OGH 7Ob17/90

OGH7Ob17/905.4.1990

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Warta, Dr. Egermann, Dr. Niederreiter und Dr. Schalich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei I*** U***- UND S***-AG, Wien 1.,

Tegetthoffstraße 7, vertreten durch Dr. Nikolaus Gabor, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei E*** Gesellschaft mbH, Wien 15., Neubaugürtel 1, vertreten durch Dr. Karl Bernhauser, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 1,118.129,- s.A. infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 18. Jänner 1990, GZ 2 R 249/89-15, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Handelsgerichtes Wien vom 28. August 1989, GZ 18 Cg 39/89-8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 18.986,40 (darin S 3.164,40 an Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die beklagte Partei betrieb eine Diskothek, die bei der klagenden Partei im Rahmen einer Bündelversicherung unter anderem gegen Feuerschaden versichert war. Durch einen Brandschaden in der Nacht vom 21. auf den 22. November 1987 wurde ein Großteil des versicherten Objekts zerstört.

Die klagende Partei, die im Zusammenhang mit diesem Schadensfall Zahlungen von S 1,118.129,- an die beklagte Partei geleistet hat, begehrt die Rückzahlung dieses Betrages. Die beklagte Partei habe ihr über den Wiederaufbau Rechnungskopien vorgelegt, von denen eine auf ein im Zeitpunkt des Rechnungsdatums nicht mehr existentes Unternehmen und eine weitere auf einen weit höheren Betrag als die Originalrechnung gelautet habe. Die klagende Partei sei deshalb gemäß Art. 12 Abs 1 der Allgemeinen Bedingungen für die Sachversicherung (ABS) wegen arglistiger Täuschung leistungsfrei und fordere die bereits gezahlten Beträge zurück.

Die beklagte Partei beantragt die Abweisung der Klage. Sie habe die klagende Partei nicht arglistig getäuscht. Erhebliche Leistungen seien von der beklagten Partei selbst erbracht worden. Darüber seien keine Rechnungen vorhanden gewesen. Über die von ihr tatsächlich erbrachten Leistungen habe die beklagte Partei der klagenden Partei Kopien von nicht existenten Rechnungen vorgelegt. Die unrichtigen Angaben bei der Schadenserhebung hätten die Feststellung oder den Umfang der Versicherungsleistung nicht zugunsten der klagenden Partei beeinflußt. Die ABS seien zwischen den Streitteilen nicht vereinbart worden.

Das Erstgericht gab der Klage statt und traf folgende Feststellungen:

Laut Polizze wurden zwischen den Streitteilen unter anderem die Allgemeinen Bedingungen für die Sachversicherung vereinbart. Die beklagte Partei hat gegen die ihr zugesandte Polizze nicht Widerspruch erhoben.

Artikel 12 Abs 1 der ABS lautet:

"Wenn der Versicherungsnehmer oder eine der in leitender Stellung für die Betriebsführung verantwortlichen Personen den Schaden vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeiführt oder sich bei der Ermittlung des Schadens oder der Entschädigung einer arglistigen Täuschung schuldig macht, ist der Versicherer dem Versicherungsnehmer gegenüber von jeder Verpflichtung zur Leistung aus diesem Schadenfall frei."

In seiner rechtlichen Beurteilung führte das Erstgericht aus, es seien zwischen den Streitteilen die ABS vereinbart gewesen. Die von der beklagten Partei selbst zugegebene Vorlage von Kopien nicht existenter Rechnungen als Belege für die Ermittlung der vom Versicherer zu leistenden Entschädigungssumme stelle eine arglistige Täuschung des Versicherers durch den Versicherungsnehmer dar. Dies habe gemäß Art. 12 Abs 1 der ABS die Leistungsfreiheit der klagenden Partei zur Folge. Eine arglistige Täuschung im Sinne der Versicherungsbedingungen liege auch vor, wenn der Versicherungsnehmer einen berechtigten Anspruch mit dem Mittel einer Täuschung durchsetzen wolle. Der Versicherungsnehmer dürfe auch befürchteten Beweisschwierigkeiten oder Verzögerungen der Regulierung nicht durch Täuschung entgegenwirken. Es sei unerheblich, ob die Täuschung geeignet gewesen sei, die Höhe der Leistung des Versicherers zu beeinflussen. Der Versicherungsnehmer entgehe der Leistungsfreiheit nicht durch den Nachweis der Folgenlosigkeit seiner Täuschungshandlung. Der Kausalitätsgegenbeweis sei ausgeschlossen.

Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichtes und sprach aus, daß die Revision zulässig ist. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und teilte dessen rechtliche Beurteilung. Der Versicherungsantrag der beklagten Partei laute auf "Bündelversicherung für Verkaufsgeschäfte und kleingewerbliche Betriebe auf Grund der für die einzelnen Sparten geltenden Allgemeinen und Besonderen Versicherungsbedingungen". Daß es sich bei den "Allgemeinen Feuerversicherungsbedingungen" (AFB) um allgemeine Versicherungsbedingungen für die Sparte "Feuerversicherung" handle, könne wohl nicht ernstlich bezweifelt werden. An die Spitze der AFB aber sei ein "Allgemeiner Teil" gestellt, welcher lautet: "Auf die Versicherung finden die Bestimmungen der Allgemeinen Bedingungen für die Sachversicherung (ABS) Anwendung". Schon den Versicherungsanträgen der beklagten Partei sei daher mit der erforderlichen Bestimmtheit zu entnehmen, daß auch die ABS Vertragsinhalt werden sollten. Die Anträge seien spätestens mit der Zusendung der Versicherungspolizze angenommen worden. Die Revision sei zuzulassen gewesen, weil zur Frage der arglistigen Täuschung im Sinne des Art. 12 Abs 1 ABS eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes fehle.

Die beklagte Partei bekämpft das Urteil des Berufungsgerichtes mit Revision aus den Revisionsgründen der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, es im klagsabweisenden Sinn abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die klagende Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben, soweit diese nicht wegen nicht gesetzmäßiger Ausführung des Revisionsgrundes der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens zurückzuweisen sei.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht dargelegten Grund zulässig. Die geltend gemachte Mangelhaftigkeit (§ 503 Z 2 ZPO) wird von der beklagten Partei entgegen der Ansicht der klagenden Partei zwar gesetzmäßig ausgeführt, weil sie einen Mangel des Berufungsverfahrens aufzuzeigen versucht; sie liegt jedoch nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

Auch die Rechtsrüge der beklagten Partei ist nicht berechtigt. Die Ansicht der beklagten Partei, die Geltung der ABS sei zwischen den Streitteilen nicht vereinbart worden, weil den Versicherungsanträgen weder die AFB noch die ABS beigeschlossen gewesen seien und deren Existenz in den Anträgen nicht einmal genannt werde, ist verfehlt.

Nach § 1 Abs 1 VersVG ist der Versicherer bei der Schadensversicherung verpflichtet, dem Versicherungsnehmer den durch den Eintritt des Versicherungsfalls verursachten Vermögensschaden nach Maßgabe des Vertrages zu ersetzen. Die Allgemeinen Versicherungsbedingungen sind die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Versicherer. Sie bedürfen an sich, wie alle Allgemeinen Geschäftsbedingungen, zu ihrer Geltung der Einbeziehung in den Vertrag (EvBl 1982/87, iglS Rummel in Rummel, ABGB2, Rz 2 zu § 864 a; Bruck-Möller, VVG8 I 56; Prölss/Martin VVG24, 5) und sind nur anzuwenden, wenn sie durch einen entsprechenden Hinweis im Vertragstext oder zumindest stillschweigend zum Vertragsinhalt gemacht werden (VersR 1977, 632). Im vorliegenden Fall wurde nach dem vorgedruckten Antragsformular ein "Antrag auf Bündelversicherung für Verkaufsgeschäfte und kleingewerbliche Betrieb auf Grund der für die einzelnen Sparten geltenden Allgemeinen und Besonderen Vertragsbedingungen" gestellt (vgl. hiezu Bruck-Möller aaO), und in der Polizze wurde festgehalten, daß die Feuerversicherung entsprechend den ABS und den AFB erfolgt; es liegt daher eine ausdrückliche Vereinbarung über die Geltung dieser Versicherungsbedingungen vor. Weil aber allgemein bekannt ist, daß Versicherungsunternehmen nur auf der Grundlage von - jedermann zugänglichen - Allgemeinen Versicherungsbedingungen Verträge abschließen, ist der widerspruchslose Vertragsabschluß seinem objektiven Erklärungswert nach als Einverständnis mit den Allgemeinen Versicherungsbedingungen zu werten, auch wenn der Versicherungsnehmer sie nicht gelesen und gekannt hat (EvBl 1982/87 = HS 12.195; Prölss-Martin aaO). Die Nichtaushändigung der AVB an den Versicherungsnehmer ist unerheblich: Es ist Sache des Versicherungsnehmers, die AVB vor Vertragsabschluß abzufordern. Die so eröffnete Möglichkeit der Erlangung der AVB genügt (Bruck-Möller aaO 57).

Der Inhalt des Versicherungsscheines weicht vom Antrag insbesondere hinsichtlich der Zugrundelegung der ABS und der AFB nicht ab. Es bedurfte daher keines Hinweises im Sinne des § 5 Abs 2 VersVG.

Nach Art. 12 Abs 1 der ABS wird, wie bereits festgehalten wurde, der Versicherer dem Versicherungsnehmer gegenüber von jeder Verpflichtung zur Leistung aus dem Schadenfall frei, wenn der Versicherungsnehmer sich bei der Ermittlung des Schadens oder der Entschädigung einer arglistigen Täuschung schuldig macht (diese Vertragsbestimmung ist ident mit § 16 der deutschen AFB). Die beklagte Partei hat ausdrücklich zugestanden, Kopien nicht existierender Rechnungen vorgelegt zu haben. Zur Herstellung des Tatbestandes des § 12 Abs 1 der ABS genügt jede objektiv falsche Angabe, sofern dadurch die Feststellung des Schadens oder die Entschließung des Versicherers über die Auszahlung der Entschädigung in irgend einer Weise beeinflußt werden kann (Prölss-Martin aaO 839). Ein solches Verhalten des Versicherungsnehmers wird regelmäßig die generelle Gefahr in sich bergen, daß das Interesse des Versicherers an der objektiven und sachgerechten Abwicklung des Versicherungsfalles in beachtlicher Weise beeinträchtigt wird (VersR 1978, 74). Subjektiv ist nicht erforderlich, daß der Versicherungsnehmer einen Vermögensvorteil erstrebt, auf den er keinen Anspruch hat. Es genügt, daß der Versicherungsnehmer die Schadensregulierung beschleunigen oder Schwierigkeiten bei der Feststellung seiner berechtigten oder für berechtigt gehaltenen Ansprüche vermeiden will (Prölss-Martin aaO 840). Arglistige Täuschung ist auch dann gegeben, wenn der Versicherungsnehmer einen berechtigten (oder doch vermeintlich berechtigten) Anspruch mit dem Mittel einer Täuschung durchsetzen will, etwa durch Vortäuschung eines Beweismittels (Martin, Sachversicherungsrecht2 1406). Der Versuch genügt, auch wenn die wahre Sachlage dem Versicherer bekannt ist oder wird. Ein Widerruf ist unbeachtlich (Prölss-Martin aaO). Bei vorsätzlicher Obliegenheitsverletzung im Sinne des § 6 Abs 3 VersVG tritt die Leistungsfreiheit des Versicherers in der Regel bedingungslos ein, der Kausalitätsgegenbeweis ist ausgeschlossen (SZ 47/116 uva; iglS Martin aaO). Die in Deutschland entwickelte Relevanzrechtsprechung (vgl. Prölss-Martin aaO 100 f, auch Martin aaO 1408 f) wurde von der österreichischen Rechtsprechung nicht übernommen. Als einzige Einschränkung ist anerkannt, daß Obliegenheitsverletzungen, durch die nach menschlichem Ermessen die Interessen des Versicherers schon abstrakt in keiner Weise gefährdet werden können, außer Betracht bleiben (VersRdSch 1988/107). Davon aber, daß durch die von der beklagten Partei vorgelegten falschen Kopien die Interessen des Versicherers schon abstrakt in keiner Weise gefährdet werden konnten, kann keine Rede sein.

Vorsatz liegt vor, wenn das die Obliegenheitsverletzung begründende Verhalten bewußt und gewollt war (SZ 47/44 ua). Daran besteht vorliegend kein Zweifel.

Darauf, daß der Versicherer gegebenenfalls auch eine bereits gezahlte Entschädigung zurückfordern kann (Martin aaO 1407), hat bereits das Erstgericht hingewiesen.

Der Revision war deshalb ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung erfolgte nach den §§ 41, 50 ZPO.

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