OGH 2Ob144/89 (2Ob145/89)

OGH2Ob144/89 (2Ob145/89)28.11.1989

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Melber und Dr. Kropfitsch als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Günter P***, Mechaniker, Wien 12, Steinbauergasse 11/1/9, vertreten durch Dr. Raimund Mittag, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagten Parteien

1.) I*** U***- UND S*** AG, Wien 3.,

Ghegastraße 3, 2.) Firma "P***" Baugesellschaft P. A*** & Co., Wien 7., Kaiserstraße 87, und 3.) Johann K***, Kraftfahrer, Laxenburg, Eduard Hartmannplatz 2/2/12, sämtliche vertreten durch Dr. Leopold Hammer, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 550.000,-- sA und Feststellung (S 50.000,--), infolge Revision der klagenden Partei sowie Revision und Rekurs der beklagten Parteien gegen das Teil- und Teilzwischenurteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 20. Jänner 1989, GZ 16 R 89/88-42, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 17. September 1987, GZ 28 Cg 706/87-32, teilweise abgeändert und teilweise aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt und beschlossen:

 

Spruch:

Beiden Revisionen wird nicht Folge gegeben.

Die Kostenentscheidung bleibt dem Endurteil vorbehalten. Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 16. September 1982 ereignete sich auf dem Lagerplatz der Firma Dipl. Ing. Dr. Albert K*** in Wien 23.,

Perfektastraße 17-21, ein Unfall, an welchem der Kläger als Lenker einer Straßenwalze der Marke Hamm und der Drittbeklagte als Lenker des LKWs Mercedes Kipper LPK 1313, pol. Kz N 744.533 der zweitbeklagten Partei, der bei der erstbeklagten Partei haftpflichtversichert war, beteiligt waren. Bei dem Unfall erlitt der Kläger eine schwere Beinverletzung; künftige unfallsbedingte Nachteile des Klägers sind nicht auszuschließen.

Der Kläger begehrte von den Beklagten die Bezahlung eines Schmerzengeldes von S 500.000,-- und einer Verunstaltungsentschädigung von S 50.000,--, insgesamt daher S 550.000,-- sA, und beantragte die Feststellung der Haftung der Beklagten für seine künftigen Schäden aus dem Unfall. Er begründete sein Begehren damit, daß der Drittbeklagte ihm beim Anschieben der Walze mit dem LKW der zweitbeklagten Partei so unsachgemäß geholfen habe, daß er mit dem rechten Bein zwischen die beiden Fahrzeuge geraten sei.

Die Beklagten beantragten die Abweisung des Klagebegehrens und wendeten ein, daß der Kläger den Unfall selbst verschuldet habe. Außerdem liege wegen der Eingliederung des Klägers in den Betrieb der zweitbeklagten Partei der Haftungsausschluß nach § 333 ASVG vor. Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es

traf - zusammengefaßt dargestellt - nachstehende Feststellungen:

Der Kläger war bei der Firma K***-Bau als Kranführer beschäftigt. Am Unfallstag hatte er im Auftrag des zuständigen Werkmeisters die in der Folge am Unfall beteiligte Walze abgeschmiert. Sodann sollte die Walze auf einen Tieflader der Firma K***-Bau verladen und zu einer Baustelle transportiert werden. Die Verladung und der Transport der Walze oblagen dem gleichfalls bei der Firma K***-Bau beschäftigten Kraftfahrer Julius S***. Dessen ungeachtet und wiewohl er hiezu keinen Auftrag hatte, nahm der Kläger die Walze in Betrieb und versuchte, sie auf den Tieflader zu fahren. Das gelang ihm nicht, weil die Walze den Scheitelpunkt der Rampe nicht zu überwinden vermochte. Nach zwei vergeblichen Versuchen, die jeweils ca. 1 m vor Erreichen des Scheitelpunkts geendet hatten, bot der Drittbeklagte, der sich mit einem LKW auf dem Gelände befand, seine Hilfe an. Die Walze sollte vom LKW mittels eines 2 bis 2,5 m langen Holzstaffels angeschoben werden. Auch diese Maßnahme führte jedoch nicht zum Erfolg. Der Kläger fuhr mit der Walze etwas zu früh los, wodurch der Staffel, da nicht fixiert, außer Kraftschluß geriet und zu Boden fiel. Daraufhin brachte der Drittbeklagte den LKW nach einer Vorwärtsfahrt von ca. 1 m zum Stillstand. Die Walze fuhr zunächst aus eigener Kraft die Rampe aufwärts. Auf halber Höhe der Rampe, als der Abstand zwischen der Walze und dem LKW etwa 3 bis 3,5 m betrug, legte der Kläger - höchstwahrscheinlich irrtümlich - den Rückwärtsgang ein, wodurch sich die Walze die Rampe wieder abwärtsbewegte. Als der Drittbeklagte die Walze auf sich zukommen sah, versuchte er noch, mit dem LKW nach rückwärts auszuweichen, sah sich hiezu aber wegen der zahlreichen Personen, sie sich auf dem Firmengelände befanden, nicht in der Lage. Die Walze prallte gegen den LKW. Durch den Anstoß wurde das rechte Bein des Klägers zwischen dem Trittbrett der Walze und der Stoßstange des LKW eingeklemmt. Unmittelbar vor der Kollision hatte Julius S***, der die Vorgänge von einer Laderampe aus beobachtete, dem Kläger noch zugerufen, er möge den Vorwärtsgang einlegen. Als dieser Zuruf nichts fruchtete, sprang er von der Rampe herab und betätigte selbst den Schalthebel, doch kam diese Maßnahme zu spät.

Die Zweitbeklagte ist eine Tochterfirma der Firma

Dipl. Ing. Dr. Albert K*** und arbeitet seit ihrer Gründung mit dieser zusammen. Im Rahmen dieser Zusammenarbeit wurden die Dienstnehmer der beiden Firmen so behandelt, als gehörten sie ein und derselben Firma an. Beide Firmen betrieben eine gemeinsame Werkstätte, wobei die Dienstnehmer der Zweitbeklagten dem Werkstättenleiter der Firma K***-Bau ebenso unterstellt waren, als handle es sich um Angehörige der Firma K***-Bau. Am Unfallstag war "daher der Kläger auch in den Betrieb der Zweitbeklagten eingegliedert".

Rechtlich vertrat das Erstgericht die Ansicht, das Verschulden am Zustandekommen des Unfalles sei allein dem Kläger zuzuordnen. Der Drittbeklagte hingegen habe jede nach den Umständen gebotene Sorgfalt beobachtet, sodaß auch eine Haftung der Beklagten nach den Bestimmungen des EKHG zu verneinen sei. Überdies komme der Haftungsausschluß nach § 333 ASVG zum Tragen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers teilweise Folge und änderte das erstgerichtliche Urteil dahin ab, daß es mit Teil- und Teilzwischenurteil dem Feststellungsbegehren zu einem Drittel stattgab und aussprach, daß der Anspruch des Klägers auf Schmerzengeld zu 1/3 zu Recht besteht. Im übrigen hob es die erstgerichtliche Entscheidung in Ansehung der Verunstaltungsentschädigung von S 50.000,-- auf und verwies die Rechtssache in diesem Umfang zur Ergänzung der Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück. Es fügte diesem Entscheidungspunkt einen Rechtskraftvorbehalt an.

Das Gericht zweiter Instanz führte ergänzende Beweisaufnahmen durch und stellte fest:

Der Drittbeklagte war zur Unfallszeit Dienstnehmer der Zweitbeklagten. Er hatte die vorangegangenen erfolglosen Auffahrversuche des Klägers beobachtet. Bei diesen Versuchen war das Walzenfahrzeug jeweils nach Durchdrehen der vorderen Walze vor Erreichen des Scheitelpunktes der Rampe vorerst zurückgerutscht und sodann vom Kläger wieder in eine horizontale Position gefahren worden, aus welcher sodann der nächste Auffahrversuch unternommen wurde. Auch zu Beginn des Anschiebevorganges stand die Walze zur Gänze auf der ebenen Fahrbahnoberfläche, und zwar unmittelbar vor der Rampe. Der Holzstaffel steckte mit einem Ende in der Ausnehmung der Stoßstange des LKW, das andere Ende lag auf dem Trittbrett der Walze. Der Drittbeklagte konnte von seiner Sitzposition im LKW den der Walze näher gelegenen Teil des Staffels überblicken. Bei der am Unfall beteiligten Walze ist nach Bauart und Ausführung ein Überschreiten einer Geschwindigkeit von 10 km/h auf ebener, waagrechter Fahrbahn bei Windstille nicht gewährleistet. Rechtlich vertrat das Berufungsgericht die Auffassung, daß sowohl der Kläger als auch der Drittbeklagte das Schadensereignis schuldhaft herbeigeführt hätten. Beiden sei vorzuwerfen, daß sie sich auf ein Manöver einließen, welches angesichts der Masse der beteiligten Fahrzeuge und des geringen Teifenabstands zwischen der Front des LKW und dem ungeschützten Standort des Klägers von nur rund 1,70 bis 2,20 m sowie wegen der mangels Fixierung als unsachgemäß zu wertenden Anbringung des Staffels bei gehöriger Sorgfalt als risikoreich zu erkennen war. Kläger wie Drittbeklagter hätten die im konkreten Fall zwingend notwendige Abstimmung ihres Fahrverhaltens unterlassen. Dem Kläger falle des weiteren zur Last, daß er mit der Walze eine Strecke von zumindest 3 m im Rückwärtsgang zurücklegte, ohne sich zu vergewissern, ob dies gefahrlos geschehen könne. Die vollständige Vernachlässigung des LKW, mit dessen Annäherung an die Rampe im Zug des Anschiebeversuches zu rechnen war, sei dem Kläger als grober Aufmerksamkeitsfehler zuzurechnen. Der Drittbeklagte hingegen habe zu verantworten, daß er auf das Herabfallen des Staffels nicht prompt reagierte, sondern noch rund 1 m vorfuhr, obwohl ihm angesichts der minimalen Geschwindigkeit des eben erst im Anfahren begriffenen LKW ein sofortiges Zumstillstandbringen des Fahrzeuges möglich gewesen wäre. Der Drittbeklagte hätte darüber hinaus dafür Vorsorge treffen müssen, daß er mit dem LKW zum Zweck der Herstellung eines sicheren Abstands zur Rampe zurückfahren kann. In diese Richtung habe der Drittbeklagte jedoch schlechthin nichts unternommen, weshalb er die mit dem Anschiebeversuch an sich verbundene Gefahr noch beträchtlich erhöhte.

Bei Gegenüberstellung des Unrechtsgehalts des beiderseitigen Fehlverhaltens sei von dem überwiegenden Verschulden des Klägers am Unfall im Verhältnis 2 : 1 auszugehen. Dem Drittbeklagten komme als einem dem Kläger gleichgestellten Dienstnehmer der Haftungsausschluß nach § 333 ASVG nicht zugute. Das Schmerzengeld sei zu 1/3 berechtigt; der Höhe nach werde darüber noch zu entscheiden sein. Das Verunstaltungsbegehren sei auch dem Grunde nach noch nicht spruchreif, sodaß das Ersturteil diesbezüglich aufzuheben sei. Gegen die Entscheidung des Gerichts zweiter Instanz richtet sich die Revision des Klägers aus dem Anfechtungsgrund des § 503 Z 4 ZPO mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß die beklagten Parteien für 2/3 der künftigen Schäden des Klägers zu haften haben und daß sein Anspruch auf Schmerzengeld zu 2/3 zu Recht bestehend erkannt werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Auch die Beklagten erheben Revision und außerdem Rekurs; sie beantragen in beiden Rechtsmitteln die Abänderung der Entscheidung des Berufungsgerichts durch Wiederherstellung des erstgerichtlichen Urteils.

In den Revisionsbeantwortungen bzw. in der Rekursbeantwortung beantragen die Parteien, dem Rechtsmittel der Gegenseite nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revisionen und der Rekurs sind nicht berechtigt.

1.) Zur Revision des Klägers:

Der Kläger vertritt die Auffassung, daß das Verschulden des Drittbeklagten im Verhältnis 1 : 2 schwerer wiege als sein eigenes.

Dem kann nicht gefolgt werden:

Das Berufungsgericht hat unter sorgfältiger Abwägung der beiderseitigen Verschuldenskomponenten den Unfall beurteilt. Es hat mit Recht darauf verwiesen, daß das gesamte Manöver, auf das sich der Kläger und der Drittbeklagte eingelassen hatten, von hohem Risiko getragen und äußerst unsachgemäß war. Den zutreffenden Ausführungen des Berufungsgerichts ist nur noch hinzuzufügen, daß zwar der Drittbeklagte schon wegen der vorangegangenen Fehlversuche des Klägers zu besonderer Vorsicht gemahnt gewesen wäre, daß aber der Kläger selbst durch ein völlig unsachgemäßes Einschalten des Rückwärtsgangs im besonderen Maße für das nachfolgende Geschehen verantwortlich war. Die Auffassung des Berufungsgerichts, daß sein Mitverschulden im Verhältnis 2 : 1 das Verschulden des Drittbeklagten überwiegt, ist daher zu billigen. Seiner Revision war somit der Erfolg zu versagen.

2.) Zur Revision und zum Rekurs der Beklagten:

Die Beklagten stellen sich auf den Standpunkt, daß der Kläger allein am Unfall schuld sei. Auch ihnen ist die eingehende Darstellung des Unfallgeschehens und seine alle dafür maßgeblichen Umstände berücksichtigende Beurteilung des Berufungsgerichtes entgegenzuhalten. Wie schon bei der Behandlung der Revision des Klägers dargestellt wurde, mußte der Drittbeklagte aus den vorangegangenen Fehlversuchen erkennen, daß das beabsichtigte Verlademanöver überaus gefahrenträchtig war; er hätte daher zumindest - da die Walze immer wieder zurückrollte - für einen entsprechenden Auslauf sorgen müssen. Er hat es jedoch an jeglicher Vorsorge fehlen lassen und damit den Unfall zu einem maßgeblichen Anteil mitverschuldet. Die vom Berufungsgericht vorgenommene Verschuldensteilung im Verhältnis 2 : 1 zu seinen Gunsten ist daher nicht zu beanstanden.

Nach ständiger Rechtsprechung wird die Ersatzpflicht nach bürgerlichem Recht bei einer aus Anlaß eines Arbeitsunfalls erfolgten Körperverletzung nur für Dienstgeber oder diesem Gleichgestellte (Aufseher im Betrieb) auf eine vorsätzliche Zufügung beschränkt. Ein Mitbediensteter des Verletzten, dem diese Stellung nicht zukommt, haftet auch dann nach den allgemeinen Vorschriften für die Folgen einer von ihm zugefügten Verletzung, wenn sie als Arbeitsunfall zu beurteilen ist (ZAS 1974, 59; SZ 51/75; 8 Ob 83/87 uza). Für die im § 333 ASVG normierten Haftungsprivilegien ist das Merkmal der Überordnung des Schädigers charakteristisch; es fehlt bei der Verletzung eines gleichrangigen Betriebsangehörigen (EvBl 1979/44 ua). Selbst wenn der Kläger und der Drittbeklagte im gleichen Betrieb beschäftigt gewesen wären, mangelte es für die Heranziehung des Haftungsprivilegs nach § 333 Abs 4 ASVG an einer sogenannten Aufsehereigenschaft des Drittbeklagten dem Kläger gegenüber. Das Argument der Beklagten, eine solche Aufsichtspflicht sei daraus abzuleiten, daß der Drittbeklagte "vorausschauend auf das Fehlverhalten des Klägers hätte reagieren müssen", ist nicht stichhaltig, weil die für den Drittbeklagten gebotene Aufmerksamkeit nicht im Sinne einer Überordnung gegenüber dem Kläger verstanden werden kann. Auch der Revision der Beklagten ist daher der Erfolg zu versagen.

Da der Rekurs der Beklagten nur die bereits bei der Behandlung ihrer Revision widerlegten Argumente wiederholt, genügt es, auf die vorstehenden Ausführungen zu verweisen.

Die Kostenentscheidung über die Revisionen war gemäß §§ 52 Abs 2, 392 Abs 2, 393 Abs 4 ZPO dem Endurteil vorzubehalten. Der Kostenvorbehalt bei Erledigung des Rekurses beruht auf § 52 ZPO.

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