OGH 10ObS32/90

OGH10ObS32/9027.2.1990

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Elmar Peterlunger (AG) und Dr.Theodor Zeh (AG) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Johann S***, Pensionist, 2115 Maisbirbaum 65, vertreten durch Dr.Ferdinand Bruckner, Rechtsanwalt in Korneuburg, wider die beklagte Partei S*** DER B***,

1031 Wien, Ghegastraße 1, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Hilflosenzuschuß, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 27. November 1989, GZ 32 Rs 68/89-38, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Kreisgerichtes Korneuburg als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 7.Dezember 1988, GZ 17 Cgs 97/88-26, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 10.9.1952 geborene Kläger erlitt 1974 bei einem Verkehrsunfall ein schweres Schädelhirntrauma, das zu einer inkompletten Halbseitenlähmung links führte. Die linke Hand kann er nur für einfache Handgriffe und als Hilfshand verwenden. Er ist imstande, sich allein an- und auszuziehen, die entsprechende Körperpflege durchzuführen, allein zu essen, ausreichende Mahlzeiten zuzubereiten, die Toilette aufzusuchen und die kleine Wäsche zu waschen. Er kann einen Ofen mit festen Brennstoffen betreiben, die Asche entfernen und die Wohnung oberflächlich aufräumen. Nicht zugemutet werden kann ihm, das Haus bei Schlechtwetter (Schnee und Eis) zu verlassen, das Heizmaterial zu besorgen, die Wohnung gründlich aufzuräumen, den Boden zu pflegen, die Fenster zu putzen und die große Wäsche zu waschen.

Das Erstgericht wies das auf Gewährung des Hilflosenzuschusses im gesetzlichen Ausmaß ab 4.5.1987 gerichtete Klagebegehren ab. Der Kläger habe sich trotz eindringlicher Rechtsbelehrung nicht einer neurologischen Untersuchung unterzogen und sich in der Folge überhaupt geweigert, vor Gericht zu erscheinen. Wenn er sich auch uneinsichtig und unbelehrbar im Hinblick auf das gegenständliche Verfahren gezeigt habe, sei er doch nicht hilflos im Sinne des Gesetzes, weil er alle täglich wiederkehrenden lebensnotwendigen Verrichtungen allein durchführen könne und nur für grobe Reinigungsarbeiten, Heizmaterialbesorgung und Wäschewaschen fremder Hilfe bedürfe.

Das Berufungsgericht verwarf die Berufung des Klägers, soweit sie Nichtigkeit geltend machte, und gab ihr im übrigen nicht Folge. Der Nichtigkeitsgrund nach § 477 Abs. 1 Z 5 StPO liege nicht vor, weil der Kläger entgegen seiner Ansicht prozeßfähig sei. Ein von Amts wegen eingeleitetes Verfahren zur Bestellung eines Sachwalters für den Kläger sei gemäß § 243 AußStrG mit rechtskräftigem Beschluß des Bezirksgerichtes Korneuburg vom 18.7.1989, Sw 5/89-10, eingestellt worden, weil der Kläger eines Sachwalters nicht bedürfe; an diese Entscheidung sei das Berufungsgericht gemäß § 6 a ZPO gebunden. Das Berufungsgericht billigte auch die erstgerichtliche Beweiswürdigung und führte in Beantwortung der Rechtsrüge aus, daß beim Kläger zweifellos schwere psychische Schäden vorlägen, die allein aber zur Gewährung des Hilflosenzuschusses nicht ausreichten. Der durch Hilflosigkeit entstehende finanzielle Aufwand müsse nämlich die finanzielle Begünstigung des Hilflosenzuschusses übersteigen, was beim Kläger nicht der Fall sei: Die Besorgung des Heizmaterials, das gründliche Aufräumen der Wohnung, das Fensterputzen und das Waschen der großen Wäsche seien nicht täglich erforderlich und auch in einem strengen Winter müßten nicht täglich Lebensmittel besorgt werden.

Gegen dieses Urteil des Berufungsgerichtes wendet sich die Revision des Klägers wegen Nichtigkeit nach § 477 Abs. 1 Z 5 ZPO, Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache. Er beantragt die Aufhebung des Urteils und des vorangegangenen Verfahrens als nichtig, hilfsweise die Abänderung im Sinne einer Klagsstattgebung.

Die beklagte Partei beteiligte sich am Revisionsverfahren nicht.

Rechtliche Beurteilung

Soweit die Revision Nichtigkeit gemäß § 477 Abs. 1 Z 5 ZPO geltend macht, weil das Berufungsgericht zu Unrecht von der Prozeßfähigkeit des Klägers ausgegangen sei, ist sie nicht begründet. Wie der Oberste Gerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen hat, sind Nichtigkeiten, die dem Urteil und dem Verfahren erster Instanz anhaften, nicht unbeachtlich oder unbekämpfbar. Dies gilt aber nur dann, wenn sie auch auf das Urteil oder das Verfahren des Berufungsgerichtes wirken und wenn der geltend gemachte Nichtigkeitsgrund nicht bereits vom Berufungsgericht oder durch eine bindende Entscheidung über ein Prozeßhindernis oder eine Prozeßvoraussetzung verneint wurde (arg. § 42 Abs. 3 JN, §§ 6 a, 7 und 510 Abs. 2 ZPO; SSV-NF 1/36 mwH ua). Hat das Berufungsgericht - wie im gegenständlichen Fall - die Frage der Nichtigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens erörtert und ausdrücklich verneint, liegt darin ein nach § 519 ZPO unanfechtbarer Beschluß. Die Frage der Prozeßfähigkeit des Klägers ist aber durch den Beschluß des Pflegschaftsgerichtes gemäß § 6 a ZPO (§ 2 Abs. 1 ASGG) bindend beantwortet (Fasching, ZPR2 Rz 349, 357, 1905). Die Revision kann daher die Frage der Prozeßfähigkeit nicht neuerlich aufrollen.

Auch im übrigen ist die Revision nicht berechtigt.

Der Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor (§ 510 Abs. 3 ZPO). Der Revisionswerber bemängelt hier, das Erstgericht habe zu Unrecht von der Einholung eines neurologischen Gutachtens abgesehen. Eine solche Mängelrüge wurde in der Berufung nicht erhoben. Verfahrensmängel erster Instanz, die in der Berufung nicht gerügt wurden, können aber auch in Sozialrechtssachen mit Revision nicht geltend gemacht werden (SSV-NF 1/68 uva).

Die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichtes ist richtig und entspricht der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (SSV-NF 1/46, 2/132 uva). Es genügt daher der Hinweis auf deren Richtigkeit (§ 48 ASGG). Es wurde wiederholt ausgesprochen, daß die Unfähigkeit, die Wohnung gründlich aufzuräumen und zu reinigen, die große Wäsche zu waschen, das Heizmaterial und gelegentlich (bei Schnee und Eis) die Lebensmittel herbeizuschaffen, bei Fehlen weiterer wesentlicher Einschränkungen keine Hilflosigkeit im Sinne der Sozialversicherungsgesetze (§ 105 a ASVG, § 70 BSVG, § 74 GSVG) zu begründen vermag. Der hiefür erforderliche Mehraufwand erreicht nicht annähernd die Höhe des Mindesthilflosenzuschusses (SSV-NF 2/21, 3/32 ua).

Demgemäß ist auch der Rechtsrüge ein Erfolg zu versagen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs. 1 Z 2 lit b ASGG (SSV-NF 1/19, 2/26, 2/27 uva).

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