OGH 2Ob141/89

OGH2Ob141/8919.12.1989

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Melber und Dr. Kropfitsch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Kurt S***, Pensionist, 1120 Wien, Siebert-Gasse 46/5, vertreten durch Dr. Rudolf Tobler, Rechtsanwalt in Neusiedl am See, wider die beklagte Partei V*** DER Ö***

B***, Versicherungs-Aktiengesellschaft, 1020 Wien,

Praterstraße 7-9, vertreten durch Dr. Manfred Lampelmayer, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 2,304.508,72 s.A, Leistung einer Rente (Streitwert S 324.000,--) sowie Feststellung (S 300.000,--), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Zwischenurteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 24.Mai 1989, GZ 17 R 88/89-45, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 3.Dezember 1988, GZ 23 Cg 710/88-40, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens bleibt der Endentscheidung vorbehalten.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 8.Jänner 1983 gegen 16,30 Uhr ereignete sich auf der Bundesstraße 10 zwischen Parndorf und Bruckneudorf ein Verkehrsunfall, an dem der Kläger als Halter und Lenker des PKWs VW Golf, polizeiliches Kennzeichen W 656.695, sowie Elisabeth H*** als Lenkerin und Halterin des bei der Beklagten haftpflichtversicherten PKWs Ford Escort, polizeiliches Kennzeichen N 144.022, beteiligt waren.

Der Kläger nimmt die Beklagte mit der Behauptung in Anspruch, die Versicherungsnehmerin sei aus ihrem Verschulden unvermutet nach links über die Fahrbahnmitte gekommen und mit dem PKW des Klägers zusammengestoßen. Der Kläger macht eine Vielzahl von Schadenersatzansprüchen geltend, insbesonders aus dem Titel Schmerzengeld, Verhinderung des besseren Fortkommens, Pflegekosten und Verdienstentgang, Schmerzengeldansprüche seiner Ehegattin, die durch Erbfolge auf ihn übergegangen seien, Begräbniskosten und kleinere Sachschäden von zusammen S 2,384.508,72. Des weiteren begehrt er eine Rente von monatlich S 9.000,-- ab 1.April 1986 und stellt ein Feststellungsbegehren.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete ein, ihre Versicherungsnehmerin treffe kein Verschulden, Unfallsursache sei ein Reifenplatzer gewesen, sodaß seitens des Klägers lediglich eine Haftung nach dem EKHG geltend gemacht werden könne. Die Ansprüche würden auch der Höhe nach bestritten, die Leistungen der Sozialversicherung an den Kläger seien nicht ausreichend berücksichtigt worden, darüberhinaus lasse sich derzeit nicht beurteilen, ob alle Ansprüche in der Haftungssumme Deckung fänden.

Mit der als "Zwischenurteil" bezeichneten Entscheidung sprach das Erstgericht aus:

"Die beklagte Partei haftet dem Kläger für sämtliche Ansprüche aus dem Unfall am 1.4.1986 auf der Bundesstraße 10 zwischen Parndorf und Bruckneudorf als Haftpflichtversicherer des PKWs mit dem Kennzeichen N 144.022 nach den Bestimmungen des EKHG. Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten". Das Erstgericht legte seiner Entscheidung zusammengefaßt folgende für das Revisionsverfahren noch wesentliche Feststellungen zugrunde:

Elisabeth H*** hielt mit ihrem PKW eine Geschwindigkeit von ca 95 km/h ein. Ihr entgegen kam als erstes Fahrzeug ein PKW Renault 2011, W 474.823, gelenkt von Ing. Herbert P***, welcher eine Geschwindigkeit von 90 km/h einhielt. Hinter diesem fuhr der Kläger. Bei Straßenkilometer 38,9 geriet Elisabeth H*** aus zunächst unbekannter Ursache über die Fahrbahnmitte, streifte auf der linken Fahrbahnhälfte zunächst an der linken Seitenwand des Renault entlang und stieß in der Folge frontal gegen den PKW des Klägers. Sowohl der Kläger als auch Ing. P*** hatten versucht, durch Rechtslenken die Kollision zu vermeiden. Bei dem Unfall wurde Gertrude S***, die Gattin des Klägers so schwer verletzt, daß sie am 14.Jänner 1983 verstarb, der Kläger und Elisabeth H*** wurden ebenfalls schwer verletzt. Im Zuge des Primäranstoßes (an den PKW Renault) kam es zu einem Kontakt zwischen dem linken Vorderrad des PKWs Escort und dem linken Hinterrad des Renault. Der PKW Escort war mit M + S-Reifen mit Spikes ausgerüstet. Der linke Vorderreifen des PKWs Escort wies einen älteren, bereits vor dem Unfall eingetretenen Quetschbruch im linken Seitenwandmittel auf, der etwa 20 mm lang geradlinig verlief und bis in das Reifeninnere hineinreichte. Ursache für einen solchen Bruch kann das Entlang- oder Überfahren einer Randsteinkante sein, Frostaufbrüche, Schlaglöcher oder Eisaufbrüche. Dieser alte Quetschbruch war für einen durchschnittlich versierten Kraftfahrer auch bei der ihm nach dem Gesetz obliegenden Überprüfung des Fahrzeuges vor der Inbetriebnahme nicht erkennbar.

Beim Aufprall des linken Vorderrades des Escort auf den Renault war der Reifen fast bis in die Wulstzone hinunter zusammengedrückt worden, was nur dann möglich war, wenn der Reifen zu diesem Zeitpunkt fast oder ganz entlüftet gewesen war. Die Geschwindigkeit beider Fahrzeuge im Kollisionsmoment war etwa gleich. Der PKW Escort zeichnete Spuren ab, aus denen sich ergibt, daß seine Lenkerin Elisabeth H*** 1,7 sec bzw 15,4 m vor der Kollision mit dem Kläger eine Reaktionshandlung setzte. Ursache für das plötzliche Nachlinksabkommen des Escort war das Platzen des linken Vorderreifens. Der Zeitpunkt dieses Reifenplatzers ist mit 1 - 2 sec vor dem Kontakt mit dem Renault anzunehmen, eine genauere rechnerische Feststellung ist nicht möglich. Die Erkennbarkeit des Linkszuges für Elisabeth H*** war unter der Annahme, daß der Reifenplatzer zwei Sekunden vor dem Primärkontakt erfolgte, ca 1 sec vor diesem Kontakt gegeben, da ihr eine gewisse Schockzeit zuzubilligen ist. Durch den Primärkontakt mit dem Renault wurde der Escort unkontrolliert. Eine wirksame Abwehrhandlung für Elisabeth H*** war nicht möglich. Für ein Abweichen von der Fahrspur genügt bereits ein geringfügiger Reibungsunterschied zwischen dem vollbelüfteten und dem teilweise entlüfteten Reifen in der Größenordnung von 0,5 bis 1,5 m/sec2, da bereits dadurch eine einseitige Verzögerung des Fahrzeuges erfolgt.

Feststellungen darüber, wie der Unfall abgelaufen wäre, wenn Elisabeth H*** mit der, im Hinblick auf die von ihr benützten Spikereifen erlaubten Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h gefahren wäre, konnten nicht getroffen werden, weil theoretisch alle Varianten in Frage kommen, und zwar sowohl, daß es zu einer Kollision überhaupt nicht gekommen wäre, als auch, daß eine solche mit leichteren oder mit schweren Folgen als diese tatsächlich auftraten, zustande gekommen wäre. Es kann insbesondere nicht die Fahrlinie des Escort bei einer Geschwindigkeit von 80 km/h festgestellt werden, da wie oben ausgeführt auch die Dauer der Entlüftung des Reifens vor der Kollision nicht feststellbar ist. Auch ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Platzen der Innengummiplatte des Reifens im Bereich des alten Kordbruches und der Geschwindigkeit von 95 km/h konnte nicht festgestellt werden, da derartige Schäden auch bei Geschwindigkeiten unter 50 km/h auftreten und von einer Vielzahl von Faktoren, denen der Reifen im Fahrbetrieb ausgesetzt war, abhängig sind.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahin, daß Ursache für das Nachlinkskommen des PKWs Escort ein auf einen alten Anprall zurückzuführender Quetschbruch am linken Vorderrad war. Dieser Vordefekt sei für Elisabeth H*** nicht erkennbar gewesen, es sei ihr eine verlängerte Reaktionszeit (Schreckzeit) zuzubilligen, sodaß ihr eine wirksame Abwehrhandlung nicht mehr möglich war. Da auch kein Kausalzusammenhang zwischen der Einhaltung der Geschwindigkeit von 95 km/h und dem Platzen des Reifens gegeben sei, sei ihr die Geschwindigkeitsüberschreitung nicht anzurechnen. Eine Verschuldenshaftung sei daher zu verneinen, es hafte die Beklagte lediglich im Rahmen des EKHG.

Infolge Berufung des Klägers änderte das Gericht zweiter Instanz das Urteil des Erstgerichtes dahin ab, daß es als Zwischenurteil zu lauten habe:

"Der Anspruch der klagenden Partei aus dem Verkehrsunfall vom 8. 1. 1983 auf der Bundesstraße 10 zwischen Parndorf und Bruckneudorf gegen die beklagte Partei als Haftpflichtversicherer des PKWs mit dem polizeilichen Kennzeichen N 144.022 besteht - im Rahmen der zur Unfallszeit vereinbarten Haftpflichthöchstsumme - dem Grunde nach zu Recht." Das Berufungsgericht sprach aus, daß der Streitgegenstand, über den es entschieden hat, S 300.000,-- übersteigt, und führte aus, daß das Erstgericht ein Zwischenurteil gefällt habe, wie sich nicht nur aus der Wahl der Bezeichnung, sondern auch aus der Einschränkung des Verfahrens auf den Grund des Anspruches in der Tagsatzung vom 11.Mai 1988 ergebe. Es wäre daher Aufgabe des Erstgerichtes gewesen, auszusprechen, daß das Klagebegehren dem Grunde nach berechtigt sei, ohne daß eine rechtliche Qualifikation des Haftungsgrundes in den Spruch aufzunehmen war, nicht jedoch eine Art Feststellungsbegehren zu formulieren, wonach die Haftung der Beklagten für sämtliche Ansprüche aus dem genannten Unfall gegeben sei, da dem Zwischenurteil keine über den vorliegenden Rechtsstreit hinausreichende materielle Rechtskraftwirkung zukommen könne. Das Datum des Unfalles, sowohl im Ersturteil als auch in der Berufung mit 1.April 1986 angegeben, sei als offenbarer Irrtum richtigzustellen gewesen.

Die Beschränkung der Haftung der Beklagten auf die Bestimmungen des EKHG erweise sich jedoch auch materiell als nicht gerechtfertigt, sodaß sie auch aus diesem Grunde aus dem Urteilsspruch auszuscheiden gewesen sei; das Berufungsgericht erachtete das erstgerichtliche Verfahren als mängelfrei und übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes als unbedenklich, gelangte jedoch zu einer abweichenden rechtlichen Beurteilung; die Versicherungsnehmerin der Beklagten habe zweifach gegen Schutznormen im Sinne des § 1311 ABGB verstoßen. Sie sei entgegen der Bestimmung des § 7 StVO trotz Gegenverkehrs auf die linke Fahrbahnhälfte gekommen, dieser Verstoß sei auch unfallskausal gewesen. Es sei ihr jedoch der ihr obliegende Beweis der Schuldlosigkeit gelungen, da nach den Feststellungen des Erstgerichtes ein ihr nicht als Verschulden zuzurechnender Reifenplatzer dazu führte, daß sie ihr Fahrzeug nicht auf der rechten Fahrbahnhälfte halten konnte, sodaß ein Verschulden zu verneinen sei.

Sie habe jedoch weiters gegen § 58 Abs 1 Z 1 lit c KDV 1967 verstoßen, wonach sie mit ihrem mit Spikesreifen ausgerüsteten Fahrzeug mit höchstens 80 km/h fahren durfte. Daß die Überschreitung dieser Höchstgeschwindigkeit durch Einhaltung von 95 km/h schuldhaft erfolgte, bedürfe keiner Erörterung. Zu prüfen sei jedoch die Reichweite dieser Schutznorm. Dabei sei vom Zweck der Norm auszugehen und diese teleologisch zu interpretieren, um herauszufinden, ob die jeweilige Vorschrift, die übertreten wurde, den im konkreten Fall eingetretenen Schaden verhüten wollte. Hiebei sei weder auf das innere Vorhaben der Behörde noch auf das Motiv des Gesetzgebers allein abzustellen. Es könne daher dahingestellt bleiben, ob eines der Motive des Gesetzgebers, für Fahrzeuge mit Spikesreifen Geschwindigkeitsbeschränkungen einzuführen, auch darin gelegen war, eine unverhältnismäßig große Abnützung des Straßenbelages zu verhindern. Unbestritten sei nämlich, daß durch die Verwendung von Spikesreifen wohl auf winterlich glatter Fahrbahn der Bremsweg wesentlich verkürzt wird, daß er sich jedoch auf trockener nicht unbeträchtlich verlängere. Der Oberste Gerichtshof habe in ständiger Rechtsprechung ausgeführt, daß die Bestimmungen des § 58 KDV über die zulässigen Höchstgeschwindigkeiten abstrakte Gefährdungsverbote seien, welche den Zweck hätten, alle Gefahren im Straßenverkehr zu vermeiden, die eine überhöhte Geschwindigkeit mit sich bringe. Da Spikesreifen einen geringeren Reibwert hätten und daher sowohl bei der Seitenführungskraft als auch bei der Verzögerung geringe Werte erbringen, seien die vorliegenden Unfallsfolgen (insbesonders auch im Hinblick auf die vom rechten Räderpaar abgezeichnete Spur von 15,4 m) vom Schutzzweck der Norm des § 58 KDV umfaßt. Bei schuldhafter Verletzung einer Schutznorm könne der Schädiger noch den Beweis antreten, daß auch bei Einhaltung der Schutznorm der Schaden in gleicher Weise eigetreten wäre. Die Rechtsprechung gehe von einer Beweislastumkehr aus, dh sie laste dem Schädiger den positiven Nachweis seiner Behauptung auf, wobei alle Unklarheiten zu seinen Lasten gingen. Das Erstgericht habe nun unbekämpft und in Übereinstimmung mit den Beweisergebnissen festgestellt, daß der hypothetische Unfallsablauf bei Einhaltung von lediglich 80 km/h durch die Versicherungsnehmerin der Beklagten nicht rekonstruiert werden könne, es kämen sowohl schwerere als auch leichtere Folgen in Frage, allenfalls sogar die gänzliche Vermeidung der Kollision. Gerade diese Unklarheiten gingen jedoch zu Lasten der Beklagten, da grundsätzlich davon auszugehen sei, daß eine um 15 km/h geringere Geschwindigkeit auch zu geringeren Unfallsfolgen geführt hätte und der Gegenbeweis nicht gelungen sei. Die Haftung der Beklagten resultiere daher nicht nur aus den Bestimmungen des EKHG, sondern auch aus dem Verschulden der Lenkerin, ein Mitverschulden des Klägers sei weder eingewendet worden noch ergebe es sich aus dem Beweisverfahren, sodaß mit Zwischenurteil auszusprechen gewesen sei, daß die Ansprüche des Klägers dem Grunde nach zu Recht bestünden.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes wendet sich die Revision der Beklagten aus den Anfechtungsgründen nach § 503 Z 2, 3 und 4 ZPO mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne der Feststellung, "daß die Ansprüche der klagenden Partei aus dem Unfall vom 8.Jänner 1983 auf der Bundesstraße 10 zwischen Parndorf und Bruckneudorf der beklagten Partei gegenüber als Haftpflichtversicherer des PKWs mit dem Kennzeichen N 144.022 lediglich im Rahmen der Haftungsbeschränkungen nach den Bestimmungen des EKHG zu Recht bestehen"; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Die Revisionsgründe nach § 503 Z 2 und 3 ZPO liegen nicht vor, was nicht näher zu begründen ist (§ 510 Abs 3 ZPO). In der Rechtsrüge führt die Beklagte aus, im vorliegenden Fall sei zu untersuchen, welche Gründe für den Gesetzgeber ausschlaggebend waren, die Höchstgeschwindigkeiten für Fahrzeuge mit Spikesreifen mit 80 km/h bzw 100 km/h festzusetzen. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes sei die Geschwindigkeitsbegrenzung für mit Spikes ausgestattete Fahrzeuge nicht deshalb erlassen worden, um Gefahren hintanzuhalten, die bei Überschreitung einer Geschwindigkeit von 80 km/h bzw 100 km/h eintreten können. Das Berufungsgericht übersehe im Rahmen seiner Argumentation, daß die mögliche Bremswegverlängerung auf trockener Fahrbahn nicht erst bei 80 km/h oder einer höheren Geschwindigkeit eintrete, sondern in jedem Geschwindigkeitsbereich gegeben sei. Weiters treffe es auch nicht zu, daß die Spikesreifen eine geringere Seitenführungskraft aufzuweisen hätten; die bestehenden Geschwindigkeitsbeschränkungen fänden daher ihre Begründung nicht in der Eigenart der mit Spikesreifen versehenen Kraftfahrzeuge, sondern ausschließlich in der Vermeidung von möglichen Beschädigungen der nicht spikesresistenten Fahrbahndecken. Die Geschwindigkeitsbeschränkungen für Spikesreifen seien somit nur deshalb eingeführt worden, um die bei größerer Geschwindigkeit unverhältnismäßig große Straßenabnützung zu vermeiden, so auch die durch Spikes bewirkten Spurrillenbildungen mit der daraus resultierenden Aquaplaninggefahr. Die für Spikesreifen verordnete Geschwindigkeitsbegrenzung sei ebenso nicht dafür erlassen worden, um im Falle eines Reifenplatzers ein Abkommen aus der ursprünglichen Fahrlinie zu verhindern. Es sei somit im vorliegenden Fall auch keinerlei Rechtswidrigkeitszusammenhang gegeben. Soweit das Berufungsgericht einen schuldhaften Verstoß gegen § 58 Abs 1 Z 1 lit c KDV 1967 als gegeben annehme, sei es einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung unterlegen. Bei richtiger rechtlicher Beurteilung hätte auch das Berufungsgericht zu der Überzeugung gelangen müssen, daß im vorliegenden Fall keine Verschuldenshaftung gegeben und die Leistungsverpflichtung der Beklagten mit den Bestimmungen des EKHG begrenzt sei. Schließlich habe das Berufungsgericht auch die für eine richtige rechtliche Beurteilung der Streitsache notwendige Feststellung unterlassen, daß der mit einer Geschwindigkeit von 95 km/h eingetretene Unfall auch bei Einhaltung der "gesetzlich noch zulässigen Geschwindigkeit von 88 km/h" eingetreten wäre. Diese Feststellung wäre notwendig gewesen, um die richtige rechtliche Beurteilung zu treffen, daß der der Beklagten obliegende Gegenbeweis als gelungen angesehen werden müsse, in welchem Fall die Leistungsverpflichtung ebenfalls durch die Bestimmungen des EKHG begrenzt sei.

Diesen Ausführungen kann nicht gefolgt werden.

Gemäß § 58 Abs 1 KDV dürfen beim Verwenden von Kraftfahrzeugen auf Straßen mit öffentlichem Verkehr folgende Geschwindigkeiten nicht überschritten werden:

1. Im Hinblick auf das Fahrzeug ....

...c) Mit Kraftfahrzeugen und Anhängern, die mit Spikesreifen

versehen sind, ... 80 km/h

Auf Autobahnen ... 100 km/h.

Schutzgesetze im Sinne des § 1311 ABGB sind abstrakte Gefährdungsverbote, die dazu bestimmt sind, die Mitglieder eines Personenkreises gegen die Verletzung von Rechtsgütern zu schützen (vgl Brunner, Die Zurechnung der Schadenersatzpflicht bei Verletzung eines "Schutzgesetzes" gemäß § 1311 ABGB, ÖJZ 1972, 116; Müller, Straßenverkehrsrecht22, Bd I, 450; Soergel-Siebert, FN 334 zu § 823 Abs 2 BGB). Nach herrschender Lehre und Rechtsprechung haftet jemand, der ein Schutzgesetz übertritt, nur für jene Schäden, die die Schutznorm verhüten wollte (vgl Brunner, aaO 117; Wolff in Klang VI 83; Gschnitzer, Schuldrecht, Besonderer Teil und Schadenersatz 172; ZVR 1976/64; ZVR 1972/64; ZVR 1966/244 ua). Der Schutzzweck der Norm ergibt sich aus ihrem Inhalt. Das Gericht hat das anzuwendende Schutzgesetz teleologisch zu interpretieren, um herauszufinden, ob die jeweilige Vorschrift, die übertreten wurde, den im konkreten Fall eingetretenen Schaden verhüten wollte (8 Ob 192/83 = RdW 1985/340 ua).

Der Oberste Gerichtshof hat bereits mehrfach zur Bestimmung des § 58 Abs 2 KDV ausgesprochen, daß der Zweck der Normen über die Bauartgeschwindigkeit darin liegt, Gefahren im Straßenverkehr zu verhindern, die eine erhöhte Geschwindigkeit mit sich bringt (vgl ZVR 1984/15, ZVR 1982/12, ZVR 1981/116 ua). Zur Bestimmung des § 58 Abs 1 Z 2 lit e KDV hat der Oberste Gerichtshof in der nichtveröffentlichten E. 8 Ob 123/75 dargelegt, daß die dort vorgesehene Festsetzung der Höchstgeschwindigkeit für Kraftwagenzüge auf die Vermeidung aller Gefahren abzielt, die sich aus der mit Rücksicht auf die Art solcher Fahrzeuge erhöhten Betriebsgefahr bei Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit ergeben. Der erkennende Senat ist daher gleich dem Berufungsgericht der Auffassung, daß auch die Bestimmung des § 58 Abs 1 Z 1 lit c KDV - gleich den Bestimmungen der lit a und b des Abs 1 Z 1 - Schutznormen im Sinn des § 1311 ABGB darstellen, deren Normzweck in der Verhinderung aller Gefahren im Straßenverkehr besteht, die eine erhöhte Geschwindigkeit mit sich bringt, zumal durch Verwendung von Spikesreifen auf winterlich glatter Fahrbahn wohl der Bremsweg wesentlich verkürzt, während er aber auf trockener Fahrbahn - die laut Strafakt im vorliegenden Fall im Unfallszeitpunkt vorlag - nicht unbedenklich verlängert wird (vgl Messiner in ZVR 1985, S 362, Anm 3). Entgegen der Auffassung der Revision hat daher das Berufungsgericht ohne Rechtsirrtum den Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen der Überschreitung der gemäß § 58 Abs 1 Z 1 lit c KDV zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h durch die Versicherungsnehmerin der Beklagten und dem dem Kläger entstandenen Unfallsschaden bejaht.

Die Versicherungsnehmerin der Beklagten hat die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h um 15 km/h, das sind beinahe 20 %, überschritten. Zutreffend hat das Berufungsgericht daher ein Verschulden der Versicherungsnehmerin der Beklagten bei Übertretung der Schutznorm angenommen. Es entspricht ständiger Rechtsprechung, daß der Schädiger, der eine Schutznorm im Sinn des § 1311 ABGB übertreten hat, für die eingetretenen Unfallsfolgen zu haften hat, es sei denn, er könnte beweisen, daß sich der Unfall auch bei rechtmäßigem Verhalten in gleicher Weise und mit gleich schweren Folgen ereignet hätte (vgl ZVR 1987/93 ua). Unklarheiten in dieser Richtung gehen zu Lasten des Schädigers (vgl ZVR 1983/35 ua). Nach den vom Berufungsgericht übernommenen Feststellungen des Erstgerichtes konnte aber der hypothetische Unfallablauf bei Einhaltung einer Geschwindigkeit von nur 80 km/h durch die Versicherungsnehmerin der Beklagten nicht rekonstruiert werden, weil theoretisch alle Varianten in Frage gekommen wären, nämlich, daß es überhaupt zu keiner Kollision gekommen wäre, als auch, daß eine solche mit leichteren oder mit schwereren Folgen erfolgt wäre; insbesondere konnte die Fahrlinie des bei der Beklagten haftpflichtversicherten PKWs bei Einhaltung einer Geschwindigkeit von 80 km/h nicht festgestellt werden. Damit ist aber der Beklagten der Beweis, daß sich der Unfall auch bei Einhaltung einer Geschwindigkeit von 80 km/h durch ihre Versicherungsnehmerin in gleicher Weise und mit gleich schweren Folgen ereignet hätte, nicht gelungen. In der Auffassung des Berufungsgerichtes, daß die Beklagte damit auch auf Grund des Verschuldens ihrer Versicherungsnehmerin zu haften hat, kann daher keine unrichtige rechtliche Beurteilung erblickt werden.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 52 Abs 2, 393 Abs 4 ZPO.

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