OGH 5Ob61/89 (5Ob62/89)

OGH5Ob61/89 (5Ob62/89)16.1.1990

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kropfitsch, Dr. Zehetner, Dr. Klinger und Dr. Schwarz als Richter in den zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Rechtssachen der Antragstellerinnen

1.) Marie M***, und 2.) Pauline R***, beide Wohnungseigentümerinnen, St. Pölten, Gaiblingergasse 37, beide vertreten durch Dr. Peter Zöchbauer, Rechtsanwalt in St. Pölten, wider die Antragsgegner 1.) Hedwig S***, 2.) Alois K***,

3.) Eleonore H***, 4.) Ewald Ö***, 5.) Elisabeth

G***, 6.) Anna (richtig: Karin) G***, 7.) Pauline P***,

  1. 8.) Heinrich G***, 9.) Hermine S***, 10.) Helga D***,
  2. 11.) Gerald S***, 12.) Karl H***, 13.) Helmut (richtig: Klaus) G***, 14.) Antonia H***, 15.) Franz H***, 16.) Stephanie (richtig: Karl) F***, 17.) Anna Ö***, 18.) Franziska P***, 19.) Franz D***, 20.) Ingeborg M***, sämtliche Wohnungseigentümer, St. Pölten, Gaiblingergasse 37, die unter Punkt

    1.) bis 5.), 9.), 11.), 15.) bis 18.) und 20.) genannten Antragsgegner vertreten durch Josef E***, Immobilienverwalter und Immobilienmakler, St. Pölten, Domgasse 4, wegen § 15 Abs. 1 Z 2 und 3 WEG infolge Revisionsrekurses der Antragstellerinnen gegen den Sachbeschluß des Landesgerichtes St. Pölten als Rekursgericht vom 1. Februar 1989, GZ R 8, 19/89-13, womit die Sachbeschlüsse des Bezirksgerichtes St. Pölten vom 26. September 1989, GZ 8 Msch 5/88-4 und 8 Msch 6/88-4, bestätigt wurden, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Die Antragstellerinnen und die unter 1.) bis 20.) angeführten Antragsgegner sind Mit- und Wohnungseigentümer der von Josef E*** verwalteten Liegenschaft EZ 709 Grundbuch Stattersdorf mit dem Haus St. Pölten, Gaiblingergasse 37. Mit dem an die Wohnungseigentümer gerichteten Schreiben vom 29. Dezember 1987 legte Josef E*** eine Vorschau für das Jahr 1988 über die zu erwartenden Arbeiten und deren voraussichtliche Kosten mit der Mitteilung, daß zu deren Bedeckung eine Erhöhung des monatlichen "Wohnbeitrages" für das Jahr 1988 von bisher 30 S auf 54 S je Friedenskrone 1914 erforderlich sei. Im Hinblick auf diese Vorschau legte der Verwalter allen Mit- und Wohnungseigentümern ein als "Beschluß über den Wohnbeitrag 1988" bezeichnetes Schreiben vor, nach dem sich die einzelnen Wohnungseigentümer mit dem jeweils aufgeschlüsselt angeführten "Wohnbeitrag für 1988" einverstanden erklären. Dieses Schreiben wurde von allen Wohnungseigentümern mit Ausnahme der beiden Antragstellerinnen und der Antonie H*** unterfertigt. Die Antragstellerinnen sind zu 66/1100-stel (Wohnung Nr. 5) und zu 41/1100-stel sowie 36/1100-stel Anteilen (Wohnung Nr. 21 und 22) Miteigentümer der Liegenschaft; Antonie H*** verfügt über 41/1100-stel Miteigentumsanteile.

Die Antragstellerinnen begehrten mit ihren Anträgen die Entscheidung des Gerichtes dahin, daß sie zur Zahlung eines Wohnbeitrages bzw. einer Rücklage zur Vorsorge für künftige Erhaltungs- und Verbesserungsarbeiten ebensowenig verpflichtet seien, wie zur Aufnahme von Darlehen zur Bezahlung von Erhaltungs- und Verbesserungsarbeiten, sie vielmehr berechtigt seien, die auf ihr Wohnungseigentum entfallenden anteiligen Kosten der Erhaltungs- und Verbesserungsarbeiten bei deren Fälligkeit mit dem ihren Anteil entsprechenden Betrag sofort bar zu bezahlen. Es bestehe kein Mehrheitsbeschluß über die Vorschreibung des Wohnungsbeitrages bzw. über die Bildung einer Rücklage für künftige Erhaltungs- und Verbesserungsarbeiten gemäß § 16 Abs. 1 WEG. Die Berechtigung ihres Begehrens ergäbe sich aus § 15 Abs. 1 Z 2 und 3

WEG.

Die Antragsgegner sprachen sich gegen den Antrag aus, weil er im Gesetz keine Deckung finde.

Das Erstgericht wies die beiden Anträge ab. Die den Wohnungseigentümern in § 15 Abs. 1 WEG eingeräumten Individualrechte umfaßten das hier gestellte Begehren nicht.

Das Gericht zweiter Instanz gab den Rekursen der beiden Antragstellerinnen nicht Folge und ließ den Rekurs an den Obersten Gerichtshof zu. Die Bildung einer angemessenen Rücklage, die gemäß § 16 WEG der Vorsorge für künftige Erhaltungs- und Verbesserungsabreiten diene, gehöre zu den Angelegenheiten, in denen die Mehrheit entscheide (§ 14 Abs. 1 Z 2 WEG). Das als "Beschluß über den Wohnbeitrag 1988" bezeichnete Schreiben sei im Zusammenhang mit dem zweiten Schreiben des Hausverwalters vom 29. Dezember 1987 als Beschluß der Mehrheit iS des § 14 Abs. 1 Z 2 WEG anzusehen. Das Rekursgericht billigte auch die Ansicht des Erstgerichtes, das Gesetz biete keine Möglichkeit zu den von den Antragstellerinnen begehrten Entscheidungen.

Rechtliche Beurteilung

Der von den Antragstellerinnen gegen diesen rekursgerichtlichen Sachbeschluß erhobene Revisionsrekurs ist nicht berechtigt. Die Unterlassung der Zustellung einer Abschrift des Protokolles über die Tagsatzung vom 26. September 1988 stellt nicht einmal einen Verfahrensmangel dar, weil die Antragstellerinnen die Übermittlung einer Abschrift gar nicht begehrt haben; von einer Nichtigkeit des Verfahrens kann somit keine Rede sein. Auch in der Unterlassung des Erstgerichtes, sämtliche Antragsgegner zu vernehmen, kann kein Verfahrensmangel erblickt werden, weil Anträge, mit welchen Minderheitsrechte iS des § 15 Abs. 1 WEG geltend gemacht werden, bloß gegen die Mehrheit der Mit- und Wohnungseigentümer zu richten sind und lediglich allen Miteigentümern Gelegenheit gegeben werden muß, sich am Verfahren zu beteiligen (vgl. Würth-Zingher, Miet- und Wohnrecht19, Rz 4 und 5 zu § 15 WEG). Dies ist im vorliegenden Fall aber durch Zustellung des Antrages an die erstgenannte Antragsgegnerin und den im Haus vorgenommenen Anschlag der Ladung zur Tagsatzung vom 23. Juni 1988 (§ 26 Abs. 2 Z 7 WEG) geschehen. Der Vernehmung aller Antragsgegner, um darzutun, daß diese gegen die hier gestellten Anträge nichts einzuwenden hätten, bedurfte es nicht, weil eine solche Haltung der Antragsgegner für die Erledigung der gestellten Begehren unerheblich wäre, dafür vielmehr allein die Gesetzeslage maßgeblich ist.

Auf die Revisionsrekursausführungen, mit welchen sich die Antragstellerinnen gegen die Ansicht des Rekursgerichtes über das wirksame Zustandekommen eines Mehrheitsbeschlusses durch die Unterfertigung des bereits mehrfach genannten Schreibens des Hausverwalters durch alle Wohnungseigentümer, ausgenommen die Antragsteller und die Miteigentümerin H***, wenden, ist im vorliegenden Fall nicht weiter einzugehen, weil es sich bei der Frage, ob und bejahendenfalls in welcher Höhe und mit welchem jährlich aufzubringenden Betrag die Rücklage zu bilden und zu ergänzen ist, jedenfalls bis zu einer Mehrheitsentscheidung (vgl. Faistenberger-Barta-Call, 415 Rz 3 zu § 16 WEG) um eine Maßnahme handelt, die vom Hausverwalter im Rahmen der ordentlichen Verwaltung des Hauses zu treffen ist (vgl. Würth-Zingher, aaO, Rz 1 zu § 16 WEG; 5 Ob 78/88). Bei solchen Maßnahmen ist eine förmliche Abstimmung nicht erforderlich (vgl. JBl. 1984, 204). Das Rekursgericht ist somit zu Recht von der wirksamen Festlegung eines gegenüber dem Jahr 1987 erhöhten Betrages als Rücklage für künftige Erhaltungs- und Verbesserungsarbeiten ausgegangen. Da es im vorliegenden Verfahren nur um die Frage geht, ob die Antragstellerinnen an den vom Hausverwalter als Rücklage für künftige Arbeiten festgesetzten Betrag gebunden sind, nicht aber darum, ob der Verwalter die ihm obliegenden Pflichten erfüllt hat, bestand für das Rekursgericht keine Veranlassung, auf Rechtsmittelausführungen einzugehen, mit welchen Mißstände bei der Führung der Hausverwaltung behauptet wurden. Aus dem gesamten Vorbringen der Antragstellerinnen ergibt sich, daß es ihnen nur darum geht, sich an der Bildung der Rücklage überhaupt nicht mehr beteiligen zu müssen. Konkrete Ausführungen, denen die Unrichtigkeit der vom Verwalter erstellten "Vorschau" und ein bestimmtes Herabsetzungsbegehren zu entnehmen wären, wurden von ihnen nicht erstattet. Daß die Vorinstanzen, auf die für die Höhe der Rücklage maßgeblichen Umstände iS des § 16 Abs. 1 WEG nicht eingegangen wird, kann daher weder ein Verfahrensmangel noch eine Nichtigkeit begründen. Da die Antragstellerinnen nicht einmal den Versuch unternommen haben, darzutun, daß die vom Verwalter festgesetzte Rücklage unangemessen hoch gegriffen wäre, können sie sich auch nicht darüber beschweren, daß die Rücklage nicht angemessen gemindert wurde. Den Revisionsrekurswerberinnen kann aber auch darin nicht gefolgt werden, wenn sie meinen, das in § 15 Abs. 1 Z 2 WEG normierte Recht, eine Minderung der Rücklage begehren zu können, inkludiere das Verlangen auf "Nullstellung". § 15 WEG räumt dem Minderheitseigentümer - über die ihm nach dem ABGB zustehenden Rechte hinaus - die Möglichkeit einer Beteiligung an der Verwaltung in bestimmtem Umfang ein, indem ihm einzelne bestimmt angeführte Individualrechte gewährt werden. Im Zusammenhang mit der Rücklage bietet dieser Katalog der Individualrechte dem einzelnen Miteigentümer die Grundlage, im Falle der Untätigkeit des Verwalters oder der Mehrheit der Eigentümer, selbst die Initiative zu ergreifen und die Bildung einer (angemessenen) Rücklage gerichtlich zu verlangen (vgl. Faistenberger-Barta-Call, 398, Rz 3 zu § 15 WEG), oder - bei Tätigwerden des Verwalters oder der übrigen Miteigentümer - der willkürlichen Festsetzung der Höhe der Rücklage zu begegnen und die Erhöhung oder Minderung der bereits beschlossenen Rücklage (§ 15 Abs. 1 Z 2 zweiter Halbsatz WEG) bzw. die Stundung der auf ihn entfallenden, durch die Rücklage nicht gedeckten Kosten einer in größeren als einjährigen Abständen wiederkehrenden Erhaltungsarbeit (§ 15 Abs. 1 Z 3 WEG) zu fordern. Das von den Antragstellern in Anspruch genommene Individualrecht, die Unterlassung der Bildung einer Rücklage an sich zu verlangen, enthält der Katalog des § 15 WEG nicht. Hätte der Gesetzgeber ein solches Individualrecht schaffen wollen, hätte er dies ohne Zweifel deutlich zum Ausdruck gebracht. Aus der Möglichkeit eines Miteigentümers, eine "angemessene Minderung" der beschlossenen Rücklage zu begehren, läßt sich nicht auch dessen Recht ableiten, die im Rahmen der ordentlichen Verwaltung gesetzte Maßnahme, eine Rücklage zu bilden, rückgängig zu machen. Die vom Rekursgericht vertretene Ansicht, die Deckung der Kosten von Erhaltungsarbeiten aus der (im Rahmen der ordentlichen Verwaltung gebildeten) Rücklage entspräche der Regel, die Möglichkeit der Barzahlung (des auf den einzelnen Wohnungseigentümer entfallenden Anteiles an diesen Kosten) bestehe bloß subsidiär, ist unbedenklich. Aus § 15 Abs. 1 Z 3 WEG läßt sich somit für den Rechtsstandpunkt der Antragstellerinnen nichts gewinnen. Inwiefern der Zwang zur Bildung einer Rücklage eine Verletzung des "verfassungsmäßig verankerten Rechtes des Schutzes des Eigentums und eine unzumutbare Bevormundung des Staatsbürgers" darstellen sollte, ist nicht erkennbar. Im vorliegenden Fall ist nicht das Eigentum als Vollrecht Gegenstand der Betrachtung. Vielmehr geht es um Miteigentum in Form von Wohnungseigentum, und die aus den §§ 14 bis 16 WEG sich ergebenden Beschränkungen der Verfügungsfreiheit der Rechtsträger sowohl im Interesse der Gemeinschaft, als auch in jenem des einzelnen Miteigentümers, die sachlich gerechtfertigt sind. Es besteht daher kein Anlaß zur Einleitung des Gesetzesprüfungsverfahrens in Ansehung der Bestimmungen der §§ 14 bis 16 WEG 1975 zu entsprechen. Die Ausführungen zu dem angeblichen Nichtzustandekommen eines Mehrheitsbeschlusses gehen nicht vom festgestellten Sachverhalt aus. Die Vorinstanzen sind nämlich davon ausgegangen, daß die Antragstellerinnen vor Beschlußfassung vom Inhalt des beabsichtigten Beschlusses verständigt worden sind (vgl. S. 38 dA). Da das Gesetz eine schriftliche Beschlußfassung nicht vorsieht, spielt es keine Rolle, daß die Antragstellerinnen die schriftliche Fassung des Beschlusses nicht unterfertigt haben.

Dem Revisionsrekurs konnte somit kein Erfolg beschieden sein.

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