OGH 10ObS342/89

OGH10ObS342/8919.12.1989

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Kellner als weitere Richter sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr. Robert Prohaska (Arbeitgeber) und Walter Benesch (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Waltraud J***, Ernst-Ludwiggasse 1/11, 1100 Wien, vertreten durch Dr. Johannes Reich-Rohrwig, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei P*** DER A***, Friedrich

Hillegeist-Straße 1, 1021 Wien, vertreten durch Dr. Alfred Kasamas, Rechtsanwalt in Wien, wegen Berufsunfähigkeitspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 26. Juni 1989, GZ 32 Rs 91/89-43, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 11. November 1988, GZ 12 Cgs 8/88-33, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Das Erstgericht wies das Begehren der Klägerin auf Zuerkennung einer Berufsunfähigkeitspension in gesetzlicher Höhe (offenbar ab 1. Juni 1987) ab. Es stellte im wesentlichen fest, daß die am 17.Juni 1941 geborene Klägerin keinen Beruf erlernt hat. Ab dem Eintritt ins Berufsleben im Jahre 1955 war sie bis 1975 in verschiedenen Branchen als Hilfsarbeiterin, Heimarbeiterin und Hausbesorgerin beschäftigt. Von 1975 bis 1977 war sie Angestellte in einer Wäscherei, von 1977 bis 1982 selbständig erwerbstätig. Dabei führte sie den "Paulaner Hemdendienst" auf Grund einer eigenen Gewerbeberechtigung. Vom 1. April 1982 bis 30.Juni 1985 war die Klägerin als Leiterin einer Filiale der Kleiderreinigung Phöbus beschäftigt, wo sie allerdings eine reine Ladnertätigkeit zu verrichten hatte. Wegen ihrer immer häufiger auftretenden Stimmlosigkeit wurde sie dort nicht mehr weiterbeschäftigt und ist seit 30.Juni 1985 nicht mehr erwerbstätig. Die Klägerin ist noch zu leichten, nur zum Teil mittelschweren Arbeiten im Sitzen, zu einem Drittel im Gehen und Stehen in der normalen Arbeitszeit mit den üblichen Pausen geeignet. Arbeiten im Bücken und über Kopf scheiden aus. Der Weg zur Arbeit ist unter städtischen Bedingungen möglich. Die Fingerbeweglichkeit ist erhalten. Eine Umstellung kommt im Sinne einer Anlernung und Unterweisung in Frage. Es sind nur Arbeiten möglich, bei denen ein Gehör für die Umgangssprache von 10 m genügt und nicht viel und übermäßig laut gesprochen werden muß.

Die Klägerin kann als Büroangestellte in diversen Betrieben eingesetzt werden, wo Abrechnungsarbeiten vorgenommen und Schriftverkehr erledigt wird, Posteingangs- und Postausgangsbücher sowie Lagerlisten geführt werden, Materialwünsche bei den Mitarbeitern eines Betriebes eingeholt, diverse Verwaltungs- und Aktenhaltungsarbeiten durchgeführt werden. Ebenso kann Telefondienst verrichtet werden. Der Klägerin ist auch die Tätigkeit einer Lagerangestellten möglich, die z.B. für die Ausfertigung von Bestellisten zur Führung einer Lagerkartei, Sortier- und Beschriftungsarbeiten und Verpackungsarbeiten herangezogen wird. Es handelt sich dabei um leichte Arbeiten, die vorwiegend bis dauernd im Sitzen durchgeführt werden können und auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in ausreichender Zahl vorkommen.

Rechtlich führte das Erstgericht aus, die Voraussetzungen des § 273 Abs 1 ASVG seien nicht gegeben, weil der Klägerin Arbeiten zumutbar seien, die den bisher ausgeübten ähnlich seien und ihren Fähigkeiten entsprächen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin keine Folge. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und billigte auch dessen rechtliche Beurteilung. Es komme nicht darauf an, ob ein Versicherter als Arbeiter oder Angestellter eingeordnet gewesen sei, sondern ob er Arbeiter- oder Angestelltentätigkeitien verrichtet habe. Es sei zweifelhaft, ob die Klägerin als Ladnerin überhaupt Angestelltentätigkeiten ausgeübt habe. Da die Klägerin aber noch in der Lage sei, einfache Büroarbeiten zu verrichten, sei für sie selbst dann nichts gewonnen, wenn man ihre letzte Tätigkeit auch inhaltlich als Angestelltentätigkeit ansehe. Von einem sozialen Abstieg könne keine Rede sein. Stufe man die letzte Tätigkeit der Klägerin aber als Arbeitertätigkeit ein, so seien auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt - gerichtsbekannt - leichte Frauentätigkeiten im Sitzen in ausreichender Zahl vorhanden.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Klägerin ist nicht berechtigt.

Bei der Beurteilung der Berufsunfähigkeit nach § 273 Abs 1 ASVG wird das Verweisungsfeld durch den Beruf bestimmt, den der Versicherte zuletzt ausgeübt hat (SSV-NF 2/73). Dabei kommt es, wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, nicht darauf an, ob ein Versicherter als Arbeiter oder als Angestellter eingeordnet war, sondern ob er Arbeiter- oder Angestelltentätigkeiten verrichtet hat (SSV-NF 2/71).

Nach den Feststellungen war die Klägerin zuletzt "Leiterin einer Filiale der Kleiderreinigung Phöbus", die Revisionswerberin läßt in ihren Ausführungen aber außer Betracht, daß sie tatsächlich nur reine Ladnerinnentätigkeit zu verrichten hatte. Selbst wenn man der Klägerin damit eine Angestelltentätigkeit zubilligen wollte, käme eine Einstufung in Beschäftigungsgruppe 4 des Kollektivvertrages der Handelsangestellten in keiner Weise in Betracht, sondern nur eine solche in Beschäftigungsgruppe 2 - Angestellte, die einfache Tätigkeiten ausführen. (Nach der im Akt erliegenden Auskunft des Dienstgebers war die Klägerin auch tatsächlich in dieser Beschäftigungsgruppe eingestuft.) Gerade solche einfachen Angesteltentätigkeiten, wenn auch wegen des damit verbundenen überwiegenden Stehens und Gehens nicht im Verkauf, sondern im Büro und Rechnungswesen kann die Klägerin noch ausführen. Ein sozialer Abstieg ist mit diesen Tätigkeiten in keiner Weise verbunden, denn wenn der Versicherte nur mit Angestelltentätigkeiten betraut war, die keine Ansprüche an eine besondere Qualifikation stellten und mit denen auch keine besondere Verantwortung verbunden war, ist eine Verweisung im Rahmen des medizinischen Leistungskalküls auch auf sehr einfache Angestelltentätigkeiten mit vorwiegend manipulativen Beschäftigungen zulässig (SSV-NF 2/60). Die Zumutbarkeit der Verweisung muß daher uneingeschränkt bejaht werden. Wenn die Klägerin meint, es hätten Feststellungen "über ihr bisheriges Einkommen als Filialleiterin und eine Gegenüberstellung mit dem erzielbaren Einkommen in den festgestellten Verweisungsberufen" getroffen werden müssen, so übersieht sie, daß als berufsunfähig nur der Versicherte gilt, der infolge seines körperlichen und geistigen Zutandes auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich und geistig gesunden Versicherten von ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken ist. Der Vergleich ist daher nicht zwischen dem tatsächlich erzielten, allenfalls über dem Kollektivvertrag liegenden Einkommen und dem Einkommen im zumutbaren Verweisungsberuf anzustellen, es kommt vielmehr darauf an, ob der Versicherte wegen seiner Leidenszustände im Vergleich zu geistig und körperlich Gesunden von ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten weniger als die Lohnhälfte erzielen kann. "Gesund" im Sinne der §§ 255 Abs 1 und 273 Abs 1 ASVG ist ein Versicherter, der zumindest noch über die Arbeitskraft verfügt, die erforderlich ist, um die jeweils in Betracht kommenden Berufe auszuüben (SSV-NF 1/37 ua). Ist ein Versicherter aber in der Lage, eine Verweisungstätigkeit ohne jede Einschränkung inhaltlicher oder zeitlicher Art auszuüben - und dies steht hier fest - so ist davon auszugehen, daß er in der Lage ist, ein Einkommen in der Höhe des kollektivvertraglichen Lohnes oder Gehaltes zu erzielen (SSV-NF 1/11, 1/54 ua). Da die Klägerin aber, wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat (§ 48 ASGG), auch im Bereich von Arbeitertätigkeiten auf alle leichten Frauenarbeiten im Sitzen verwiesen werden kann, erübrigen sich weitere Erörterungen, ob die von der Klägerin ausgeführte Tätigkeit einer Ladnerin in einer Kleiderreinigung den Arbeitern oder Angestellten zuzuordnen ist.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Der Ausspruch über die Revisionskosten beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

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