OGH 3Ob604/89

OGH3Ob604/8910.1.1990

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr.Petrasch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Hule, Dr.Klinger, Dr.Angst und Dr.Schalich als weitere Richter in der Pflegschaftssache des am 13.November 1973 geborenen mj.Martin B*** infolge Revisionsrekurses der Mutter Hildegard B***, Hilfsarbeiterin, Wien 15., Alliogasse 27-33/5/2/10, gegen den Beschluß des Landesgerichtes für ZRS Wien als Rekursgericht vom 7.September 1989, GZ 47 R 516/89-197, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Fünfhaus vom 21.Juni 1989, GZ 3 P 118/82-192, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß wird dahin abgeändert, daß der Antrag des Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien, die Mutter des pflegebefohlenen Kindes zum Ersatz der für Dezember 1988 und Jänner 1989 zu Unrecht gezahlten Unterhaltsvorschüsse von S 4.000 zu verpflichten, abgewiesen wird.

Text

Begründung

Mit Beschluß vom 10.10.1988 entschied das Erstgericht, daß der dem Unterhaltsberechtigten, am 13.11.1973 geborenen Kind zuletzt bis 31.8.1986 gewährte Vorschuß auf den gesetzlichen Unterhalt für die Zeit vom 1.9.1986 bis 31.8.1989 weiter gewährt wird und daß die Vorschüsse an die Mutter des unterhaltsberechtigten Kindes, die dieses pflegt und erzieht, auszuzahlen sind.

Am 9.1.1989 langte beim Erstgericht eine Mitteilung des Bezirksjugendamtes ein, wonach über das unterhaltsberechtigte Kind vom Jugendgerichtshof Wien am 6.12.1988 eine Freiheitsstrafe von neun Wochen verhängt, deren Vollzug jedoch für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde. Weiters wurde darin mitgeteilt, daß das Kind wegen anderer strafbarer Handlungen in Untersuchungshaft bleibe. Eine vom Erstgericht veranlaßte Erhebung ergab, daß sich das Kind seit 23.11.1988 bis auf weiteres in Untersuchungshaft befand. Das Erstgericht stellte hierauf mit dem rechtskräftig gewordenen Beschluß vom 6.2.1989 die Vorschüsse zum 30.11.1988 wegen der Untersuchungshaft des Kindes ein. Mit Beschluß vom 21.6.1989 entschied das Erstgericht auf Antrag des Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien, daß die Mutter des Kindes die für Dezember 1988 und Jänner 1989 bezahlten Vorschüsse von S 4.000 in vier Monatsraten von je S 1.000 zurückzuzahlen habe. Es gab das Ergebnis einer Vernehmung der Kindesmutter wieder, wonach man beim Jugendgerichtshof Wien erklärt habe, dieser werde das Jugendamt von der Haft verständigen. Rechtlich war das Erstgericht der Meinung, daß die Kindesmutter ihre Mitteilungspflicht nach § 21 UVG verletzt habe, weshalb sie gemäß § 22 Abs 1 dieses Gesetzes zum Rückersatz der zu Unrecht bezahlten Vorschüsse verpflichtet sei. Eine Gefährdung des Unterhaltes des Kindes trete durch die Rückersatzpflicht der Mutter nicht ein, weil es sich nach wie vor in Haft befinde.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Kindesmutter nicht Folge. Die Inhaftierung des Kindes stelle einen relevanten Umstand für die Bevorschussung des Unterhaltes dar und sei einer Heimunterbringung im Rahmen der Jugendwohlfahrtspflege oder der Sozialhilfe im Sinn des § 2 Abs 2 Z 2 UVG gleichzuhalten. Die Kindesmutter habe durch die Zustellung des Beschlusses über die Weitergewährung der Unterhaltsvorschüsse Kenntnis von ihrer Verpflichtung zur Mitteilung der für die Unterhaltsbevorschussung relevanten Umstände gehabt.

Rechtliche Beurteilung

Der von der Mutter des Kindes gegen diesen Beschluß des Rekursgerichtes erhobene Revisionsrekurs ist zulässig und berechtigt. Der Beschluß über den Ersatz zu Unrecht gewährter Vorschüsse ist nach den §§ 14 und 16 AußStrG (in der hier noch maßgebenden Fassung vor der WGN 1989) anfechtbar und unterliegt nicht der Anfechtungsbeschränkung des § 15 Abs 2 UVG (SZ 52/69; JBl 1980, 209; SZ 55/24 ua).

Gemäß § 22 Abs 1 UVG hat das Kind Vorschüsse, die auf Grund eines im Rechtsmittelverfahren geänderten oder aufgehobenen Beschlusses oder entgegen einer Herabsetzung oder Einstellung der Vorschüsse zu Unrecht gezahlt worden sind, zurückzuzahlen, soweit sie nicht nach § 19 Abs 1 letzter Halbsatz einbehalten oder für den Unterhalt des Kindes verbraucht worden sind. Soweit die zu Unrecht gewährten Vorschüsse vom Kind nicht hereingebracht werden können, haften nach der zuerst angeführten Bestimmung der gesetzliche Vertreter des Kindes und diejenige Person, in deren Pflege und Erziehung sich das Kind befindet, zur ungeteilten Hand, hilfsweise der Unterhaltsschuldner, jedoch nur derjenige, der die Gewährung der Vorschüsse durch unrichtige Angaben in der Erklärung (§ 11 Abs 2) oder durch Verletzung der Mitteilungspflicht (§ 21) vorsätzlich oder grob fahrlässig veranlaßt hat.

Nach dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes haftet diejenige Person, in deren Pflege und Erziehung sich das Kind befindet, ebenso wie der gesetzliche Vertreter nur subsidiär nach dem Kind. Die Haftung setzt also voraus, daß 1. das Kind zur Rückzahlung verpflichtet ist, also die zu Unrecht gezahlten Vorschüsse weder nach § 19 Abs 1 letzter Halbsatz UVG einbehalten werden können noch für den Unterhalt des Kindes verbraucht worden sind, und daß 2. die zu Unrecht gewährten Vorschüsse vom Kind nicht hereingebracht werden können (SZ 52/69). Die Vorinstanzen haben Feststellungen zu keinem dieser Punkte getroffen und sie auch nicht erörtert. Sie sind anscheindend davon ausgegangen, daß die angeführten Voraussetzungen wegen der Haft des Kindes jedenfalls erfüllt seien. Dies trifft jedoch nicht zu. Entgegen der von der Revisionsrekurswerberin vertretenen Meinung gehören zwar Geschenke, die dem Kind zu besonderen Anlässen wie zu Weihnachten gemacht werden, nicht zum Unterhalt, weshalb der Vorschuß hiedurch nicht für den Unterhalt des Kindes verbraucht worden wäre. Denkbar ist aber, daß diese Voraussetzung zumindest teilweise deshalb erfüllt ist, wenn von den Unterhaltsvorschüssen Kleidungsstücke gekauft werden. Ebensowenig bedeutet die Haft des Kindes notwendigerweise, daß die zu Unrecht bezahlten Vorschüsse von ihm nicht hereingebracht werden können. Dies hängt davon ab, ob das Kind über exekutionsfähiges Vermögen verfügt oder in absehbarer Zeit verfügen, also etwa einer Erwerbstätigkeit nachgehen wird.

Die Entscheidung des Rekursgerichtes steht aber auch noch in einem anderen Punkt mit dem Gesetz offenbar nicht im Einklang. Gemäß § 22 Abs 1 letzter Satz UVG setzt die Verpflichtung der nur subsidiär haftenden Personen zum Ersatz zu Unrecht gewährter Vorschüsse voraus, daß die Gewährung der Vorschüsse durch unrichtige Angaben in der Erklärung (§ 11 Abs 2) oder durch Verletzung der Mitteilungspflicht (§ 21) vorsätzlich oder grob fahrlässig veranlaßt wurde. Die Regelung bezieht sich nicht nur auf den unmittelbar davor genannten Unterhaltsschuldner, sondern auch auf den gesetzlichen Vertreter und die die Pflege und Erziehung des Kindes leistende Person (vgl JBl 1980, 209); dies ergibt sich eindeutig aus dem Hinweis auf § 11 Abs 2 UVG, weil diese Bestimmung nicht den Unterhaltsschuldner betrifft.

Das Rekursgericht hat ebenso wie das Erstgericht entgegen dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes nicht darauf Bedacht genommen, daß die Ersatzpflicht der Revisionsrekurswerberin nur besteht, wenn sie die Mitteilungspflicht vorsätzlich oder grob fahrlässig verletzt hat. Seine Entscheidung ist daher auch in diesem Punkt offenbar gesetzwidrig. Der Oberste Gerichtshof hat schon ausgesprochen (JBl 1980, 209), daß eine grob fahrlässige Verletzung der Mitteilungspflicht nicht angenommen werden könne, wenn die Verhängung der Untersuchungshaft über den Unterhaltsvorschußberechtigten nicht unmittelbar nach deren Verhaftung dem Gericht bekanntgegeben wird, weil diesen Dauer und ihre Relevanz für das Recht auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen zunächst ungewiß sind. Ohne daß erörtert werden muß, ob die wiedergegebene Ansicht in dieser allgemeinen Form aufrechterhalten werden kann, hält sie der erkennende Senat unter den hier gegebenen Umständen für zutreffend. Da die Unterhaltsvorschüsse gemäß § 17 Abs 1 UVG jeweils am Ersten eines jeden Monats im voraus auszuzahlen sind, wäre die Auszahlung für Dezember 1988 überhaupt nicht mehr und jene für Jänner 1989 nur dann zu verhindern gewesen, wenn die Mitteilung über die Untersuchungshaft noch vor Beginn dieses Monats beim Erstgericht eingelangt wäre. Für den kurzen Zeitraum, in dem die Verletzung der Meldepflicht durch die Revisionsrekurswerberin für die Auszahlung der zurückgeforderten Vorschüsse ursächlich war, kann ihr nach den Verfahrensergebnissen weder Vorsatz noch grobe Fahrlässigkeit zur Last gelegt werden. Da andere Umstände nicht aktenkundig sind, liegt die Voraussetzung für die Ersatzpflicht der Revisionsrekurswerberin schon aus diesem Grund nicht vor, und der Antrag des Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien ist schon deshalb abzuweisen, ohne daß erörtert werden muß, ob die Untersuchungshaft einen Grund für die Einstellung der Vorschüsse bildete, und ohne daß Feststellungen über die oben behandelte Frage, ob die zu Unrecht gewährten Vorschüsse für den Unterhalt des Kindes verbraucht wurden und von diesem hereingebracht werden können, hier notwendig sind.

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