssubjekte - die Eigenschaft des Beklagten als Obmann des Landtagsklubs und Mitgliedes von Landtagsausschüssen ist im Sinne der getroffenen Darlegungen rechtlich unerheblich, er geht in der Klagebeantwortung auch selbst zutreffend von gleichberechtigten Mitgliedern aus, welchen die Geldmittel in ihrer Gesamtheit zustünden - und beruhen ihrem Wesen nach auf dem Privatrecht zugehörenden Rechtsgründen. Der Umstand, daß die Institution der Landtagsfraktion und die Funktion der Landtagsabgeordneten als ihrer Mitglieder im öffentlichen Recht wurzelt, erscheint ohne Belang, weil sich die Klageansprüche nicht darauf, sondern ausschließlich auf das zwischen den Fraktionsmitgliedern bestehende Gemeinschaftsverhältnis beziehen und dieses Verhältnis in öffentlich-rechtlichen Normen keine Sonderregelung gefunden hat. Der Hinweis des Rechtsmittelwerbers auf Art 137 B-VG geht schon deswegen fehl, weil hier kein Anspruch an die dort genannten Rechtsträger erhoben wird.

Die Beurteilung des Rekursgerichtes, daß es sich im vorliegenden Fall um eine gemäß § 1 JN in die Zuständigkeit der Gerichte fallende bürgerliche Rechtssache handle, ist somit grundsätzlich frei von Rechtsirrtum. Ob über den Anspruch laut Punkt 4.) des Klagebegehrens allenfalls im Außerstreitverfahren zu entscheiden sein wird, bedarf noch entsprechender Klarstellung. Die communio incidens regelt sich hinsichtlich der Verwendung der gemeinsamen Sache nach den Regeln der §§ 835, 837 ABGB (vgl Gamerith in Rummel ABGB2 Rz 11-13 zu § 835).

Dem Rekurs war daher nicht Folge zu geben.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet sich auf § 51 ZPO.

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