OGH 1Ob514/90

OGH1Ob514/907.3.1990

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hofmann, Dr. Schlosser, Dr. Graf und Dr. Schiemer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Brigitte H***, Krankenpflegerin, Hall i.T., Dr. Stolz-Straße 1, vertreten durch Dr. Johannes Margreiter, Rechtsanwalt in Hall i.T. als Verfahrenshelfer, wider die beklagte Partei Hermann H***, Arbeiter, zuletzt landesgerichtliches Gefangenenhaus Feldkirch, vertreten durch Dr. Markus Komarek, Rechtsanwalt in Hall i.T. als Verfahrenshelfer, wegen Ehescheidung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 9.November 1989, GZ 1 a R 518/89-44, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Hall i.T. vom 14.Juli 1989, GZ 2 C 328/87-38, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 3.706,20 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 617,70 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Streitteile sind österreichische Staatsbürger. Sie schlossen am 18.Mai 1984 die Ehe; für die am 18.März 1957 geborene Klägerin war es die zweite Ehe, für den am 18.Juni 1953 geborenen Beklagten die erste Ehe. Der letzte gemeinsame Wohnsitz war in Hall i.T. Der Ehe entstammen keine Kinder. Die Klägerin hat einen 1975 geborenen unehelichen Sohn, der Beklagte hat zwei uneheliche Kinder. Wegen Verletzung seiner Unterhaltspflicht gegenüber seinen beiden Kindern wurde der Beklagte zu einer Freiheitsstrafe verurteilt, die er vom 6. November 1986 bis 21.September 1987 verbüßte.

Die Klägerin begehrt mit ihrer am 29.April 1987 überreichten Klage die Scheidung der Ehe aus dem Verschulden des Beklagten. Dieser habe durch sein Verhalten die Ehe unheilbar zerrüttet, es habe zu keiner Zeit ein harmonisches Eheleben gegeben. Der Beklagte verwehre ihr jeglichen Beistand und jegliche Hilfeleistung, habe nie zur gemeinsamen Wirtschaftsführung und zur gemeinsam angeschafften Eigentumswohnung einen Beitrag geleistet und sei nie länger einer geregelten Beschäftigung nachgegangen; er habe nie regelmäßig Unterhalt für seine beiden Kinder geleistet, weshalb sie sich auch um deren Unterhalt gekümmert habe. Der Beklagte habe sich nächteweise in Gasthäusern aufgehalten und dem Alkohol zugesprochen; er neige in alkoholisiertem Zustand zu Gewalttätigkeiten, habe auch wiederholt in der Wohnung randaliert und ihr einmal einen Teller nachgeworfen, wobei sie verletzt worden sei. Seit Entlassung des Beklagten aus der Strafhaft habe sie aus Angst vor ihm bei ihrer Mutter übernachtet. Der Beklagte habe auch nach seiner Haftentlassung keinen Beitrag zur Erhaltung der Ehewohnung geleistet, deren Schloß ausgetauscht und die Ehewohnung seit Mitte Februar 1988 vermietet; er habe weiters ihr gehörige persönliche Sachen, wie eine Pelzjacke im Wert von 5.000 S und einen Ölofen und Gegenstände des ehelichen Gebrauchsvermögens (zB eine Waschmaschine) verkauft. Der Beklagte habe seit langem ehewidrige Beziehungen zu anderen Frauen unterhalten.

Der Beklagte beantragte die Klagsabweisung und stellte für den Fall der Scheidung einen Mitschuldantrag. Er wendet im wesentlichen ein, er habe sich stets bemüht, geregelte Arbeit zu finden, sei aber wegen seiner Gehaltsexekutionen (zu Gunsten seiner beiden Kinder) immer wieder entlassen worden. Die Klägerin habe sich nicht ausreichend um den Haushalt gekümmert und tagsüber die meiste Zeit in der benachbarten Wohnung der Familie H*** verbracht. Auch die Mutter der Klägerin sei fast täglich anwesend gewesen. Während der Zeit seiner Strafhaft, in der er anfänglich von der Klägerin besucht worden sei, habe sich die Klägerin offenkundig - wie in ihrer ersten Ehe - einem anderen Mann zugewandt und mit Johann T*** ehewidrige Beziehungen unterhalten. Er sei am 13.Juni 1987 aus der Strafhaft geflüchtet und habe in der Ehewohnung festgestellt, daß die Klägerin seine Sachen bereits weggeräumt habe. Die in seinem Notizbuch eingetragenen Frauennamen beträfen Bekanntschaften von Mithäftlingen, welchen er Grüße zu bestellen gehabt habe. Selbst wenn er Eheverfehlungen begangen habe, wären diese verziehen und unbeachtlich: Einige Tage vor Strafantritt hätten die Streitteile noch gemeinsam den ehelichen Verkehr vollzogen, außerdem habe ihn die Klägerin mehrfach in der Strafanstalt besucht und ihm wiederholt in Briefen ihre Liebe versichert.

Die Klägerin replizierte zur behaupteten Verzeihung, daß sie aus Gutmütigkeit dem Beklagten in die Strafanstalt Liebesbriefe geschickt habe. Im Jänner 1987 habe sie endlich Ruhe gefunden, um ihre Lebenssituation, besonders in wirtschaftlicher Hinsicht, zu durchdenken und habe erkannt, daß sie bisher vom Beklagten nur ausgenützt worden sei.

Das Erstgericht schied die Ehe aus dem überwiegenden Verschulden des Beklagten und stellte im wesentlichen fest:

Fast das ganze Jahr 1985 sei der Beklagte, nachdem er selbst ein bestehendes Dienstverhältnis gekündigt hatte, arbeitslos gewesen und habe praktisch vom Verdienst der Klägerin als Krankenpflegerin im Landes-Nervenkrankenhaus Hall i.T. gelebt. Trotz mehrfacher Aufforderung durch die Klägerin, der Beklagte möge sich doch eine Arbeit suchen, sei dieser mit wenigen Unterbrechungen dazu nicht bereit gewesen. Im August 1985 hätten die Streitteile gemeinsam eine Eigentumswohnung in Hall i.T. gekauft und seien dort auch eingezogen. Trotz seiner vielen Freizeit habe der Beklagte im Haushalt nicht mitgeholfen und die Gelegenheit kaum zu Arbeiten in der Wohnung genützt, sondern sich in Gasthäusern aufgehalten. Er habe keinen Unterhalt geleistet; die Aufwendungen für die Wohnung (Annuitäten, Betriebskosten etc) habe die Klägerin allein tragen müssen. Die Klägerin habe bei Eheschließung von der Unterhaltsverpflichtung des Beklagten für seine beiden außerehelichen Kinder gewußt; infolge der schlechten Einkommenssituation des Beklagten sei es aber zu Rückständen gekommen, obwohl die Klägerin oft für diese Verpflichtungen eingesprungen sei. Der Beklagte habe auch 1986 bis zum Strafantritt überwiegend nicht gearbeitet und zumindest teilweise vom Einkommen der Klägerin gelebt. Die Klägerin sei mit der im gleichen Haus wohnenden Margit H*** gut bekannt gewesen, man habe sich hin und wieder zum Kaffee getroffen, ein die Ehe störendes Naheverhältnis habe nicht bestanden.

Schon in den Monaten vor Haftantritt habe die Klägerin mit dem Beklagten mehrmals über eine Scheidung gesprochen, weil er zu unregelmäßig gearbeitet, kaum zum Unterhalt beigesteuert und für die Wohnung nichts gezahlt habe. Auch sonst sei in den Monaten vor Haftantritt das Verhalten des Beklagten für die Klägerin kaum zu ertragen gewesen. Er sei oft (auch nachts) alkoholisiert nach Hause gekommen, dabei habe es mit der Klägerin heftige Auseinandersetzungen gegeben, wobei auch mehrmals die Gendarmerie eingeschritten sei. Einmal habe der Beklagte alkoholisiert eine ölgefüllte Friteuse zu Boden geworfen und als ihm das Essen nicht gepaßt habe, einen Teller gegen die Wand geworfen, wobei die Klägerin (durch einen abspringenden Teil) eine Verletzung an der Nase mit noch heute sichtbarer Narbe erlitten habe. Kurz vor dem Haftantritt des Beklagten sei die Ehe für die Klägerin schon so zerrüttet gewesen, daß sie geradezu erleichtert gewesen sei, als der Beklagte für längere Zeit seine Haft angetreten habe. Infolge der Schwierigkeiten, besonders 1986 bis zum Haftantritt, sei es immer seltener zum ehelichen Verkehr zwischen den Eheleuten gekommen, letztmalig vor der Haft im Juni 1986. In der ersten Zeit der Haft bis zum Jahreswechsel 1986/87 habe es zwischen den Streitteilen einen regen Briefwechsel gegeben, besonders seitens der Klägerin, die in ihren Briefen dem Beklagten wortreich und zärtlich ihre Liebe und Zuneigung versichert und immer wieder zu erkennen gegeben habe, daß sie sich ohne den Beklagten allein fühle, sich auf seine Rückkehr freue und mit ihm einen neuen Anfang machen wolle. Die Klägerin habe ihre Situation sehr unangenehm gefunden und habe zudem ihren Sohn zu Hause gehabt, der von den Schwierigkeiten zwischen den Ehegatten gewußt habe. Vor allem gegen Weihnachten 1986 sei die Stimmung der Klägerin immer schlechter geworden, sie habe sich einsam gefühlt und um diese Zeit daran gedacht, die Ehe mit dem Beklagten nach seinem Haftende fortzusetzen. Sie habe gehofft, daß sich vielleicht doch noch alles zum Guten wenden könnte. Im Jänner 1987 habe sie nochmals intensiv über ihre Situation nachgedacht und sei letztlich doch zum Ergebnis gekommen, daß es mit dem Beklagten nicht mehr klappen werde. Der Briefverkehr sei weniger und dann abgebrochen worden, ein paar Mal habe die Klägerin den Beklagten noch im Gefangenenhaus besucht. Anfangs März 1987 habe die Klägerin einen klaren Entschluß gefaßt und dem Beklagten am 5.März 1987 geschrieben, wenn er wissen wolle, was mit ihr los sei, dann werde sie ihm dies mitteilen. Sie habe sehr viel Zeit gehabt, um nachzudenken, wie die Ehe bisher verlaufen sei. Sie sei zum Entschluß gekommen, daß eine Trennung die beste Lösung für beide sei. "Die liebenswerten Briefe des Beklagten würden sie nicht mehr berühren oder in Angst versetzen. Der Beklagte habe alles selbst verschuldet." Der Beklagte habe dies nicht zur Kenntnis nehmen wollen und noch im Brief vom 21.April 1987 an die Klägerin geschrieben, er werde, wenn er den Bescheid über die Scheidung bekäme, "eine Kettenreaktion auslösen, die die Klägerin ihren Lebtag nicht vergessen werde." Er werde bis zum letzten Schritt gehen, weil er nichts zu verlieren habe. Als das Haftende des Beklagten (21.September 1987) näher gekommen sei, habe sich die Klägerin entschlossen, aus der Ehewohnung auszuziehen, weil sie befürchtet habe, es werde wie vor der Haft mit dem Beklagten weitergehen; sie habe ihre Ruhe gewollt und habe auch Angst vor Auseinandersetzungen und angesichts des Briefes vom 21.April 1987 auch vor Tätlichkeiten gehabt. Der Beklagte habe vermutet, daß ein anderer Mann im Spiel sein könne, sei Mitte Juni 1987 aus der Haftanstalt geflüchtet und in der Ehewohnung erschienen. Dabei habe er sich gegenüber der Klägerin ziemlich arrogant benommen und vorgebracht, sie habe nun aus der Wohnung zu verschwinden. Die Klägerin habe Angst bekommen und die Gendarmerie verständigt, die den Beklagten wieder in die Haftanstalt zurückgebracht habe. Die Klägerin, die die Ehe unter keinen Umständen mehr fortsetzen habe wollen, sei am 20.September 1987 zu ihrer gleichfalls in Hall i.T. lebenden Mutter übersiedelt; sie habe den Beklagten keineswegs während seiner Haft aus der Ehewohnung ausquartiert. Der Beklagte sei nach seiner Haftentlassung in die Ehewohnung zurückgekehrt, habe zweimal seine Schwiegermutter angerufen und dabei ziemlich randaliert. Er habe einen Schlüssel für die Haustür gewollt und - als er nicht gleich einen bekommen habe - sich massiv beim Rechtsfreund der Klägerin beschwert, wobei er dann den gewünschten Schlüssel bekommen habe. Die Klägerin habe keine Anstalten mehr gemacht, in die Ehewohnung zum Beklagten zurückzukehren, sie habe die eheliche Gemeinschaft unter keinen Umständen mehr aufnehmen wollen, obwohl der Beklagte dies gewollt und auch der Klägerin mitgeteilt habe. In der Folge habe der Beklagte das Schloß der Ehewohnung ausgewechselt und die Ehewohnung weitervermietet. Als die Klägerin im Jänner 1988 für ihren Sohn aus der Ehewohnung Sachen habe abholen wollen, habe von den Hausratssachen und Kleidungsstücken eine ihr gehörige Pelzjacke gefehlt, weiters ein Ölöfen und eine Waschmaschine; auch Sachen der Badezimmereinrichtung seien nicht mehr vorhanden gewesen. Einiges habe der Beklagte inzwischen ohne Zustimmung der Klägerin verkauft, bei manchen Sachen habe der Verbleib nicht mehr aufgeklärt werden können. Ehewidrige oder ehebrecherische Beziehungen der Klägerin zu anderen Männern, namentlich während der Haft des Beklagten, seien ebensowenig feststellbar wie daß die Klägerin 1985 und 1986 besonders lieblos gegenüber dem Beklagten gewesen wäre. In rechtlicher Hinsicht vertrat das Erstgericht die Auffassung, daß der Beklagte Eheverfehlungen begangen, insbesondere gegen seine Beistandspflicht iS des § 90 ABGB verstoßen und dadurch die Zerrüttung der Ehe verschuldet habe. Die Klägerin habe dem Beklagten seine Eheverfehlungen nicht verziehen, sondern trotz der glühenden Liebesbriefe in ihrem Gesamtverhalten nicht zum Ausdruck gebracht, daß sie alles verzeihe. Die Klägerin habe dadurch zur Zerrüttung der Ehe beigetragen, daß sie die eheliche Gemeinschaft eigenmächtig aufgehoben habe, aus der Ehewohnung ausgezogen und nicht dorthin zurückgekehrt sei. Sie habe die Zerrüttung der Ehe mitverschuldet. Das Verschulden des Beklagten überwiege.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten, mit der dieser die Abweisung der Klage, in eventu den Ausspruch des überwiegenden Mitverschuldens der Klägerin anstrebte, nicht Folge. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und gelangte rechtlich zum Ergebnis, daß die Klägerin dem Beklagten die bis Jahresende 1986 gesetzten Eheverfehlungen verziehen habe (§ 56 EheG). In der ersten Zeit der Haft bis zum Jahreswechsel 1986/87 habe es zwischen den Streitteilen einen regen Briefverkehr gegeben; in ihren Briefen habe die Klägerin dem Beklagten immer wieder wortreich und zärtlich ihre Liebe und Zuneigung versichert, daß sie sich auf seine Rückkehr freue und mit ihm einen neuen Anfang machen wolle. Sie habe ihn auch in der Haftanstalt besucht. Dieses gesamte Verhalten könne nicht anders als eine Verzeihung der vom Beklagten bis zu diesem Zeitpunkt begangenen Eheverfehlungen aufgefaßt werden. Der Beklagte habe aber auch nach dem Jahresende 1986 weitere Eheverfehlungen begangen, welche keineswegs unwesentlich seien. So habe er die Klägerin mit seinem Brief vom 21.April 1987 bedroht und in Angst versetzt. Er habe auch in der Folge nichts dazu beigetragen, die für den Kauf der Ehewohnung aufgenommenen Darlehen zurückzuzahlen; im Gegenteil habe er eine Pelzjacke (im Wert von 5.000 S) der Klägerin verkauft und auch Gegenstände aus dem ehelichen Gebrauchsvermögen veräußert und sich den Erlös zugeeignet. Er habe weiters das Schloß der Ehewohnung ausgetauscht, der Klägerin den Zutritt zur Wohnung verwehrt und die Wohnung vermietet. Insgesamt habe der Beklagte durch sein Verhalten auch im Jahre 1987 die Ehe durch sein rücksichtsloses und liebloses Verhalten zerrüttet, sodaß die Wiederherstellung einer dem Wesen der Ehe entsprechenden Lebensgemeinschaft nicht mehr erwartet werden könne. Daß auch die Klägerin schuldhaft zur Zerrüttung der Ehe beigetragen habe, sei im Berufungsverfahren nicht mehr strittig. Auch verziehene Eheverfehlungen könnten gemäß § 59 Abs 2 EheG zur Unterstützung der auf andere Eheverfehlungen gegründeten Scheidungsklage geltend gemacht werden. Betrachte man das Verhalten des Beklagten insgesamt, so wiege sein Verschulden deutlich schwerer als das der Klägerin.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Beklagten ist nicht berechtigt.

Wie der Oberste Gerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen hat, ist die Verzeihung ein innerer Vorgang, dessen Annahme auf Schlüssen beruht, die aus dem nach freier Beweiswürdigung ermittelten Verhalten des verletzten Ehegatten durch den Richter zu ziehen ist, weshalb die Frage, ob Verzeihung vorliegt, zunächst eine Frage der Beweiswürdigung ist, deren Überprüfung dem Revisionsgericht versagt ist (EFSlg 57.184, RZ 1980/29 mwN uva). Im vorliegenden Fall wird aber ohnehin die vom Berufungsgericht angenommene Verzeihung der vom Beklagten vor Jahresende 1986 gesetzten Eheverfehlungen durch die Klägerin von beiden Parteien in ihren Rechtsmittelschriften nicht in Frage gestellt, sodaß davon auszugehen ist.

Der Revisionsvorwurf, die Klägerin sei vor der Haftentlassung des Klägers aus der Ehewohnung ausgezogen, trifft zwar zu, doch ist die Verletzung der Verpflichtung zum gemeinsamen Wohnen wie jede andere Eheverfehlung nur dann ein Scheidungsgrund, wenn sie schuldhaft gesetzt wird (EFSlg 57.128 ua). Im vorliegenden Fall hat aber die Klägerin dargetan, daß sie aus Angst vor Auseinandersetzungen und angesichts des Briefes des Beklagten vom 21. April 1987 auch vor Tätlichkeiten ausgezogen ist, was iS des § 92 Abs 2 ABGB als gerechtfertigt anzuerkennen ist. Das Wegbringen und Veräußern von Hausrat und die Zueignung des Erlöses durch den Beklagten ist ebenso eine schwere Eheverfehlung wie die rechtswidrige Verfügung des Beklagten über die Ehewohnung (Pichler in Rummel, § 49 EheG Rz 1a mwN; EFSlg 24.985), desgleichen der Verkauf der Pelzjacke der Klägerin. Daß das von den Vorinstanzen auch nach Jahresbeginn 1986 festgestellte Verhalten des Beklagten mit dem Wesen der Ehe als einer alle Lebensbereiche umfassenden Lebensgemeinschaft unvereinbar ist, kann nicht fraglich sein. Handlungen und Unterlassungen, die sich gegen das Wesen der Ehe und die damit verbundenen Pflichten richten, stellen Eheverfehlungen iS des § 49 EheG dar (EFSlg 46.148 f, 38.683 ua). Eine Ehe ist dann tiefgreifend unheilbar zerrüttet, wenn die Wiederherstellung einer ihrem Wesen entsprechenden geistig-seelischen und körperlichen Gemeinschaft nicht mehr zu erwarten ist (EFSlg 54.384 f uva; Pichler aaO, Rz 3), wenn die Gemeinschaft zwischen den Ehegatten objektiv und wenigstens bei einem Ehegatten auch subjektiv zu bestehen aufgehört hat (EFSlg 54.385; Schwind, Eherecht2, 202), wobei es genügt, daß ein - hier der klagende - Teil die eheliche Gesinnung velor (EFSlg 54.388, 51.602 ua). Dafür, daß die als Scheidungsgrund geltend gemachte Eheverfehlung auch tatsächlich als ehezerstörend empfunden wurde, spricht in der Regel schon die Erhebung der Scheidungsklage (EFSlg 51.605). Unbestritten bestanden im vorliegenden Fall zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung zwischen den Eheleuten keinerlei Beziehungen mehr. Nach § 60 Abs 2 EheG ist bei einer Scheidung wegen Verschuldens das überwiegende Verschulden eines Teiles auszusprechen, wenn sein Verschulden erheblich schwerer wiegt als das des anderen. Der Unterschied der beiderseitigen Verschuldensanteile muß augenscheinlich hervortreten (EFSlg 51.660 ua). Für die beiderseitige Verschuldensabwägung ist grundsätzlich das Gesamtverhalten beider Ehegatten maßgebend (EFSlg 57.211, 54.455, 51.642 uva; Schwind aaO, 252); dabei sind auch verziehene oder verfristete Eheverfehlungen zu berücksichtigen (EFSlg 51.668 ua). Mit Ausnahme des Briefes vom 21.April 1987 wurden zwar die festgestellten Eheverfehlungen des Beklagten nach Einbringung der Scheidungsklage gesetzt, doch sind auch solche Eheverfehlungen zu berücksichtigen (EFSlg 54.393). Vor allem ist bei der Abwägung der Mitschuld maßgeblich, wer mit der schuldhaften unheilbaren Zerrüttung der Ehe den Anfang machte (EFSlg 57.212, 54.456, 51.643 uva; Schwind aaO); die Ursächlichkeit der Verfehlungen für den Eintritt der unheilbaren Zerrüttung ist von ausschlaggebender Bedeutung (EFSlg 43.680, 41.271 ua). Im Sinn dieser Grundsätze haben die Vorinstanzen im vorliegenden Fall eine der Sachlage entsprechende Verschuldensteilung vorgenommen, weil unter Berücksichtung aller, auch der verziehenen Verfehlungen des Beklagten dieser zweifellos den Grundstein für die immer stärkere Entfremdung der Streitteile legte und seine Verfehlungen deutlich schwerer wiegen als die der Klägerin.

Der Revision ist daher der Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.

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