OGH 2Ob16/90

OGH2Ob16/9014.3.1990

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel, Dr. Melber, Dr. Kropfitsch und Dr. Zehetner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Josef S***, Pensionist, Kerngasse 34/2/4, 1238 Wien, vertreten durch Dr. Manfred Roland, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagten Parteien

1.) Johann G***, Angestellter, Wienerstraße 158, 2352 Gumpoldskirchen, 2.) N*** Automaten Industrie- und Handelsgesellschaft m.b.H. & Co KG, Wienerstraße 158, 2352 Gumpoldskirchen, 3.) W*** A*** Versicherungs AG, Hietzinger Kai 101-105, 1130 Wien, alle vertreten durch Dr. Ludwig Hötzl, Dr. Manfred Michalek, Dr. Karl F. Leutgeb, Rechtsanwälte in Wien, wegen S 120.000 und Feststellung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 11. Oktober 1989, GZ 16 R 62/89-56, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 20. Dezember 1988, GZ 38 Cg 716/87-51, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagten Parteien haben die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

Text

Begründung

Der am 1.Jänner 1914 geborene Kläger erlitt am 2.Jänner 1983 bei einem Verkehrsunfall Verletzungen, u.a. eine Prellung der Halswirbelsäule. Für die dadurch entstandenen, vom Erstgericht nach Dauer und Intensität festgestellten Schmerzen, die durch eine schon vor dem Unfall vorhandene Arthrose der Halswirbelsäule verstärkt wurden, erhielt der Kläger ein Schmerzengeld von S 70.000 zuerkannt. Es ist möglich, daß der Kläger zum 9. September 1986 (Schluß der Verhandlung erster Instanz im ersten Rechtsgang) Schmerzen hatte, die jedoch nicht auf den Unfall zurückzuführen sind. Für einen späteren Zeitpunkt ist diese Möglichkeit noch höher anzusetzen. Die Schmerzen, die der Kläger möglicherweise am 9. September 1986 und danach hatte (und haben wird), sind auf die Arthrose der Halswirbelsäule zurückzuführen, die der Kläger möglicherweise ohne den Unfall nicht verspürt hätte. Empfand der Kläger Schmerzen, so ist dies auf eine Bewußtwerdung der Schmerzen durch das Unfallstrauma zurückzuführen. Das bedeutet, daß die vorgeschädigte Wirbelsäule Schmerzen verursachte, die zunächst unbemerkt vorhanden waren, die massiven Unfallsverletzungen und die Beobachtung des Heilungsverlaufes aber dazu führten, daß gewisse Schonhaltungen deshalb nicht mehr eingehalten wurden, weil immer wieder probiert wurde, ob irgendeine Bewegung oder Haltung noch Schmerzen verursacht. Solche Schmerzen werden durch bewußte Bewegungen in das "Bewußtsein gehoben". Unbewußte Bewegungen erzeugen auch bei gesunden Menschen mitunter Schmerzsensationen, die weiter gar nicht beachtet werden. Die Schmerzen, die der Kläger möglicherweise, vom Zeitpunkt 9. September 1986 betrachtet, noch zu erleiden hat, sind mit 10 Tagen leichten Schmerzen pro Jahr anzunehmen. Sie wären aber nicht direkt auf den Unfall zurückzuführen, sondern würden nur indirekt durch den erwähnten Bewußtwerdungsprozeß als Schmerzen empfunden.

Gegenstand des Revisionsverfahrens sind nur mehr die auf die Arthrose der Halswirbelsäule zurückzuführenden Schmerzen, die der Kläger möglicherweise ohne den Unfall nicht verspürt hätte. Der Kläger erachtet ein Schmerzengeld von insgesamt S 120.000 als angemessen und begehrt daher einen restlichen Betrag von S 50.000 samt Zinsen. Außerdem stellte er ein Feststellungsbegehren. Das Erstgericht wies das restliche Leistungsbegehren und das Feststellungsbegehren ab.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge, sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes, über den es entschieden habe, S 60.000, nicht aber S 300.000 übersteige und die Revision zulässig sei. Das Gericht zweiter Instanz führte aus, dem Schädiger sei der ihm obliegende Beweis nicht gelungen, daß bis zum 9. September 1986 ein Teil der Schmerzen auch ohne den Unfall aufgetreten wäre. Anders verhalte es sich mit den Schmerzen, die nicht auf den Unfall zurückzuführen seien, die aber möglicherweise durch einen von den Unfallsfolgen ausgelösten Bewußtwerdungsprozeß vom Kläger nunmehr auch subjektiv empfunden würden. Es sei bloß eine "Möglichkeit", daß die von der chronisch geschädigten Wirbelsäule ausgehenden Schmerzen, die nicht auf den Unfall zurückzuführen seien, durch einen von den Unfallsfolgen ausgelösten Bewußtwerdungsprozeß nunmehr auch subjektiv empfunden würden. Es liege aber beim Kläger, Schmerzfolgen aus dem Unfallsereignis zu beweisen, selbst wenn der Beweis der Nichtkausalität von feststehenden Schmerzfolgen dem Schädiger obliege. Aber auch bei sicherer Annahme von weiteren Schmerzempfindungen, etwa der vom Sachverständigen ebenfalls für möglich angesehenen Dauer und Intensität von zehn Tagen leichten Schmerzen jährlich, die ausschließlich von der chronischen Schädigung der Halswirbelsäule ausgingen, aber durch den Bewußtwerdungsprozeß auf Grund der Unfallsfolgen als Schmerzen empfunden würden, wäre für den Kläger nichts gewonnen. Diese nicht durch den Unfall selbst, sondern die Unfallsfolgen ausgelösten seelischen Vorgänge hätten die Schmerzen nicht verursacht, sondern lediglich die bewußte Wahrnehmung der Schmerzen aber auch eine starke Hinwendung zu den Funktionen des Körpers und ein bewußtes Ausprobieren von schmerzauslösenden Haltungen oder Bewegungen bewirkt. Wesentlich sei aber, daß die den subjektiven Schmerzempfindungen zugrundeliegende körperliche Läsion nicht vom Unfallgeschehen herrühre. Auch der Bewußtwerdungsprozeß sei nicht durch die Verletzungen an sich, sondern auf durch offenbar bei jedem Heilungsverkauf mehr oder weniger auftretende psychische Mechanismen zurückzuführen. Die Kausalität zwischen dem Verhalten des Schädigers und solcherart verspürten, nicht auf Unfallsverletzungen zurückzuführenden Schmerzen sei nach Ansicht des Berufungsgerichtes nicht mehr gegeben, sodaß selbst dann, wenn Schmerzempfindungen nach dem 9. September 1986 feststünden, diese weder bei der Schmerzengeldbemessung noch auch bei der Beurteilung des Vorliegens von Dauer- und Spätfolgen berücksichtigt werden dürften. Die Revision sei zuzulassen gewesen, weil die Frage der Kausalität von Schmerzen auf Grund des sogenannten Bewußtwerdungsprozesses in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes offenbar noch nicht behandelt worden sei. Der Kläger bekämpft das Urteil des Berufungsgerichtes mit Revision, macht den Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung geltend und beantragt, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß dem Klagebegehren stattgegeben werde. Hilfsweise stellt der Kläger einen Aufhebungsantrag.

Die beklagten Parteien beantragen, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht zulässig.

Der Kläger führt im wesentlichen aus, die durch den Unfall ausgelösten psychischen Mechanismen seien typische Unfallsfolgen, die dadurch bewußt gewordenen Schmerzen seien ein Nachteil im Sinn des § 1293 ABGB, es handle sich um ein Ungemach, um Unlustgefühle, die abzugelten seien. Die Kausalität sei zumindest prima facie gegeben, es wäre Sache der Beklagten gewesen, einen Gegenbeweis zu erbringen.

Die Frage, ob der Schädiger für Schmerzen Ersatz zu leisten hat, die nicht auf den Unfall zurückzuführen sind, die aber durch einen von den Unfallsfolgen ausgelösten Bewußtwerdungsprozeß nunmehr auch subjektiv empfunden werden, muß hier nicht erörtert werden. Eine Berücksichtigung weiterer Unfallsfolgen bei der Schmerzengeldbemessung scheitert nämlich schon daran, daß der Kläger den ihm obliegenden Beweis nicht erbracht hat. Die Beweislast für den Kausalzusammenhang tifft nämlich grundsätzlich den Geschädigten (JBl. 1988, 244 uva). Nach der Rechtsprechung kann zwar die völlige Gewißheit über den ursächlichen Zusammenhang zwischen schädigendem Ereignis und dem eingetretenen Erfolg nicht immer verlangt werden, unter Umständen genügt auch die bloße Wahrscheinlichkeit (RZ 1983/14 mwN). Die Wahrscheinlichkeit ist jedoch von der bloßen Möglichkeit zu unterscheiden, deren Nachweis nicht ausreichend ist (JBl 1960, 189; 8 Ob 252/79; 2 Ob 41/84 ua). Da im vorliegenden Fall nur eine Möglichkeit nachgewiesen wurde, daß der Kläger ohne den Unfall Schmerzen nicht verspürt hätte, die eb dem 9. September 1986 durch die unfallsabhängige Arthrose der Halswirbelsäule hervorgerufen wurden, sind die beklagten Parteien für allenfalls ab 9. September 1986 auftretende Beschwerden des Klägers nicht ersatzpflichtig. Da dies der ständigen Rechtsprechung entspricht, liegt eine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 4 Z 1 aF ZPO nicht vor. Aus diesem Grund war die Revision zurückzuweisen.

Die beklagten Parteien haben die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen, weil sie auf die Unzulässigkeit der Revision nicht hingewiesen haben.

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