OGH 10ObS60/90

OGH10ObS60/9027.3.1990

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Bauer als weitere Richter und durch die fachkundigen Laienrichter Dr. Felix Joklik (Arbeitgeber) und Gerald Kopetzky (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Christine N***, Leonfeldnerstraße 122, 4040 Linz, vertreten durch Dr. Walter Rinner, Rechtsanwalt in Linz, wider die beklagte Partei

P*** DER A***, Friedrich

Hillegeist-Straße 1, 1021 Wien, vertreten durch Dr. Alfred Kasamas, Rechtsanwalt in Wien, wegen Witwenpension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 9. November 1989, GZ 13 Rs 160/89-12, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Linz als Arbeits- und Sozialgericht vom 6.Juli 1989, GZ 14 Cgs 1006/89-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der Klägerin einen Kostenbetrag von 1.646,40 S (darin enthalten 274,40 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Ehe der Klägerin mit dem am 3.7.1988 verstorbenen Helmut N*** wurde mit Urteil des Landesgerichtes Linz vom 3.11.1980, 3 Cg 122/80-14, aus dem alleinigen Verschulden des Helmut N*** geschieden. Dieses Urteil wurde am 6.1.1981 rechtskräftig. Mit Urteil des Bezirksgerichtes Linz vom 18.12.1980, 21 C 197/80, wurde Helmut N*** schuldig erkannt, der Klägerin ab 5.8.1980 (Tag der Klagseinbringung) einen monatlichen Unterhaltsbetrag von 5.000 S zu zahlen. Aufgrund dieses Urteils wurden nach der Scheidung Exekutionen bewilligt, die weder durch Rekurs noch durch Oppositions- oder Impugnationsklage bekämpft wurden. Mit Beschluß des Bezirksgerichtes Linz vom 12.2.1986, GZ 1 Sw 18/85, wurde dem geschiedenen Gatten der Klägerin ein Sachwalter beigestellt. In der Folge wurde sowohl das Scheidungs- als auch das Unterhaltsurteil je mit Nichtigkeitsklage mit der Begründung angefochten, Helmut N*** hätte bereits im Jahr 1980 eines Sachwalters bedurft und wäre in den betreffenden Verfahren prozeßunfähig gewesen. Während dieser Verfahren ist Helmut N*** am 3.7.1988 verstorben.

Mit Beschluß des Bezirksgerichtes Linz-Land vom 5.3.1986, GZ 14 E 1572/86-2, wurde der Klägerin aufgrund des Urteiles des Bezirksgerichtes Linz vom 18.12.1980, GZ 21 C 197/80, zur Hereinbringung von rückständigen Unterhaltsleistungen im Betrag von 339.354,84 S sowie der ab April 1986 laufend monatlich fällig werdenden Unterhaltsbeträge von 5.000 S die Exekution durch Pfändung und Überweisung der Helmut N*** gegen die beklagte Partei zustehenden Pensionsansprüche bewilligt. Eine im Zusammenhang mit der Einbringung der gegen dieses Urteil erhobenen Nichtigkeitsklage vom Bezirksgericht Linz mit Beschluß vom 25.2.1987 bewilligte Aufschiebung der Exekution erstreckte sich nur auf die Einbringung des Rückstandes nicht jedoch auf die laufenden Unterhaltsleistungen. Das Erstgericht wies das mit der vorliegenden Säumnisklage - die beklagte Partei hatte über den Antrag der Klägerin unstrittig innerhalb der Sechsmonatsfrist des § 67 Abs 1 Z 2 ASGG nicht entschieden - erhobene Begehren der Klägerin auf Gewährung der Witwenpension nach Helmut N*** ab. Nach ständiger Rechtsprechung trete ein während aufrechter Ehe geschaffener Unterhaltstitel mit einer gemäß § 49 EheG erfolgten Scheidung außer Kraft, ohne daß es dazu eines gerichtlichen Ausspruches bedürfe. Damit sei Helmut N*** zum Zeitpunkt seines Todes nicht verpflichtet gewesen, der Klägerin aufgrund des Urteiles des Bezirksgerichtes Linz vom 18.12.1980 Unterhalt zu leisten. Auch eine nachträgliche Anerkennung der Unterhaltsverpflichtung dem Grunde nach und eine tatsächlich erfolgte Unterhaltsleistung könnten die Voraussetzung des § 258 Abs 4 ASVG nicht erfüllen. Die Voraussetzungen für die Gewährung der Witwenpension seien daher nicht gegeben.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Gemäß § 46 EheG werde die Ehe durch gerichtliche Entscheidung geschieden. Aufgelöst werde sie erst mit der Rechtskraft der Entscheidung, die durch Urteil oder Beschluß erfolge. Maßgeblich für die Rechtswirkungen des Ehescheidungsurteiles sei daher nicht der Tag der Urteilsfällung, sondern der Eintritt der Rechtskraft, der mit 6.1.1981 festgestellt worden sei. Zu diesem Zeitpunkt sei das Verfahren im Unterhaltsprozeß vor dem Bezirksgericht Linz bereits abgeschlossen gewesen. Die aufgrund der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung (3.12.1980) ergangene Entscheidung des Bezirksgerichtes Linz, habe sich daher nur auf den Unterhaltsanspruch bei aufrechter Ehe beziehen können; der zuerkannte Unterhalt sei auch auf § 94 ABGB gegründet worden. Auch soweit die Entscheidung künftig fällige Ansprüche umfasse, sei sie insoweit wirksam geworden, als der mit 1.1.1981 noch für die aufrechte Ehe zu bezahlende Unterhalt im Zeitpunkt der Urteilsfällung noch nicht fällig gewesen sei. Der vollstreckbare Anspruch aus einem den gesetzlichen Unterhalt der Ehegatten regelnden Titel erlösche jedoch mit der Rechtskraft des die Grundlage für den aus § 94 ABGB abgeleiteten Unterhalt beseitigenden, auf Scheidung der Ehe erkennenden Urteils. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz bestehe nur im Fall der Scheidung der Ehe nach § 55 EheG mit dem Ausspruch nach § 61 Abs 3 EheG, weil dann nach § 69 Abs 2 EheG für den Unterhaltsanspruch des beklagten Ehegatten auch nach der Scheidung der § 94 ABGB gelte, und sich daher an der gesetzlichen Grundlage des Unterhaltsanspruches durch die Scheidung nichts ändere. Ein anderer Titel für Unterhaltsansprüche aus aufrechter Ehe erlösche jedoch mit der Scheidung und könne daher für Ansprüche, die auf §§ 66 ff EheG gestützt würden, auch nicht mehr als Exekutionstitel dienen. Gemäß § 258 Abs 4 ASVG gebühre die Witwenpension nach Maßgabe der Abs 2 und 3 im Fall der Nichtigerklärung, Aufhebung oder Scheidung der Ehe mit dem Versicherten der Witwe bzw dem Witwer nur, wenn der Versicherte zur Zeit seines Todes Unterhalt aufgrund eines gerichtlichen Urteiles, eines gerichtlichen Vergleiches oder einer vor Auflösung (Nichtigerklärung) der Ehe eingegangenen vertraglichen Verpflichtung zu leisten gehabt habe. Da sich das Urteil des Bezirksgerichtes Linz vom 18.12.1980 auf die Zeit nach Auflösung der Ehe nicht beziehe, habe ein solcher Titel im Zeitpunkt des Todes des Versicherten nicht bestanden. Da der Unterhalt aufgrund der im § 258 Abs 4 ASVG aufgezählten Rechtstitel auch hinsichtlich der Anspruchshöhe bestimmt oder zumindest ohne weiteren Verfahrensaufwand bestimmbar sein müsse, genüge es nicht, wenn im Scheidungszeitpunkt die Unterhaltsverpflichtung dem Grunde nach feststehe und diese zum Todeszeitpunkt der Höhe nach bestimmbar sei. Der Ansicht der Berufungswerberin, daß eine vertragliche Verpflichtung zur Unterhaltsleistung im Sinne des § 258 Abs 4 ASVG durch Anerkenntnis der Unterhaltsverpflichtung nach der Scheidung aufgrund tatsächlicher Zahlung und Unterlassung von Rechtsmitteln gegen (rechtswidrigerweise) ergangene Exekutionsbewilligungen anspruchsbegründend sein könnte, treffe nicht zu. Gemäß § 258 Abs 4 ASVG komme nämlich einer nicht in Form eines gerichtlichen Vergleiches geschlossenen Vereinbarung nur dann Relevanz zu, wenn sie vor Scheidung der Ehe getroffen worden sei. Die allfällige faktische Unterhaltsleistung des verstorbenen geschiedenen Gatten der Klägerin sei daher rechtlich bedeutungslos. Zufolge der sinngemäß gebotenen Anwendung des § 460 Z 8 ZPO sei der Rechtsstreit hinsichtlich der Nichtigkeit der Ehescheidung (mit Ausnahme der Verfahrenskosten) als erledigt anzusehen, sodaß auch weiterhin von der geschiedenen Ehe auszugehen sei. Ein Erfolg der Nichtigkeitsklage hinsichtlich des Unterhaltstitels könnte diesen nur als Unterhaltstitel bei aufrechter Ehe beseitigen, ohne daß dadurch ein Unterhaltstitel des geschiedenen Ehegatten begründet würde. Insgesamt seien daher die gesetzlichen Voraussetzungen für die begehrte Witwenpension nicht erfüllt.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinn einer Klagestattgebung abzuändern.

Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Die Revisionsausführungen vermögen der Begründung des Berufungsgerichtes nichts Stichhaltiges entgegenzusetzen. Die materielle Rechtskraftwirkung ist die Maßgeblichkeit einer gerichtlichen Entscheidung, durch die eine Wiederholung desselben Rechtsstreites ausgeschlossen wird und Gerichte und Parteien an die Entscheidung gebunden werden (Fasching, ZPR Rz 1497). Die materielle Rechtskraftwirkung bezieht sich auf die Sachlage wie sie im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung vorlag. Nachträgliche Änderungen des rechtserzeugenden Sachverhaltes werden von der Rechtskraftwirkung nicht erfaßt (Fasching aaO Rz 1531). Die Entscheidung über das Unterhaltsbegehren der Klägerin im Verfahren 21 C 197/80 des Bezirksgerichtes Linz erging am 18.Dezember 1980; dies ist daher der spätestmögliche Zeitpunkt, auf den sich die Wirkungen des Urteiles und damit der Rechtskraft beziehen können. Gemäß § 46 EheG treten die Wirkungen der Scheidung der Ehe mit dem Zeitpunkt der Rechtskraft des Urteiles ein. Ungeachtet des Umstandes, daß das Urteil, mit dem die Scheidung ausgesprochen wurde, vor dem Zeitpunkt der Fällung des Urteiles über die Unterhaltsklage erging, war im Hinblick darauf, daß die Wirkungen der Scheidung erst mit der Rechtskraft eintraten, im Zeitpunkt der Fällung des Urteiles zu 21 C 197/80 die Ehe aufrecht. Mit diesem Urteil wurde daher über den von der Klägerin auf § 94 ABGB gegründeten Anspruch auf Unterhalt für die Dauer der aufrechten Ehe abgesprochen. Nach ständiger Rechtsprechung (zB SZ 52/182, 55/74 und 59/64), wird ein während der Ehe gefälltes, nur den ehelichen Unterhaltsanspruch festsetzendes gerichtliches Urteil (oder ein gerichtlicher Vergleich), durch eine Scheidung - mit Ausnahme einer solchen nach § 55 EheG in der geltenden Fassung mit Schuldausspruch nach § 61 Abs 3 leg cit - unwirksam. Ein solches Unterhaltsurteil verliert also wegen der durch die Scheidung geänderten Verhältnisse für die nachehelichen Unterhaltsansprüche die materielle Rechtskraft (JBl 1978, 539; EvBl 1987/18, jeweils mwN). Insoweit ist es also nicht mehr maßgeblich und bindet weder die Gerichte noch die Parteien (so auch Fasching, Komm III, 693 f und 725 und ZPR Rz 1497 f; SSV-NF 3/83).

§ 258 Abs 4 ASVG zählt taxativ jene Rechtstitel auf, die der Frau (dem Mann) deren (dessen) Ehe mit dem (der) Verstorbenen für nichtig erklärt, aufgehoben oder geschieden worden ist, den Anspruch auf Witwenpension (Witwerpension) sichern, nämlich daß der Versicherte zur Zeit seines Todes Unterhalt aufgrund eines gerichtlichen Urteiles, eines gerichtlichen Vergleiches oder einer vor Auflösung der Ehe eingegangenen vertraglichen Verpflichtung zu leisten hatte. Nach dem Gesetzeswortlaut "zur Zeit seines Todes Unterhalt (einen Unterhaltsbeitrag) zu leisten hatte", hängt der Anspruch auf Witwenpension nur davon ab, ob der Versicherte aufgrund der im Gesetz angeführten rechtsbegründenden Tatbestände im Zeitpunkt des Todes Unterhalt zu leisten hatte (SSV-NF 1/63). Diesem Erfordernis genügt das Urteil des Bezirksgerichtes Linz vom 18. Dezember 1980, 21 C 197/80 ab dem Zeitpunkt des Eintrittes der Rechtskraft der Scheidung nicht, weil es mit diesem Zeitpunkt außer Kraft trat. Da dieses Urteil den formalen Erfordernissen eines Exekutionstitels auch nach dem Zeitpunkt der Scheidung entsprach, kann aus der Tatsache, daß im weiteren auf dieser Grundlage Exekutionen bewilligt wurden, für den Standpunkt der Klägerin nichts abgeleitet werden. Ausgehend vom Inhalt des Titels, der allein der Prüfung des Exekutionsantrages zugrunde zu legen ist, erfolgten die Exekutionsbewilligungen zu Recht. Helmut N*** hätte auch keine Möglichkeit gehabt, die Exekutionsbewilligungen erfolgreich mit Rekurs zu bekämpfen, da die Behauptung der Scheidung der Ehe nach Entstehen des Titels zufolge des Neuerungsverbotes im Rekursverfahren unzulässig war. Es stand ihm nur die Klage nach § 35 EO offen. Daß er die Erhebung einer Oppositionsklage unterließ und die Exekutionsführungen hinnahm, konnte dem Urteil nicht die Qualifikation eines Titels im Sinn des § 258 Abs 4 ASGG verschaffen. Die Revisionswerberin vertritt die Auffassung, daß daraus, daß Helmut N*** die Exekutionsführungen duldete, sein Einverständnis mit der Unterhaltsleistung in der im Titel bestimmten Höhe abzuleiten sei; es sei daher davon auszugehen, daß eine Vereinbarung über eine Unterhaltsleistung in dieser Höhe zustandegekommen sei. Auch aus einem solchen Ergebnis könnte für den Standpunkt der Klägerin nichts abgeleitet werden, weil eine formlose Vereinbarung den Erfordernissen des § 258 Abs 4 ASGG nur genügt, wenn sie vor Scheidung der Ehe geschlossen wurde.

Welche Konsequenzen sich daraus ergeben könnten, daß das die Ehescheidung aussprechende Urteil im Verfahren zu 3 Cg 122/80 des Landesgerichtes Linz allenfalls deshalb nicht in Rechtskraft erwachsen konnte, weil Helmut N*** im Zeitpunkt der Urteilszustellung prozeßunfähig war (Behauptung in der Klage zu 4 Cg 64/87 des Landesgerichtes Linz im Zusammenhang mit dem in diesem Akt erstatteten psychiatrischen Gutachten), kann im vorliegenden Verfahren ungeprüft bleiben, weil die Klägerin selbst davon ausgeht, daß die Ehe rechtswirksam geschieden wurde. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG; im Hinblick auf die tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten des Verfahrens entspricht es der Billigkeit, der unterlegenen Klägerin die Hälfte der Kosten zuzusprechen.

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