Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird aufgehoben und die Rechtssache zur allfälligen Ergänzung des Berufungsverfahrens und neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung
Zwischen den Streitteilen bestand am 4. 9. 1987 betreffend den PKW VW Jetta, St 16.948, eine Haftpflicht- und Kaskoversicherung. Der Kläger fuhr an diesem Tag gegen 17,15 Uhr mit diesem PKW auf der Murtal-Schnellstraße S 36. Beim Straßenkilometer 13 der Richtungsfahrbahn Preg-Knittelfeld geriet er bei Einhaltung einer Geschwindigkeit von 130 km/h im Zuge des Durchfahrens einer langgezogenen Linkskurve über den Fahrbahnrand auf den Pannenstreifen, stieß anschließend gegen einen Wildzaun, überschlug sich und kam nach einer Strecke von 60 m mit den Rädern nach oben auf dem Pannenstreifen zum Stehen. Der Kläger erlitt dabei eine Brustkorbprellung und einen leichten Schock. An die Ursache des Unfalls kann sich der Kläger daher nicht klar erinnern. Der Kläger begehrt die urteilsmäßige Feststellung, daß ihm die Beklagte aus dem Schadensereignis vom 4. 9. 1987 im Rahmen des Kaskoversicherungsvertrages Polizze Nr. 2063/165.830-7/02 Versicherungsschutz zu gewähren habe. Die Behauptung der Beklagten, daß er den Versicherungsfall grob fahrlässig verursacht habe, sei unrichtig. Es entspreche nicht den Tatsachen, daß er während der Fahrt nach einem Gegenstand gesucht habe und deshalb von der Fahrbahn abgekommen sei.
Die Beklagte beantragt die Abweisung der Klage. Der Kläger habe während der Fahrt in seinem PKW nach seiner Jahreskarte für den Gleinalmtunnel gesucht. Dadurch sei seine Aufmerksamkeit vom Verkehrsgeschehen abgelenkt worden, so daß er von der Fahrbahn abgekommen sei. Das Suchen eines Gegenstandes im Auto während einer Fahrt mit 130 km/h sei grob fahrlässig.
Das Erstgericht gab der Klage statt. Es traf neben dem eingangs bereits wiedergegebenen Sachverhalt die weitere Feststellung, daß die Unfallsursache bisher ungeklärt geblieben sei und nicht habe festgestellt werden können, daß der Kläger während der Fahrt nach seiner Jahresmautkarte gesucht habe. In rechtlicher Hinsicht vertrat das Erstgericht die Auffassung, daß die Beklagte im Rahmen des geschlossenen Versicherungsvertrages deckungspflichtig sei, weil dem Kläger keine Verletzung einer Obliegenheit vorgeworfen werden könne. Das Berufungsgericht bestätigte das Urteil des Erstgerichtes und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes S 60.000, nicht aber S 300.000 übersteige und die Revision zulässig sei. Das Berufungsgericht ließ die von der Beklagten gegen die bei der Darstellung des Ersturteiles wiedergegebene Feststellung erhobene Tatsachenrüge unerledigt und führte in rechtlicher Hinsicht aus, daß dem Kläger selbst unter Zugrundelegung des von der Beklagten behaupteten Sachverhalts über den Unfallshergang kein grobes Verschulden an der Herbeiführung des Versicherungsfalles im Sinne des § 61 VersVG treffe. Den Versicherer treffe die Beweislast für diesen Ausschluß von der Versicherung. Er müsse daher ein Verhalten des Versicherten beweisen, das als Außerachtlassung der im Verkehr gebotenen Sorgfalt, die sich aus der Menge der auch für den Sorgfältigsten nie ganz vermeidbaren Fahrlässigkeitshandlungen als auffallende Sorglosigkeit heraushebe, qualifiziert werden könne. Der objektiv besonders schwere Sorgfaltsverstoß müsse bei Würdigung aller Umstände auch subjektiv als schwer vorwerfbar sein. Wenn sich der Kläger während der Fahrt nach seiner Jahresmautkarte gebückt und dadurch seine Aufmerksamkeit vom Verlauf der Fahrbahn für längere Zeit gänzlich abgewendet hätte und dann wegen einer plötzlichen Lenkbewegung ins Schleudern geraten wäre, wäre ihm zwar grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen. Einen derartigen Sachverhalt habe die Beklagte aber nicht behauptet. Das Suchen nach der Jahresmautkarte während der Fahrt allein sei noch nicht als grob fahrlässig zu beurteilen. Es verbleibe immer noch die Möglichkeit, daß der Kläger seine Jahresmautkarte gesucht habe, ohne sich zu bücken. Ein Griff nach der etwa auf dem Armaturenbrett oder der Mittelkonsole liegenden Karte hätte seine Aufmerksamkeit nicht besonders von der Fahrbahn abgelenkt. Da die Verkehrslage zum Unfallszeitpunkt unauffällig gewesen sei, könnte dem Beklagten ein grob fahrlässiges Verhalten nicht vorgeworfen werden.
Gegen dieses Urteil richtet sich die wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Revision der Beklagten mit dem Antrag, die Entscheidung im Sinne der Abweisung der Klage abzuändern. Hilfsweise wird auch ein Aufhebungsantrag gestellt. Der Kläger beantragt, der Revision nicht Folge zu geben. Das Berufungsgericht hat seinen Ausspruch, daß die Revision zulässig sei, damit begründet, daß die Entscheidung im vorliegenden Fall davon abhänge, ob der Anscheinsbeweis für den Nachweis eines bestimmten höheren Verschuldensgrades im Sinne des § 61 VersVG genügt. Darüber bestehe keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes. Von der Lösung dieser Frage, zu der der Oberste Gerichtshof bisher einmal kurz Stellung genommen hat (VersR 1983, 356), hängt die Entscheidung im vorliegenden Fall jedoch nicht ab.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist aber zulässig, weil das Berufungsgericht - im Ergebnis - von den in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur grob fahrlässigen Herbeiführung eines Unfalles durch einen kaskoversicherten Kraftfahrer entwickelten Grundsätzen abgewichen ist. Sie ist auch - allerdings nur im Sinne des Aufhebungsantrages - berechtigt.
Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn sich das Verhalten des Schädigers aus der Menge der auch für den Sorgsamsten nie ganz vermeidbaren Fahrlässigkeitshandlungen des täglichen Lebens als eine auffallende Sorglosigkeit heraushebt (ZVR 1977/307, ZVR 1978/282; VersRdSch 1989, 252 ua.). Grobe Fahrlässigkeit im Sinne des § 61 VersVG setzt ein Verhalten voraus, von dem der Versicherungsnehmer wußte oder wissen mußte, daß es geeignet sei, die Gefahr des Eintrittes eines Versicherungsfalles herbeizuführen oder zu vergrößern (ZVR 1977/177; ZVR 1978/282 ua.). In Anwendung dieser Grundsätze hat der Oberste Gerichtshof das Bücken nach einem herabgefallenen Gegenstand während der Fahrt als grob fahrlässig qualifiziert, wenn zu diesem an sich schon gefahrenerhöhenden Umstand zusätzliche Gefahrenumstände, wie die längere Dauer der dadurch bewirkten Unaufmerksamkeit gegenüber dem Verkehrsgeschehen (ZVR 1971/41), die Einhaltung einer im Zusammenhang mit dieser Tätigkeit zu hohen Geschwindigkeit (ZVR 1971/41; 7 Ob 35/80; VersR 1981, 768), das gleichzeitige Durchfahren einer Kurve (7 Ob 35/80) oder das gänzliche Außerachtlassen des Verkehrsgeschehens (VersR 1981, 768), hinzutreten.
Im vorliegenden Fall hat die Beklagte nicht nur die durch das Suchen eines Gegenstandes herbeigeführte Unaufmerksamkeit gegenüber dem Verkehrsgeschehen, sondern auch das Zusammentreffen dieses an sich gefahrenerhöhenden Umstandes mit einem weiteren gefährlichen Umstand, nämlich der Einhaltung einer sehr hohen Geschwindigkeit behauptet. Im Rahmen dieses Vorbringens der Beklagten liegt auch die - überschießende, aber zu berücksichtigende - Feststellung, daß der Kläger unmittelbar vor dem Unfall eine langgezogene Linkskurve durchfahren hat. Unter Zugrundelegung aller dieser Umstände wäre dem Kläger nach den dargestellten Grundsätzen zweifellos grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen. Das Fehlen der Behauptung, daß sich der Kläger während der behaupteten Suche nach der Jahresmautkarte auch gebückt habe, läßt nicht die Beurteilung zu, daß die Beklagte deshalb nicht die für die Annahme grober Fahrlässigkeit maßgebenden Tatsachen, sondern nur Hilfstatsachen, die mit der tatbestandsmäßig geforderten Tatsache in einem typischen Erfahrungszusammenhang stehen, behauptet und damit nur den Nachweis grober Fahrlässigkeit mit Hilfe des sogenannten prima-facie-Beweises angetreten hätte. Ausgehend von einer anderen rechtlichen Beurteilung hat das Berufungsgericht die Behandlung der in der Berufung der Beklagten enthaltenen Tatsachenrüge unterlassen. Da die davon betroffenen Feststellungen aber für die Entscheidung von wesentlicher Bedeutung sind, liegt der Aufhebungsgrund gemäß §§ 496 Abs 1 Z 3, 513 ZPO vor. Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.
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