OGH 10ObS332/89

OGH10ObS332/895.12.1989

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden, die Hofräte Mag. Engelmaier und Dr. Angst als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Dkfm. Reinhard Keibl (AG) und Gerald Kopecky (AN) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Hermann F***, Angestellter, 9064 Pischeldorf, Linsenberg 19, vertreten durch Dr. Georg Grießer, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei A*** U***, 1200 Wien, Adalbert

Stifter-Straße 65, vertreten durch Dr. Adolf Fiebich, Dr. Vera Kremslehner und Dr. Josef Milchram, Rechtsanwälte in Wien, wegen Leistungen nach § 173 ASVG infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 29.Juni 1989, GZ 8 Rs 72/89-10, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 14.März 1989, GZ 35 Cgs 12/89-5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben.

Die Sozialrechtssache wird zur Verhandlung und Entscheidung an

das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Klägers im Berufungs- und Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Mit Bescheid vom 3.Jänner 1989 lehnte die beklagte Partei den Anspruch des Klägers auf Leistungen gemäß § 173 ASVG aus Anlaß des Unfalles vom 24.November 1987 mit der Begründung ab, daß kein Arbeitsunfall nach den §§ 175 und 176 ASVG vorliege. Der Unfall habe sich in keinem örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit der die Versicherung begründenden Beschäftigung als Angestellter der S*** K***, sondern bei der Schneeräumung im Wohnsitzbereich und damit bei einer Tätigkeit im privaten Interesse ereignet.

Die dagegen rechtzeitig erhobene Klage stützte sich darauf, daß die Schneeräumung unbedingt notwendig gewesen sei, um mit dem PKW zur Arbeit zu gelangen. Weil der Kläger seine Wohnstätte (vor dem Unfall) bereits verlassen gehabt habe, liege ein Arbeitsunfall vor. Das Klagebegehren richtet sich auf die Leistungen gemäß § 173 ASVG, darunter auf eine Versehrtenrente von mindestens 30 vH der Vollrente, ab 24.November 1987 im gesetzlichen Ausmaß. Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage. Der Unfall habe sich bei Schneeräumungsarbeiten auf einem Privatgrundstück und daher bei einer nicht unter Versicherungsschutz stehenden Vorbereitungshandlung für den Arbeitstag ereignet. Das Erstgericht wies die Klage ab. Dabei ging es von folgendem Sachverhalt aus:

Der Kläger wohnt im 1.Stock des Hauses Linsenberg 19. Dieses gehört seiner Mutter, die im Parterre einen eigenen Haushalt führt. Die nächste Bushaltestelle ist 2 bis 2,5 km entfernt in Wutschein. Von dort kann der Kläger nur in der Früh zur Arbeit nach Klagenfurt fahren. Würde er am Nachmittag mit dem Autobus nach Hause fahren, müßte er in Pischeldorf aussteigen und etwa 3,5 bis 4 km gehen. Die Busfahrt dauert etwa 20 bis 25 Minuten. Der Kläger fährt täglich mit dem PKW in das Verkaufsgeschäft der S*** K*** in Klagenfurt, St. Veiter Straße 31, wo er als stellvertretender Leiter beschäftigt ist. In der Nacht vom 23. zum 24.November 1987 hatte es stark geschneit, so daß am Morgen, an dem es weiter schneite, (in Linsenberg) etwa 15 bis 20 cm relativ nasser und schwerer Schnee lag. Der Kläger stand um 5,00 Uhr auf auf und schaufelte zunächst händisch einen Weg vom Haus zur Garage, in der sein PKW stand, frei. Nachdem er gefrühstückt und sich für die Fahrt zur Arbeit fertig angekleidet hatte, wollte er mit dem PKW aus der Garage wegfahren. Weil das wegen des Schnees nicht möglich war, holte er die Schneefräse, um die Strecke von der Garage bis zur am Grundstück vorbeiführenden Gemeindestraße vom Schnee zu räumen. Insbesondere im Bereich der Gemeindestraße lag ein durch die Schneeräumung angehäufter, etwa 15 bis 20 cm hoher Schneewall, über den der Kläger nicht ohne Gefahr des Abrutschens hätte fahren können. Nachdem er den etwa 70 m langen Weg zwischen der Garage und der Gemeindestraße mit der selbstfahrenden Schneefräse zweimal hin- und zurückgegangen war, mußte er die Fräse bei der dritten Fahrt anhalten, weil sie verstopft war und keinen Schnee mehr auswarf. Er schaltete den Kippschalter aus und begann mit dem Reinigen des Auswurfstutzens. Vermutlich deshalb, weil der Kläger mit einem Teil seiner Kleidung am Getriebeschalter anstieß, schaltete sich die Fräse plötzlich wieder ein. Dadurch erlitt der Kläger schwere Verletzungen der rechten Hand, die zur Amputation des zweiten bis vierten Fingers führten.

Das Erstgericht beurteilte den Unfall nicht als Arbeitsunfall, weil er sich bei einer Vorbereitungshandlung für den Weg zur Arbeitsstätte ereignet habe.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Tätigkeiten eines Versicherten im Zusammenhang mit der Schneeräumung auf einem Weg von der Wohnstätte zur Gemeindestraße könnten im allgemeinen nicht als Teil der Erwerbstätigkeit angesehen werden, weil dafür selbst dann andere als betriebliche Interessen ausschlaggebend seien, wenn diese Tätigkeiten auch der Ermöglichung der Fahrt mit dem PKW zur Arbeitsstätte dienten. Die Schneeräumung des Weges sei ganz allgemein dazu erforderlich, das Haus, in dem der Kläger wohne, von der Gemeindestraße her mit Kraftfahrzeugen zu erreichen und vom Haus zur Gemeindestraße zu gelangen, so daß für die Schneeräumung andere als Betriebsinteressen im Vordergrund gestanden seien, obwohl der Kläger diesen Weg zuerst habe benützen wollen, um an seinen Arbeitsplatz zu gelangen. Die Interessen seines Dienstgebers seien nicht auf die Räumung des Weges gerichtet gewesen, weshalb die Schneeräumung den eigenwirtschaftlichen Tätigkeiten des Klägers zuzurechnen sei.

Dagegen richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung (der Sache) mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im klagestattgebenden Sinne abzuändern.

Die beklagte Partei beantragt in der Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die nach § 46 Abs. 4 ASGG ohne die Beschränkungen des Abs. 2 dieser Gesetzesstelle zulässige Revision ist berechtigt. Nach § 175 Abs. 1 ASVG sind Arbeitsunfälle Unfälle, die sich im örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit der die Versicherung begründenden Beschäftigung ereignen. Nach Abs. 2 Z 1 erster Halbsatz leg cit sind Arbeitsunfälle auch Unfälle, die sich auf einem mit der die Versicherung begründenden Beschäftigung zusammenhängenden Weg zur oder von der Arbeitsstätte ereignen. Nach einhelliger Lehre und Rechtsprechung beginnt bzw endet der Versicherungsschutz an der Außenfront des Wohnhauses, also in der Regel an dem ins Freie führenden Haustor (Haustür) oder Garagentor, nicht aber erst bzw schon an der nicht mit der Außenfront des Wohnhauses übereinstimmenden Grenze der Baufläche etwa zum öffentlichen Gut (SSV-NF 2/17 mwN).

Diese praktisch einhellige Abgrenzung wird mit dem mit der gesetzlichen Unfallversicherung beabsichtigten Zweck, den Versicherten vor allen Gefahren zu schützen, denen er in seiner Rolle als Erwerbstätiger ausgesetzt ist, besser gerecht als die abgelehnte zweitgenannte Variante, weil Versicherte, deren Arbeits- oder Ausbildungsstätte außerhalb des von ihnen bewohnten Hauses liegt, schon ab bzw bis zum Haustor (Haustür) auf einem außerhalb des bewohnten Hauses liegenden Teil des zu diesem gehörenden Grundstückes (zB Weg zwischen Haus- und Gartentor) den typischen Gefahren des Arbeitsweges ausgesetzt sind. Dazu zählen vor allem die Unbilden der Witterung, insbesondere Schnee- und Eisglätte, und schlechte Tageslichtverhältnisse, die das Begehen oder Befahren des außerhalb des Wohnhauses liegenden Teiles des dazugehörenden Grundstückes ebenso gefährlich machen wie das Fortbewegen auf fremden Grundstücken. Besonders in der österreichischen Rechtsprechung wurde in diesem Zusammenhang zutreffend erwähnt, daß der Versicherte wegen seiner beschäftigungsbedingten Abwesenheit von seiner Heimstätte die Wege auf seinem Grundstück nicht immer im ordnungsgemäßen Zustand halten kann (zB SSV-NF 18/96; 23/116). Eine ähnliche Situation kann sich auch beim Verlassen des Wohnhauses etwa dann ergeben, wenn der Versicherte wegen des auf dem Anmarschweg gegebenen Zeitdruckes eine erst wahrgenommene Schnee- und Eisglätte nicht ausreichend beseitigen kann (SSV-NF 2/17).

Nach diesen auch auf den nunmehrigen Fall anzuwendenden grundsätzlichen Ausführungen ist der Unfall des Klägers vom 24. November 1987 als Arbeitsunfall iS des § 175 Abs. 2 Z 1 erster Halbsatz ASVG zu beurteilen, weil er sich auf einem mit der die Versicherung begründenden Beschäftigung zusammenhängenden Weg zur Arbeitsstätte ereignet hat.

Der Kläger hatte nämlich das von ihm bewohnte Haus bereits in der Absicht verlassen, wie an jedem Arbeitstag mit seinem in der Garage geparkten PKW zunächst über das an das Wohnhaus angrenzende Grundstück zur Gemeindestraße und sodann weiter zu seiner Arbeitsstätte zu fahren. Damit war er bereits ab Verlassen des Hauses den typischen Gefahren des Arbeitsweges ausgesetzt, die am Unfallstag insbesondere in der Schneelage, der niedrigen Temperatur und der jahres- und tageszeitlich bedingten schlechten Tageslichtverhältnissen bestanden.

Es ist zwar richtig, daß der Grundsatz, daß nicht alle der Aufnahme der versicherten Tätigkeit vorangehenden Verrichtungen (sog vorbereitende Tätigkeiten) zur versicherten Tätigkeit gehören, auch für die nach § 175 Abs. 2 Z 1 ASVG geschützten Wege gilt. Zwar können vorbereitende Tätigkeiten auch in diesem Zusammenhang durchaus Verrichtungen sein, durch die das Zurücklegen des (versicherten) Weges und damit die Erfüllung der aus dem Beschäftigungsverhältnis folgenden Pflichten erst ermöglicht werden. Diese vorbereitenden Tätigkeiten stehen aber im allgemeinen der Betriebstätigkeit zu fern, als daß sie schon dem persönlichen Lebensbereich des Versicherten entzogen und der unter Versicherungsschutz stehenden, durch § 175 Abs. 2 Z 1 ASVG auf mit der versicherten Beschäftigung zusammenhängende Wege zur oder von der Arbeitsstätte erstreckten betrieblichen Sphäre zuzurechnen wären (so zB auch Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung II 72.Nachtrag 486g, 486h mwN).

Der Versicherte steht jedoch in der Regel zB bei Maßnahmen zur Wiederherstellung der Betriebsfähigkeit seines Beförderungsmittels, das er für die Fahrt zur oder von der Arbeitsstätte benutzt, etwa beim Reparieren und anschließenden Ausprobieren, dann unter Versicherungsschutz, wenn diese Maßnahmen während des Weges unvorhergesehen erforderlich werden, weil in solchen Fällen der innere Zusammenhang mit der versicherten Beschäftigung erhalten bleibt. Dabei werden jedoch die Zumutbarkeit der Fortsetzung des Weges ohne das betriebsunfähige Beförderungsmittel und ein allfälliges Mißverhältnis zwischen dem für die Wiederherstellung der Betriebsfähigkeit erforderlichen Zeitaufwand und der Dauer des Weges und weiters zu berücksichtigen sein, daß es sich nur um zur Fortsetzung des Weges erforderliche Maßnahmen handeln darf (so auch Brackmann aaO 486h, 486hI, 486hII mwN; SSV-NF 3/71 - in Druck). Entsprechendes muß auch gelten, wenn eine Reparatur des Beförderungsmittels unmittelbar vor dem Antritt des Weges zur oder von der Arbeitsstätte erforderlich wird (so auch LSG Baden-Württ Breith 50. Jg S 226, zustimmend zit von Brackmann aaO 486i), wenn das Anschieben eines zur Fahrt zur Arbeitsstelle benützten Kraftfahrzeuges notwendig ist, das wegen außergewöhnlich niedriger Außentemperaturen nicht anspringt (Schiedsgericht der Sozialversicherung für Oberösterreich in Linz 15.Juli 1985 SVSlg 31.249), aber auch beim für die Fahrt zur oder von der Arbeitsstätte erforderlichen Wegräumen von Schnee.

Versicherungsschutz im letztgenannten Fall hat das Bundessozialgericht in seiner von Brackmann aaO 486i und Podzun, Der Unfallsachbearbeiter Lfg 3/89 Kz 107/2 zustimmend zit Entscheidung vom 28.Juni 1988 2 RU 14/88 Info (Aktueller Informationsdienst für berufsgenossenschaftliche Sachbearbeitung) 1988, 1718 bejaht, falls der Versicherte beim Verlassen der Garage mit seinem Kraftfahrzeug im Schnee steckengeblieben oder ohne vorangegangenes Schneeschippen steckengeblieben wäre und deshalb den Schnee mit dem Schneeschieber nur soweit beseitigt hätte, wie es erforderlich gewesen wäre, um mit dem Fahrzeug das Grundstück zu verlassen.

Der erkennende Senat schließt sich der dargelegten Rechtsmeinung an.

Der Unfall vom 24.November 1987, den der Kläger nach den Feststellungen nach Verlassen des von ihm bewohnten Hauses beim für die Fahrt mit seinem PKW zur Arbeitsstätte erforderlichen Schneeräumen zwischen der Garage und der Gemeindestraße erlitt, ereignete sich daher auf einem mit der versicherten Beschäftigung zusammenhängenden Weg zur Arbeitsstätte und ist deshalb ein Arbeitsunfall iS des § 175 Abs. 2 Z 1 erster Halbsatz ASVG, zumal es dem Kläger nach den festgestellten Umständen nicht zuzumuten gewesen wäre, den Weg ohne seinen sonst nicht einsetzbaren PKW fortzusetzen. Unter den festgestellten Umständen war die zum Unfall führende Schneeräumung zwischen der für die Einstellung des PKW des Klägers benützten Garage und der Gemeindestraße auch wesentlich dazu bestimmt, dem (rechtzeitigen und nicht mit unzumutbaren Anstrengungen verbundenen) Erreichen der Arbeitsstätte und damit der versicherten Beschäftigung zu dienen. Daß die Schneeräumung möglicherweise auch eigenwirtschaftlichen Interessen entsprach, schließt den ursächlichen Zusammenhang mit der die Versicherung begründenden Beschäftigung nicht aus (so zB auch Brackmann aaO 486dI, 486e mwN).

Weil die Rechtsrüge berechtigt ist, war der Revision Folge zu geben. Mangels ausreichender Feststellungen über die durch den Arbeitsunfall verursachten körperlichen Schäden und ihre Folgen sowie über die - abgesehen von der Qualifikation des Unfalls als Arbeitsunfall - sonstigen Voraussetzungen der - mit Ausnahme der Versehrtenrente - bisher entgegen § 82 ASGG (siehe SSV-NF 1/35) nur pauschal begehrten Leistungen nach § 173 (Z 1) ASVG - konnte das angefochtene Urteil jedoch nicht - wie begehrt - im klagestattgebenden Sinne abgeändert werden. Die Urteile der Vorinstanzen waren vielmehr aufzuheben und die Sozialrechtssache zur Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen (§ 496 Abs. 1 und Abs. 3, § 499 Abs. 1, § 510 Abs. 1 und § 513 ZPO). Der Vorbehalt der Enscheidung über den Ersatz der Kosten des Klägers im Berufungs- und Revisionsverfahren beruht auf § 52 Abs. 1 ZPO.

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