Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit 13.602,60 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 2.267,10 S an Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Am 1. Februar 1986 ereignete sich im 20. Wiener Gemeindebezirk in der Spielmanngasse auf Höhe des Hauses Nr. 4 ein Verkehrsunfall, an dem die 1,48 m große, mit einem dunklen Mantel bekleidet gewesene Klägerin und der Erstbeklagte mit seinem bei der Zweitbeklagten haftpflichtversicherten PKW (W 390.244) beteiligt waren. Dabei wurde die Klägerin schwer verletzt. Der Erstbeklagte wurde von dem gegen ihn wegen dieses Unfalles erhobenen Strafantrag gemäß § 259 Z 3 StPO rechtskräftig freigesprochen. Am Unfallstag war die Klägerin im Fahrzeug ihres Enkels Josef S*** mitgefahren. Nachdem dieser sie an der in der dem Ersturteil angeschlossenen Skizze mit einem roten Kreuz bezeichneten Stelle aussteigen gelassen hatte, fuhr Josef S*** weiter und dem Fahrzeug des Erstbeklagten entgegen. Die Klägerin ging nicht um das Fahrzeug ihres Enkels herum, sondern wartete dessen Wegfahrt ab. Unter diesen Umständen konnte sie die Fahrbahn erst rund 2 Sekunden nach dem Losfahren des Fahrzeuges ihres Enkels betreten. Aus der dem Urteil des Erstgerichtes angeschlossenen Skizze ist der von der Klägerin bis zum Unfall zurückgelegte Weg unter Angabe der Punkte mit der jeweiligen Sekundenangabe - ausgehend von einer Gehgeschwindigkeit von 1,1 m/sec - eingezeichnet. Die Fahrlinie Josef S*** sowie jene des Erstbeklagten sind in dieser Skizze ebenfalls dargestellt, wobei die genauen Werte der dem Urteil ebenfalls angefügten Zeit-Weg-Analyse zu entnehmen sind. In der Skizze ist weiters die Stellung der einander begegnenden Fahrzeuge eingezeichnet. Die Klägerin wurde von der rechten Frontseite des Fahrzeuges des Erstbeklagten erfaßt und so nach rechts vorne geschleudert, daß sie ein rechts parkendes Fahrzeug streifte.
Mit der am 24. Februar 1986 erhobenen Klage begehrte Paula S*** aus dem Titel des Schadenersatzes aus diesem Verkehrsunfall nach Ausdehnung und Einschränkung des Klagebegehrens den Zuspruch von 308.214,66 S sA sowie die Feststellung der Haftung der beklagten Parteien für sämtliche zukünftige Folgen aus dem gegenständlichen Verkehrsunfall, die Haftung der "erstbeklagten" Partei durch die Höhe der vertraglich vereinbarten Versicherungssumme begrenzt (vgl. AS 20 f). Der Erstbeklagte habe infolge Einhaltung einer absolut und relativ überhöhten Geschwindigkeit sowie mangelnde Aufmerksamkeit den Verkehrsunfall verschuldet. In dem, in der Tagsatzung vom 31. März 1988 vorgetragenen Schriftsatz vom 11. Februar 1988 (ON 6 dA) erklärte die Klägerin ein Mitverschulden von einem Drittel zu berücksichtigen, wobei sie jedoch weiters erklärte, daß das Feststellungsbegehren, das bisher mit 61.000 S beziffert gewesen sei, auch unter Berücksichtigung dieser Verschuldensquote mit 61.000 S aufrecht bleibe (vgl. AS 20 f).
Die Beklagten beantragten die Abweisung des Klagebegehrens. Die Klägerin treffe das Alleinverschulden an dem Unfall, weil sie hinter einem dem Erstbeklagten entgegenkommenden PKW die Fahrbahn betreten habe, sodaß der Erstbeklagte trotz sofortiger Reaktion den Unfall nicht habe vermeiden können.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es beurteilte den vorliegenden Sachverhalt dahin, daß die Klägerin wegen Verstoßes gegen § 76 Abs 4 lit b StVO das Alleinverschulden an dem Unfall treffe. Der Erstbeklagte habe weder eine überhöhte Geschwindigkeit noch eine verspätete Reaktion zu vertreten.
Das Gericht zweiter Instanz gab der von der Klägerin erhobenen Berufung nicht Folge. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes als Ergebnis einer unbedenklichen Beweiswürdigung und erachtete davon ausgehend auch die Rechtsrüge als unberechtigt. Nach § 76 Abs 4 lit b StVO dürften Fußgeher, wenn ein Schutzweg nicht vorhanden sei, erst dann auf die Fahrbahn treten, wenn sie sich vergewissert haben, daß sie hiebei andere Straßenbenützer nicht gefährden. Gegen diese Bestimmung habe die Klägerin verstoßen, weil sie einerseits die Überquerung der Fahrbahn so lange nicht in Angriff habe nehmen dürfen, als ihr die Sicht auf den Verkehr von rechts durch das wegfahrende Fahrzeug ihres Enkels verwehrt gewesen sei, anderseits im Augenblick der ersten Sicht noch die Möglichkeit gehabt hätte, ihren Überquerungsvorgang abzubrechen. Ein Mitverschulden des Erstbeklagten sei nicht gegeben. Die Einhaltung einer Geschwindigkeit von 40,7 km/h bei der gegebenen Situation sei nicht überhöht, weil der Umstand allein, daß ein Fahrzeug entgegenkomme, möge dieses auch erst unmittelbar vorher losgefahren sein, noch keinen Grund darstelle, den Erstbeklagten zu einer Verminderung seiner Geschwindigkeit zu verhalten, noch dazu wo zwei volle Fahrstreifen zur Verfügung gestanden seien. Eine Reaktionsverspätung des Erstbeklagten habe das Verfahren nicht ergeben, sodaß ihm auch der Entlastungsbeweis nach § 9 Abs 2 EKHG gelungen sei. Auch die Berufungswerberin vermöge nicht aufzuzeigen, welche weitere Vorsicht und Aufmerksamkeit auch ein besonders umsichtiger und sachkundiger Kraftfahrer hätte aufwenden müssen, um den Unfall, der auf ein verkehrswidriges Verhalten der Klägerin zurückzuführen sei, vermeiden zu können. Die Sorgfaltspflicht des § 9 Abs 2 EKHG dürfe dabei nicht überspannt werden, insbesondere müsse der Kraftfahrer nicht abstrakt mit allen möglichen Gefahrenquellen rechnen.
Gegen diese Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich die auf den Anfechtungsgrund des § 503 Z 4 ZPO gestützte Revision der Klägerin mit dem dem Rechtsmittel zu entnehmendem Antrag, die Entscheidungen der Vorinstanzen im Sinne der Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern.
Die beklagten Parteien beantragten in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist im Hinblick auf den Wert des Streitgegenstandes zulässig, aber nicht berechtigt.
Insoweit die Revisionswerberin in ihrer Rechtsrüge vorerst erklärt, in ihrer Berufung die Tatsachenfeststellungen des Erstgerichtes bemängelt zu haben und "diesen Berufungsgrund" im wesentlichen aufrecht zu erhalten, übersieht sie, daß Tatsachenfeststellungen der Vorinstanzen im Revisionsverfahren grundsätzlich nicht mehr bekämpft werden können und außerdem Verweisungen auf den Inhalt früherer Rechtsmittel unzulässig und damit unerheblich sind (RZ 1966/185; SZ 43/117; EvBl 1987, 100 ua; Fasching IV 355).
In ihrer Rechtsrüge wendet sich die Klägerin in erster Linie gegen die Ablehnung einer Haftung der Beklagten nach den Bestimmungen des EKHG. In ihren weitwendigen Ausführungen bringt sie zum Ausdruck, der Erstbeklagte hätte angesichts der "bei Dunkelheit schlechter Sicht" und eines von ihm in zweiter Spur als stehend angenommenen Fahrzeuges die Geschwindigkeit vermindern müssen und bei einer "geringfügigen" Geschwindigkeitsreduktion oder bei bloß bremsbereitem Fahren oder durch "Aufblenden und Blinken mit dem Abblendlicht" seine Annäherung dokumentieren und so den Unfall verhindern können, weshalb ihm der Entlastungsbeweis nach § 9 Abs 2 EKHG nicht gelungen sei. Dem ist zum einen zu entgegnen, daß die Revisionswerberin dabei nicht von den für die rechtliche Beurteilung allein maßgeblichen Feststellungen der Vorinstanzen ausgeht, weil schlechte Sichtverhältnisse nicht als erwiesen angenommen wurden und dem Akteninhalt nach zwar Dunkelheit herrschte, die öffentliche Straßenbeleuchtung jedoch eingeschaltet war (vgl. SV-Gutachten AS 64; Verkehrsunfallsanzeige S. 9 samt Lichtbildern S. 29 und 31 des vom Erstgericht seinen Feststellungen zugrundegelegten Strafaktes des Bezirksgerichtes Floridsdorf 15 U 67/86) und auch nicht feststeht, daß der Erstbeklagte den PKW, aus dem die Klägerin ausgestiegen war, in zweiter Spur stehen gesehen hat. Darüber hinaus verkennt die Revisionswerberin den Haftungsbefreiungsgrund des unabwendbaren Ereignisses iS des § 9 Abs 2 EKHG. Nach Kfz-Unfällen ist in der Regel rückblickend erkennbar, durch welche Maßnahmen der Lenker den Unfall doch noch hätte vermeiden können. Waren diese Maßnahmen aber vor dem Unfall, also vorausschauend, nach den konkreten Umständen des Falles nicht geboten, gilt der Unfall als unabwendbares Ereignis, obwohl er - objektiv betrachtet - abwendbar gewesen wäre (MGA EKHG4 § 9 E 12). Das Revisionsgericht billigt die Ansicht des Berufungsgerichtes, daß die vom Erstbeklagten eingehaltene Geschwindigkeit von nicht ganz 41 km/h unter den gegebenen Verkehrsverhältnissen (geringes Verkehrsaufkommen, frei befahrbare Fahrbahn in einer Breite von insgesamt 5 m, öffentliche Straßenbeleuchtung und bloß nasser, nicht jedoch rutschiger Fahrbahn) nicht als überhöht anzusehen ist, und das Entgegenkommen eines anderen Fahrzeuges allein keinen Grund darstellt, den Erstbeklagten zur Herabsetzung der Fahrgeschwindigkeit zu veranlassen, zumal er die durch das entgegenkommende Auto verdeckte Klägerin vorerst auch nicht wahrnehmen konnte. Für die Annahme, es könnte ein Fußgänger unaufmerksam die Fahrbahn überschreiten - wie etwa bei in Haltestellen anhaltenden Autobussen - bot die Verkehrssituation keinen Anlaß. Mit abstrakt möglichen Gefahren muß aber selbst ein sachkundiger, erfahrener Kraftfahrer - wie das Berufungsgericht zutreffend erkannte - nicht rechnen. Konnte der Erstbeklagte die Klägerin vorerst nicht wahrnehmen, bestand für ihn aber auch keine Veranlassung, durch Blinksignale jemanden auf das Herannahen seines Fahrzeuges aufmerksam zu machen. Da der Erstbeklagte nach den Ergebnissen des Verfahrens bei erstmöglicher Sicht auf die Klägerin ohne Reaktionsverspätung durch Vornahme einer Bremsung reagiert hat und dennoch den Unfall nicht mehr verhindern konnte, kann in der Annahme eines unabwendbaren Ereignisses durch das Berufungsgericht und damit der Ablehnung einer Haftung der Beklagten für die Unfallsfolgen nach dem EKHG kein Rechtsirrtum erblickt werden. Die Abweisung des Klagebegehrens entspricht daher der Sach- und Rechtslage, wobei es nicht mehr erforderlich war, auf die übrigen Revisionsausführungen einzugehen, mit welchen die Klägerin darzulegen versucht, der ihr von den Vorinstanzen zur Last gelegte Verstoß nach § 76 Abs 4 lit b StVO müßte in einem milderen Licht gesehen werden.
Der Revision konnte somit kein Erfolg beschieden sein. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.
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